21. Februar 2020 Otto König/Richard Detje: Rechtsradikaler Terroranschlag in Hanau
Vollstrecker der völkischen Bewegung
Im Sommer 2018 wurde im Prozess gegen die rechte Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU), die zehn Menschen – darunter neun Migranten – ermordet hat, die Hauptangeklagte Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt.
Eine abschreckende Wirkung auf Rechtsradikale hat dieses Urteil nicht entfaltet.[1] Ein Jahr später erschoss der rechtsradikale Stephan Ernst den Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke. Der Antisemit Stephan Balliet versuchte im Oktober 2019 im sachsen-anhaltinischen Halle mit einem Sturmgewehr eine Synagoge zu stürmen und ein Massaker anzurichten. Bereits im Juli 2019 wurde im hessischen Wächtersbach der eritreische Flüchtling Bilal M. Opfer eines Anschlags, den er nur knapp überlebte.
Und nun hat der rechte Terror mit dem mörderischen Anschlag in Hanau einen neuen Höhepunkt erreicht. Der Täter Tobias Rathjen hat vor einer Shisha-Bar sowie an einem Kiosk aus »zutiefst rassistischer Gesinnung«, so Generalbundesanwalt Peter Frank, neun Menschen ermordet und vier verletzt. Die meisten Opfer haben einen Migrationshintergrund. Danach soll sich Rathjen selbst und seine Mutter in der Wohnung im Stadtteil Kesselstadt getötet haben.
Vier rechtsterroristische Taten innerhalb von neun Monaten – dazu die »Gruppe S«, die in der vergangenen Woche von der Polizei hochgenommen wurde. Deren Gruppenmitglieder hatten sich mit ihrem Anführer aus Augsburg vorgenommen, in Moscheen zu gehen und Gläubige beim Gebet zu töten, um damit »bürgerkriegsähnliche Zustände« herbeizuführen. 2018 war die rechtsextreme Terrorgruppe »Revolution Chemnitz« aufgeflogen, die mit Anschlägen in Berlin ebenfalls einen Bürgerkrieg entfachen wollte.
So unterschiedlich die Rechtsterroristen von Kassel, Halle, Chemnitz, Wächtersbach, Augsburg und Hanau auch sein mögen, es ist der Hass auf alles was nicht in ihr völkisches Weltbild passt, der sie eint. Die geistige Verbindung zwischen diesen Rechtsradikalen sind ideologische Versatzstücke aus Rassismus, Verschwörungstheorien und die Wahnidee vom drohenden »Volkstod« der Deutschen.
Sie reden von »Bevölkerungsaustausch«, den die Bundesregierung angeblich plane: Deutsche gegen Ausländer. »Der Mythos des sogenannten großen Austauschs, in den USA seit den Neunzigern im Hardcore-Rechtsextremismus als ›white genocide‹ bezeichnet, ist das zentrale verschwörungsideologische Motiv der extremen Rechten, um den Terror zu rechtfertigen«, sagt Jan Rathje von der Amadeu-Antonio-Stiftung (Deutsche Welle vom 20.2.2020).
Rechte Gewalt bedroht also nicht alle Mitglieder der Gesellschaft gleichermaßen. Sie bedroht Menschen mit schwarzer Haut mehr als Menschen mit weißer, muslimische und jüdische Gläubige mehr als christliche Gläubige, homosexuelle Menschen mehr als heterosexuelle, Frauen mehr als Männer. Der Symptomatik gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit folgend ist es vollkommen egal, wie integriert Menschen mit ausländischen Wurzeln sind, ob sie Seit an Seit mit ihren deutschen Kolleg*innen in den hiesigen Firmen malochen und Sozialversicherungsbeiträge sowie Steuern zahlen. Wie die Nationalsozialisten die Juden betrachtet haben, betrachten sie die Menschen mit migrantischem Hintergrund als nicht zugehörig, als unwertes Leben.
»Der bestehende, gegen ›Fremde‹ gerichtete autoritäre Einstellungsresonanzraum ist seit 2014 und mit der AfD seit 2015 zum Schwingen gebracht worden. Die solchermaßen Ermutigten und Ermächtigten sehen sich im Kontext dieser Bewegungen in der Masse zur Radikalisierung bereit und oft ausdrücklich aufgerufen. Wenn sich diese Teile der Bevölkerung solchermaßen aufgerufen und anerkannt sehen, ist es nur eine Frage der Zeit, dass sich dies in Gewalt gegenüber ›Sündenböcken‹ niederschlägt«, stellt der Sozialwissenschaftler Hajo Funke fest.[2]
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wurde enttabuisiert in einem politischen Umfeld, in dem seit Jahren bewusst Grenzüberschreitungen nach rechts begangen werden, in dem Hass und Hetze offen und meist ohne Folgen geäußert werden können. Zuerst verschieben sich die Grenzen des Sagbaren, dann kommt die Gewalt: Rassistische Täter werden zu selbsternannten Vollstreckern der völkischen Bewegung.
Der Hanauer Tobias Rathjen hat Dokumente und ein Video hinterlassen, in denen er Einblick in sein Denken gibt. In einem 24-seitigen, von Hass triefenden Manifest »Botschaft an das gesamte deutsche Volk« versucht er seinen Amoklauf mit rassistischen, fremdenfeindlichen und menschenverachtenden Ansichten zu rechtfertigen.
Die Rede ist von einem Krieg, der »als Doppelschlag zu verstehen (ist), gegen die Geheimorganisation und gegen die Degeneration unseres Volkes!« Rathjen zählt unter anderem mehr als zwei Dutzend Staaten auf, deren Bevölkerung seiner Meinung nach vernichtet werden müsste und fabuliert über die Frage, wie viele Deutsche »reinrassig und wertvoll« seien. Offenbar hat er über Jahre ein zerstörerisches Weltbild entwickelt, das aus Rechtsextremismus, Verschwörungstheorien, Verfolgungs- und Größenwahn, Frauenhass (allein dazu fünf Seiten im »Manifest«) und religiösem Fanatismus besteht.[3]
Dieser Mix hat sich im Schatten der Anti-Islam-Hysterie rasend schnell über das Internet verbreitet. Wie groß das Bedrohungspotenzial insgesamt ist, zeigt der aktuelle Verfassungsschutzbericht: Demnach gelten 12.700 Rechtsextremisten als »gewaltorientiert«.[4] Ihre Kommunikation findet mehr denn je im Internet statt, der virtuelle Raum wirkt wie ein Brandbeschleuniger.
Den Nährboden dafür haben u.a. AfD-Politiker wie Björn Höcke, Alexander Gauland und Andreas Kalbitz bereitet. Sie jagten ein Tabubruch nach dem anderen durch Deutschland: Die national-sozialistische Schreckensherrschaft mit ihren Millionen Toten soll nur noch ein »Vogelschiss« gewesen sein bzw. die Holocaust-Erinnerungsstätte in Berlin ein »Denkmal der Schande«. Das Unsagbare wird so zum Sagbaren. Völkisches Gedankengut dringt tiefer und breiter in die Gesellschaft ein, ertönt in den Parlamenten, wird gleichsam entdiabolisiert und »normalisiert.
In seinem Buch »Nie zweimal in denselben Fluss«, das Mitte 2018 erschien, beschwört der thüringische AfD-Vorsitzende Höcke den »Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch« und fordert als zentrales Ziel seiner Partei eine Säuberung Deutschlands von »kulturfremden« Menschen. »Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein groß angelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein«, schreibt der AfD-Politiker, der laut Gerichtsbeschluss als »Faschist« bezeichnet werden darf.
Dieses »Remigrationsprojekt« sei, so Höcke, wohl nur mit Gewalt zu schaffen: »In der erhofften Wendephase« – offenkundig meint er den Machtantritt der AfD – »stünden harte Zeiten bevor, denn umso länger ein Patient die drängende Operation verweigert, desto härter werden zwangsläufig die erforderlichen Schnitte werden, wenn sonst nichts mehr hilft.«[5]
Der Politikwissenschaftler Steffen Kailitz von der TU Dresden beschreibt, wie die AfD die Sprache der Nationalsozialisten aufgreift und modifiziert: »Wie Arsendosen verbreitet sich auch heute das Gift der völkischen Volksdeutung. Es wird zunächst unbemerkt verschluckt, hat für allzu viele einen normalen, ›natürlichen‹, ›lebensrichtigen‹ Geschmack. Erst wenn es zu spät ist, zeigt sich die Giftwirkung: die Ausgrenzung aller, die nicht ›deutsch‹ aussehen und dann nicht mehr zum Volk gehören dürfen und ›entsorgt‹ werden sollen.«
Auch nach den Morden in Hanau gibt es Umdeutungsversuche. Wieder soll der rechtsterroristische Akt die Tat eines Einzelnen, eines »einsamen Wolfes«, eines »Kranken« und »Wahnsinnigen« gewesen sein. Für den Politikwissenschaftler Florian Hartleb steht fest, was einen solchen Einzeltäter ausmacht: »Er schneidert sich eine persönliche Kränkungsideologie zurecht, die persönliche Frustrationen mit politischen Motiven verbindet« (Cicero vom 20.2.2020).
Doch diese Morde sind keine isoliert voneinander zu betrachtende Einzeltaten. Egal, ob sich die brutale Gewalt gegen Politiker, Juden oder Muslime richtet: Sie sind Ausdruck dessen, was im gesellschaftlichen Klima Deutschlands wieder gedeihen kann.
Festzustellen, Tobias Rathjen sei ein Verrückter gewesen, ist ein bequemes Schutzargument, hinter dem sich vor allem Relativierer zu verstecken versuchen. »Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines Irren«, hat der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen getwittert. Auch Meuthens Ko-Vorsitzender Tino Chrupalla legte die Morde als »Tat eines Geisteskranken« aus. Es sei die »Wahnsinnstat« eines »psychotischen Amokläufers« gewesen, war von der AfD- Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch zu lesen.
Dass Rathjen menschenverachte und rassistische Pamphlete gegen ausländische Mitbürger*innen verfasst hatte und die »Eliminierung« ganzer Völker verlangte, ist in der AfD allerdings kein Thema. Der Täter von Hanau tötete aus rassistischen Motiven.
Der rechte Terror darf nicht relativiert werden. Viel zu lange haben viel zu viele in Deutschland – Politiker und Sicherheitsbehörden – die Gefahr von rechts kleingeredet oder ignoriert. Während rechte Terroristen morden, machen sich Rechtsradikale in den Parlamenten breit und bemühen sich nach Kräften, die Demokratie zu beschädigen wie in jüngster Zeit in Thüringen zu beobachten.
Hajo Funke, Andreas Speit und Ahmad Mansour gehen davon aus, dass Anschläge wie der jüngste in Hanau sich wiederholen, die Gefahren in Zukunft noch zuzunehmen drohen. Es ist höchste Zeit für rechtskonservative Strömungen, ihre Flirts mit der AfD zu beenden und sich auf die Verteidigung der Demokratie einlassen. Es ist Zeit für Anteilnahme, Solidarität, Aufklärung und Gegenwehr.
Anmerkungen
[1] Im Fall des NSU-Komplexes haben 13 Untersuchungsausschüsse versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Gelungen ist dies nur begrenzt.
[2] Hajo Funke/Christiane Mudra: Gäriger Haufen. Die AfD: Ressentiments, Regimewechsel und völkische Radikale, Hamburg 2018, S. 87.
[3] Siehe die Diskussion zwischen Hajo Funke, Andreas Speit und Ahmad Mansour im SWR: https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/Diskussion-Was-steht-hinter-den-Morden-von-Hanau,swr2-forum-20200220-1705-was-steht-hinter-den-morden-von-hanau-100.html
[4] Otto König/Richard Detje: Radikalisierung der Neuen Rechten, in: Sozialismus 2/2020.
[5] Hajo Funke: Höcke will den Bürgerkrieg, Zeit Online 24.1.2019.