25. Mai 2022 Otto König/Richard Detje: Konjunkturprogramm für die Rüstungsindustrie
»War starts here«
Unter dem Motto »War starts here« (»Krieg beginnt hier«) fand am 10. Mai ein bundesweiter Aktionstag vor dem am Hauptsitz des Rheinmetall-Konzerns in Düsseldorf statt. Die Demonstranten vom »Bündnis Rheinmetall entwaffnen« nutzten die Hauptversammlung der Aktionäre des Unternehmens, um den Produzenten von Panzern, Artilleriegeschützen und Munition als Kriegstreiber anzuprangern, der zu den größten Profiteuren des Ukraine-Kriegs zählt.
Die russische Invasion hat der Rüstungsindustrie insgesamt einen unverhofften Sympathieschub beschert. Galten Rüstungsunternehmen noch in der jüngsten Vergangenheit als »Schmuddelkinder« der Industrie, dürfen sich die Waffenschmieden seit dem 24. Februar wieder als unverzichtbar, ja systemrelevant betrachten. Die »Zeitenwende« führe dazu, dass »Sicherheit nun einen normalen Stellenwert in Deutschland bekommt«, so der neue Vorstandschef von Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS), Oliver Burkhard.
Politik werde »von manchen Leuten eben nicht nur mit Diplomatie gemacht, sondern auch mit Waffen«. Der ehemalige nordrhein-westfälische Bezirksleiter der IG Metall hält es deshalb »für notwendig, sich entsprechend dagegen zu rüsten«. »Ich habe daher kein moralisches Problem, dieses Unternehmen zu führen«, sagte der Noch-Arbeitsdirektor des Thyssen- Krupp-Konzerns im Interview mit der Welt am Sonntag (15.5.2022).
In das gleiche Horn bläst der Ex-Bundesentwicklungsminister und heutige Rüstungslobbyist des Rheinmetall-Konzerns, Dirk Niebel:[1] »Die sicherheitstechnische Industrie hier im Land hat die Aufgabe, Deutschland zu schützen und dafür zu sorgen, dass unsere Sicherheitskräfte die bestmögliche Ausstattung haben, damit sie aus jedem Einsatz gesund nach Hause kommen.« In den vergangenen Jahren hat die Bundeswehr unsere »Freiheit und Sicherheit am Hindukusch« verteidigt, nun zieht die »heldenhafte« ukrainische Armee stellvertretend für die »freie Welt« in die Schlacht.
Rund 100 Rüstungsunternehmen haben sich im Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie organisiert. Sie tragen direkt und indirekt mit 28,4 Mrd. Euro zur Bruttowertschöpfung in Deutschland bei und zählen direkt und indirekt rund 410.000 Arbeitsplätze. Natürlich sind diese Konzerne knallhart kalkulierende Wirtschaftsunternehmen, bei denen es um ganz profane Dinge geht wie Stückzahlen, Profit, Umsatz und Absatzmärkte. Das Geld wird jedoch mit Produkten verdient, die den Tod bringen. Schon deshalb sind Rüstungskonzerne nicht nur reine Wirtschaftsunternehmen und werden es auch nie sein.
Der militärisch-industrielle Komplex verfügt über »sehr enge und privilegierte Zugänge ins Parlament«, kritisiert der Sprecher des Vereins LobbyControl e.V., Timo Lange. So ist beispielsweise die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Mitglied im Präsidium der »Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik«[2] sowie beim »Förderkreis Deutsches Heer«. Diesem Kreis gehören sowohl Einzelpersonen als auch Unternehmen als Mitglieder an – darunter auch die Waffenschmiede Rheinmetall, die in ihrem Düsseldorfer Wahlkreis liegt. Strack-Zimmermann gehörte gemeinsam mit Anton Hofreiter (Die Grünen) zu den treibenden Kräften, als es um die Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland an die Ukraine ging.[3]
Das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigte Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Mrd. Euro und sein Versprechen, jährlich mindestens 2% des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben, löste eine Hochkonjunktur für Panzer und andere Rüstungsgüter aus. Dass der Krieg ein großes Geschäft ist, lässt sich am Kurs der Rheinmetall-Aktie ablesen: Sie kletterte im M-Dax auf immer neue Rekordhöhen.
Seit Jahresbeginn beträgt das Plus circa 165%. Auch die Papiere der Hensoldt AG sind nach oben geschnellt, auf nunmehr über 25 Euro – was quasi eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahresniveau ist. Investoren, die noch vor wenigen Wochen darüber stritten, ob man Rüstung in Zeiten ökologisch-ethischer Geldanlagestandards überhaupt noch finanzieren darf, greifen nun hemmungslos wieder zu.
Keine 24 Stunden nach Scholzְ’ Zeitenwende-Rede legte Rheinmetall-Boss Armin Papperger eine Liste von Rüstungsgütern vor, darunter Panzer, Militärlastwagen, Flugabwehrtürme und Munition – Gesamtwert 42 Mrd. Euro –, die sein Konzern kurzfristig ausliefern könne. Rheinmetall hatte schon 2021 mit knapp 600 Mio. Euro das höchste operative Konzernergebnis der jüngeren Unternehmensgeschichte erzielt. 2022 soll der Jahresumsatz um 15 bis 20% wachsen – die Rendite soll auf über 11% steigen.
Der Auftragsbestand hat einen Wert von 24,5 Mrd. Euro. Insgesamt stammten in den ersten drei Monaten 2022 fast zwei Drittel des Konzernumsatzes von 1,26 Mrd. Euro aus dem Rüstungsgeschäft. Der Konzernvorstand erwartet, dass sich das Geschäft mit der Bundeswehr künftig auf mindestens vier Mrd. Euro pro Jahr verdoppelt.
Inzwischen haben alle Waffenhersteller lange Listen lieferfähiger Waffen und Ausrüstungen beim Verteidigungsministerium eingereicht. Die Konzerne geben sich im Bendlerblock in Berlin gegenseitig die Klinke in die Hand. Wie weitsichtig war doch der Hersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW), als er die vor zehn Jahren ausgemusterten »Gepard«-Panzer von der Bundeswehr zurücknahm und nicht verschrottete, sondern auf »bessere Zeiten« hoffte, um sie doch noch an den Mann zu bringen – sprich: auf Kosten der Steuerzahler*innen in die Ukraine liefern zu können.
Aber auch ausländische Rüstungskonzerne kreisen »wie die Hyänen« um die deutschen Rüstungsmilliarden. Einzelne Großaufträge wie im Fall von Kampfjets, Transporthubschraubern oder Luftabwehrsystemen haben sie bereits so gut wie in der Tasche. Die Serie der Erfolgsmeldungen aus der US-Rüstungsindustrie reißt nicht ab. Der Konzern Lockheed Martin aus Bethesda (Maryland) eilt von Geschäftserfolg zu Geschäftserfolg und konnte jüngst erneut einen Anstieg seines Umsatzes von 15,7 Mrd. US-Dollar (knapp 13,1 Mrd. Euro) im ersten Quartal 2020 auf 16,3 Mrd. US-Dollar im ersten Vierteljahr 2021 bekanntgeben.
Auch der Quartalsprofit stieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum, von 1,7 auf rund 1,8 Mrd. US-Dollar. Einer der bekanntesten Lockheed Martin-Kassenschlager ist der F-35, ein Tarnkappen-Kampfjet der fünften Generation, den nicht nur die US-Streitkräfte, sondern auch NATO-Mitglieder von Großbritannien über Polen bis Italien sowie weitere US-Verbündete bestellt haben. Zuletzt gab die Biden-Administration für die Lieferung von 50 Stück F-35 an die Vereinigten Arabischen Emirate grünes Licht.
Welche Bedeutung das Geschäft mit dem Krieg erreichen kann, belegt Boeing: Während die Produktion ziviler Flugzeuge tief in der Krise steckt, kann sich das Unternehmen auf Aufträge der Militärs verlassen. So darf es das altbewährte »Patriot«-System für fast eine Milliarde US-Dollar modernisieren. Einige Milliarden steuert auch Deutschland bei: Die Bundeswehr bestellt 45 F-18-Kampfflugzeuge von Boeing, unter anderem für den Einsatz der im rheinland-pfälzischen Büchel gelagerten US-Atombomben (»Nukleare Teilhabe«).
General Dynamics ist laut Berechnung des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI der fünftgrößte Waffenhersteller der Welt. Die Aufträge, die er fest in seinen Büchern hat, belaufen sich aktuell auf den Rekordwert von 89,6 Mrd. US-Dollar (74,1 Mrd. Euro). Die Marinesparte etwa soll für rund 1,9 Mrd. US-Dollar ein neues nukleargetriebenes U-Boot der Virginia-Klasse bauen. Die Sparte Combat Systems wird für fast 200 Mio. US-Dollar »M1 Abrams«, die Hauptkampfpanzer der U.S. Army und der U.S. Marines, modernisieren.
Je länger der Krieg in der Ukraine anhält, umso unwahrscheinlicher wird sein baldiges Ende. Umso dringlicher wird jetzt die diplomatische Einflussnahme von außen. Es bedarf warnender und vernünftiger Gegenstimmen wie die von Papst Franziskus, der jüngst problematisierte, dass privatwirtschaftlich an Kriegen verdient wird, und daran erinnerte, dass Arbeiter*innen in aller Welt den Krieg stoppen könnten.
»Die Produktion und der Verkauf von Rüstungsgütern sind eine Schande, aber nur wenige sind mutig genug, sich dagegen zu wehren«, sagte er dem Corriere della Sera. In dem Interview lobte er die Weigerung italienischer Hafenarbeiter, im Frühjahr 2019 Waffen für Saudi-Arabien zum Einsatz im Jemen-Krieg zu verladen. Den Arbeiter*innen war zur Kenntnis gelangt, dass im Jemen Bomben aus der Fabrik einer Tochterfirma des deutschen Rheinmetall-Konzerns auf Sardinien gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wurden. Das sollte ein Beispiel für aktive Friedenspolitik sein.
Anmerkungen
[1] Dirk Niebel (FDP) war von 2009 bis 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Der Hauptmann der Reserve wirft dem Bundeskanzleramt ein Verschleppen der Entscheidung über die Lieferung von bis zu 100 Marder-Schützenpanzern an die Ukraine vor. »Wir hoffen, dass das jetzt endlich entschieden wird«, sagte Niebel in einem Interview mit dem »Tagesspiegel« mit Blick auf den von Kanzler Olaf Scholz geführten Bundessicherheitsrat.
[2] Die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik sieht sich als »neutrale Dialog- und Informationsplattform im Spannungsfeld von Bundeswehr, Forschung, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft«, deren Ziel es ist, »einen Beitrag zur bestmöglichen Ausrüstung der Bundeswehr zu leisten«.
[3] Laut Umfrage des ARD-Deutschlandtrends vom 29. April sind 45% der Menschen in Deutschland für die Lieferung schwerer Waffen, 45% dagegen und die übrigen 10% sind unentschlossen.