24. Februar 2015 Otto König / Richard Detje: Der Fluch der Erdöl-Dollars
Venezuelas steiniger Weg
Das Programm des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« ist ein »camino lleno de piedras« – ein steiniger Weg. Die Wirtschaftslage Venezuelas hat sich in den zurückliegenden Monaten dramatisch zugespitzt. Das lateinamerikanische Land ächzt insbesondere unter dem anhaltenden Ölpreisverfall.
Konnte die Regierung in Caracas einst mit 100 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) rechnen, kostete ein Barrel zuletzt nur noch 38 Dollar. Das Problem: Für den laufenden Staatshaushalt hatte die Regierung mit einem Preis von 60 Dollar kalkuliert. Nun leert der niedrige Ölpreis die Kassen.
Damit rutschte das Land in eine tiefe Rezession. Die Inflationsrate stieg Ende 2014 auf rund 64%. Prompt stuften die US-amerikanischen Ratingagenturen Moody’s und Fitch venezolanische Staatsanleihen auf Ramschniveau herab, da die Risiken eines Zahlungsausfalls stiegen. Wall Street-Analysten malen bereits einen drohenden Staatsbankrott an die Wand und Hegde-Fonds wittern Profite bei Spekulationen auf die Zahlungsunfähigkeit Landes.
Der gesunkene Erdölpreis verringert zugleich die Spielräume für dringend notwendige Reformen einer Volkswirtschaft, die nach wie vor vom petrochemischen Sektor dominiert wird. Der Ankündigung von Hugo Chávez zu Beginn seiner Amtszeit 1999, die Neuordnung der Ölgesellschaft PdVSA, die Landwirtschaft, die Industrie und den Tourismus neu auszurichten, folgten keine einschneidenden Maßnahmen zur Diversifizierung der Ökonomie.
Stattdessen verstärkte sich die Abhängigkeit vom Ölexport. Perspektivisch will die Regierung die Ölförderung sogar von 2,6 Millionen Barrel pro Tag auf 6 Millionen mehr als verdoppeln.[1] »Der Rentismus zieht nicht nur eine Abhängigkeit vom Öl und dem Weltmarktpreis nach sich, sondern auch eine Kultur, in der unablässig um die Ölrente gekämpft wird. Und das wiederum führt zu einer Spekulationskultur, die sich wie Gift im kapitalistischen System Venezuelas ausbreitet«, umriss Elías Jaua, Minister für kommunale Angelegenheiten, die akute Problemlage zu Beginn des Jahres (Wochenzeitung CH vom 29.1.2015).
Diese Spekulationskultur und die damit einhergehende Korruption sind wichtige Instrumente der alten Eliten im »Wirtschaftskrieg« gegen das Projekt der bolivarianischen Revolution. Diese Auseinandersetzung zielt auf die Produktions- und Verteilungskette ab, die in privater Hand ist. Staatliche Stellen werfen seit Monaten den noch weitgehend in privater Hand befindlichen Handels- und Transportunternehmen vor, Waren gezielt zurückzuhalten und damit künstlich zu verknappen, was in der Konsequenz zu leeren Regalen führt und lange Warteschlangen provoziert, um Unruhen zu schüren. Bei Razzien in Lagerhallen des Großvertriebsunternehmens Herrera C.A. in mehreren Städten fanden die Behörden tatsächlich tonnenweise Produkte, die in den Supermarktregalen fehlen.
Da die Waren des Grundbedarfs in Venezuela der Preiskontrolle unterliegen und zu staatlich subventionierten Preisen an die Bevölkerung abgegeben werden, lässt sich mit ihnen auf dem Schwarzmarkt sehr viel Geld verdienen. »Bis zu 40% staatlich subventionierter Produkte würden über die Grenze nach Kolumbien verschwinden, bei Benzin und Diesel seien es 15%«, berichtet Harald Neuber in »neues neutschland« (20.1.2015).
Um den Menschen künftig den Zugang zu Medikamenten, Lebensmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs zu sichern, werden inzwischen in allen Regionen des südamerikanischen Landes so genannte Volkskommandos aufgebaut, die gegen Spekulation, das Zurückhalten von Grundbedarfsgütern und Wucher vorgehen sollen (Amerika 21, 7.2.2015).
»Wir sind gezwungen, die Einnahmen zu optimieren, neue Einnahmen zu generieren und die grundlegenden Investitionen für das Funktionieren der Gesellschaft, zur Versorgung mit Lebensmitteln, für Bildung, Gesundheitswesen und die Wirtschaft vorzunehmen«, erläuterte Regierungschef Nicolás Maduro Mitte Januar 2015 den Abgeordneten in der Nationalversammlung. Mit neuen Investitionen und einer Reform der Devisenkontrollen soll die angeschlagene Wirtschaft angeschoben werden.
8,1 Mrd. US-Dollar und knapp 150 Mrd. Bolívares sollen in den Import, die Produktion und den Vertrieb von Lebensmitteln investiert werden; weitere 911 Mio. US-Dollar und knapp 60 Mrd. Bolívares sollen in Infrastrukturprojekte fließen. An den Sozialprogrammen (»Misiones«) wird festgehalten. Für das staatliche Wohnungsbauprogramm »Misión Vivienda«, das 2015 den Bau von rund 400.000 neuen Wohnungen zum Ziel hat, sind etwa 205 Mrd. Bolívares eingeplant.
Um die Einnahmen anzukurbeln, soll neben einer Steuererhöhung für Luxusgüter, Tabak und Alkohol die seit einem Jahr diskutierte Kürzung der Subventionierung der Benzinpreise angegangen werden. Diese Subventionen kosten den Staat jährlich mehr als 10 Mrd. Dollar, damit Autofahrer für weniger als einen Dollar (0,86 Euro) ihren Tank füllen können. Die Zurückhaltung bei diesem Thema ist in der Frucht der chavistischen Regierung vor einem neuen »caracazo« begründet, einem Volksaufstand, wie er 1989 nach der Umsetzung eines neoliberalen Sparpakets von Präsident Carlos Andrés Pérez ausbrach.
Um die Spekulationsangriffe auf den Bolívar einzudämmen und den illegalen Dollar-Verkauf zu eliminieren, gelten in Venezuela seit Januar drei Wechselkurse. Neben dem neuen gilt der staatlich fixierte Kurs von 6,30 Bolívar pro US-Dollar weiter. Von diesem Vorzugskurs können die Importeure prioritärer Güter wie Lebensmittel, Medikamente oder gewisser Rohstoffe Gebrauch machen. Daneben bleibt das Auktionssystem (Sicad) bestehen, das derzeit US-Dollar zu einem Preis von zwölf Bolívar vergibt. Dieser Kurs gilt für Importeure nicht prioritärer Güter sowie für den Ankauf von US-Dollar für private Auslandsreisen.
Ob die in Aussicht gestellten Maßnahmen ausreichen, um Venezuela aus dem wirtschaftlichen Würgegriff zu befreien, ist fraglich. Die rechte Opposition, die bereits Anfang 2014 bewiesen hat, dass sie vor bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen nicht zurückschreckt, wittert Morgenluft. Erstmals nach der Protestwelle vor einem Jahr nahmen wieder Zehntausende an einem von der Opposition initiierten »Marsch der leeren Töpfe« teil, um lautstark den Rücktritt von Präsident Nicolás Maduro herbei zu trommeln.
Zerstritten sich die neoliberalen Oppositionsführer 2014 noch an der Frage, ob mit dem Druck der Straße die Regierung gestürzt werden soll, suchen sie nun den Schulterschluss.[2] Da es ihnen nach wie vor bei Wahlen nicht gelingt, das Vertrauen der breiten Bevölkerung zu gewinnen, setzen sie jetzt gemeinsam auf den Protest der Straße und den Sturz der Regierung.
Der ehemalige gemäßigte Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles, der verhaftete Leopoldo López, die Politiker María Corina Machado und Antonio Ledezma,[3] die zu den Führungsfiguren der äußersten Rechten in Venezuela zählen, ließen Anfang Februar einen »Aufruf an die Venezolaner für eine nationale Übereinkunft für den Übergang« verbreiten, in der eine Übergangsregierung gefordert wurde.
Im Text, der am 11. Februar in den Medien der Rechten abgedruckt wurde, ist die Rede von »Neuwahlen des Präsidenten«, ohne dass das verfassungsmäßig mögliche Prozedere beantragt worden ist. Den Segen der katholischen Kirche haben die Opponenten, diese verortet die Ursachen für die allgemeine Krise in der Entscheidung der nationalen Regierung, »ein politisch-ökonomisches System von sozialistischer, marxistischer oder kommunistischer Ausrichtung durchzusetzen«.
Eine Steilvorlage für die US-amerikanische Administration, die nach der historischen Neuordnung ihrer Kuba-Politik nun die linksgerichtete Regierung Venezuela verstärkt ins Visier nimmt. Das Weiße Haus ließ verlautbaren, Präsident Obama habe die »Verordnung zur Verteidigung der Menschenrechte und Zivilgesellschaft in Venezuela« unterzeichnet, die im Dezember im US-Repräsentantenhaus im Senat verabschiedet worden war.
Die darin gegen Vertreter der sozialistischen Führung in Caracas ausgesprochenen Sanktionen –»Venezuela Defense of Human Rights and Civil Society Act of 2014« – wurden mit der Begründung verhängt, die venezolanische Regierung habe »die wiederholten Forderungen von Regierungen, respektierten Führern und Expertengruppen nach Veränderung ignoriert« und zeige »weiterhin einen Mangel an Respekt für die Menschenrechte und Grundfreiheiten«. Eine Begründung, die wenige Wochen nach der Veröffentlichung des »Berichts über CIA-Folter« durch den US-amerikanischen »Geheimdienstausschuss des Senats«, in dem barbarische Foltermethoden von CIA-Verhörspezialisten bestätigt wurden, mehr als zynisch ist.
Nun ist es durchaus legitim, die Richtigkeit immer wieder auftauchenden Putschpläne in Venezuela zu hinterfragen. Doch gleichzeitig stützen Berichte wie der des US-amerikanischen Analyseunternehmens »Stratfor« Anfang des Jahres, in dem vor dem »Risiko eines Staatsstreichs in Venezuela« gewarnt wurde, die Befürchtungen vor Umsturzplänen. Zumal der südamerikanische Kontinent in den vergangenen Jahrzehnten oft genug Exerzierfeld für Aktivitäten des Geheimdienstes der USA herhalten musste.
Der Direktor der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Venezuela, Henning Suhr, schwadronierte in der »Deutschen Welle«, alles sei möglich, »von einer Verschärfung der Repression durch die Regierung, um sich an der Macht zu halten, bis hin zu einer Machtübernahme durch die Militärs« (junge Welt, 14.2.2015). Dieses unverantwortliche Putsch-Gerede veranlasste möglicherweise den Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Caracas zu seinem mit »Caracas im Februar 2015« datierten Schreiben an deutsche Staatsbürger in Venezuela, in dem er empfiehlt, eine gute Vorratshaltung anzulegen: »Lebensmittel und Wasser für mehrere Tage – im Idealfall empfehlen wir zwei Wochen – sowie elementare Dinge wie Bargeld, Medikamente, Batterien (für ein Radio), Kerzen und Kopien wichtiger Dokumente«.
Die Staatengruppe G-77 plus China, die insgesamt 130 Länder umfasst, bekundete ihre »Solidarität mit Venezuela« und verurteilte die Wirtschaftssanktionen der USA als »Verletzungen des internationalen Rechts«. Die internationale Gemeinschaft wurde aufgefordert, »dringende und wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen, um die Anwendung unilateraler ökonomischer Druckmittel gegen Entwicklungsländer zu stoppen«.
Zuvor hatten die südamerikanischen Mitglieder des »Gemeinsamen Markt des Südens« (Mercosur) und die Bolivarische Allianz (ALBA) die Zwangsmaßnahmen des Hegemon USA zurückgewiesen. »Die Ideologie und die falsche Erzählung vom ›Ende der Geschichte‹ sind zusammengebrochen durch die Energie der Kämpfe, der Projekte, der Aufstände, die sich auf den ganzen Kontinent ausgedehnt haben.« (Álvaro García Linera; Vizepräsident Boliviens)
[1] Venezuela verfügt mit 300 Milliarden Barrel Erdöl in einem Gebiet, das Orinoco-Gürtel genannt wird und etwa doppelt so groß ist wie Belgien, über die größten Erdölreserven des Planeten. Hinzu kommen Vorkommen in Zulia, im Osten des Landes und unter dem Meer (junge Welt, 20.2.2015).
[2] Vgl. Otto König/Richard Detje: Venezuela: Bolivarische Revolution zwischen Wirtschaftskrise und Destabilisierung von außen, Sozialismus 5/2014.
[3] Der Bürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma, wurde Mitte Februar 2015 verhaftet, ihm wird zur Last gelegt »in konspirative Ereignisse zur Organisierung und Durchführung von Gewaltakten gegen die demokratisch verfasste Regierung« verwickelt zu sein. (Amerika 21, 21.2.2015)