6. Januar 2020 Friedrich Steinfeld: Erneute hohe Kriegsgefahr am Golf
Trump wirft Dynamit ins Pulverfass
Während Teile der bürgerlich-liberalen Presse angesichts des Eintritts der Welt in die 2020er Jahre noch von der Möglichkeit träumten, dass diese im Unterschied zu den Roaring Twenties im 20. Jahrhundert nicht zu einem erneuten Tanz auf dem Vulkan, sondern zu einem wirklich goldenen Zeitalter werden könnten, hält die Welt dank US-Präsident Donald Trump wieder den Atem an.
Gleich zu Beginn des neuen Jahres ließ dieser einen der ranghöchsten Führungspersönlichkeiten des Iran, General Qassem Soleimani, bei dessen Ankunft auf dem Flughafen in Bagdad durch einen amerikanischen Drohnenangriff töten und eskaliert damit erneut den Konflikt mit Iran. Der Iran kündigte seinerseits Rache und Vergeltungsschläge an.
Die von der Trump-Regierung präsentierte Logik, durch die Tötung Soleimanis seien der Irak und der Nahe Osten sicherer geworden und die Chancen auf ein Leben in Freiheit hätten sich erhöht, ist an Absurdität nicht mehr zu überbieten. Faktisch hat die US-Regierung in Erwartung eines militärischen Gegenschlages Irans bereits die Entsendung von weiteren 3.500 Soldaten in die Golf-Region angeordnet und dem Iran für den Fall von Vergeltungsschlägen gegen amerikanische Einrichtungen und Soldaten angedroht, 52 militärische und kulturelle (!) Ziele innerhalb des Irans militärisch anzugreifen.
Soleimani war nicht irgendein iranischer General, sondern hat als Kommandeur der Quds-Brigaden, des für militärische Operationen im Ausland zuständigen Teils der iranischen Revolutionsgarden, das weitverzweigte schiitische Netz von Milizen außerhalb des Irans aufgebaut und gesteuert. Dieser auch schiitische Halbmond genannte Bogen, der von Teheran über Bagdad bis nach Libanon reicht, soll Macht und Einfluss des Irans im Kampf um die regionale Vorherrschaft in der Region stärken und Macht und Einfluss des regionalen Konkurrenten und Erzfeindes Saudi-Arabien und dessen Hauptverbündeten USA sowie Israels schwächen.
Soleimani spielte u. a. eine Schlüsselrolle bei der Bewahrung des syrischen Assad-Regimes vor dem Sturz durch die von vielen sunnitischen Jihadisten durchzogene syrische Opposition mit dem raschen Aufbau schlagkräftiger bewaffneter Milizen sowie bei der Rückeroberung Aleppos, das nahezu komplett in die Hände der sunnitischen Kämpfer gefallen war. Zugleich baute er im Irak die Milizen der »Volksmobilisierung« auf und stoppte nach dem Fall von Mossul an den »Islamischen Staat« erstmals dessen Vormarsch. Er war der iranische Schlüsselakteur im Nahen und Mittleren Osten und damit wichtiger als der iranische Außenminister.
Innerhalb der religiös-politischen Hierarchie der Islamischen Republik Iran war er nicht dem gewählten Präsidenten Hassan Rohani, sondern dem seit 1989 amtierenden Ali Chameini unterstellt und galt als einer der möglichen Nachfolger des 80-jährigen Revolutionsführers. Im Krieg zwischen Irak und Irak wurde Soleimani zum »Helden« und genoss daher auch viele Sympathien in der iranischen Bevölkerung. Mit seiner Tötung erhält er im Iran den hoch emotional aufgeladenen Status eines Märtyrers.
Zu konstatieren ist, dass die bisherige Politik des »maximalen Drucks« der USA auf den Iran durch die überaus harten Wirtschaftssanktionen zwar die iranische Wirtschaft in eine schwere Krise gestürzt, bisher aber keinen Erfolg im Sinne eines Politik- oder gar Regimewechsels im Iran gebracht hat.
Gleichzeitig steht die religiös-politische Führung des Irans wegen der überaus harten US-Wirtschaftssanktionen massiv unter innenpolitischem Druck. Die iranische Bevölkerung leidet unter den sozialen Folgen der Wirtschaftskrise, die allerdings nicht nur sanktionsbedingt, sondern auch hausgemacht ist, u.a. wegen eines aufgeblähten militärisch-politisch-religiösen Sektors, zu dem auch die Revolutionsgarden zählen und der quasi als Staat im Staate viel von dem durch Erdöl-Export ins Land geflossenen Reichtum aufgefressen und eine Modernisierung der iranischen Wirtschaft enorm behindert hat.
Es kam immer wieder zu Protesten gegen die Regierung, die aber bisher vom iranischen Repressionsapparat unter Kontrolle gehalten werden konnten. Die gezielte Tötung von Soleimani werden die schon seit dem Sturz der demokratisch gewählten Regierung Mossadeghs 1953 durch Intervention des US-Geheimdienstes bestehenden anti-amerikanischen Emotionen im Iran erneut anfachen und die iranische Bevölkerung dazu veranlassen, sich wieder bzw. noch stärker hinter die religiös-politischen Führung des Landes zu stellen. In zahlreichen Städten gingen nach dem Freitagsgebet nach iranischen Angaben Hundertausende auf die Straße und skandierten »Tod Amerika« und »Rache, Rache«.
Vor diesem Hintergrund wird das iranische Regime zu einer im Sinne der militärischen Logik effektiven militärischen Gegenreaktion auf die Tötung Soleimanis herausgefordert, die womöglich nicht auf der bisherigen Eskalationsstufe stehen bleiben, sondern diese übersteigen wird. Nachdem sich die Wogen des Konfliktes nach dem erfolgreichen Raketenangriff auf saudi-arabische Erdölanlagen Anfang 2019, zu denen sich die jemenitischen Houthi-Rebellen bekannten, zunächst wieder etwas geglättet zu haben schienen, steigt die Kriegsgefahr zwischen den USA und dem Iran und die damit Gefahr eines Flächenbrandes in der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens erneut rapide an.
Iran wird vermutlich keinen offenen, direkten Angriff nach dem Muster traditioneller Kriegsführung durchführen, weil die iranischen Streitkräfte den US-Streitkräften bei einer militärischen Auseinandersetzung nicht gewachsen sein werden. Ein militärischer Gegenschlag wird sich in den Formen der asymmetrischen Kriegsführung vollziehen, die u.a. durch den kostengünstigen Bau von unbemannten Drohnen begünstigt wird.
Der Iran hat verschiedene Angriffsoptionen, er könnte z.B. wie schon bisher mehrfach angedroht die Straße von Hormuz durch Minen oder die Sprengung von Schiffen blockieren. Von einer solchen Blockade des Nadelöhrs des weltweiten Öltransportes würde der Iran nach den US-Sanktionen selbst gar nicht mehr betroffen sein, da zumindest der offizielle Ölexport des Iran von ehemals ca. 3 Millionen Barrel pro Tag inzwischen gegen Null tendiert.
Da ein Fünftel des täglichen weltweiten verbrauchten Öls sowie auch das verflüssigte katarische Erdgas für die großen asiatischen Volkswirtschaften durch dieses Nadelöhr transportiert werden muss, liegen die Konsequenzen eines solchen militärischen Schlages für das Funktionieren der Weltwirtschaft auf der Hand. Eine weitere massive Steigerung der Preise für Erdöl und Erdgas würde die sich sowie so schon im Abschwung befindende Weltwirtschaft zusätzlich enorm treffen. Bereits jetzt fielen die Aktienkurse und Staatsanleiherenditen und stieg der Ölpreis an.
Warum gießt die Trump-Regierung gerade jetzt erneut Öl ins Feuer?
Es ist davon auszugehen, dass der Sturm von Anhängern pro-iranischer Milizen auf die US-amerikanische Botschaft vor kurzem in Bagdad – als Reaktion auf den amerikanischen Angriff auf Stellungen dieser Milizen – das alte US-»Trauma« der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran1979 und die anschließende Geiselhaft von 52 Amerikanern über 444 Tage reaktiviert und Trump zu dem Entschluss des tödlichen Angriffs auf Soleimani gebracht hat. Dahinter könnte die Kalkulation des Wahlkämpfers Trump, der durch das gegen ihn im amerikanischen Kongress geführte Impeachment-Verfahren der Demokraten zusätzlich unter Druck geratenen ist, stecken, mit dieser gezielten Tötungsaktion ein starkes Signal nach innen zu senden
Dass Trump jetzt 52 Angriffsziele im Falle eines iranischen Vergeltungsschlags für eine militärische Folgeoperation angekündigt hat, nimmt numerisch exakt auf die Geiselnahme von 1979 Bezug: Auge um Auge! Zahn um Zahn! lautet die biblisch unterlegte amerikanische Botschaft der Rache an Iran, die aber eigentlich auf Trumps amerikanische Stammwähler*innen und mögliche neue Wähler*innen zielt.
Die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung ist allerdings nach wie vor kriegsmüde, ein kollektiver psychischer Zustand, dem Trump u.a. auch seine erste Wahl zum US-Präsidenten verdankte. Er wolle diese lächerlichen Kriege beenden, von denen viele Amerikaner gar nicht wüssten, wo sie stattfänden, dafür aber umso mehr bezahlen müssten, während die von den USA unterstützten Nationen sich schadlos gehalten hätten. Die Weltpolizistenrolle der USA sei daher Vergangenheit.
Auch China habe die USA letztlich zu seinen Gunsten wirtschaftlich ausgebeutet. Dieses geschickt von Trump inszenierte Klagelied über die Opferrolle, in die das einstmals hegemoniale Amerika in den letzten Jahren immer mehr durch das politische Establishment in Washington hineingeraten sei, trägt er der amerikanischen Öffentlichkeit bezogen auf die NATO, die Welthandelsorganisation (WTO) und auch China mantrahaft vor. Er knüpft dabei an Stimmungen und Gefühlslagen in breiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung an, die von Verlust-, Opfer- und Ohnmachtsgefühlen geprägt sind, entweder aufgrund real erlittener sozialer Statusverluste oder infolge negativer sozialer Zukunftserwartungen.
Trump wird im Falle eines iranischen Gegenschlages nicht den Krieg erklären, sondern unterhalb dieser Schwelle das amerikanische Militär eine ganze Reihe punktueller Angriffe (»chirurgische« Operationen) auf Ziele im Iran durchführen lassen. Eine weitere Eskalation im Machtspiel der USA mit dem Iran kann, darüber sollte keinerlei Illusion bestehen, jederzeit in eine unkontrollierte Eskalation umschlagen, die dann tatsächlich Krieg bedeutet.
Die deutsche Bundesregierung verfällt – wie immer, wenn die westliche Führungsmacht im Begriff ist, die Welt ein Stück weiter aus den Angeln zu heben – zunächst in Schweigen und anschließend in Hyperaktivität, die aber über die Substanzlosigkeit des außenpolitischen Agierens nicht hinwegtäuschen kann. Man stimme sich mit den Außenministern Frankreichs und Großbritanniens ab und werde alle Hebel in Bewegung setzten, um jetzt vor allem auf Iran mäßigend einzuwirken.
Das grundsätzliche Problem vor allem Deutschlands, aber auch Europas besteht darin, dass die herrschenden politischen Eliten überwiegend weiter krampfhaft an der transatlantischen Interessens- und Wertegemeinschaft und deren ideologischen Nebelbildungen über die Verteidigung der »freiheitlichen Ordnung« festhalten, ohne zu erkennen, dass die Weltwirtschaft und die Geopolitik im 21. Jahrhundert durch neue Regeln bestimmt werden, die Trump nun einseitig diktieren möchte, um die einstige hegemoniale Position der USA in der Welt zurück zu erobern. »America first« und »Make America great again« sind die lange nicht ernst genommenen Kampfparolen des Trumpschen Rechtspopulismus, die er Schritt für Schritt in reale Politik umgesetzt hat. Er hat »geliefert« und wird auch weiter »liefern« – und möglicherweise dafür wiedergewählt werden.
Wer glaubt, in dieser komplexen Welt zunehmender Unordnung weiter unter dem (angeblich) schützenden Dach der atlantischen Interessens- und Wertegemeinschaft verbleiben zu können, der wird möglicherweise einen hohen Preis für seine Vasallentreue bezahlen, wenn nämlich die USA oder auch andere NATO-Mächte wie die Türkei, die gerade auf dem Sprung zu einer militärischen Intervention in Libyen ist, bei Verwicklungen in militärische Konflikte den »Bündnisfall« ausrufen. Die USA und auch die Türkei haben sich faktisch längst aus der NATO verabschiedet und folgen ihren eigenen Interessen, ohne dabei Rücksicht auf ihre bisherigen »Partner« zu nehmen.
Auch die Aneignung einer eigenen europäischen »Sprache der Macht«, um die Durchsetzung europäischer Interessen im nichteuropäischen Ausland gegebenenfalls durch eine neu aufgebaute militärische Macht zu unterstützen, ist ein Holzweg und angesichts der geopolitischen Verwerfungen und der Kriegsträchtigkeit darin außenpolitisch überaus riskant und gefährlich.
Deutschland und Europa bleiben als realistische und zukunftsträchtige Perspektive nur umfassende Investitionen in die Erforschung und Anwendung neuer Technologien (Industrie 4.0, E-Mobilität, alternative Energien), in den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur (IT-Vernetzung und Öffentlicher Verkehr), in den Wohnungsbau sowie in die Bildungspolitik, um zu einer sozial wesentlich gerechteren und tendenziell CO2-freien Produktions- und Lebensweise zu kommen.
Nur so kann auch konstruktiv mit dem erstarkendem Rechtspopulismus und der chinesischen »Bedrohung« umgegangen werden. Dazu müsste aber als erstes die »schwarze Null« fallen, jene neoliberale Blockierung tiefgreifender gesellschaftlicher Reformen, die neben der Fixierung auf die atlantische Interessens- und Wertegemeinschaft die Herausbildung von tragfähigen Alternativen zur herrschenden Politik der Ratlosigkeit mental verhindert.