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Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
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Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
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Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
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Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

28. Mai 2020 Otto König/Richard Detje: Kontroverse um »Nukleare Teilhabe«

US-Nuklearstrategie und AKKs Beschaffungsprogramm

Kampfjet F 18

Der geheimniskrämerische Vorstoß von »Verteidigungs«ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, welche Kampfjets künftig für Deutschland US-amerikanische Atombomben zu deren Zielen fliegen sollen, ist skandalös. Es ist ein bizarres Signal, dass die wirklichen Bedrohungen der Lebensgrundlagen der Menschheit nicht mit militärischen Mitteln bekämpft werden können.

Und es macht deutlich, dass öffentliche Gelder dringender für Investitionen ins Gesundheitssystem und zur Finanzierung sozialer Sicherung, für sozial-ökologische Erneuerung und Gute Arbeit benötigt werden.

Die deutsche Oberbefehlshaberin hatte US-Verteidigungsminister Mark Esper mitgeteilt, die Bundeswehr beabsichtige den Kauf von 30 F-18-Jets vom Typ Super Hornet und 15 vom Typ Growler. Mit ihrer E-Mail[1] an Esper hat Kramp-Karrenbauer die deutsche Bestellung in den USA fixiert. Haushaltpolitisch geht es um ein Rüstungsgeschäft von rund 12,5 Milliarden Euro. Außerdem sollen bis zu 90 Eurofighter für die elektronische Kriegsführung beschafft werden. Begründet wird das mit der NATO-Solidarität und Abschreckung gegenüber Russland, dem Ersatz der alten Tornados und der »Nuklearen Teilhabe«.

Das Verlangen nach noch mehr Rüstung ist umso bedenklicher, da schon vor Ausbruch der der Corona-Pandemie die Staaten weltweit immer mehr Geld in die Rüstung gesteckt haben. Allein im Jahr 2020 waren es fast zwei Billionen US-Dollar, so das Stockholmer Friedens-forschungsinstitut SIPRI.[2] Unter den 15 führenden Staaten war Deutschland das Land mit der stärksten Steigerung: satte zehn Prozent auf insgesamt 49,3 Milliarden US-Dollar. Kramp-Karrenbauer rechnet offenbar damit, dass die in der Vor-Corona-Zeit anvisierte Erhöhung des Verteidigungsetats auf 2% des Bruttosozialprodukts weiterhin angestrebt wird.

Nicht zu Unrecht: Angesichts eines fallenden Bruttoinlandsprodukts steigt der Anteil der Verteidigungsausgaben, statt – wie in der Abbildung aus Vor-Corona-Zeiten prognostiziert – zu sinken. Allerdings gehört die Zwei-Prozent-Zielmarke angesichts der negativen Haushaltssituation ebenso revidiert wie das Thema »Nukleare Teilhabe«.

Worum geht es? Obwohl alle Nicht-Atomwaffenstaaten in Art. II »Nichtverbreitungsvertrag« (NPT) und Deutschland zusätzlich in Art. 3 des »Zwei-Plus-Vier-Vertrages« (12.9.1990) völkerrechtlich verbindlich auf jede unmittelbare und mittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen verzichtet haben, wird innerhalb der NATO weiterhin das Kalte-Krieg-Konzept der Nuklearen Teilhabe praktiziert. Dieses verpflichtet u.a. Deutschland dazu, Lagermöglichkeiten für US-Atomwaffen und Trägersysteme samt Bedienmannschaften, also Jagdbomber und Piloten, für deren Einsatz im Kriegsfall zur Verfügung zu stellen. Die europäischen Verbündeten erhalten durch ihre Beteiligung an der »Nuklearen Planungsgruppe« im NATO-Hauptquartier in Brüssel ein unverbindliches Mitspracherecht. Dabei verbleiben die zentralen Entscheidungsbefugnisse über einen etwaigen Atomwaffeneinsatz – insbesondere die Codes zum Scharfmachen der Bomben – jedoch in den Händen des US-Präsidenten.

Hatten die USA in Hochzeiten des Kalten Krieges 7.300 Nuklearsprengköpfe in Europa stationiert, sind es heute etwa 150 taktische Atomwaffen. Auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel soll Platz für 44 Atombomben vom Typ B-61 sein, etwa 20 sollen dort in geschützten unterirdischen Magazinen stationiert sein. Der Spiegel berichtete, dass die Bomben 2019 unbemerkt von der Öffentlichkeit für 48 Stunden in die USA ausgeflogen worden seien, um sie mit neuer Software auszustatten; Teil eines aufwendigen Programms, um die Lebensdauer der Bomben bis ins Jahr 2040 zu verlängern.[3] Weitere Stützpunkte gibt es in Belgien, Italien, den Niederlanden und in der Türkei.

Die Anfänge der deutschen »Nuklearen Teilhabe« liegen viele Jahrzehnte zurück. Am 25. März 1958 hatte der Bundestag nach äußerst kontroverser Debatte beschlossen, Trägersysteme für Atomsprengköpfe aus den USA zu beschaffen. Seitdem ist der Streit über die Eingliederung der Bundeswehr in die atomare NATO-Strategie nicht verstummt. So häufig auch der Abzug der in der Eifel stationierten US-Atomwaffen gefordert wurde, geschehen ist bisher nichts.

Im Jahr 2010 stimmten die im Bundestag vertretenen Fraktionen einem Antrag zu, der die Bundesregierung aufforderte, »sich bei der Ausarbeitung eines neuen strategischen Konzepts der NATO im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen.« Doch dieses Ansinnen scheiterte letztlich am Widerstand der Bundeskanzlerin, die sich hinter der Position verschanzte, nur gemeinsam mit allen NATO-Partnern über den Abzug verhandeln zu wollen.

Das offizielle Bedrohungsszenario: Es gebe einige Staaten, die weiterhin Atomwaffen als Mittel militärischer Auseinandersetzung betrachteten. Und solange das so sei, bestehe »die Notwendigkeit zum Erhalt einer nuklearen Abschreckung fort«, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert. Gemeint ist Russland.

Entsprechend aufgeregt reagierten Teile der Medien und der Transatlantiker in der GroKo auf die Feststellung des SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich Anfang Mai: »Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil«. Da die USA nach wie vor auf ihrer atomaren Erstschlagsdoktrin bestehen würden, sei das Risiko einer Eskalation unüberschaubar geworden, in die die Bundesrepublik hineingezogen würde. Angesichts der geopolitischen Machtspiele des Egomanen Trump mit China und im Nahen und Mittleren Osten ist es richtig, rote Linien zu ziehen, Klartext zu reden und nicht eine Beschwichtigung zu verfolgen.

Die Washingtoner Administration ist von dem Kurs der begrenzten nuklearen Abrüstung des Trump-Vorgängers Obama abgerückt und verfolgt unverhohlen eine Strategie, wonach ein Atomkrieg führbar und gewinnbar sei. Bereits in der Überprüfung der US-Nuklearstrategie (Nuclear Posture Review) vom Februar 2018 wurde die Einführung von »Miniatomwaffen« mit einer Sprengkraft unter fünf Kilotonnen angekündigt, weil sie aufgrund ihrer »geringen« Explosivkraft »besser« für den Einsatz auf einem taktischen Gefechtsfeld geeignet wäre.

Ein Jahr später hieß es in der »US-Doktrin über den Einsatz von Atomwaffen« (Joint Publication 3-72), »der Einsatz von Atomwaffen könne Bedingungen für entscheidende Ergebnisse und die Wiederherstellung der strategischen Stabilität schaffen« (Telepolis 22.6.2019). Im Klartext: Wenn aus Sicht der Pentagon-Planer ein begrenzter Atomschlag in Europa möglich ist, würde das Territorium der Bundesrepublik das Schlachtfeld eines Nuklearkrieges werden – eine Gefahr, die mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation des Kalten Krieges als beendet angesehen worden war.

Der Widerstand gegen Mützenichs Position, die vom SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans geteilt wird – »ich vertrete eine klare Position gegen Stationierung, Verfügungsgewalt und erst recht gegen den Einsatz von Nuklearwaffen« –, kommt nicht nur vom schwarzen Koalitionspartner, sondern auch aus den eigenen Reihen. Als Regierungssprecher Seibert verkündete, die Bundesregierung halte an der bisherigen Strategie der Nuklearen Teilhabe fest, konnte er sich auf die Zustimmung von Finanzminister Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas – beide SPD – stützen.

Maas ließ seinen Außenamtssprecher Christopher Burger auf den Koalitionsvertrag verweisen, um zu verdeutlichen, dass aus seiner Sicht die Teilhabe nicht zur Debatte steht. Sein Vorgänger im Amt des Außenministers und neuerdings Vorsitzender des Lobbyvereins »Atlantikbrücke« für die Deutsch-US-amerikanischen Beziehungen, Siegmar Gabriel, beschwor in einem Podcast der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (6.5.2020) »gewaltige Konsequenzen, die wir alle nicht wollen«, wenn Deutschland aus der Nuklearen Teilhabe ausschere.

In einem Beitrag für die Website Internationale Politik und Gesellschaft (IPG, 7.5.2020) hält Rolf Mützenich seinen Kritikern entgegen: In Zeiten, in denen sich der Bundeshaushalt wegen der Bekämpfung der Corona-Pandemie dramatisch hoch verschuldet, die Mittel knapp sind und gleichzeitig offenkundig wird, wie dringlich Investitionen ins Gesundheitssystem, den Internet-Ausbau, den Klimaschutz und die Infrastruktur sind, muss über jede Ausgabe ernsthaft debattiert werden.

Recht hat er: Die Forderung von Mützenich und Walter-Borjans nach einem Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland könnte ein Schritt auf dem Weg zu einer friedfertigen Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands sein. Es handelt sich um einen friedenspolitischen Ansatz, in dessen Fokus das Wohl der Menschen steht und nicht das machtpolitische Interesse der militärischen und politischen Eliten.

Es wäre eine Politik, die von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Das zeigt eine repräsentative Umfrage[4] zum Kauf neuer Kampfjets mit speziellen Fähigkeiten zum Abwurf von US-Atomwaffen: 61% der Befragten lehnen das ab, nur 18% befürworten die Ausgaben für atomwaffenfähige Kampfjets, 21% sind unentschlossen. Bei den Wähler*innen aller Bundestagsfraktionen gibt es eine Mehrheit gegen die Atombomber, am höchsten ist die Ablehnung bei den LINKEN und Grünen (jeweils 82%). Das signalisiert eine deutliche Absage an die Pläne Kramp-Karrenbauers.

»Statt weiter an der Nuklearen Abschreckung teilzunehmen, sollte sich Deutschland auf den fraktionsübergreifenden Bundestagsbeschluss von 2010 besinnen und sich aktiv für den Abzug der US-Waffen einsetzen«, so Xanthe Hall, Vorstandsmitglied von ICAN Deutschland. Um den Kauf der neuen Kampfjets zu verhindern, hat die internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen ICAN die Online-Kampagne »Atombomber? Nein danke!« gestartet.

Anmerkungen

[1] Im Verteidigungsausschuss des Bundestages beteuerte Kramp-Karrenbauer, bei der Mail an ihren Amtskollegen Mark Esper handle es sich nicht um einen offiziellen »Letter of Intent«. Die Ministerin weigerte sich jedoch, dem Ausschuss die Mail vorzulegen.
[2] Die weltweiten Militärausgaben erreichten nach Angaben von SIPRI 2019 1917 Milliarden US-Dollar, Pressemitteilung, 27.4.2020.
[3] »[D]ie Modernisierung der US-Atombomben vom Typ B61-3 und B61-4 [steht] an, die gut 30 Jahre alt und am Ende ihrer Lebensspanne angelangt sind. Sie sollen durch die brandneue B61-12 ersetzt werden, die lenkbar ist und Ziele dadurch viel genauer treffen kann. Geschätzte zehn Milliarden Dollar geben die USA für das gesamte Modernisierungsprogramm aus. Kritiker befürchten nun, dass mit den neuen, präziser einsetzbaren Bomben die Gefahr eines Nuklearangriffs steigen könnte.« (Deutsche Welle, 26.3.2020)
[4] Das Meinungsforschungsinstituts YouGov hatte vom 1.-3.4.2019 im Auftrag der Anti-Atomwaffen-Organisation ICAN mehr als 2.038 Personen zum Kauf neuer Atombomber befragt.

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