16. August 2017 Joachim Bischoff
Trump provoziert die chinesische Führung
Während des Wahlkampfs drohte US-Präsident Trump den Chinesen mit einem Handelskrieg. Zwischenzeitlich hat sich das Verhältnis besser gestaltet als zu erwarten war. Die vermeintliche Ruhe zwischen den Führungscrews der beiden Länder war trügerisch.
Trump schart in seinem Team mit Handelsminister Wilbur Ross, dem Handelsbeauftragten Robert Lighthizer sowie dessen Stellvertreter Dennis Shea und dem Direktor für Handel und Industriepolitik, Peter Navarro, Berater um sich, die wegen ihrer protektionistischen Ausrichtung China gegenüber sehr kritisch eingestellt sind. Auch Trumps Poltern während seines Wahlkampfs hallt nach, als er gebetsmühlenartig kritisierte, das hohe Außenhandelsdefizit mit China habe den Verlust von Millionen Arbeitsplätzen in den USA zur Folge gehabt. Er drohte diverse Male mit einem Handelskrieg.
Die puren Zahlen bestätigen allerdings Trumps Bewertung. Das Handelsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten mit China belief sich im vergangenen Jahr auf annähernd 350 Mrd. US-Dollar. Rund die Hälfte des gesamten amerikanischen Minus resultiert allein aus dem Handel mit dem Reich der Mitte – ein Wert, der auf eine Fehlentwicklung hinweist.
Allerdings sind die Zahlen in dieser Form nicht schlagend, weil China bei den Dienstleistungen ein Defizit mit den USA aufweist. Darüber hinaus werden bei der Berechnung der Handelszahlen einige Faktoren überzeichnet. So steht auf einem iPhone des US-Konzerns Apple nur »Assembled in China«. Wenn das Smartphone von China in die USA ausgeführt wird, erfasst die bilaterale Handelsbilanz den gesamten Wert des Geräts, obwohl zahlreiche darin enthaltene Komponenten nicht in China produziert worden sind.
Diese Verflechtungen werden in den Handelsbilanzen nicht erfasst. Mit den Vereinigten Staaten oder Großbritannien weist das asiatische Land einen Überschuss auf. Hingegen ist China beim bilateralen Handel mit Taiwan, Südkorea, der Schweiz, Australien und Deutschland im Minus. Die chinesischen Produzenten beziehen aus diesen Ländern Komponenten oder Rohstoffe, die dann in einem letzten Schritt zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Berücksichtigt man die von China aus anderen Volkswirtschaften bezogenen Bausteine sowie das Defizit beim Austausch von Dienstleistungen bei der Berechnung der amerikanisch-chinesischen Handelsbilanz, ergibt sich ein neues Bild. Etliche Ökonomen kommen daher zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung dieser Faktoren das wahre – und ökonomisch relevante – Außenhandelsdefizit der Vereinigten Staaten mit China um rund ein Drittel niedriger ist, als es die amtlichen Zahlen nahe legen.
In Washington wurden seit geraumer Zeit hochrangige Wirtschaftsgespräche zur Schlichtung zwischen den USA und China geführt. Deren Ziel ist es, einen drohenden Handelskrieg zu vermeiden und nach Wegen zur Öffnung von Märkten zu suchen. Basis der Verhandlungen ist eine Übereinkunft zwischen US-Präsident Donald Trump und Chinas Präsident Xi Jinping vom April, die ein 100-Tage-Fenster vereinbarten, in dem nach Verbesserungen im wechselseitigen Handel gesucht werden soll. Das hat im Mai zu einer Vereinbarung geführt, die Wirtschaftsminister Ross damals in den höchsten Tönen lobte, weil die Chinesen versprochen hatten, lange abgeschottete Märkte in den Bereichen Finanzen und Landwirtschaft zu öffnen.
In Washington sollte, nachdem die 100-Tage-Frist verstrichen ist, geprüft werden, ob die ersten Vereinbarungen Fortschritte gebracht haben, und wie sie weiter ausgebaut werden können. Von den US-Unternehmern war deswegen vielfach zu hören, die US-Regierung solle einen strategischen Versuch machen, strukturelle Handelshemmnisse der Chinesen zu beseitigen, weil die bisherige Fall-zu-Fall-Politik, von der einzelne Firmen oder Branchen profitieren mögen, die grundlegenden Probleme chinesischer Regulierungen und Methoden der Industriepolitik nicht lösen könnten.
Trump verschärft den Konflikt
US-Präsident Trump hat jetzt seinen Handelsbeauftragten angewiesen, eine Untersuchung chinesischer Praktiken einzuleiten, die amerikanische Firmen angeblich um die Früchte ihres geistigen Eigentums und ihrer Innovationskraft bringen. Käme eine solche Prüfung zum Schluss, dass China tatsächlich unfair und diskriminierend vorgeht, könnte die Regierung Trump Gegenmaßnahmen, etwa in Form von Strafsteuern auf chinesischen Importen, ergreifen. China wiederum würde das kaum einfach hinnehmen. Damit ist ein Handelskrieg nicht mehr auszuschließen.
Donald Trump hat in wenigen Monaten bereits viel handelspolitischen Wirbel entfacht und immer wieder Schutzmaßnahmen für US-Arbeiter und Firmen versprochen. Es laufen denn auch bereits mehrere Untersuchungen, mit denen die US-Regierung solche Maßnahmen rechtfertigen könnte. Neu ist, dass nun mit China ein einzelnes Land ins Visier genommen wird. Mindestens zwei der bereits laufenden Untersuchungen – sie haben die US-Importe von Stahl und Aluminium zum Gegenstand und sollen prüfen, ob die Abhängigkeit von ausländischen Lieferungen eine Gefahr für die nationale Sicherheit Amerikas darstellt – richten sich indirekt auch gegen China. Den schrillen Tönen Trumps sind aber bis jetzt noch keine Taten gefolgt.
Peking kritisiert zurecht, dass Washington ein altes, lange nicht benutztes US-Gesetz als Grundlage für die Untersuchung benutzen will, obwohl es längst andere Mechanismen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WHO) für solche Streitigkeiten gibt. »Jedes WHO-Mitglied sollte sich an die Regeln der Welthandelsorganisation halten.«
Faktisch akzeptiert die US-Administration die internationale Handelsordnung nicht mehr. Washington lehnt es ab, sich zur WHO zu bekennen. Stattdessen besteht Finanzminister Steven Mnuchin am Treffen der G20-Finanzminister für die USA auf einem »freien, fairen und ausgewogenen Handel«. Zudem hat Mnuchin klargestellt, dass die Amerikaner zwar keinen Handelskrieg wollten, aber gewisse Handelsbeziehungen müssten überprüft werden. Dabei steht neben China auch Deutschland im Fokus.
Ausgehend von den USA wird der Druck, die Ungleichgewichte auszugleichen, immer größer. Die bisherige Haltung, die Ungleichgewichte seien kein Problem, werden die Überschussländer nicht länger durchhalten können. Die Schlüsselfrage lautet daher: Kann es einen Pfad zur schrittweisen Reduktion der Ungleichgewichte geben, oder wird – über eine wechselseitige Eskalation – das bisherige Handelsregime einschließlich der Währungssysteme zerstört?
China könnte die Märkte weiter öffnen, damit die Exportchancen für amerikanische Unternehmen steigen und das US-Defizit im bilateralen Handel sinkt. Deutschland könnte zu einer Expansion der Binnenkonjunktur übergehen. Außerdem ziehen sich seit Langem die Verhandlungen zwischen Peking und Washington über ein bilaterales Investitionsabkommen hin, das China auch mit der EU abschließen will. Die aktuelle Investitionsbewegung ist einseitig: Während chinesische Investoren bei ihren Auslandsengagements kaum auf Hindernisse stoßen, bleibt es für ausländische Firmen weiterhin schwierig, sich in China zu engagieren. Bei entsprechendem politischen Willen könnten die Ungleichgewichte eingehegt werden.
Ross, Navarro, Mnuchin und Trump dagegen favorisieren in ihrer Logik einen anderen Weg: Mit Importbeschränkungen soll das Volumen der Einfuhren in den USA gesenkt und mit »besser ausgehandelten« Handelsabkommen das Volumen der Exporte erhöht werden. Dadurch werde das Handelsdefizit eliminiert und das BIP der USA sei dadurch automatisch um 500 Mrd. US-Dollar höher. Diese BIP-Steigerung wiederum schaffe neue Arbeitsplätze und führe zu erheblich höheren Steuereinnahmen für den Staat.
Allerdings bedeuten weniger Importe nicht automatisch ein höheres BIP. Denn diese Importe ermöglichen es den inländischen Konsumenten, Güter zu tieferen Preisen zu kaufen, als wenn diese im Inland produziert worden wären. Die Substitution von Importen – oder deren Verteuerung durch Zölle – erhöht bloß die Preise der fraglichen Güter und führt dazu, dass die Konsumenten weniger Mittel für den Kauf anderer Güter zur Verfügung haben.
Es geht also bei der Zurückdrängung der Ungleichgewichte nicht nur um Warenhandel und Dienstleistungen. Ein Defizit in der Handelsbilanz (genauer gesagt: der Leistungsbilanz) geht immer mit einem Überschuss in der Kapitalbilanz einher. Das bedeutet: Als Folge des Handelsdefizits fließt Kapital in die USA. Diese Kapitalzuflüsse entfallen primär auf den Kauf von US-Staatsanleihen durch ausländische Zentralbanken, was für die USA von Vorteil ist: Die Kapitalzuflüsse halten das Zinsniveau in den USA tief.
China auf der Anklagebank
Als Donald Trump ein Dekret unterzeichnete, das seinen Handelsbeauftragten anweist, die Methoden Chinas unter die Lupe zu nehmen, begleitete er den formellen Akt mit Tönen, die an populistische Wahlkampfparolen erinnerten. Zu lange habe die politische Klasse Washingtons weggeschaut, während der Diebstahl geistigen Eigentums Amerika Millionen von Jobs und Milliarden an US-Dollars koste, wetterte der Präsident. »Doch Washington wird die Augen nicht länger verschließen.«
Die gesetzliche Grundlage ist klar. Nach den Paragrafen 301 und 302 des Trade Act, eines 1974 vom Kongress beschlossenen Gesetzes, kann der Handelsbeauftragte der USA eine Untersuchung unter anderem dann anordnen, wenn es Hinweise auf den Diebstahl geistigen Eigentums durch ausländische Konkurrenten gibt. In der Praxis ist das allerdings sehr viel komplizierter. Denn das Weiße Haus droht die handelspolitischen Daumenschrauben ausgerechnet in einer Zeit anzuziehen, in der es China dringend als Partner braucht, um den Konflikt um die nordkoreanischen Atomwaffen zu entschärfen. Während Hardliner wie Ross oder Peter Navarro, ein erklärter Gegner weltweiten Freihandels, den Druck auf Peking erhöhen möchten, versucht Trumps außenpolitisches Team, einen gemeinsamen Nenner mit Peking zu finden. Ob das mit Zollschranken oder aber einem Verhandlungskompromiss ende, sei völlig offen. Lässt Trump den Konflikt eskalieren, erhebt er irgendwann Zölle auf chinesische Waren, könnte der Respekt für das auf Regeln basierende System der WHO erodieren.
Im Grunde stören sich die USA seit Langem an Chinas Industriepolitik. Dem Land wird vorgeworfen, US-Firmen zum Technologietransfer und zur Weitergabe geistigen Eigentums zu zwingen, wenn diese in China operieren wollen. Als unfair gilt die chinesische Praxis, US-Firmen als Preis für den Marktzutritt zur Zusammenarbeit mit chinesischen Firmen zu drängen (Joint Venture), um so an US-Geschäftsgeheimnisse zu kommen. Aber auch der Vorwurf glatten Diebstahls von geistigem Eigentum steht im Raum. China stellt sich dagegen auf den Standpunkt, der Technologietransfer im Rahmen von Joint Ventures erfolge freiwillig.
Namhafte US-Firmen exponieren sich in der Frage ungern, weil sie ihren Zugang zum chinesischen Markt nicht aufs Spiel setzen wollen. Eine von der US-Regierung zitierte Schätzung geht davon aus, dass US-Firmen wegen Diebstahls und Enteignung von geistigem Eigentum jährlich bis zu 600 Mrd. US-Dollar entgehen, also rund 3% der gesamten US-Wirtschaftsleistung.
Kurz nachdem US-Präsident Donald Trump bei einer Zeremonie im Weißen Haus eine Untersuchung zu Chinas Handelspraktiken angeordnet hat, kontert Peking in deutlichen Worten. Die USA drohten zur »Zerstörerin multilateraler Regeln zu werden«, warnte das Handelsministerium. Das Vorgehen der Vereinigten Staaten sei nicht von den Regeln der Welthandelsorganisation (WHO) gedeckt.
China werde von den USA falsch dargestellt. Die Volksrepublik habe sich nicht verschlossen, sondern immer weiter für internationale Unternehmen geöffnet, hieß es weiter in der Erklärung des Handelsministeriums. Ignorierten die USA jedoch diese Tatsachen und verletzten die Regeln des internationalen Handels sowie das wirtschaftliche Verhältnis, werde China reagieren. »Die chinesische Seite wird nicht tatenlos zusehen, sondern angemessene Maßnahmen ergreifen, um entschieden die legitimen Rechte und Interessen Chinas zu verteidigten«, kündigte das Ministerium an. Das Vorgehen der USA wird das Verhältnis zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt belasten.
Die internationale Großbanken-Organisation IIF (Institute of International Finance) in Washington hat Trump vor Sanktionen gewarnt, da diese auch US-Firmen treffen würden. Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erwartet Nachteile für die deutsche Wirtschaft durch einen Handelskrieg zwischen den USA und China. »Ein Streit zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt hätte auch für die deutsche Wirtschaft negative Auswirkungen«, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer.
China größter Gläubiger der USA
Mitten im sich verschärfenden Handelskonflikt mit China ist das asiatische Land wieder größter Gläubiger der US-Regierung: Keinem anderen Land der Welt schuldet der US-amerikanische Staat so viel Geld wie China – insgesamt 1,15 Bio. US-Dollar (rund 980 Mrd. Euro). So hoch bezifferte das US-Finanzministerium in einer Statistik den Bestand an US-Staatsanleihen und anderen Schuldtiteln in chinesischen Händen Ende Juni. Ende Mai waren es noch rund 44 Mrd. US-Dollar weniger. Das Volumen der von Japan gehaltenen Anleihen ging auf 1,091 Bio. US-Dollar von 1,111 Bio. US-Dollar im Mai zurück. Mit großem Abstand ist Irland die Nummer drei der internationalen Gläubiger der weltgrößten Volkswirtschaft mit einem Anleihe-Volumen von 302,5 Mrd. US-Dollar im Juni.
Angesicht dieser Ungleichgewichte macht das Zündeln an den Weltmarktstrukturen noch weniger Sinn. Die meisten Ökonomen bezweifeln, dass Trumps Strategie aufgehen kann und er nach vier Jahren Amtszeit für Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum gefeiert werden wird. Donald Trumps praktische Politik wird das Ziel »A New Foundation for American Greatness« verfehlen. Ökonomisch-finanziell läuft diese Strategie auf eine massive Erhöhung der Instabilität der Globalökonomie und eine Verstärkung der krisenhaften Eigendynamik der Finanzsphäre hinaus.
Die Konsequenz für die US-Gesellschaft ist eine weitere Verschärfung der sozialen Ungleichheit. Die Expansion der Rüstungsindustrie, die massiven Kürzungen in der Klimapolitik und der Entwicklungshilfe werden einen weiteren Bedeutungsverlust der USA in der Weltpolitik einleiten. Das verringerte Engagement geht zwangsläufig mit einem Verlust an Einfluss einher. Die Politik des »America first« ist eher ein Rezept für den verstärkten Bedeutungsverlust – faktisch droht ein zweitklassiges Amerika.