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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

2. Dezember 2017 Otto König/Richard Detje: Morde an Journalist_innen in Mexiko reißen nicht ab

Tödlicher Arbeitsplatz

Foto: Die investivagtive mexikanische Journalistin Carmen Aristegui flickr.com/FNPI (CC BY-SA 2.0)

Weltweit nimmt die Gewalt gegen Journalisten zu. Dem Netzwerk »Reporter ohne Grenzen« zufolge wurden in diesem Jahr nach bisherigem Stand 47 Journalist_innen ermordet. »Das Leben als Journalist wird gefährlicher«, stellte der Geschäftsführer des Netzwerkes, Christian Mihr, fest.

Allein in fünf lateinamerikanischen Ländern – Mexiko, Guatemala, Honduras, Peru und Dominikanische Republik – kamen laut dem Nachrichtenportal Telesur 23 Journalisten im ersten Halbjahr des Jahres 2017 gewaltsam ums Leben. Das gefährlichste lateinamerikanische Land für Medienvertreter ist Mexiko. Schon 2016 war ein Jahr des Schreckens: Elf ermordete Medienvertreter, 426 Aggressionen und Angriffe sowie staatliche Spionageversuche und 72 Drohungen über die sozialen Netzwerke, zählte Ana Cristina Ruelas, Vorsitzende der mexikanischen Sektion der Menschenrechtsorganisation »Article 19«.

Das Morden ging 2017 unvermindert weiter. Das erste Opfer war der Polizeireporter Cecilio Pineda aus dem Bundesstaat Guerrero, der am 2. März in der Ortschaft Pungarabato in einer Autowaschanlage von Unbekannten mit mehreren Schüssen hingerichtet wurde, nachdem er zuvor in einem Video auf seiner Facebook-Seite die Verbindungen zwischen dem Gouverneur von Guerrero, Héctor Astudillo Flores, und der Drogenbande »Los Tequileros« angeprangert hatte. Am 19. März starb in Veracruz Ricardo Monlui, Direktor des Nachrichtenportals »El Político« und Kolumnist mehrerer Zeitungen Nur wenige Tage später wurde die Journalistin Miroslava Breach, die u.a. für die linke Tageszeitung La Jornada geschrieben hat, vor den Augen ihres Sohnes mit Pistolenschüssen hingerichtet. Breach hatte wiederholt Artikel über den Einfluss der Drogenmafia auf die Wirtschaft, Politik, Behörden und damit über Verflechtungen zwischen Politik und Verbrechen veröffentlicht.

»Sollen sie uns doch alle umbringen, wenn das das Todesurteil dafür ist, von dieser Hölle zu berichten«, twitterte zwei Tage darauf ihr Jornada-Kollege Javier Valdez Cárdenas. 51 Tage nach seinem Tweet wurde er ebenfalls auf offener Straße in Culiacán, der Hauptstadt des vom gleichnamigen Kartell kontrollierten Bundesstaats Sinaloa, erschossen. Der studierte Soziologe und Journalist recherchierte wie Miroslawa Breach hauptsächlich über die Drogenmafia, den Drogenhandel und die Verbindungen mexikanischer Politiker mit den Drogenkartellen.

Er war der fünfte von bisher neun in diesem Jahr ermordeten Journalisten in Mexiko. Damit ist 2017 schon jetzt eines der gewalttätigsten Jahre im Hinblick auf die Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit in. Für die Jahre zwischen 2000 und 2017 hat die Organisation »Article 19« insgesamt 105 Morde an Journalist_innen dokumentiert. Zudem sind 23 Medienvertreter bis heute verschwunden. Statistisch befindet sich Mexiko laut einem Bericht des »Schutzkomitees für Journalist_innen« (Comité de Protección a Periodistas) auf dem siebten Platz hinter Afghanistan, Somalia, Syrien, Irak, die Philippinen und dem Südsudan.

Es sind vor allem investigative Journalisten, die über die Verflechtungen zwischen Politikern, Behörden und organisierter Kriminalität recherchieren, die bedroht, eingeschüchtert und ermordet werden, oder die man anderweitig »verschwinden« lässt. Diese Fakten und die Angriffe auf Menschenrechtsaktivist_innen lösten Aktivitäten von zivilen Organisationen, unterstützt von der UN-Kommission für Menschenrechte, aus, die sich vor fünf Jahren, am 25. Juni 2012, in einem vom mexikanischen Parlament verabschiedeten Gesetz zum »Schutz für Menschenrechtsverteidiger und Journalist_innen« niederschlugen.

Durch dieses Gesetz wurde ein Mechanismus implementiert, auf den Medienschaffende und Aktivist_innen im Falle lebensgefährlicher Bedrohung im Zusammenhang mit ihrer Arbeit zurückgreifen können. Dieser Schutzmechanismus »Mecanismo de Protección para Personas Defensoras de los Derechos Humanos y Periodistas«, für den die Sonderstaatsanwaltschaft für Delikte gegen die Meinungsfreiheit (Feadle) zuständig ist, litt von Anfang an unter Ressourcenmangel und unzureichender Koordination. So wurde beispielsweise das Budget zwischen 2014 und 2016 um die Hälfte reduziert. Erst drei Jahre nach der Einrichtung wurde eine Einheit zur Prävention, Überwachung und Analyse ins Leben gerufen, die etwa 90% der Anträge auf Gewährung von Schutzmaßnahmen stattgab.

Dass der mexikanische Staatspräsident Peña Nieto die Feadle nun stärken will, ist dem öffentlichen Druck vor allem nach den Morden an Miroslava Breach und ihrem Kollegen Javier Valdez Cárdenas geschuldet. Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände unterstützen zwar die Stärkung der Schutzmechanismen, kritisieren aber zugleich, dass kaum ein Fall aufgeklärt wird. »Sie reden mit politischen Diskursen auf uns ein, obwohl es eigentlich darum geht, die Straflosigkeit zu beenden«, sagte Edgar Córtez vom Mexikanischen Institut für Menschenrechte und Demokratie IMDHD.

In ihrer Studie »Zwischen Gewalt und Zensur – eine umfangreiche Untersuchung über journalistisches Arbeiten in Mexiko«, weist Lorena Gómez Puertas von der Universidad Pompeu Fabra in Barcelona darauf hin, dass die Aggressionen gegen Journalist_innen in kleinen Ortschaften und Machtbereichen örtlicher Kaziken von Behörden und der Polizei ausgehen. Ihrer Ansicht nach ergibt sich die Gefährlichkeit der journalistischen Arbeit aus dem Abhängigkeitsverhältnis sowohl der nationalen als auch der weniger einflussreichen lokalen Presse mit allen Bereichen der Macht.

Fakt ist: Seit die Regierung Felipe Calderón vor zehn Jahren den »Krieg gegen Drogen« ausgerufen und den Kampf gegen das organisierte Verbrechen militarisiert hat, sind in Mexiko mehr Menschen auf gewaltsamem Weg ums Leben gekommen als in den Kriegsgebieten Afghanistan und Irak. [1] Die Organisation »Desarma México« macht den Besitz von Waffen und die herrschende Korruption für den Anstieg der Mordrate verantwortlich und spricht von einer Spirale der Gewalt: Am Anfang stehe die Polizei, die mit immer schwereren Schusswaffen ausgestattet wird. Entsprechend bewaffneten sich Banden, die dem organisierten Verbrechen angehören und am Ende auch Teile der Bevölkerung, um sich wiederum gegen diese zu verteidigen. [2]

Das hat einen gewaltigen Anstieg des Waffenhandels zur Folge: Laut Sipri steigerte Mexiko seine Waffenimporte zwischen 2012 und 2016 um 180% zur Freude insbesondere der Anteilseigner der Kleinwaffenproduzenten Sig Sauer und Heckler & Koch (Deutschland), Colt Defense, Glock Inc., US Ordenance Inc., Trijicon Inc. (USA).

Hinter dem Großteil der Morde werden Drogenkartelle vermutet, die kritische Journalist_innen zum Schweigen bringen wollen. Tatsächlich werden sie jedoch häufig Opfer einer Allianz von korrupten Politikern, Sicherheitskräften, Unternehmern sowie der organisierten Kriminalität, weil sie deren politischen oder wirtschaftlichen Interessen entgegenstehen. [3] Die Journalistin Carmen Aristegui fragt zu Recht: »Wer ist die Autorität und wer sind die, die eigentlich befehlen?«. Mit jedem ermordeten Journalisten schrumpft die kritische Öffentlichkeit.

Galoppierende Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Journalistenmorde, Gouverneure, die im Knast landen, kaltgestellte Institutionen, stagnierende Wirtschaft und verpuffte Effekte der Strukturreformen prägen die Regentschaft von Enrique Peña Nieto. Seit seiner Amtsübernahme 2012 gibt sich der Staatschef alle Mühe, Mexiko als sicheres Investitionsland darzustellen. Nach 70.000 Toten in der Amtszeit seines Vorgängers Felipe Calderón sollte Schluss sein mit den Horrorbildern des »Krieges«.

Das Gegenteil ist der Fall: Das Jahr 2017 wird das gewaltsamste in der Geschichte des Landes Statistisch gesehen wird in Mexiko jede Viertelstunde ein Mensch getötet. Das jüngste Mordopfer ist Silvestre de la Toba Camacho, Präsident der Menschenrechtskommission im nördlichen Bundesstaat Baja California. Laut mexikanischen Innenministerium wurden im laufenden Jahr 20.878 Menschen ermordet. Mit 1.726 gemeldeten Fällen ist Guerrero der Bundesstaat mit den meisten vorsätzlichen Tötungen, gefolgt von Baja California mit 1.524 und Chihuahua mit 1.153. Hinzu kommen 866 gemeldete Entführungen und 4.315 Erpressungen.

Weltweit steht das bis heute ungelöste Verbrechen an den 43 Studenten von Ayotzinapa [4] für die Amtszeit Peña Nietos. Leugnen, Lügen und Vertuschen war in diesem Fall die Handlungs-maxime, statt Aufklärung und Mitgefühl für die Opfer. Zu sehr waren offensichtlich staatliche Vertreter in das Verbrechen an den jungen Männern involviert. Es ist das gleiche Verhalten der staatlichen Behörden wie bei der Ermordung von Journalist_innen.

So verwundert es nicht, dass das Umfrageinstitut »Latinobarómetro« vor kurzem ein vernichtendes Umfrageergebnis präsentierte: 93% der Mexikaner_innen lehnen die Amtsführung des Präsidenten und ihn als Person ab. Möglicherweise zählen die fortschrittlichen Teile der Bevölkerung die Tage bis zur Wahl im Juli 2018, um die verlorenen Jahre Mexikos zu beenden. Die ersten Präsidentschaftskandidaten bringen sich schon in Stellung. Allerdings nicht Peña Nieto, er kann nicht noch einmal antreten.


[1] Neues Deutschland, 14.6.2017.
[2] Amerika 21, 20.11.2017.
[3] Vgl. Wolf-Dieter Vogel: Mafiastaat Mexiko, Blätter f. deutsche und internationale Politik, 12/2014.
[4] Otto König/Richard Detje: Die 43 verschwundenen Studenten von Ayotzinapa Nos faltan 43, Sozialismus Aktuell.de 12.10.2015; www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/nos-faltan-43/

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