Ulrich Duchrow
Gerechtigkeit, Frieden, (Über)Leben
Erfahrungen, Kämpfe und Visionen in der weltweiten Ökumene
240 Seiten | € 19.80
ISBN 978-3-96488-240-0

Felix Krebs/Florian Schubert
Hamburgs »Baseball­schlägerjahre«
Rechte und rassistische Gewalt in den 1980er-Jahren: gesellschaftliche Bedingungen und staatliche Reaktionen
168 Seiten | € 14.80
ISBN 978-3-96488-199-1

Jürgen Kowalewski
Ein HSV-Star in Widerstand und KZ
Das zu kurze Leben von »Assi« Halvorsen
184 Seiten | € 19.80
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Ingar Solty
Trumps Triumph?
Gespaltene Staaten von Amerika, autoritärer Staatsumbau, neue Blockkonfrontation
Eine Flugschrift
120 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-238-7

Rudolf Hickel
Schuldenbremse
oder »goldene Regel«?

Verantwortungsvolle Finanzpolitik für die sozial-ökologische Zeitenwende | Eine Flugschrift
96 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-226-4

Heiner Karuscheit
Der deutsche Rassenstaat
Volksgemeinschaft & Siedlungskrieg:
NS-Deutschland 1933–1945
160 Seiten | € 14.80
ISBN 978-3-96488-237-0

10. April 2025 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Der nächtse Bundeskanzler wird Friedrich Merz heißen

Was bringt der schwarz-rote Koalitionsvertrag?

Die Unionsparteien und die SPD haben auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit CDU-Chef Friedrich Merz, den SPD-Chefs Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen vorgestellt.

Jetzt müssen die Parteien noch zustimmen. Bei der CSU entscheidet am Donnerstag der Vorstand. Die CDU stimmt auf einem kleinen Parteitag am 28. April ab. Spannend wird es bei der SPD: Dort gibt es eine Abstimmung unter allen 358.000 Mitgliedern – vom 15. bis zum 29. April.


1.

Der CDU-Vorsitzende Merz hat den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD als »Aufbruchssignal« für Deutschland bezeichnet. »Vor uns liegt ein starker Plan, mit dem wir unser Land gemeinsam wieder nach vorne bringen können.« Diese Einschätzung dürfte nicht von einer Mehrheit der Parteimitglieder und der Wähler*innen (nicht nur von) der Union geteilt werden. Im Wahlkampf war von den Unionsparteien eine Wirtschaftswende gefordert und ein epochaler Wandel versprochen worden.

Doch von diesem Geist ist im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot wenig zu spüren. Der Aufbruch, den sich die konservativen Wähler*innen erhofft hatten, bleibt aus. Die konservative Wende in der deutschen Politik ist vertagt. Im Bundestagswahlkampf versprach Merz zudem, links-grüne Herzensprojekte rückgängig zu machen. Doch im Koalitionsvertrag gibt es in Sachen Gesellschaftspolitik weiterhin den im Rheinischen Kapitalismus üblichen Kompromiss.


2.

Deutschland brauche eine »Wirtschaftswende«, um die lahmende Volkswirtschaft wieder wettbewerbsfähiger zu machen, war der weithin zu hörende Sound. Mit dem von den USA eröffneten Handelskrieg ist dies umso dringlicher geworden. Im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit ist, dass sich die Union mit ihrem Widerstand gegen Steuererhöhungen durchgesetzt hat. Zudem sind einige Entlastungen für Unternehmen vorgesehen: Zur Förderung von Investitionen sollen in den Jahren 2025 bis 2027 Sonderabschreibungen auf Ausrüstungsinvestitionen eingeführt werden. Danach soll ab 2028 die Körperschaftssteuer auf Unternehmensgewinne in fünf Schritten von 15% auf 10% gesenkt werden.

Einschließlich der auf kommunaler Ebene anfallenden Gewerbesteuer sänke die Gesamtbelastung damit auf rund 25%. Für Lohnabhängige soll es steuerfreie Überstundenzuschläge und nicht näher definierte Entlastungen bei der Einkommenssteuer für kleine und mittlere Einkommen geben. Allerdings stehen alle Maßnahmen noch unter Finanzierungsvorbehalt. Als Konzession an die SPD (als Gegenleistung für den Verzicht auf Steuererhöhungen) soll der Solidaritätszuschlag (»Soli«) bleiben, ein Steuerzuschlag, den seit 2021 nur noch Unternehmen, Besserverdienende und Kapitalanleger bezahlen müssen.

Die pauschale Senkung der Strompreise ist mit über 10 Mrd. Euro unnötig teuer und ineffizient. Sie begünstigt Unternehmen, die es nicht nötig haben. Zudem wird so das Ziel des vermehrten Stromsparens konterkariert. Statt einer pauschalen Entlastung mit der Gießkanne wäre eine bedarfsgerechte Entlastung der stromintensiven Industrie angesagt.

Die SPD bucht als Erfolg: Wir investieren wie nie zuvor in Schienen, Straßen, Brücken und die digitale Infrastruktur. Die Schuldenbremse wird grundsätzlich für mehr Investitionen reformiert. Deutschland braucht kräftiges und dauerhaftes Wirtschaftswachstum, das bei den Menschen ankommt und die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft weiter vorantreibt. Dies ist die zentrale Herausforderung für die künftige Wirtschaftspolitik.

Und: Der Dreiklang aus Wohlstand, Klimaschutz und Gerechtigkeit könnte mit einem großvolumigen Investitionspaket in Kombination mit Maßnahmen zur Stärkung der Löhne geschaffen werden – ein Fair New Deal für Deutschland. Dieser Weg aus der Dauerkrise wurde wiederum ausgeschlagen.

Stattdessen wird auf größere Arbeitsamkeit der Lohnabhängigen gesetzt. So sollen Überstunden sollen mit steuerlichen Anreizen gefördert werden. Deshalb steht im Koalitionsvertrag: »Wer freiwillig mehr arbeiten will, soll mehr Netto vom Brutto haben.« Das soll für Überstunden gelten, die über die normale Vollzeitarbeit hinausgehen – also über das, was im Tarifvertrag steht oder sich an Tarifverträgen orientiert. Die Maßnahme soll gegen den Fachkräftemangel helfen, ebenso wie diese Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag: »Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, wird sein Gehalt bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei erhalten.«


3.

Positiv zu vermerken ist, die Abwehr von jedweden Überlegungen zur einer Lastenverschiebung bei den Lohnabhängigen. Der Mindestlohn wird bis 2026 auf 15 Euro steigen. Das Tariftreuegesetz bei öffentlichen Aufträgen wird für höhere Löhne sorgen. Das Rentenniveau wird über die Legislaturperiode hinaus bei 48% stabilisiert, damit die Rente sicher bleibt.

»Wir stärken die Mitbestimmung im digitalen Zeitalter und machen die Mitgliedschaften in Gewerkschaften attraktiver. Wir halten am Rechtsanspruch auf Ganztag fest. Mehr Kinder in Kitas und Schulen sollen ein kostenloses Mittagessen bekommen. Wir weiten den sozialen Wohnungsbau deutlich aus, damit es mehr bezahlbare Wohnungen gibt. Die Mietpreisbremse wird fortgesetzt und verschärft.« Letzteres Versprechen wurde allerdings schon von der verflossenen Ampelregierung bei weitem nicht eingelöst.


4.

Bei den Schlüsselproblemen Fachkräftemangel und Migration bleiben die angestrebten Maßnahmen völlig unzureichend. Die Beseitigung der Hindernisse bei der frühen Integration der Migrant*innen in das Beschäftigungssystem unterbleibt. Stattdessen ein weiteres Versprechen: »Investitionen in gelingende Fachkräfteeinwanderung und Integration werden deutlich erhöht. Eine Staatsbürgerschaft zweiter Klasse wird es nicht geben.«

Die Kontrollen an den deutschen Grenzen werden verlängert, der Familiennachzug zwei Jahre ausgesetzt. Die Koalition setzt sich für die europäischen Asylreform ein und will die Regeln konsequent durchsetzen. Bei der Regelung der Migration überwiegt der Gedanke der Abgrenzung und Abschiebung. So wurde vereinbart, in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vorzunehmen. Das Asylrecht soll aber erhalten bleiben. Die von der Ampel-Regierung beschleunigte Einbürgerung nach drei Jahren für besonders gut integrierte Zuwanderer wird wieder abgeschafft. »Die Anreize, in die Sozialsysteme einzuwandern«, sollen deutlich reduziert werden.

Die Koalition will die Migration ordnen und steuern und die »irreguläre Migration« wirksam zurückdrängen. »Deshalb werden wir unter anderem das Ziel der ›Begrenzung‹ der Migration zusätzlich zur ›Steuerung‹ wieder ausdrücklich in das Aufenthaltsgesetz aufnehmen.«

In »Grundsicherung für Arbeitssuchende« umbenannt und »reformiert« (im Klartext verschlechtert) wird das Bürgergeld (Sozialhilfe). Eine Reihe von Maßnahmen, darunter ein stärkerer Druck bei der Vermittlung in Arbeit, schärfere Sanktionen und eine bessere Abstimmung mit anderen Sozialleistungen, soll mehr Bezieher*innen in den Arbeitsmarkt integrieren.


5.

Im schwarz-roten Koalitionsvertrag ist ein Aufbruchssignal nicht zu erkennen. Er zeigt, dass Union und SPD die Dringlichkeit der aktuellen Krisenlage noch nicht erkannt haben und bleibt in vielen Bereichen ambitionslos. Die Krisen und Bedrohungen für Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand in Deutschland könnten in den kommenden Jahren zunehmen. Ob Union und SPD dann schnell und pragmatisch genug reagieren werden, um Kurskorrekturen vorzunehmen, darf bezweifelt werden. Und ob nun weitere vier Jahre ohne zerstrittene Bundesregierung und politische Lähmung vor uns stehen, was angesichts der Problemlagen dringend geboten wäre, wird abzuwarten sein.

Friedrich Merz ist mit der Absicht der Politikwende in die Koalitionsverhandlungen gegangen. »Links ist vorbei«, lautete das Wahlkampfversprechen des Vorsitzenden der Christdemokraten. Die »ideologiegefärbten Projekte« der Vorgängerregierung aus SPD, Grünen und FDP sollten rückgängig gemacht werden. Die konservative Wende in der deutschen Politik aber unterbleibt. Die Sozialdemokraten haben sich bei etlichen gesellschaftspolitischen Themen durchgesetzt.

Die Kritikformel vom »Geld wie Heu, aber Ideen wie Stroh« ist verkürzt. Nach der Einigung von Schwarz-Rot auf ein künftiges Regierungsprogramm übt die Opposition teilweise ätzende Kritik, während sich die Wirtschaft zurückhaltend gibt. Die Bitte, jetzt nicht gleich alles wieder schlechtzureden, wurde zurückgewiesen. Selbst aus den eigenen Reihen der möglichen künftigen Koalitionspartner kommt Skepsis bis Ablehnung.

Auch die Grünen reagierten enttäuscht. Sie monieren das Fehlen konkreter Konzepte für zentrale Zukunftsfragen wie den Klimaschutz, internationale Krisen oder den Reformbedarf in der Renten- und Gesundheitspolitik. Die Linke äußerte insbesondere Zweifel an der sozialpolitischen Ausrichtung des Vertrages. Die Partei vermisst zu Recht Ansätze zur Dämpfung von Wohn- und Verbraucherpreisen sowie Maßnahmen zur Stärkung des sozialen Ausgleichs, d.h. auch eine Steuerreform mit entsprechenden Erhöhungen bei der Reichensteuer und der Wiedererhebung der Erbschaftssteuer.

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