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Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

8. Februar 2018 Otto König/Richard Detje: 1,5 Millionen streikende Metaller*innen erkämpfen Tarifabschluss

Vorzeigbares Tarifergebnis

Foto: mw238 / flickr.com (CC BY 2.0)

Der Druck aus den Betrieben von 1,5 Millionen Streikenden, zuletzt in 24 stündigen Tagesstreiks, [1] führte letztlich zum Durchbruch in der Metalltarifrunde 2018. Wie sind die Ergebnisse zu bewerten?

Der in Baden-Württemberg gefundene Pilotabschluss, der nach der Übernahme durch die weiteren IG Metall-Bezirke für alle 3,9 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie gelten soll, beinhaltet neben Lohn- und Urlaubsgelderhöhungen das tarifvertragliche Recht auf »kurze Vollzeit« für alle – und einen Zuschlag für Beschäftigte mit Kleinkindern bzw. pflegebedürftigen Angehörigen sowie für Schichtarbeiter*innen.

Ob der Tarifabschluss ein »Grundstein für ein innovatives Arbeitszeitsystem« ist, wie er teilweise gefeiert wird, muss sich in den nächsten Jahren noch erweisen. Das Verdienst der IG Metall besteht darin, das Thema Arbeitszeit endlich wieder zum Gegenstand tarifpolitischer Auseinandersetzungen gemacht zu haben. Denn dass die Frage »Wer bestimmt über die Zeit« auch über 30 Jahre nach dem Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche ein machtpolitisch und ideologisch aufgeladenes Thema ist, haben die Metallarbeitgeber in dieser Tarifrunde erneut hinlänglich bewiesen.

Das vorliegende Tarifergebnis ist ein »komplexeres« Konstrukt, das – so der baden-württembergische IG Metall-Verhandlungsführer Roman Zitzelsberger – den Mitgliedern nur schwer zu vermitteln sei. Das hat weniger mit »Tarifbürokratie« zu tun, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung beklagt, sondern ist eher den vielen Stellschrauben geschuldet, die notwendig waren, weil einfacher nachvollziehbare Wege zu einem Tarifergebnis an der Betonfraktion des Arbeitgeberlagers gescheitert waren.

Zunächst zum Einfachen: Ab dem 1. April 2018 steigen die Entgelte und die Vergütungen der Auszubildenden um 4,3%. Für die Monate Januar bis März 2018 gibt es 100 Euro (Auszubildende 70 Euro) als Einmalzahlung. Zudem erhalten alle Beschäftigten von Juli 2019 an dauerhaft einen einheitlichen Festbetrag von 400 Euro (Auszubildende 200 Euro) plus ein tarifliches Zusatzgeld (T-ZUG) in Höhe von 27,54% ihres individuellen Monatsentgelts. Beide Elemente sind tarifdynamisch gestaltet. [2]

Die Arbeitgeber beklagen nach dem Abschluss das »schmerzhafte« Gesamtvolumen und versuchen gleichzeitig mit der Hervorhebung der sehr langen Laufzeit von 27 Monaten vor allem ihre mittelständischen Verbandsmitglieder zu beruhigen – bis Ende März 2020 sei jetzt Ruhe an der Tariffront. Zugunsten der »Fußkranken« und »Renitenten« in ihren Reihen, die immer wieder mit Tarifflucht drohen, setzte Gesamtmetall eine »Differenzierungsklausel« durch, die beinhaltet, dass bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten eines Betriebes unter Zustimmung der Tarifvertragsparteien der 400-Euro-Festbetrag ganz oder teilweise entfallen oder die Auszahlung um fünf Monate verschoben werden kann.

Die IG Metall hebt hervor, dass das durchgesetzte Volumen beispielsweise in der unteren Entgeltgruppe 3 für das Jahr 2018 4,05% und für 2019 3,80% sowie für die obere Entgeltgruppe 13 der Prozentsatz 3,93 in 2018 und 3,45 in 2019 betrage. [3] Damit könnten die Realeinkommen erneut deutlich erhöht werden, mit einer entsprechend »gesamtwirtschaftlich positiven Wirkung« auf die Binnennachfrage und damit der Stabilisierung der Konjunktur in unsicheren Zeiten.

Zum komplexeren Teil des Abschlusses: Für die Metallarbeitgeber war es über eine lange Zeitstrecke undenkbar, die sozialen Gründe der Gewerkschaft für eine Arbeitszeitreduzierung anzuerkennen und das auch materiell wertzuschätzen. Gesamtmetall zog schließlich vor allem gegen den finanziellen Teilentgeltausgleich für Schichtarbeiter oder für die Betreuung von Kindern bzw. pflegebedürftigen Angehörigen mit Rechtsgutachten und angedrohten Schadenersatzklagen (wegen der 24-Stunden-Streiks) zu Felde.

Im Tarifergebnis wurde nun für alle Beschäftigten der Branche ein individueller Anspruch auf »kurze Vollzeit« (der Begriff ist eine bewusste Abgrenzung zur schon praktizierten Teilzeit in den Betrieben) verknüpft mit einem Rückkehrrecht in Vollzeitbeschäftigung festgeschrieben. Die Wochenarbeitszeit kann ab 2019 auf bis zu 28 Stunden reduziert werden. Die Verkürzung kann in Stundenschritten bzw. halben und ganzen Tagen und für eine Dauer von 6 bis 24 Monaten erfolgen – Verlängerung möglich. Damit soll den Beschäftigten die Möglichkeit eingeräumt werden, »berufliche und private Lasten gleichermaßen zu bewältigen«, also die sogenannte »Work-Live-Balance« herzustellen, um künftig das Leben »selbstbestimmter und gesünder« meistern zu können.

Vor allem das tarifvertraglich vereinbarte Rückkehrrecht sei wichtig, damit die Beschäftigten nicht in der »Teilzeitfalle« hängen bleiben, kommentiert der WSI-Tarifexperte Thorsten Schulten die gefundene Regelung. Diese Neuerung in Tarifverträgen bringe »endlich auch Drive in die politische Diskussion«. Schließlich sei eine diesbezügliche Gesetzesinitiative der SPD in der letzten Legislaturperiode am GroKo-Partner CDU/CSU gescheitert.

Auf der anderen Seite musste die Gewerkschaft für die individuelle Arbeitszeitreduzierung einen Preis zahlen. Zum Ausgleich bekommen Unternehmen die Möglichkeit, den Anteil der Beschäftigten, die länger als 35 Stunden und bis zu 40 Wochenstunden arbeiten, auszuweiten. »Wir haben sehr viel bekommen, nämlich sehr viel Öffnung bei den Arbeitszeiten nach oben«, jubelte der Verhandlungsführer der Südwest-Arbeitgeber, Stefan Wolf.

Dem hält die IG Metall entgegen, die Quote von maximal 18% der Belegschaft, mit denen 40-Stunden-Verträge vereinbart werden könne, bleibe erhalten, und die neue Ausgleichsregelung – die Verrechnung von geringeren Arbeitszeiten einerseits mit längeren andererseits – ändere nicht das schon jetzt geltende betriebliche Arbeitszeitvolumen von 35,9 Stunden pro Beschäftigten. [4] Sollte die Umsetzung des Anspruchs auf kurze Vollzeit zu einem nachweisbaren Fachkräfteengpass führen, können durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung zusätzliche Lösungen vereinbart werden, bis hin zu einer höheren Quote.

Den von der IG Metall geforderten Teil-Entgeltausgleich für Beschäftigte mit Kindern bis acht Jahren oder pflegebedürftigen Angehörigen sowie Schichtarbeiter*innen, die die »kurze Vollzeit« in Anspruch nehmen, konnte, weil von den Arbeitgebern als »rechtswidrig« erklärt, da damit andere Teilzeitbeschäftigte »diskriminiert« würden, so nicht durchgesetzt werden. Stattdessen können diese Beschäftigtengruppen ab 2019 wählen, ob sie ihr tarifliches Zusatzgeld (T-ZUG) in Höhe von 27,54% ihres individuellen Monatsentgelts umwandeln in sechs freie Tage plus zwei freie Tage, die der Arbeitgeber zusätzlich gewähren muss. Eröffnet werde damit eine Wahloption »Geld oder Freizeit«, wie sie schon für die Beschäftigten der Deutschen Bahn besteht, die nach dem Tarifabschluss der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in 2016 zwischen 2,6% mehr Gehalt, sechs Tagen mehr Urlaub im Jahr oder einer Arbeitszeitverkürzung von einer Stunde pro Woche wählen können. [5]

 

Unter dem Strich ist festzuhalten:

(1) Beim Entgelt handelt es sich um einen für die Beschäftigten guten Abschluss, der unter sehr guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erzielt wurde; das gilt nicht nur für die Unternehmen der Exportindustrie, die 2017 einen neuen Exportüberschuss erwirtschaftet haben, sondern für das Gros der Branche. Für welche Seite sich die sehr lange Laufzeit von 27 Monaten als Geschenk oder Problem erweist, kann aus heutiger Sicht noch nicht gesagt werden. Sollte es zu einem Auslaufen der prosperierenden Konjunkturentwicklung in diesem Zeitraum kommen, würde der Metall-Tarifabschluss als stabilisierender Faktor wirken. Und schließlich sollte auch die durch Festbeträge erreichte überdurchschnittliche Anhebung in den unteren Lohngruppen nicht geringgeschätzt werden – ein in der Klasse positiv wirkender Verteilungseffekt.

(2) Ob der Tarifabschluss generell als »Zeitenwende bei der Arbeitszeit«, so der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann, gewertet werden kann, sollte differenzierter diskutiert werden. Sicher: Nicht zuletzt die großen Beschäftigtenbefragungen der IG Metall haben vielfältige Bedürfnisse nach individuell steuerbaren Zeitarrangements zum Ausdruck gebracht. Aber: Dies sollte nicht gegen neue Ansätze kollektiver Arbeitszeitpolitik in Stellung gebracht werden. Zum einen weil dies widersinnig wäre: möglicherweise führt die Arbeitszeitverkürzung bei Schichtarbeitern ja selbst zu Veränderungen vollkontinuierlicher Schichtsysteme, die kollektiv eine verbesserte Schichtplanergonomie ermöglichen. Zum anderen, weil die Digitalisierung der Industrie im Zweifelsfall Rationalisierungspotenziale freisetzt, die Beschäftigungssicherung durch kollektive Arbeitszeitverkürzung erforderlich machen. Von einer »Zeitenwende« sollte unseres Erachtens erst dann gesprochen werden, wenn Fortschritte in der Verknüpfung von Arbeitszeit- und Leistungspolitik erkennbar sind. Hier wurde in Tarifkommissionen weiter vordiskutiert – an dieser Baustelle muss weitergearbeitet werden.

In der Regel übernehmen die übrigen Tarifbezirke der IG Metall im Bundesgebiet den Abschluss des Pilotbezirks. Allerdings haben jene Tarifbezirke, die auch Teile der ostdeutschen Bundesländer vertreten, noch einen großen Brocken vor sich. Vor allem die Angleichung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden wird von den dortigen Arbeitgebern weiterhin abgelehnt. Zwar hat sich Gesamtmetall verpflichtet, seinen ostdeutschen Mitgliedsverbänden zu empfehlen, »unmittelbar nach dem Tarifabschluss ergebnisoffene Gespräche unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen über den Prozess der Angleichung der Arbeitsbedingungen zu führen«, doch gleichzeitig rühren die Arbeitgeber auch hier schon wieder den Beton an. »Der Osten braucht diesen Wettbewerbsvorteil weiterhin. Die längere Arbeitszeit muss bleiben«, erklärte Gesamtmetall-Chef Dulger und stärkte damit den Hardlinern in Sachsen den Rücken.


[1] Mit einer Satzungsänderung hat die IG Metall vor gut zwei Jahren das Instrument Tagesstreik beschlossen. Anders als bei der Urabstimmung über einen unbefristeten Arbeitskampf müssen nur die Gewerkschaftsmitglieder in den ausgewählten Betrieben zustimmen. Sie bekommen, anders als bei den herkömmlichen stundenweisen Warnstreiks, auch Streikgeld. »Die Ganztagesstreiks der IG Metall sind für unsere Mitgliedsunternehmen schmerzhaft und bewirken eine erhebliche Störung der Betriebsabläufe«, sagte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Metall NRW, Luitwin Mallmann, dem Handelsblatt.
[2] Ab Juli 2020 werden die 400 Euro in einen tariflichen Zu-ZUG, d.h. in einen 12,3 prozentigen Einmalbetrag bezogen auf die Eck-Entgeltgruppe 7 (Ba-Wü) umgewandelt.
[3] Eine Umrechnung nach Westrick käme hier zu anderen, niedrigeren Ergebnissen.
[4] Das sei der rechnerische Durchschnitt, der sich nach Tarifvertrag aus der Zahl der Beschäftigten mit einer 35-Stunden-Woche zuzüglich der Beschäftigten mit 40-Stunden-Verträgen ergibt. Beispiel: Ein Betrieb mit 100 Beschäftigten, davon arbeiten 82% 35 Std/Woche und 18% 40 Std/Woche = 35,9 Std im Durchschnitt.
[5] Bei der EVG hatten sich 56% für mehr Freizeit und 42% für die Einkommenserhöhung entschieden. In der Chemischen Industrie wurde hingegen ein Branchenfonds geschaffen, aus dem Zuschüsse beispielsweise für Schichtarbeiter gezahlt werden, die ihre Arbeitszeit reduzieren.

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