16. September 2023 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: CDU und FDP paktieren mit der rechtsradikalen AfD
Von wegen Brandmauer gegen rechts
Der Thüringer Landtag hat mit den Stimmen von CDU, AfD und FDP eine Senkung der Grunderwerbssteuer beschlossen. Im Parlament stimmten die Abgeordneten der drei Fraktionen für einen CDU-Antrag.
Die Fraktionen der Minderheitenregierung von Bodo Ramelow (DIE LINKE) von Linken, Grünen und SPD stimmten dagegen. Der von der CDU eingereichte Gesetzentwurf sieht vor, dass der Steuersatz von derzeit 6,5% auf 5% gesenkt wird. Der CDU-Fraktionschef Mario Voigt verteidigte den Gesetzentwurf als eine echte Entlastung nicht nur für Familien, sondern auch für mittelständische Unternehmen und die Baubranche.
DIE LINKE warf der Union vor, den Gesetzentwurf gemeinsam mit der AfD vom Landtag verabschieden zu lassen. Neben dem Ministerpräsidenten Ramelow haben auch Innenminister Georg Maier (SPD) sowie auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert die Union dafür scharf kritisiert. Und einer der Parteichefs der Sozialdemokraten im Bund, Lars Klingbeil, konstatiert: Die Brandmauer gegen die AfD, von der die CDU immer rede, gebe es nicht mehr.
Bodo Ramelow hatte die CDU zuvor gewarnt, gemeinsam mit AfD und FDP diesen Gesetzentwurf zur Grunderwerbssteuer durch den Landtag zu drücken. »Statt einer gezielten Familienförderung, wie sie die CDU mal gewollt hat, hat sie sich jetzt aus ideologischen Gründen entschieden, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen«, sagte Ramelow. Der Union scheine es nur noch um Ideologie zu gehen. »Die CDU nimmt die Familienförderung in Geiselhaft, um allgemeine Immobilienvermögen mit einer pauschalen Steuersenkung noch zu verschönern.«
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hatte vor der Abstimmung bekräftigt: »Wir machen das, was wir in den Landtagen wie auch im Deutschen Bundestag diskutieren, nicht von anderen Fraktionen abhängig.« Eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es auf Bundes- und Landesebene nicht geben. »Dabei bleibt es auch.« Die stellvertretende Vorsitzende der Christdemokraten, Karin Prien, lehnt es ab, sich nahezu täglich für die Politik der CDU rechtfertigen zu müssen, »als seien wir die Einzigen, die unter den demokratischen Parteien die AfD bekämpfen müssten«. Prien warf Sozialdemokraten, Grünen und Linken vor, den «so wichtigen Kampf gegen den Rechtsextremismus» zu missbrauchen, um Politik gegen die CDU zu machen. Es sei «fast schon infam», ihrer Partei eine Nähe zur AfD zu unterstellen.
Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther (CDU), hat die gemeinsame Abstimmung von CDU, FDP und AfD im Thüringer Landtag dagegen als Fehler bezeichnet. Für ihn ist ein wie »auch immer geartetes Zusammenwirken mit der AfD ist ausgeschlossen«. Das gelte für eigene Initiativen, »die absehbar nur mithilfe dieser Partei Aussicht auf Erfolg haben. Die zunehmende Radikalisierung der AfD erfordert eine noch konsequentere Haltung gerade einer konservativen Partei. Ein Vorgehen wie aktuell in Thüringen widerspricht dieser Haltung.«
Günther kritisierte aber auch die rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Erfurt. Diese habe es versäumt, eine »Mehrheit der demokratischen Mitte mit der CDU zu organisieren. Das war ebenfalls ein schwerer Fehler. Wir Demokraten haben eine gemeinsame Verantwortung, der AfD entgegenzutreten.« Klar müsse aber sein: »Es gibt mit unseren Stimmen keine Mehrheit, die auf die Stimmen der AfD angewiesen ist. Ich plädiere dafür, dass wir in Deutschland mit dem Fingerzeigen unter Demokraten aufhören, sondern uns alle an einen Tisch setzen, um zu einer Haltung zu kommen, die dieser Verantwortung gerecht wird.«
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte demgegenüber zum »schwärzester Tag in meinem parlamentarischen Leben« im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt: »Das Ziel, Familien zu stärken, hätte auch zusammen mit den Regierungsparteien erreicht werden können.«
Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla feiert die Abstimmung hingegen als Durchbuch: Es sei nicht wichtig, wer mit wem abstimme. Wichtig sei, dass eine Mehrheit zustande komme. »CDU und AfD haben in Thüringen eine Brandmauer eingerissen.« Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel unterstreicht den politischen Fortschritt: »Merz' Brandmauer ist Geschichte – und Thüringen ist erst der Anfang.«
Vom politischen Durchbruch spricht auch der AfD-Landeschef von Thüringen, Björn Höcke, der laut einem Gerichtsbeschluss aus dem Jahr 2019 als »Faschist« bezeichnet werden darf. Er bewertet den Abstimmungserfolg in der »Tagesschau«: »Das ist einfach ein guter Tag für Thüringen, das ist pragmatische Politik.« Die nun durchgesetzte Steuersenkung sei ein »altes AfD-Projekt«, einen ähnlichen Entwurf habe die AfD bereits 2018 ins Parlament gebracht. Jetzt, nach fünf Jahren, sind die bürgerlichen Kräfte eingeknickt.
Der Tabu-Bruch mit den Werten der Demokratie verstört erheblich, denn wir sehen eine Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Höcke-AfD. Sachsen-Anhalts SPD-Fraktionschefin Katja Pähle bringt den Vorgang auf den Punkt: »Es ist kaum zu fassen: Gestern erst lässt das Landgericht Halle die Anklage gegen den Thüringer AfD-Chef Höcke wegen der Verwendung von verbotenem Nazi-Vokabular zu, und heute bringt die CDU im Thüringer Landtag mit demselben Höcke und seiner Fraktion ein Gesetz durch.«
Dieser Widerspruch in der aktuellen politischen Arena – gerichtliche Verfolgung der völkischen Rhetorik bei gleichzeitigem Durchbruch in der Gesetzgebung – entfaltet seine ganze Tragweite, wenn man sich klarmacht, dass im nächsten Jahr in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg Landtagswahlen anstehen. Bereits jetzt zeichnet sich ein einschneidender, ja systemsprengender Bruch in der politischen Willensbildung ab.
Die AfD als völkisch-nationalistische Parteiformation, die zumindest in Thüringen vom Verfassungsschutz als offen rechtsradikal eingestuft und beobachtet wird, steht davor, dort zur dominanten politischen Kraft aufzurücken. Wären am Sonntag Wahlen, würde die AfD laut verschiedenen Umfrage-Instituten in den Ost-Ländern mit 26% stärkste Kraft.
Dieser einstige »gärige Haufen« (Alexander Gauland), jahrzehntelang von massiven innerparteilichen Konflikten gebeutelt und deshalb von Generationen von Politikwissenschaftler*innen als selbstzerstörerisch zum Niedergang ausgemacht, ist bemerkenswert stabil und wird zum Game-Changer in der politischen Arena. Schon seit Jahren erreicht sie in Sachsen, Thüringen Spitzenwerte in den Umfragen.
Im Juni 2024 steht die Neuwahl zum europäischen Parlament an und anschließend die bereits erwähnten Landtagswahlen in Ostdeutschland. Die Wähler*innen entscheiden dann zwar in erster Linie über die Zusammensetzung der Landtage, und darüber, wer dort regieren soll. Indirekt wird damit aber zugleich festgelegt, wer im Bundesrat Sitz und Stimme erhält, denn die Mehrheit im Parlament bestimmt die Landesregierung, die ihrerseits die Bundesratsmitglieder aus ihrer Mitte bestellt.
Wie verändert sich die politische Arithmetik, wenn die AfD ihre Spitzenposition hält oder weiter ausbaut? In Sachsen, Thüringen und Brandenburg zeigt sich schon heute, dass die anderen politischen Kräfte eine Regierungsfähigkeit kaum gewährleisten können. Für die AfD gilt: Statt »regierungsfähig« und »pragmatisch« wurde sie in den letzten Jahren immer radikaler. Das aber bekümmert ihre Anhä6nger*innen offenbar nicht. Die Partei hat das Kunststück vollbracht, trotz sinkender politischer Seriosität ihr Wähler*innenpotenzial erheblich zu vergrößern – übrigens nicht nur im Osten Deutschlands.[1]
[1] In der Oktober-Ausgabe von Sozialismus.de werden wir ausführlicher auf die AfD und die Situation in den ostdeutschen Bundesländern eingehen. Siehe dazu bisher schon Joachim Bischoff: Die völkisch-nationalistische AfD im Aufwind, in: Sozialismus.de, Heft 7-8/2023 sowie Redaktion Sozialismus.de: Kretschmers verhaltene Abgrenzungsversuche. Die AfD durch Umarmung erdrücken?, Sozialismus.deAktuell vom 7. Juli 2023.