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9. März 2019 Joachim Bischoff: Chinas Antwort auf die Hindernisse aus den USA

Umbau des Dienstleistungssektors und »Hinausgehen in die Welt«

Li Keqiang bei einer Podiumsdiskussion mit Vertretern aus dem Autonomen Gebiet Guangxi auf dem Volkskongresses (Foto: Xinhua)

Der nationale Volkskongress, das chinesische Parlament, tagt bis zum 15. März in Peking in der Großen Halle des Volkes. Die größten Probleme des Landes sollen unter dem Vorsitz von Staats- und Parteichef Xi Jinping besprochen und Beschlüsse für deren Behebung gefällt werden.

Zu Beginn wurde der Rechenschaftsbericht von Ministerpräsident Li Keqiang vorgetragen. Im Zentrum stand die weitere Transformation der chinesischen Wirtschaft, die durch die Stärkung des Dienstleistungssektors und das Management des Schuldenproblems herausgefordert ist. Vor allem aber leiden die staatlichen Unternehmen unter den Handels- und Investitionsbeschränkungen seitens der westlichen liberalen Demokratien.

Chinas Wirtschaft ist im vergangenen Jahr offiziellen Angaben zufolge um 6,6% gewachsen. Diese leichte Abschwächung des Wachstums ist zum Teil das Ergebnis der unvermeidlichen Gewichtsverschiebung vom Produktions- zum Dienstleistungssektor. Allerdings hat die Abschwächung auch mit den ökonomischen Konflikten vor allem mit den USA zu tun, und es deutet viel darauf hin, dass sich das Wachstum weiter abschwächen wird.

Ministerpräsident Li hat ankündigt, dass das offizielle Wachstumsziel für das laufende Jahr auf 6,0 bis 6,5% gesenkt wird – bisher peilte die Regierung rund 6,5% an. Die Provinz- und Regionalregierungen müssen auf Anweisung des Pekinger Finanzministeriums ihre Ausgaben kürzen und sich »auf schwierigere Tage« einstellen. Für die zentrale Wirtschaftssteuerung heißt dies: Die Neuverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung soll im laufenden Jahr über dem Vorjahreswert von 2,6%, aber unter der festgelegten Höchstmarke von 3% liegen. Damit wächst zwar das Haushaltsdefizit etwas, die Regierung bekommt aber zugleich Spielraum, um die Wirtschaft etwa mit Steuersenkungen oder Infrastrukturmaßnahmen anzukurbeln.

Der Umbau des Dienstleistungssektors hat weiterhin Priorität neben der Stützung des Wachstumszieles. Li wandte sich direkt an die Bevölkerung und betonte den Aufholbedarf im Bildungs- und Gesundheitssystem, in der Altenversorgung, bei Lebensmittelsicherheit und Einkommensverteilung. Erstmals machte die Regierung die Beschäftigung in ihrer Jahresplanung zur Priorität. In den Städten will Peking mehr als elf Millionen Jobs schaffen, auf dem Land die berufliche Weiterbildung fördern.

China wurde vom Westen lange Zeit unterschätzt – und bis heute fehlt eine realistische Sichtweise. Expert*innen waren bisher der Auffassung, ein kommunistisches System sei nicht in der Lage, einen funktionierenden Kapitalismus zu entwickeln und gleichzeitig den demokratischen Ansprüchen der Bevölkerung Raum zu geben. China ist es gelungen, eine gemischte Wirtschaft zu etablieren, ein Hybridsystem von gesellschaftlicher Planung und Steuerung unter Nutzung umfassender Marktprozesse, dessen Effizienz bemerkenswert über der der kapitalistischen Ökonomie liegt.

Der Westen hat beim Aufholrennen mit Blick auf den gigantischen chinesischen Absatzmarkt mitgeholfen. Chinesische Unternehmen wie Huawei mischen technologisch mittlerweile an der Weltspitze mit und erweisen sich als gefürchtete Wettbewerber.

Der aktuelle Handelskrieg zwischen den USA und China ist keineswegs nur eine Auseinandersetzung um Zollregeln und nicht-tarifäre Beschränkungen, sondern auch um Produktivitätsfortschritte und um die Frage der zukünftigen globalen Hegemonie. Chinas Führung wird den Binnenmarkt erst dann weitgehend öffnen, wenn es davon überzeugt ist, dass die Unternehmen wettbewerbsfähig genug sind, um dem internationalen Druck standzuhalten.

Auffallend an Lis Bericht war, dass er die politischen Risiken schonungslos ansprach. »Die kleineren und mittleren Firmen haben immer noch Schwierigkeiten, an Geld zu kommen. Die Innovationsfähigkeit lässt zu wünschen übrig. Die Schwäche bei zentralen Technologien auf wichtigen wirtschaftlichen Feldern sticht hervor. Und es gibt noch immer große Risiken im Finanzsektor … und deswegen sollten wir uns in ausreichendem Masse auf härtere Kämpfe gefasst machen.« Das Wachstum der globalen Wirtschaft verlangsame sich, »Protektionismus und Unilateralismus nehmen zu«, sagte Li. »Es gibt drastische Fluktuationen bei den Rohstoffpreisen auf dem Weltmarkt.« Chinas Wirtschaft sei mit vielen Herausforderungen konfrontiert. »Nur Wachsamkeit für Gefahren wird Sicherheit gewährleisten.«

Chinas Partei- und Staatsführung baut das System von Marktsteuerung und Wirtschaftsplanung weiter aus. Lis Botschaft: »Die marktorientierte Ressourcenallokation ist die Form größter Effizienz.« Bereits in den im November 2013 veröffentlichten Dokumenten des 3. Plenums des 18. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei hieß es, dass dem Markt die entscheidende Rolle bei der Ressourcenallokation zukommen solle.


Lösung im Handelsstreit?

Li versprach jedoch nicht nur den vielen kleinen und mittleren Betrieben Erleichterungen. Mit Blick auf die Gespräche mit den Vereinigten Staaten über eine Lösung des Handelskonflikts ging der Regierungschef auch auf einige für ausländische Unternehmen heikle Punkte ein. So soll die Negativliste überarbeitet und die Zahl jener Sektoren, die für Ausländer zumindest in Teilen gesperrt bleiben, verringert werden. Er versprach, dass es künftig auch mehr Sektoren geben werde, in denen ausländische Firmen ohne chinesischen Joint-Venture-Partner in Eigenregie aktiv sein dürften.

Der Finanzsektor soll – wie der Markt für Anleihen – weiter geöffnet und der Schutz des geistigen Eigentums gestärkt werden. Dieser Punkt ist trotz der teils heftigen Kritik aus dem Westen auch vielen innovativen chinesischen Firmen ein immer größeres Anliegen. Der Druck auf Peking, akzeptable Standards und vor Gerichten durchsetzbare Gesetze zu schaffen, nimmt im In- und Ausland zu.


Trumps Attacke geht ins Leere

Es deutet einiges darauf hin, dass die USA und China bald ihren Handelsstreit beilegen. Der Zoff mit den gegenseitig verhängten Zöllen dürfte zu dem schwächeren Wirtschaftswachstum seinen Teil beigetragen haben. US-Präsident Donald Trump hat China aufgefordert, wegen Fortschritten bei den Gesprächen im Handelsstreit alle Zölle auf Agrarerzeugnisse aus den Vereinigten Staaten sofort abzuschaffen. Er habe China darum gebeten, weil die Handelsgespräche gut vorankämen und er deswegen die für den 1. März gesetzte Frist für eine Anhebung der US-Strafzölle auf chinesische Importe verschoben habe, teilte Trump auf Twitter mit.

Eine Aufhebung der Zölle auf US-Agrarprodukte sei wichtig für die amerikanischen Bauern und für ihn. Landwirte sind eine wichtige Wählerschaft von Trumps republikanischer Partei. Ihnen machen die Zölle auf US-Agrarerzeugnisse wie etwa Sojabohnen und Schweinefleisch schwer zu schaffen, die China im vergangenen Jahr als Reaktion auf US-Strafzölle verhängt hatte.

Im vergangenen Jahr haben die Vereinigten Staaten insgesamt fast 900 Mrd. US-Dollar mehr an Gütern importiert, als sie exportiert haben. Das Außenhandelsdefizit ist gegenüber 2017 um 84 Mrd. US-Dollar (+10,4%) gewachsen und liegt damit um 140 Mrd. US-Dollar über dem Wert von 2016. Amerikanische Exporte nach China nahmen 2018 um 10 Mrd. US-Dollar ab, während die Importe aus China um 34 Mrd. US-Dollar zunahmen. Daraus resultierte ein um 12% höheres Defizit von 419 Mrd. US-Dollar, ein Rekord. Trotz der Zollpolitik sind die US-Importe 2018 um über 200 Mrd. US-Dollar gewachsen und haben das Handelsdefizit weiter in die Höhe getrieben.

Dennoch: Staatschef Xi und Präsident Donald Trump könnten bereits Ende März auf einem Gipfel eine Einigung verkünden. Peking sei unter anderem dazu bereit, ausländische Investitionen besser zu schützen und den eigenen Markt weiter zu öffnen. Dabei geht es u.a. um das Verhindern von erzwungenem Technologietransfer und Diebstahl geistigen Eigentums.


Größere Vorbehalte gegen chinesische Investoren – außer in Deutschland

Chinesische Direktinvestitionen in Europa und den USA sind im vergangenen Jahr um 73% eingebrochen. Über 20 Investmentdeals sind aufgrund von schärferen Screenings durch europäische Länder und die USA gestoppt worden. Besonders dramatisch sieht der Rückgang von 80 auf 23 Mrd. US-Dollar in Europa aus. Rund die Hälfte des Gesamtvolumens aller chinesischen Übernahmen 2017 geht mit 43 Mrd. US-Dollar allerdings auf die Übernahme des Schweizer Agrochemiekonzerns Syngenta durch Chem China zurück – ein großer Brocken, der in der Statistik von 2018 fehlt.

In den letzten Jahren sind die Vorbehalte gegenüber Investoren aus China in einigen europäischen Hauptstädten und in der EU-Kommission noch größer geworden. Und die Skepsis lässt sich auch an Zahlen ablesen: 17,3 Mrd. US-Dollar haben chinesische Unternehmen im vergangenen Jahr in den 28 EU-Ländern investiert. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein sattes Minus von 40% und der niedrigste Wert seit 2014. Das zeigt eine neue Studie des Berliner Mercator Institute for China Studies (Merics) und der Rhodium Group aus New York. Nach Rekordinvestitionen aus China in Europa im Jahr 2016 war das Engagement auch schon 2017 rückläufig.

Chinas Unternehmen haben ihr Engagement in Europa zuletzt spürbar gedämpft. Die Transaktionsaktivitäten sind europaweit bereits seit fünf Halbjahren in Folge rückläufig. Im vergangenen Jahr gab es in Europa noch 196 Übernahmen und Beteiligungen aus China, 21% weniger als 2017. Der Wert der Zukäufe und Beteiligungen schrumpfte im Vergleich zum Vorjahr sogar um kräftige 46% auf 31,2 Mrd. US-Dollar.

Wichtigste Ursache für die nachlassende Dynamik seien die verschärften chinesischen Kapitalkontrollen, schreiben die Autoren der Studie. Nach den Börsenturbulenzen im Jahr 2015 hatten die chinesischen Behörden strengere Vorschriften für die Kapitalausfuhr erlassen.

Von zunehmender Bedeutung sind auch die strengeren Vorschriften, mit denen die Europäer Übernahmen aus China erschweren wollten. Investitionen sind 2018 verzögert oder sogar verhindert worden. In den kommenden Jahren dürfte Europas Politik Investoren aus dem Reich der Mitte weiter Steine in den Weg legen, wachsen doch beinahe überall die Sorgen, gegenüber China technologisch ins Hintertreffen zu geraten. Außerdem will vor allem Deutschland chinesische Beteiligungen an kritischer Infrastruktur wie Stromnetzen verhindern.

Die Ausnahme unter den EU-Ländern im vergangenen Jahr war allerdings ausgerechnet Deutschland. Dort kletterten die chinesischen Investitionen im Vorjahresvergleich um 400 Mio. US-Dollar auf 2,1 Mrd. US-Dollar. Grundsätzlich dürfte Europa für Investoren aus China trotz der größeren Hindernisse attraktiv bleiben. Grund ist auch der Handelskonflikt mit den USA, der dafür sorgt, dass chinesische Unternehmen ihr Augenmerk noch mehr auf Europa richteten.


»Hinausgehen in die Welt« – auch gegen die Widerstände aus den USA

Nach seinem Amtsantritt 2013 hatte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping die Unternehmen des Landes zunächst ermuntert, ins Ausland zu expandieren. »Zouchuqu« lautet die Devise auf Chinesisch, frei übersetzt: »Hinausgehen in die Welt«. Chinas Regierung wollte global schlagkräftige Konzerne schaffen, die es mit Wettbewerbern im Westen aufnehmen können. Darüber hinaus ging es der Pekinger Führung um den Erwerb von Hochtechnologie und Know-how. Fusionen und Übernahmen im Ausland sollten dabei helfen.

Für Peking war die Expansion chinesischer Unternehmen Richtung Westen immer auch ein Baustein des Plans, aus China langfristig eine High-Tech-Nation zu machen, der eng im Zusammenhang mit der Initiative »Made in China 2030« betrachtet werden muss. In einem entsprechenden Papier legt Chinas Regierung detailliert dar, auf welchen Feldern sich das Land in den kommenden zehn Jahren die globale Technologie-Führerschaft erarbeiten will. Unter anderem gehören dazu die Luft- und Raumfahrttechnik, die Medizintechnik und die Robotik. Unternehmenskäufe im Westen sollen dabei helfen. Die Zahl der Übernahmen und Beteiligungen ging bis 2016 denn auch rasant in die Höhe.

Die Trump-Administration betrachtet den »Wettbewerb zwischen Großmächten« als Kennzeichen einer anbrechenden »neuen Ära«. Der wichtigste Wettbewerber der USA ist laut Vize-Präsident Pence China, das die lange Zeit gehegte Hoffnung auf Liberalisierung enttäuscht hat. Statt zum Partner zu werden, verzerre China den ökonomischen Wettbewerb mit unfairen und illegalen Methoden.

Eine realistische Betrachtung der aktuellen globalen Konflikte sollte davon ausgehen, dass  die eigentliche Bedrohung der liberalen internationalen Ordnung von den USA ausgeht, nicht von China. Amerika hat sich auf eine längere Auseinandersetzung mit China eingestellt, mit der Begründung, dass das Land die internationalen ökonomischen und politischen Regeln massiv verletze. Die aktuelle US-Regierung will offenbar das bisherige Arsenal an Handelsschranken gegen China weiter ausbauen. China hat einige Schritte eingeleitet, die eine Basis für ein weiteres Agreement mit der Weltmacht USA abgeben können, ohne allerdings die Weiterentwicklung der chinesischen Zielvorstellungen aufzugeben.

Die Handels- und Investitionskonflikte zwischen den USA und China werden daher erhalten bleiben: Es geht um die Stellung Chinas in der Welt, um die Vorherrschaft im Bereich der Technologie und um eine bestehende Supermacht, die von einer aufstrebenden herausgefordert wird.

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