4. August 2022 Redaktion Sozialismus.de: Wandel in Washingtons China-Politik?
Überflüssiges Säbelrasseln um Taiwan
Die Visite der Sprecherin des amerikanischen Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan hat die absehbare heftige Reaktion der Volksrepublik Chinas ausgelöst. Von »ernsten Konsequenzen warnte schon zuvor das Außenministerium in Peking.
Chinas Präsident Xi Jinping hatte dem US-Präsidenten Joe Biden bereits während eines mehr als zweistündigen Telefonats in der vorigen Woche gesagt, dass »diejenigen, die mit dem Feuer spielen, darin untergehen werden«. Nachdem Pelosi sich von dem symbolbeladenen Besuch auf der Insel nicht abhalten ließ, führt China ein großes Militärmanöver mit Schießübungen durch. Mindestens kurzfristig hält das Gespenst einer militärischen Konfrontation die Weltpolitik in Atem.
Der Nutzen der symbolischen Taiwan-Reise von Pelosi ist fragwürdig. Sie und ihre Delegation seien nach Taiwan gereist, »um unmissverständlich klarzumachen, dass wir unsere Verpflichtung gegenüber Taiwan nicht aufgeben werden«. Der chinesische Außenminister Wang Yi bezeichnete ihren Besuch als »manisch, verantwortungslos und irrational«.
Russland, die weithin mit Sanktionen und politischer Ächtung belegte absteigende Supermacht, kann dem Besuch eher positive Aspekte abgewinnen: Die Amerikaner hätten einen schwerwiegenden Fehler gemacht und China faktisch in Richtung Russland gestoßen. Gleichwohl kann von einem Zusammenrücken von Russland und China keine Rede sein. Die VR China besteht – ebenso wie diverse Schwellenländer – auf einer Neutralität in dem Konflikt.
Ob Russland aus den aktualisierten Spannungen zwischen Peking und Washington Vorteil schlagen kann, ist fraglich. Bislang zog eher Peking Nutzen aus Russlands Zerwürfnis mit dem Westen, etwa weil Russlands Ölkonzerne ihren Abnehmern in China mangels Alternativen beträchtliche Preisabschläge gewähren müssen. Es ist in Chinas Interesse, dass dies auch weiterhin so bleibt.
Gleichzeitig entfallen auf die EU und die USA ein Drittel des chinesischen Außenhandels, während Russland mit knapp 3% weit dahinter rangiert. Vor diesem Hintergrund hat Russland außer den Solidaritätsbekundungen wenig, womit es China derzeit locken kann.
Pelosi hat die Spannungen um Taiwan aktualisiert und in die Medienöffentlichkeit gerückt. Hinter der symbolischen Operation steht eine Verschiebung in der US-Politik. Entgegen der vorherrschenden Meinung werden die Spannungen nicht in erster Linie dadurch ausgelöst, dass chinesische Staats- und Parteichef Xi die Wiedervereinigung Taiwans während seiner Regierungszeit anstrebt. Sicherlich bleibt die Wiedervereinigung ein langfristiges Ziel und wäre ein krönender Abschluss für die Überwindung des »Jahrhunderts der Erniedrigung Chinas« sowohl für XI als auch für die Kommunistische Partei Chinas.
Aber der Versuch, diese Vereinigung mit Gewalt zu erreichen, wäre enorm kostspielig. Ein solcher Angriff würde existenzielle Risiken für die politische Führung der Volksrepublik enthalten. Damit eine chinesische Invasion Taiwans Aussicht auf Erfolg hätte, müsste China zunächst seine Wirtschaft vor westlichen Sanktionen schützen und sich militärische Fähigkeiten aneignen, die eine amerikanische Intervention glaubhaft abschrecken könnten. Beide Prozesse würden Jahrzehnte in Anspruch nehmen.
Taiwan, offiziell Republik China genannt, verwaltet sich seit 1949 selbst. Nach Japans Kapitulation im Zweiten Weltkrieg fiel die Insel 1945 an China. Kurz danach flammt der chinesische Bürgerkrieg zwischen der Kuomintang (KMT) von Chiang Kai-shek und den Kommunisten unter Mao Zedongs wieder auf. Nach Jahrzehnten der Militärherrschaft hat sich Taiwan seit Anfang der 1990er Jahre zu einer Demokratie entwickelt. Die Beziehungen zum Festland haben sich seit der Wahl von Tsai Ing-wen zur Präsidentin im Jahr 2016 verschlechtert. Tsai und ihre Demokratische Fortschrittspartei sind China gegenüber kritisch eingestellt. Die Mehrheit der Bevölkerung Taiwans versteht sich als Taiwaner und nicht als Chinesen und lehnt eine Vereinigung mit dem Festland ab.
Schrittweise anerkennen gleichwohl immer mehr Länder die Regierung in Peking als alleinige Vertreterin von Gesamt-China. 1971 stimmt die Uno-Generalversammlung einer Resolution zu, welche den chinesischen Sitz an Peking überträgt – Taipeh musste die Uno und all ihre Unterorganisationen verlassen. Heute unterhalten nur noch 14 Länder diplomatische Beziehungen zur Republik China auf Taiwan.
Seit 1979 anerkennen auch die USA Taipeh nicht mehr als Vertreterin Chinas. Washington brach die diplomatischen Beziehungen mit der Inselrepublik damals formell ab und führte die Kontakte nur noch auf niedriger Ebene weiter, unter anderem über eine Interessenvertretung in Taipeh.
In der Taiwan Relations Act von 1979 verpflichteten sich die USA gesetzlich, der Insel Rüstungsgüter in genügender Menge zur Selbstverteidigung zugänglich zu machen. Entsprechend liefern die USA regelmäßig Waffen, ungeachtet heftiger Proteste aus Peking. In dem Gesetz ist zudem festgehalten, dass Washington ein Embargo gegen die Insel als Bedrohung für den Frieden betrachten würde – eine Warnung an China, das zu einer Blockade der Insel militärisch grundsätzlich in der Lage wäre.
Mit ihrem Besuch hat Pelosi Taiwan demonstrativ den Rücken gestärkt, der auch ein Zeichen sei, »dass wir stolz auf unsere beständige Freundschaft sind«. Die symbolische Demonstration bedeutet letztlich, dass die USA einen Schritt in Richtung Anerkennung von Taiwans Eigenstaatlichkeit machen wollen. Das steht im Widerspruch mit der zwar unbefriedigenden, aber letztlich erfolgreichen Ein-China-Politik der vergangenen 50 Jahre. Teil dieser sorgfältig austarierten Politik war zudem, dass die USA zugleich offenließ, wie weit sie bei der Verteidigung Taiwans gehen würden.
Bis vor kurzem betrachtete die chinesische Führung die Situation in der Straße von Taiwan als unbefriedigend, aber tolerierbar. Sie konnte eine schrittweise Strategie der wirtschaftlichen Integration, der diplomatischen Isolation und des militärischen Drucks verfolgen – eine Strategie, von der es glaubte, dass die friedliche Wiedervereinigung schließlich Taipehs einzige Option sein würde.
Doch im Januar 2016 kehrte die für Unabhängigkeit eintretende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) an die Macht zurück und durchkreuzte damit Chinas Strategie. Während die Kuomintang behauptet, dass Taiwan und China den Konsens von 1992 – die Vereinbarung, die die KMT damals mit Peking getroffen hatte, und in der die Existenz »eines Chinas« bekräftigt wurde – nur unterschiedlich auslegen, lehnt die DPP ihn gänzlich ab. Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen (DPP) wurde im Januar 2020 wiedergewählt, die Kuomintang-Partei KMT bei den Parlamentswahlen deutlich geschlagen. In dem Maß, wie die DPP ihre politische Dominanz festigt, wird Chinas Traum von einer friedlichen Wiedervereinigung immer illusionärer.
Schon vor den demonstrativen umfangreichen Militärmanövern aufgrund Pelosis Besuch hatte Chinas Regierung erste Wirtschaftssanktionen lanciert, um Taiwans innenpolitische Diskussion zu beeinflussen. Angesichts der harten amerikanischen Linie dürften die Vergeltungsmaßnahmen Pekings hart und von längerer Dauer sein, um die Befürworter eines unabhängigen Taiwan einzuschüchtern.
Taiwans Abhängigkeit vom Festland ist groß, seine Ökonomie seit der Aufnahme wirtschaftlicher Beziehungen in den vergangenen 30 Jahren eng mit der der Volksrepublik verflochten. Zwischen 1991 und 2021 haben taiwanische Unternehmen 193 Milliarden Dollar auf dem Festland investiert. Mit diesem Kurs sind alle Seiten gut gefahren, nicht zuletzt die Insel selber, die sich zu einer blühenden und wirtschaftlich erfolgreichen Demokratie entwickelt hat.
Nicht nur die VR China ist stark von Taiwans Chip-Industrie abhängig, sondern die gesamte Weltwirtschaft benötigt die Produkte der taiwanischen Halbleiterindustrie. Bereits heute fehlen Computerchips und Mikroprozessoren für die Herstellung von Autos, Smartphones und Waschmaschinen. Mit dem Besuch von Nancy Pelosi auf Taiwan haben sich die geopolitischen Spannungen um die Insel verschärft. Das ist kein gutes Zeichen für die Weltwirtschaft. Die Amerikaner sollten deshalb an dem außenpolitischen Konstrukt nicht weiter rütteln, damit auch die Regierung in Peking den Status quo nicht verändert.