6. November 2024 Redaktion Sozialismus.de: Zu Hintergründen des Wahlergebnisses
Trump wird wieder Präsident der USA
Das Rennen zwischen dem Republikaner Donald Trump und der Demokratin Kamala Harris um die nächste Präsidentschaft in den USA ist entschieden, der Sieger heißt Trump. Stand 6.11. 13:30 Uhr werden mindestens 276 Wahlleute für ihn stimmen. Auch die beiden Kammern des amerikanischen Kongresses waren hart umkämpft. Die Demokraten haben die Mehrheit im Senat verloren und für das Repräsentantenhaus zeichnet sich eine Mehrheit für die Republikaner ab.
Der Kampf um das amerikanische Präsidentenamt war 2024 von ungewöhnlichen Ereignissen geprägt. Erstmals seit gut 130 Jahren trat eine der beiden Großparteien mit einem ehemaligen Präsidenten wieder an. Der mehrfach verurteilte und wegen der versuchten Torpedierung des Wahlresultats von 2020 angeklagte Republikaner Trump erreichte nun eine Rückkehr ins Weiße Haus.
Die Demokratische Partei war zuvor von Turbulenzen erschüttert worden. Präsident Joe Biden musste unter dem Druck der Parteielite seine Kandidatur aufgeben und machte Vizepräsidentin Kamala Harris Platz. Nie zuvor in der amerikanischen Geschichte hat eine Partei ihren Kandidaten so kurz vor der Wahl ausgetauscht. Harris übernahm zwar nach ihrer Nominierung die Führung in den Umfragen, fiel aber im Oktober in wichtigen Staaten etwas zurück, bevor sie sich Anfang November wieder verbesserte. Eine verlässliche Prognose war angesichts der Umfrage-Fehlermargen bis zuletzt nicht möglich.
In den USA sind schätzungsweise 244 Mio. Staatsbürger*innen wahlberechtigt. Um sich an der Wahl zu beteiligen, ist eine Registrierung nötig, und längst nicht alle kümmern sich um diese Formalität. In den letzten Jahrzehnten lag die Wahlbeteiligung meist unterhalb von 60%. Wegen der enormen Polarisierung des Landes und der im Wahlkampf geweckten Emotionen erreicht die Beteiligung diesmal zwar nicht ganz die vor vier Jahren coronabedingte Höchstmarke seit Beginn des 20. Jahrhunderts von knapp 67%, es kann aber erneut von einer außerordentlich hohen Beteiligung ausgegangen werden.
Trump hat sich gegenüber 2020 deutlich verbessert, und dies sowohl in städtischen wie auch vorstädtischen und ländlichen Gebieten. Er legte laut Wählerbefragungen insbesondere bei Latinos, schwarzen Männern und jungen Wähler*innen zu. Ein »Frauen-Effekt« zugunsten von Harris blieb aus.
Eine vom Meinungsforschungsinstitut Gallup in der zweiten Hälfte des Septembers durchgeführte Umfrage zeigt: Am meisten liegt den Wähler*innen diesmal die Wirtschaft am Herzen. »It is the economy, stupid« galt offensichtlich noch deutlich stärker als bei der Wiederwahl von Bill Clinton im Jahr 1996, als dieser den Spruch prägte. Damals bezeichneten 38% der Befragten »die Wirtschaft« als extrem wichtig für ihren Wahlentscheid. Heute sind es 52%.
Seit dem Sommer 2022 sinkt die Inflationsrate in den USA deutlich. Doch was Zentralbanker und die meisten Politiker*innen unterschätzen, wenn sie sich erfolgreich in der Inflationsbekämpfung wähnen: Die Konsument*innen verstört, dass die Preise immer noch viel höher sind und weiter steigen. Seit der Wahl von Joe Biden im November 2020 hat sich das Preisniveau in den USA um 21% erhöht.
Obwohl die USA eine beeindruckende Wirtschaftsentwicklung hinlegen, unterminiert die Inflation das Vertrauen in den Staat. Dass Trump trotz seiner Vorstrafen, seiner chaotischen ersten Amtszeit und seiner deutlich zutage tretenden autokratischen Züge die Wahl deutlich gewonnen hat, liegt vor allem an der Erinnerung an eine laufende Wirtschaft, sagen Umfragen. Obwohl die Inflation zurückgegangen ist und Amerikas Wirtschaft brummt, fühlt sich das für den große Teile der Wählerschaft nicht so an. »Die Lebensmittelpreise sind explodiert«, echauffierte sich Trump auf einer Wahlkampf-Veranstaltung, »Wie kann sich eine Familie das leisten? Wenn ich gewinne, werde ich die Preise sofort runterbringen.«
Die großzügigen Unterstützungsgelder und Subventionen, die die »Bidenomics« verteilt hat, haben Verbesserungen der Lebenslage erzielt, weshalb manche Amerikaner*innen ihre gegenwärtige Lage durchaus positiv beurteilen. Doch die Zukunft schätzen sie deutlich pessimistischer ein. Dazu passt, dass die durchschnittliche Inflationserwartung mit 5,3% auf hohem Niveau verharrt, obwohl die Teuerung der Konsumentenpreise auf 2,4% gesunken ist.
So ist ein 78-Jähriger wieder zum Präsidenten gewählt worden, der den Sturm auf das Kapitol mitzuverantworten hat, Sympathien für Diktatoren hegt, Amerikas transatlantische Führungsrolle infrage stellt, Abtreibung verbieten lassen will, wenig von strikter Gewaltentrennung und einem unabhängigen Justizsystem hält und immer wieder Lügen verbreitet und ausfällig wird.
Trump galt wirtschaftlich als kompetenter
Die Mehrheit der amerikanischen Wähler*innen hält Trump nicht für sympathisch. Er hat gesiegt, weil die unentschiedenen Wähler*innen in der Mitte ihn in jenen Themen für kompetenter als Kamala Harris halten, die ihnen gerade am wichtigsten erscheinen.
Präsidenten können durchaus die Inflation beeinflussen. Da sie jedoch ein komplexes Phänomen ist, das von einer Reihe von Faktoren bestimmt wird, ist die Beziehung zwischen Politik und Preisen nicht immer eindeutig und Transparent. Preissteigerungen gehören zu den größten Sorgen der Verbraucher*innen, da sie alltägliche Ausgaben wie Benzin, Lebensmittel und Nebenkosten verteuern. So sinkt die Kaufkraft, was bedeutet, dass die Leute weniger für ihr Geld bekommen.
Die Inflation schwankte im Laufe der verschiedenen Präsidentschaften. Die Amtshandlungen eines Präsidenten – etwa Steuersenkungen, Kriege und staatliche Hilfen – können sich auf die Preise und die Wirtschaft insgesamt auswirken. Und: Der Präsident spielt eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, wie auf eine hohe Inflation reagiert oder die Wirtschaft in Zeiten eines Abschwungs angekurbelt wird.
Bei hoher Inflation bremst die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) die Konjunktur durch Geldpolitik, indem sie den Leitzins erhöht, die Zinssätze beeinflusst und die Kreditaufnahme für Verbraucher*innen und Unternehmen verteuert. Die Fed strebt eine jährliche Inflationsrate von 2% an und nutzt ihre Geldpolitik, um die Inflation unter Kontrolle zu halten und die Wirtschaft zu stabilisieren und Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn die Inflation diesen Richtwert überschreitet.
Doch wer ist schuld, wenn die Inflation zu hoch steigt oder zu niedrig fällt? Wie viel Kontrolle hatten die Präsidenten und welchen Einfluss ihre Handlungen im Laufe der Jahre auf die Inflationsrate? Die Antworten hängen von den jeweiligen wirtschaftlichen Umständen und Herausforderungen eines bestimmten Zeitraums ab. Präsidenten und ihre Regierungen haben die Inflation in der Vergangenheit immer als zentrales Thema in Wahlkämpfen genutzt und so war es auch diesmal.
Zwar hat sich auch der durchschnittliche Stundenlohn in den letzten Jahren um knapp 20% erhöht. Doch erstens profitieren nicht alle Gesellschaftsschichten gleichermaßen davon. Und zweitens wirkt die gefühlte Teuerung, wenn manche Alltagsgegenstände nach einer langen Periode relativer Preisstabilität plötzlich große Preissprünge machen, höher, als der Preisanstieg im Durchschnitt tatsächlich ist. Der Schock sitzt tief, löst Unsicherheit und Zukunftsängste aus. Das führt zu Verdruss über die herrschende Politik und fördert die Radikalisierung und die Polarisierung.
Es ist paradox: Die US-Wirtschaft ist wachstumsstark, innovativ und technologisch dominant. Sie treibt derzeit die Weltwirtschaft an und die Aktienkurse von US-Unternehmen gleich mit, weil Europa und China schwächeln. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet damit, dass die US-Wirtschaft in diesem Jahr um 2,8% wachsen wird. Vergleicht man die Wirtschaftsleistung pro Kopf in China, Deutschland und den Vereinigten Staaten, zeigt sich, dass Amerika seine Führung zuletzt immer deutlicher ausbauen konnte.
Doch Kamala Harris, die als Vizepräsidentin unter Joe Biden große Teile dieses Aufschwungs mit verantwortet hat, bekommt dafür wenig Anerkennung. Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff sieht vor allem einen Grund: die Inflation. »Wenn man den Leuten sagt, dass die Inflation auf 2% sinkt, dann hilft ihnen das nicht viel. Sie schauen auf die Preise im Supermarkt und was sie für Benzin zahlen und für alles andere.« Schließlich sinken die Preise nicht, sie steigen nur weniger stark an als noch vor einem oder zwei Jahren. Gleichzeitig steigen die Löhne bei einem immer noch starken Arbeitsmarkt. Und dennoch kommen solche guten Nachrichten nicht gleichermaßen bei den Wähler*innen an.