24. Juli 2012 Joachim Bischoff: Deutsche Politiker spielen mit Griechenlands EU-Rauswurf
»Troika« erneut in Athen
Griechenlands Ministerpräsident Antonis Samaras hat in einer Regierungserklärung die internationalen Gläubiger um zusätzliche zwei Jahre Spielraum zur Erfüllung der Auflagen gebeten. Es gehe nicht um Änderungen an den vereinbarten Spar- und Reformzielen. Zugleich mahnte er, das Gerede ausländischer Politiker über einen Austritt Griechenlands müsse aufhören, da sie alle Reformbemühungen untergrüben.
Dieser doppelten Bitte wollen größere Teile der politischen Klasse der »Berliner Republik« nicht entsprechen. Die Äußerungen mehrerer führender Politiker der schwarz-gelben Koalition laufen darauf hinaus, bei einem negativen Befund der Experten von IWF, EU-Kommission und EZB (»Troika«) im September keine weiteren Hilfen freizugeben. Griechenland könne seinen Finanzbedarf bis dahin mit dem Verkauf kurzlaufender Schuldtitel am Geldmarkt decken. Die EU-Kommission rechnet nicht vor September mit Klarheit zur nächsten Hilfstranche: »Die Entscheidung wird erst fallen, wenn die laufende Bewertung abgeschlossen ist.«
Griechenland wartet derzeit auf die Freigabe einer weiteren Tranche von gut 31 Mrd. Euro aus dem zweiten Hilfeprogramm des IWF und des Euro-Schutzschirmes EFSF. IWF, EU-Kommission und Euro-Länder haben Griechenland aus dem 2. Finanzpaket von 164,4 Mrd. Euro bisher 75,7 Mrd. Euro ausgezahlt. Die Freigabe der fälligen Tranche von 31 Mrd. Euro hängt von dem »Troika«-Abschlussbericht ab, der Anfang September vorgelegt werden soll. Derzeit liegt Griechenland bei der Erfüllung seiner Auflagen deutlich zurück – nicht zuletzt wegen der zwei Parlamentswahlen in diesem Jahr.
Vor dem Besuch der Troika-Kontrolleure diese Woche hat die griechische Regierung Einsparungen in Höhe von 11,5 Mrd. Euro bekannt gegeben. Bisherige Informationen, auch aus der griechischen Regierung, zeigen, dass es gegenüber dem Zeitplan zu Verzögerungen gekommen ist. Aber nicht nur aufgeschobene politische Entscheidungen über die nächsten Sanierungsschritte sind an dem »Verzug« bei der Umsetzung der vereinbarten Auflagen verantwortlich. Letztlich ausschlaggebend war die dramatische Verschlechterung der ökonomischen Entwicklung.
Im Vorfeld des Troika-Besuchs gab die griechische Wirtschaft ein gemischtes Bild ab. Einerseits vertieft sich die Rezession offenbar weiter. Die Aufträge der Industrie gingen im Mai um 9,4% zurück. Andererseits scheinen die Griechen wieder Hoffnung zu hegen. Laut Bankenkreisen sind seit den Wahlen am 17. Juni etwa 10 Mrd. Euro in Bank- und Spareinlagen geflossen; d.h. trotz fortbestehender Kapitalflucht ist wieder ein Vertrauenszuwachs in das bestehende Banksystem zu verzeichnen. Auch die Steuereinnahmen steigen wieder. Inoffiziell meldeten die Finanzämter für das erste Juli-Drittel einen Zuwachs von 6%.
Das mit der »Troika« vereinbarte Programm basierte auf einem viel zu optimistischen Szenario. In einem Kürzungsprogramm verpflichteten sich die etablierten Parteien zu Einsparungen in Höhe von 11,5 Mrd. Euro – etwa 5,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP) – für die Jahre 2012 bis 2014. Das Programm ging davon aus, dass Athen im Jahr 2014 einen Primärüberschuss von 4,5% des BIP erreichen und somit seine Schulden selbst finanzieren könnte. Diese Rechnung kann nicht mehr aufgehen, weil die Kontraktion der Wirtschaft im laufenden Jahr bei ca. 7% des BIP und nicht wie ursprünglich angenommen bei 4,5% liegen wird. Auch für 2013 geht das griechische Finanzministerium von einer weiteren BIP-Schrumpfung von 3% aus. Konsequenz: Die Einsparungen von 11,5 Mrd. Euro werden nicht ausreichen, um das angestrebte Defizitziel zu erreichen. Im griechischen Finanzministerium schließt man nicht aus, dass jetzt 14 Mrd. Euro nötig sein könnten.
Die griechische Regierung hat bisher ca. 8 Mrd. Euro der vereinbarten 11,5 Mrd. Euro zusätzlicher Einsparungen identifiziert. Die Einnahmen aus Privatisierungen schätzt der zurückgetretene Chef der staatlichen Privatisierungsagentur allerdings mit 300 Mio. Euro deutlich geringer ein als die drei Mrd. Euro, die die Troika verlangt hat. Auch bei einigen anderen Elementen des Kürzungsprogramms gibt es Rückstände bei der Umsetzung. Es ist aber für die meisten Experten unstrittig, dass das Hauptproblem in der beschleunigten Talfahrt der griechischen Ökonomie liegt. die jetzt im fünften Jahr hintereinander schrumpft.
Die in den Medien ausgetragene vordergründige Polemik geht immer über die Rahmenbedingungen hinweg:
- Die Reduzierung des Haushaltsdefizits von 36,6 Mrd. Euro (15,8% des BIP) im Jahr 2009 auf 19 Mrd. Euro oder 9,1% des BIP im Jahr 2011 ist die größte bisher beobachtete Haushaltskorrektur in einem Land aus dem Kreis der OECD-Organisation.
- Die »Troika«-Experten haben selbst bei der Zielsetzung der weiteren Defizitreduktion und der Erwirtschaftung eines Primärsaldos (Haushaltsdefizit ohne Zinskosten) von 4,5% viel zu optimistische gesamtwirtschaftliche Entwicklungen zugrunde gelegt.
- Die Arbeitslosigkeit ist wegen der ökonomischen Abwärtsspirale auf ein Rekordhoch gestiegen. Die Quote ist im April 2012 auf 22,5% angewachsen. Die harte »Rosskur« – Kürzung von Löhnen und Pensionen und die Erhöhung von Konsumsteuern – verschärft den wirtschaftlichen Einbruch noch.
Die Dauerrezession erschwert es der griechischen Regierung, die Probleme des unzureichenden Steuervollzugs und von missbräuchlicher Aneignung von öffentlichen Leistungen in den Griff zu bekommen. Eine Verlängerung des Sanierungsprozesses bietet daher Chancen der Umstrukturierung. Nach Schätzungen würde eine Verlängerung der Fristen um zwei Jahre bis zu 28 Mrd. Euro an zusätzlichen Finanzmitteln erfordern, zugleich aber die rezessiven Effekte auf die Konjunktur mildern. EU-Hilfskredite zu günstigen Zinsen bedeuteten, dass schon ein Primärüberschuss von 1,5% des BIP ausreichen würde, um die Schuldenquote zu stabilisieren. Jeder weitere Überschuss könnte zum Abbau der Staatsschulden genutzt werden.
Die Bundesregierung wartet den für September erwarteten Bericht der »Troika« ab. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mahnt Athen, wenn es Verzögerungen beim Sparprogramm gegeben habe, müsse Griechenland diese aufholen. Er wolle keine Prognose über den Verbleib des Landes in der Euro-Zone abgeben. Er werde der Troika nicht vorgreifen. »Wenn der Troika-Bericht vorliegt, wird die Euro-Gruppe beraten.« Die politischen Angriffe von Teilen der FDP und CSU sind ein durchsichtiger Versuch, die Entscheidung vorweg zu nehmen. Es gibt auch keine Informationen darüber, ob der Internationale Währungsfonds (IWF) weitere Griechenland-Hilfen ablehnt.
Da in den vergangenen drei Monaten kaum Fortschritte bei der Durchführung des Sparprogramms festzustellen waren, unternimmt die griechische Regierung erhebliche Anstrengungen, um den im September erscheinenden Bericht positiv zu beeinflussen. Finanzminister Stournaras wurde darauf verpflichtet, zwei Alternativszenarien für die Troika vorzubereiten. Im ersten werden die Einsparungen wie vereinbart über die kommenden zwei Jahre verteilt, im zweiten aber bis 2016 gestreckt. Der Regierung ist bewusst, dass Letzteres eine zusätzliche Finanzierung Griechenlands durch seine EU-Partner und den IMF nötig machen würde.
Unabhängig davon werden die erneuten Einsparungen, die die Regierung in Erwägung zieht, für die Griechen schmerzhaft sein. Die Gehälter aller Beschäftigten in staatlichen Unternehmen sollen erheblich gekürzt werden. Bei den Renten will man eine beitragsunabhängige Grenze einführen. Demnach soll keine Rente höher als 2.200 bis 2.400 Euro liegen. Das Finanzministerium erhofft sich so Einsparungen bei den Rentenausgaben in Höhe von 1,5 Mrd. Euro. Auch bei den sozialen Transfers soll der Rotstift noch energischer angesetzt, die Ausgaben z.B. für soziale Fürsorge, die sich derzeit auf sechs Mrd. Euro belaufen, um 50 bis 60% gekürzt werden.
Das Finanzministerium geht davon aus, dass es der Troika insgesamt Vorschläge für Einsparungen in Höhe von 8 Mrd. Euro unterbreiten kann. Damit fehlen immer noch etwa 3,5 Mrd. Euro. Obwohl die Regierungsparteien sich im Wahlkampf gegen weitere Gehaltskürzungen und Entlassungen im öffentlichen Bereich ausgesprochen hatten, scheinen auch Eingriffe in dieser Richtung nötig, um das Sparpaket zu schnüren.
Zusätzliche Brisanz um die Auszahlung der anstehenden Tranche und um eine Neustrukturierung des Kürzungsprogramms entsteht durch den Zwang, Ende August Staatsanleihen über mehr als drei Mrd. Euro tilgen zu müssen. Weil diese großteils bei der EZB liegen, führt an der Rückzahlung kein Weg vorbei. Athen wird daher kurzfristige Überbrückungskredite brauchen, die es sich am Kapitalmarkt besorgen muss.
Erstmals ist auch ein ernst zu nehmender Beitrag zur Verbesserung der Wirtschaftsstrukturen Griechenlands auf den Weg gebracht worden. Die EU-Kommission und die Europäische Investitionsbank haben Verhandlungen über ein Investitionsprogramm abgeschlossen. Die griechische Regierung hat bekannt gegeben, dass die Europäische Investitionsbank Griechenland bis 2015 1,4 Mrd. Euro zur Verfügung stellen wird. Die Gelder sollen in einen Garantie-Fonds für kleine und mittlere Unternehmen fließen. Die Kommission selbst wird Mittel in Höhe von 500 Mio. Euro aus dem Kohäsionsfonds zur Finanzierung kleiner und mittlerer griechischer Unternehmen bereitstellen.
Ein wirksames Programm zur Modernisierung der ökonomischen Strukturen ist der naheliegendste Weg zur Überwindung der anhaltenden Krise. Teile der politischen Klasse der Bundesrepublik Deutschland sind dagegen offensichtlich gewillt, aus parteipolitischen Interessen eine gesellschaftliche Katastrophe in Kauf zu nehmen. Die immer stärker zu hörende Beteuerung, dass ein Domino-Effekt nicht mehr zu befürchten sei, ist völlig absurd.
Sollte der Versuch, Griechenland aus der Eurozone hinauszudrängen, erfolgreich sein, werden alle europäischen Gesellschaften einem harten Stresstest ausgesetzt werden und die Auswirkungen auf die Globalökonomie sind nicht absehbar. Noch könnte der Übergang zu einem europäischen »Marshall-Programm« bei gleichzeitiger Schrumpfung des Finanzsektors einen wirklichen Ausweg aus der seit Jahren anhaltenden Krise eröffnen.