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23. Dezember 2023 Redaktion Sozialismus.de: Putin schätzt Wirtschaftslage positiv ein

Wahlkampf in Russland hat begonnen

In Russland ist der Wahlkampf zur Präsidentenwahl am 17. März 2024 eröffnet. An der Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Wladimir Putin gibt es keine berechtigten Zweifel. Dieser erklärte auf der Propaganda-Show »Der direkte Draht« am 14. Dezember: Erst wenn die Ziele der »Sondermilitäroperation« in der Ukraine erreicht seien, werde es Frieden geben.

Ausdrücklich erklärte Putin, dass aktuell keine zweite Mobilisierung notwendig sei, die Ziele blieben jedoch unverändert: »Entnazifizierung, die Entmilitarisierung der Ukraine und ihr neutraler Status.« Von den massiven Sanktionen des Westens gegen die russische Wirtschaft zeigte sich Putin wenig beeindruckt: Wie schon jüngst dem auf Investitionsforum der Außenhandelsbank in Moskau, hob er als wichtigsten Wachstumsindikator das Russlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) hervor.

Das sei bis zum Jahresende voraussichtlich um 3,5% gewachsen und zeige eine Erholung gegenüber Rückgang im letzten Jahr von 2,1%. Bestätigt sich das zum Jahresende, »bedeutet das, dass wir den Rückgang überwunden und einen ziemlich großen Schritt nach vorne gemacht haben«. Für besonders erfreulich hält er, dass die Verarbeitende Industrie im Jahresvergleich um 7,5% wächst. Insgesamt sei die Industrieproduktion um 3,6% gewachsen.

Die Lage am Arbeitsmarkt umriss Putin anhand der Arbeitslosenquote: »Erst kürzlich waren wir stolz, dass wir das historische Minimum von 3% hatten. Gestern haben meine Kollegen und ich uns auf unser heutiges Treffen vorbereitet. Für das heutige Gespräch sind es schon 2,9%. Das hat es in der Geschichte Russlands noch nie gegeben. Dies ist ein sehr guter integrierter Indikator für die Wirtschaftslage.« Dass sich hier Abwanderung und Mobilisierung für die Front auswirken, gehört für Putin nicht zu den integrierten Indikatoren der russischen Wirtschaftslage.


Sanktionen nur begrenzt wirksam

In der Fragestunde wurde das Schlüsselproblem auf den Punkt gebracht: »Viele Menschen auf der Welt sind überrascht, dass die russische Wirtschaft nicht unter dem Druck unserer sogenannten ehemaligen Partner zusammengebrochen ist.« Putin sprach von ausreichend Spielräumen der Wirtschaft, die dafür gesorgt hätten, sich nicht nur sicher zu fühlen, sondern voranzukommen. Das habe die Länder mit ihren stets als hart titulierten Sanktionen vermutlich tatsächlich überrascht.

Russland ist momentan das am meisten sanktionierte Land der Welt. Laut der europäischen Statistikbehörde Statista kommt es auf 14.081 Sanktionsmaßnahmen gegen Individuen und Institutionen (auf dem zweiten Platz ist der Iran mit 4.191). Bereits recht früh nach Inkrafttreten der Sanktionen postulierten Expert*innen im Westen den baldigen Untergang der russischen Wirtschaft.

Und unverdrossen behauptet das US-Finanzministerium, das die laufenden Sanktionen Wirkung zeigen. Der Rubel sei schwächer und immer mehr Menschen verließen das Land, hieß es. Der stellvertretende US-Finanzminister, Wally Adeyemo, argumentiert: »Russlands Wirtschaft ist kleiner. Russland hat heute weniger Menschen, und seine Wirtschaft ist weniger flexibel. Das heutige Russland ist eine Kriegswirtschaft. Das Land versucht, so viele Waffen wie möglich zu produzieren. Sie produzieren daher nicht mehr Dinge, die ihre Wirtschaft langfristig stärken würden. Und sie geben die Reserven aus, die sie über Jahre hinweg aufgebaut haben, um Dinge wie den Bau von Panzern zu ermöglichen. Während unsere Wirtschaft, das müssen wir zugeben, unter Russlands Krieg gegen die Ukraine gelitten hat. Unsere Volkswirtschaften sind aber viel stärker als die Russlands. Und dank unseres Bündnisses können wir in die Zukunft investieren, um sicherzustellen, dass unser Volk Chancen hat, die die meisten Russen aufgrund von Wladimir Putins Aktionen nie haben werden.«

Ein Faktor für die Überlebensfähigkeit der russischen Wirtschaft bestehe darin, sicherzustellen, dass die Sanktionen umgangen werden: »Die Umgehung von Sanktionen ist eine Herausforderung. Wir wissen, dass unsere Sanktionen funktionieren, weil der Kreml seine Geheimdienste angewiesen hat, Wege zu finden, um sie zu umgehen. Wir haben jedoch in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Union einen Weg gefunden, wie wir mit Hilfe unserer Sanktionen und Exportkontrollen gegen diese Umgehung vorgehen können. Wir haben auch gemeinsame Missionen zwischen den USA, der EU und Großbritannien durchgeführt und sind in die Länder gereist, in denen wir Umgehungen festgestellt haben. Wir machen ihnen sehr deutlich, dass sie die Wahl haben: Entweder sie machen weiterhin Geschäfte mit Russland, einer im globalen Maßstab kleinen und immer kleiner werdenden Volkswirtschaft, oder sie können mit uns Geschäfte machen.« Überzeugen kann dies alles jedoch nicht.

Die Botschaft von Putin an die russischen Bürger*innen lautete: »Wir kümmern uns um die Belange der Menschen.« Die Löhne steigen. Keine weitere Mobilisierung steht an. Infrastrukturprogramme und Wirtschaftsentwicklung in der arktischen Region, selbst im Großraum Workuta, sind geplant. Die Konsolidierung der russischen Gesellschaft, der Finanzlage und der Wirtschaft sieht er als Garant dafür, um im Wettstreit der Systeme zu bestehen.

Inwieweit steigende Preise für Eier und Hühnerfleisch ein Indiz für Versorgungsengpässe sein können, wirkt zunächst einmal wie Kleinkram. Für Putin ist es indes eine Entschuldigung wert: »Ich bedaure und entschuldige mich in dieser Hinsicht, aber das ist ein Versagen in der Arbeit der Regierung.« Der Import werde nicht breiter offengelegt. Offenbar haben einige damit gerechnet, dadurch mehr zu verdienen. »Ich verspreche, dass die Situation in naher Zukunft korrigiert wird.«

Die von den Sanktionen betroffene russische Wirtschaft hat sich fast 22 Monate nach dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine als ungewöhnlich widerstandsfähig erwiesen.  Tatsächlich droht ihr stattdessen die Gefahr, zu überhitzen, warnte Elvira Nabiullina, die Gouverneurin der russischen Zentralbank. Sie begründete mit dieser Einschätzung die Erhöhung des Leitzinses auf 16%.


Wirtschaftswachstum befeuert die Inflation

»Die Wirtschaft expandiert so schnell, weil sie fast alle verfügbaren Ressourcen nutzt«, sagte Nabiullina und fügte hinzu: »Eine hartnäckig hohe Inflation ist ein Beweis dafür, dass die Wirtschaft von ihrem Potenzial abgewichen ist und es ihr an Kapazitäten fehlt, um die steigende Nachfrage zu befriedigen«. Westlichen Berichten zufolge ist ein Großteil des eingangs genannte Wachstums des BIP auf die massiven Militär- und Staatsausgaben zurückzuführen.

Russlands Wirtschaftswachstum hat die Inflation angekurbelt, die im November 7,48% erreichte – gegenüber 6,69% im Oktober, wie aus den offiziellen Statistiken hervorgeht. Die russische Zentralbank versucht daher, die Wirtschaft abzukühlen, indem sie die Inflation durch höhere Zinssätze eindämmt, um die Nachfrage zu dämpfen und die Preise zu senken. Das mittelfristige Inflationsziel des Landes liegt bei 4%. Die Notenbank hat den Leitzins vor der Jahreswende nochmals erhöht: »Der aktuelle Inflationsdruck bleibt hoch«, daher habe sie den geldpolitischen Schlüsselsatz um einen vollen Prozentpunkt auf 16,0% angehoben. Von Reuters befragte Expert*innen hatten mit der fünften Erhöhung in Serie gerechnet.

Denn die Preissteigerungsrate weist eben nicht vergleichbare rosige Zahlen auf. Auch die Ankündigung der Regierung, die Wehrausgaben 2024 um 70% zu steigern, könnte zu einem weiteren Preisanstieg beitragen. Bis zum Jahresende werde die Rate 7%, vielleicht etwas mehr in Richtung 8% erreichen. Aber die Zentralbank und die Regierung würden die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Putin geht davon aus, dass eine Rückkehr zu Zielkennzahlen noch möglich ist.

Die Reallöhne sollen um etwa 8% steigen. Putin hebt auf die Erhöhung der Kaufkraft ab: »Das ist minus Inflation. Ich verstehe, dass dies nicht jedem passieren wird, aber im landesweiten Durchschnitt sind diese Statistiken korrekt«, erläuterte Putin. »Und auch die real verfügbaren Einkommen der Bevölkerung wachsen. Hier gibt es mehr Komponenten, etwa 5%.« Außerdem soll der Mindestlohn ab Januar 2024 um 18% steigen. Als positiven Faktor führt Putin auch die Erhöhung der Lebenserwartung in Russland von 70 Jahren im Jahr 2021 auf 74 Jahre in diesem Jahr 2023 an. All das spiegle die Bemühungen des Staates sowohl im wirtschaftlichen als auch im sozialpolitischen Bereich wider.

Branchen wie Produktion, Bau- und Landwirtschaft leiden unter Arbeitskräftemangel – eine Auswirkung der Mobilisierung Hunderttausender Reservist*innen. Zudem sind viele Fachkräfte ins Ausland gegangen, sich der Einberufung in die Armee zu entziehen. Durch diesen Mangel sind die Unternehmen gezwungen, höhere Löhne anzubieten.

Insgesamt kann die russische Wirtschaft 2023 auf eine positive Entwicklung (Wachstum des BIP um 3,5%, der Industrieproduktion um 3,6%, des Verarbeitenden Gewerbes um 7,5% und der Anlageinvestitionen auf ca. 10%) zurückblicken. Die Aufwärtstendenz spiegelt sich auch in den Prognosen der deutschen Wirtschaftsinstitute, und das Wachstum fällt stärker aus als das der kapitalistischen Hauptländer.

Fakt ist allerdings auch: Die niedrige Arbeitslosenquote von 2,9% kann schwerlich ein Grund für nationalen Stolz sein. Ganz im Gegenteil: Sie zeigt den akuten Mangel an Arbeitskräften. Und das Wachstum im Verarbeitenden Gewerbe ist durch die »kolossalen Spritzen« aus dem Staatshaushalt in den militärisch-industriellen Komplex verursacht worden. Andere Wirtschaftsbereiche profitieren davon wenig.

Kurz vor Jahresschluss ist unter westlichen Beobachter*innen immer noch umstritten, wie stark die russische Wirtschaft mit Blick auf das nächste Jahr wächst. Nur in einem Punkt sind sich viele einig: Das Wachstum dürfte schwächer ausfallen, als von der russischen Regierung prognostiziert. Allerdings wurden die westlichen Beobachter*innen schon bisher im Verlauf der »militärischen Spezialoperation« mehrfach gezwungen, ihre Einschätzungen zu korrigieren.

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