31. Juli 2014 Manfred Coppik: Erinnerung an Karl-Heinz Hansen
Trauer um einen Freund, Genossen und Weggefährten
Am 22. Juli verstarb in Bremen Karl-Heinz Hansen. Er war ein überzeugter und überzeugender Streiter für Frieden und Demokratie – gegen die Politik des Kalten Krieges und der Aufrüstung durch immer neue Rüstungsprojekte, gegen Faschismus und die Zusammenarbeit mit Militärdiktaturen und gegen den Abbau demokratischer Rechte durch Berufsverbote und so genannte Antiterrorgesetze.
Für Karl-Heinz Hansen waren das zwangsläufige Schlussfolgerungen aus der deutschen Geschichte. Am 17. Mai 1927 im westfälischen Linderhofe geboren, wurde er als 16-jähriger 1943 als Luftwaffenhelfer eingezogen. Er kam zur Wehrmacht und geriet in Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1948 zurückkehrte. »Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus« – das prägte sein Leben. Nach dem Studium arbeitete er ab 1959 als Gymnasiallehrer, schließlich als Studiendirektor.
Der SPD trat er 1961 bei und wurde 1969 – im Zeichen der Friedenspolitik von Willy Brandt – als Direktkandidat in Düsseldorf in den Bundestag gewählt. Von 1970 bis 1980 war er stellvertretender Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Düsseldorf.
Als Bundestagsabgeordneter merkte er sehr bald die große Diskrepanz zwischen den Diskussionen der Parteibasis sowie der nach 1968 politisierten und aktiven Jugend einerseits und dem verkrusteten konservativen Beharrungsvermögen der herrschenden Ministerialbürokratie andererseits. Exemplarisch dafür war der Streit um die Öffnung der alten Archive, insbesondere des Document Centers betreffend die NS-Vergangenheit der bundesdeutschen Eliten. »Eigentlich« waren alle dafür, dennoch wurde es konsequent verhindert. Heute werden dazu große historische Aufträge vergeben. Als die Täter noch lebten, nicht. Als Karl Heinz Hansen in diesem Zusammenhang von einer ungebrochenen nationalsozialistischen Kontinuität sprach, schlug ihm blanker Hass entgegen.
1973 war er Mitinitiator des »Leverkusener Kreises«, in dem sich die SPD-Abgeordneten sammelten, die sich dem linken SPD-Flügel zuordneten. Dieser Kreis blieb aber letztlich eine ziemlich stumpfe Waffe, weil er mehrheitlich aus opportunistischen Gründen selbst dann nicht zu einem Konflikt bereit war, wenn es um die Durchsetzung von Parteitagsbeschlüssen oder sozialdemokratischen Grundpositionen ging.
Für die linkere Minderheit blieb – um die Öffentlichkeit überhaupt zu erreichen – nur noch die Option der öffentlichen Androhung und ggf. auch Ausübung eines abweichenden Stimmverhaltens im Plenum. Es begann 1977 mit dem Steuergesetz, das die Vermögensteuer senkte und zugleich die Mehrwertsteuer erhöhte – nach massivem Druck aus der Partei- und Fraktionsführung stimmten letztlich nur drei SPD-Abgeordnete dagegen, zwei enthielten sich, sodass das Gesetz mit einer Stimme Mehrheit verabschiedet wurde.
Es begann eine fünfjährige Periode von Konflikten, die nicht nur parteiintern, sondern auch öffentlich ausgetragen wurden. Weitere Fälle folgten über das Kontaktsperregesetz und die Razziengesetze bis zur »Operation 1982«. Damit wurde erstmalig eine massive Wende eingeleitet: Kindergeldkürzung, Verschlechterungen für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, sogar das Taschengeld für Bewohner von Alten- und Pflegeheimen wurde gekürzt. Drei SPD-Abgeordnete stimmten im Plenum dagegen (Karl-Heinz Hansen, Erich Meinike und ich selbst).
Seit 1980 prägte die Auseinandersetzung um den so genannten »NATO-Doppelbeschluss« die öffentliche Diskussion der Linken. Hansen war der Wortführer der Gegner dieses Aufrüstungsbeschlusses und scheute dabei in seiner scharfzüngigen Art auch keine harten Formulierungen, wobei er insbesondere den damaligen SPD-Bundeskanzler und »Erfinder« des Doppelbeschlusses, Helmut Schmidt, heftig angriff. Ende 1981 wurde er deshalb von der Schiedskommission des SPD-Bezirks Niederrhein aus der SPD ausgeschlossen. Ich trat daraufhin im Januar 1982 aus der SPD aus.
Gemeinsam gründeten wir mit vielen anderen am 28. November 1982 in Münster die Demokratischen Sozialisten (DS) – als politische Folge des Kampfes gegen die Rechtsentwicklung der SPD in der sozial-liberalen Koalition.
Auch wenn die DS in den Gewerkschaften keine Kräfteverschiebung auslösten wie 22 Jahre später die WASG, so waren doch zahlreiche betriebliche Kräfte vertreten, die auch in der Außenwirkung der DS eine wichtige Rolle spielten. Die DS waren aktiv an der Bildung und Unterstützung von Initiativen gegen Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung und Ausländerfeindlichkeit beteiligt. Doch es erwies sich sehr bald, dass die DS zu schwach waren, um einen Aufbau neben den in der Opposition befindlichen SPD und Grünen rein außerparlamentarisch zu schaffen.
Bundesweit ist die DS niemals allein bei Wahlen angetreten. Lediglich bei der Europawahl 1984 trug sie entscheidend das Bündnis »Friedensliste«, das sich gleichwohl nicht zu einer gesellschaftlich relevanten Formation entwickeln konnte. Formal löste sich die DS durch Beschluss des Parteitages vom 19.1.1991 in Köln auf mit der abschließenden Feststellung: »Die Gründungsidee einer Sammlungsbewegung links von der Sozialdemokratie war 1982 ebenso richtig, wie sie es auch heute ist: Sie gehört zur Geschichte der Linken und wird ihre Aufgabe bleiben, denn ohne diese organisierte Alternative ist eine Systemveränderung kaum denkbar.«
Ab 1994 engagierte sich Karl-Heinz für die PDS. Und vor der Bundestagswahl 2005 sprach er sich für das Zusammengehen von WASG und PDS aus.
Aufschluss über die Person Karl-Heinz Hansen können zwei Zitate geben, die aus einem sehr Hansen-kritischen Kommentar in der »Zeit« vom 6. Februar 1981 stammen:
»In der Tat ist Hansen eines jedenfalls nicht vorzuwerfen: dass er aus seinem Herzen eine Mördergrube mache und seine Ziele im Schutz von Heimlichkeit und Täuschung verfolge.« Und: »Die eigene Partei findet nur Gnade vor seinen Augen, sofern sie entschieden die Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft in Angriff nimmt.«
Gibt es ein besseres Lob?
Manfred Coppik arbeitet als Rechtsanwalt in Offenbach. Von 1972 bis 1983 war er Bundestagsabgeordneter für die SPD, seit 2008 ist er stellvertretender Landesvorsitzender der Partei DIE LINKE in Hessen.