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AfD-Masterpläne
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ISBN 978-3-96488-210-3

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Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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Frank Deppe
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ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
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Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

9. Juli 2013 Bernhard Müller

Verschämte und verschleierte Armut

In Deutschland leben aktuell 3,1 bis 4,9 Millionen Menschen in verdeckter Armut. Das heißt, dass sie das soziale Basisnetz nicht in Anspruch nehmen, also kein Hartz IV beantragen, obwohl sie wegen geringen Einkommens oder Vermögens Anspruch darauf hätten. Keine Frage: Die gesellschaftliche Diskriminierung von Armut und der bürokratische Umgang bewirken, dass viele Benachteiligte auf soziale Rechte verzichten.

Wer in Deutschland mit seinem Netto-Einkommen einschließlich Wohngeld, Kindergeld und Kinderzuschlag weniger als das Existenzminimum verdient, hat Anspruch auf soziale Unterstützung. Tatsächlich aber beantragen in Deutschland Millionen BürgerInnen keine Hartz IV-Leistungen, obwohl sie ihnen zustehen. In einer aktuellen Berechnung gehen Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)[1] von 3,1 bis 4,9 Mio. Betroffenen in »verdeckter Armut« aus. Dadurch spart der Staat jährlich bis zu 20 Mrd. Euro.

Umgerechnet verzichteten damit zwischen 34 und 44% der Berechtigten auf staatliche Unterstützung, also mehr als jeder dritte. Nach Angaben des IAB liegen die von ihm erreichten Quoten der Nichtinanspruchnahme sogar noch »im unteren Bereich der in der Literatur berichteten Ergebnissen zu verdeckter Armut«, wo von Quoten von bis zu 70% die Rede ist. Die Inanspruchnahme erscheint vielen BürgerInnen offensichtlich als der letzte Schritt ins soziale Abseits. In diesem Sozial-Raum der Scham leben Millionen, die unentdeckt bleiben und sich so wenigstens den Rest der Selbstachtung nicht nehmen lassen wollen.

Auch eine aktuelle Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg- Essen[2] geht von einer hohen Dunkelziffer verdeckter Armut aus. Die IAQ-ForscherInnen haben die Wechselwirkungen zwischen niedrigen Löhnen und hohen Mieten untersucht. Um mit einem Vollzeitjob (37,7 Stunden / Woche) angesichts der aktuellen Mietpreise mindestens das Grundsicherungsniveau zu erreichen, benötigen danach alleinstehende Beschäftigte in Deutschland im Schnitt einen Stundenlohn von 7,98 Euro brutto. In einer Stadt mit sehr hohen Mieten wie München müssten Singles mindestens 9,66 Euro in der Stunde verdienen.

Für einen Paarhaushalt mit einem Kind, in denen nur eine/r verdient, muss der Stundenlohn im Schnitt schon mindestens 10,65 Euro brutto betragen, um das Grundsicherungsniveau zu erreichen. In München liegt die Schwelle für Paare mit Kind (AlleinverdienerIn) bei einem Stundenlohn von 16,43 Euro brutto. Dabei haben sind Kindergeld, Wohngeld und Kindergeldzuschlag bereits mit einbezogen.

Viele Geringverdiener unterschreiten die erforderlichen Stundenlohnsätze zum Teil deutlich. Dies zeigen die Analysen zum Niedriglohnbereich. Im Niedriglohnbereich stecken trotz guter Arbeitsmarktsituation im Jahr 2011 knapp 8,1 Mio. Beschäftigte fest. Damit ist fast jeder vierte Lohnabhängige (23,9%) von Niedriglöhnen betroffen. Die durchschnittlichen Bruttostundensätze im Niedriglohnsektor liegen mit 6,46 Euro in West- und 6,21 Euro in Ostdeutschland immer noch weit unter der bundeseinheitlichen Niedriglohnschwelle von 9,14 Euro.[3]

Fast drei Millionen Beschäftigte verdienten im Jahr 2011 weniger als sechs Euro pro Stunde, bundesweit sind das 8,7%. Für weniger als 8,50 Euro pro Stunde arbeiteten sogar knapp sieben Mio.. Das sind18% der Beschäftigten in West- und 32,2% in Ostdeutschland). Selbst von den Vollzeitbeschäftigten hätte gut jede/r Achte (insgesamt 2,75 Mio.) bei Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro Anspruch auf eine Erhöhung. Im Vergleich zu 2001 ist das Niedriglohnrisiko besonders stark für Ausländer, Männer, befristet Beschäftigte sowie unter 25-Jährige gestiegen. Deutlich erhöht hat es sich im Vergleich zum Jahr 2001 auch für jene mit abgeschlossener Berufsausbildung und für Vollzeitbeschäftigte.

Minijobber haben weiterhin das höchste Risiko: 71,2% von ihnen arbeiteten 2011 für niedrige Stundensätze. Sie stellen mit 36% auch einen gewichtigen Anteil aller Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland. Und: Oftmals gibt es Geld nur für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden, während bei Urlaub, Krankheit und Feiertagen häufig keine Lohnfortzahlung gewährt wird.

Der hohe Anteil der sog. Aufstocker auch bei Vollzeitbeschäftigten ist insofern eine unmittelbare Folge niedriger Stundenlöhne und hoher Mieten. Gleichzeitig unterzeichnen die Aufstockerzahlen das Problem. Viele die eigentliche Anspruch auf zusätzliche Sozialleistungen hätten, nehmen sie, wie wir gesehen haben, nicht in Anspruch. Die Gründe für die Nicht-Inanspruchnahme sind vielfältig. Eine zentrale Ursache ist die fehlende Information: Angesichts der äußerst komplexen Regelungen und Zusammenhänge von Nettoarbeitseinkommen, Wohngeld und Kinderzuschlag einerseits und anerkannten Kosten der Unterkunft, Regelsätzen und Freibeträgen bei der Grundsicherung andererseits haben die Betroffenen keine Kenntnisse darüber, ob und inwieweit noch ein ergänzender Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung besteht. Auch die Jobcenter zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie Erwerbstätige im Niedriglohnsektor gezielt über mögliche Grundsicherungsansprüche informieren. Bei vielen Betroffenen ist vielmehr davon auszugehen, dass sie versuchen, ihr Niedrigeinkommen (bei Vollzeitarbeit) durch Zusatzeinkünfte aus Überstunden oder durch Nebenjobs aufzubessern.

Bei den gesellschaftspolitischen Schlussfolgerungen müsste eine deutlich verbesserte Aufklärung der Betroffenen im Vordergrund stehen. Zweitens würde die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns die Zahl der BürgerInnen, die auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind, deutlich einschränken. Drittens könnte eine Abschaffung der Minjobs den Umfang des Niedriglohnsektors wirksam eingrenzen. Schließlich geht es um armutsfeste Grundsicherungsleistungen, die den Betroffen ein sozial-kulturelles Minimum garantieren und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sicherstellen.



[1] IAB, Simulationsrechnungen zum Ausmaß der Nicht-Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung, IAB Forschungsbericht 5/2013
[2]
Vgl. IAQ, Niedriglohn bei hohen Mieten untersucht. Trotz Vollzeitarbeit unter Hartz IV. Pressemitteilung vom 3.6.2013; www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Sozialstaat/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIII41a.pdf
[3]
Vgl. Kalina, Thorsten/Weinkopf, Claudia, 2013: Niedriglohnbeschäftigung 2011: Weiterhin arbeitet fast ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland für einen Niedriglohn. Internet-Dokument. Duisburg: Inst. Arbeit und Qualifikation. IAQ-Report, Nr. 2013-01

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