27. September 2023 Redaktion Sozialismus.de: US-Haushaltsstreit prägt Vorwahlkampf
Weltmacht in Nöten
Sollten sich Demokraten und Republikaner nicht zügig einigen, droht erneut, dass in den USA Teile der öffentlichen Verwaltung und die US-Regierungsgeschäfte stillgelegt werden. Stehen wir vor einem »Bürgerkrieg« im Parlament?
Der führende Demokrat im US-Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, hat den Republikanern vorgeworfen, das Land durch einen »Bürgerkrieg« in der Fraktion der Republikaner lahm zu legen: »Es ist ein Bürgerkrieg, der die Fähigkeit des Kongresses beeinträchtigt, die Angelegenheiten des amerikanischen Volkes zu regeln und Probleme im Namen der einfachen Amerikaner zu lösen. […] Die Republikaner im Repräsentantenhaus werden weiterhin von den extremsten Elementen ihrer Fraktion als Geisel genommen, und das schadet dem amerikanischen Volk.« Die Lage sei ernst. In wenigen Tagen drohe durch die parteiinternen Kämpfe um den Haushalt eine erzwungene Stilllegung der Regierungsgeschäfte.
Wenn sich der Kongress nicht bis Samstagnacht 23:59 Uhr (Ortszeit) auf einen Kompromiss im Haushaltsstreit einigen kann, kommt es zum sogenannten Government Shutdown. Das Weiße Haus hat Bundesbehörden bereits angewiesen, sich auf eine mögliche Haushaltssperre vorzubereiten. Der Senat hat dem Repräsentantenhaus einen Kompromiss für einen kurzfristigen Übergangshaushalt vorgeschlagen. Im Repräsentantenhaus blockieren Teile der Republikaner bislang die Einigung.
Die Laufzeit des Ende 2022 vom US-Kongress beschlossenen Haushalts endet mit Ablauf dieses Monats. Bis Ende September muss also ein neuer Bundeshaushalt beschlossen werden, um die Zahlungsunfähigkeit der Regierung abzuwenden. Dies wird jedoch durch parteiinterne Kämpfe bei den Republikanern erschwert, die derzeit die Mehrheit im Repräsentantenhaus stellen.
Im Falle eines »Shutdowns« gäbe es kein frisches Geld mehr für die Regierung des demokratischen US-Präsidenten Joe Biden, dessen Partei sich regelmäßig erbitterte Auseinandersetzungen mit den Republikanern um Haushaltsfragen liefert. Dann müssten Staatsbedienstete zum Teil zwangsbeurlaubt werden oder vorübergehend ohne Bezahlung arbeiten. Es könnten auch soziale Leistungen, etwa für einkommensschwache Familien oder ehemalige Militärmitarbeiter*innen, vorübergehend ausgesetzt werden.
Jeffries mahnte, ein »Shutdown« würde Senior*innen, Kindern, Familien, Veteranen, dem öffentlichen Bildungswesen und der öffentlichen Sicherheit schaden. Beeinträchtigt würden auch die militärische Bereitschaft des Landes und die Moral der Bundesbediensteten. Besonders verfahren ist die Situation, weil die Republikaner nur eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus haben, und die Fraktion politisch von einer rechten Gruppierung erpresst wird. Der Vorsitzende der Parlamentskammer, der Republikaner Kevin McCarthy, wurde im Januar erst im 15. Wahlgang ins Amt gewählt und steht unter großem Druck der radikalen Rechten. Diese Vertreter in seiner Fraktion stellen sich bei den Haushaltsgesprächen quer.
Die US-Regierung wird durch zwölf Ausgabengesetze finanziert, die jedes Jahr durch den Kongress verabschiedet und vom Präsidenten unterschrieben werden müssen. Gelingt es den Mitgliedern des Repräsentantenhauses bis Ende September nicht, sich auf ein Haushaltspaket zu einigen oder zumindest ein Übergangsbudget zu verabschieden, fehlt der Regierung das Geld, um ihre laufenden Ausgaben zu bedienen. Die Ex-Präsident Donald Trump nahestehenden rechten Hardliner in McCarthys Fraktion lehnen eine Übergangsregelung ab. Sie wollen McCarthy nun dazu zwingen, deutlich größere Ausgabenkürzungen durchzusetzen, als im Juni ausgehandelt worden waren.
Das Weiße Haus will durchsetzen, dass das Haushaltsgesetz auch neue Hilfen für die Ukraine in Höhe von 24 Mrd. US-Dollar (rund 22,5 Mrd. Euro) enthält. Demokraten und Republikaner im Senat unterstützen das Vorhaben, im Repräsentantenhaus gibt es aber Widerstand. Insbesondere der Rechtsaußen-Flügel der Republikaner. argumentiert, das Geld solle besser in den USA investiert werden.
Verbündete von McCarthy versuchten zuletzt, den ultrarechten Flügel zu überzeugen. Doch viele der Abweichler*innen bei den Republikanern, allen voran der Anhänger von Donald Trump, Matt Gaetz, stellten sich quer. Ihre Antwort auf die Frage, ob sie sich nicht vor einem möglichen Shutdown sorgen, lautet lapidar: »Das Leben wird weitergehen.« Auch der erneut antretende Ex-Präsident befeuert den harten rechten Kern der Republikaner, nicht nachzugeben.
Politisch ist eine Minderung des Haushaltsdefizits überfällig. Die Streitfrage lautet: Kann die Sanierung der öffentlichen Finanzen überwiegend durch Kürzungen der Ausgaben erfolgen, oder muss auch die Einnahmeseite berücksichtigt werden? Im Jahr 2022 hat der Haushaltssaldo der USA geschätzt rund -1.402,76 Mrd. US-Dollar betragen. Für das Jahr 2023 wird ein Saldo von rund -1.685,68 Mrd. US-Dollar prognostiziert. Er könnte dann laut Prognosen zwischen 2023 und 2028 kontinuierlich sinken.
Abgesehen von den politischen Winkelzügen in der republikanischen Partei hätte ein Shutdown sicher deutliche soziale und wirtschaftliche Auswirkungen. Nach Angaben des Haushaltsbüros des Kongresses verursachte der Shutdown 2018–19 kurzfristige Kosten in Höhe von 11 Mrd. US-Dollar für die US-Wirtschaft, von denen schätzungsweise drei Mrd. US-Dollar nach Ende des Shutdowns nie wieder hereingeholt wurden. Ökonom*innen haben gewarnt, dass sich die Auswirkungen inzwischen durch andere unabhängige Ereignisse verstärken könnten, darunter die anhaltenden Auswirkungen des Inflationsdrucks und den Streik der United Auto Workers gegen die drei größten amerikanischen Automobilhersteller. Die Gewerkschaftsführer haben mit einer Ausweitung gedroht, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden.
Präsident Biden hat versucht, die Erpressung der republikanischen Minderheit zu nutzen, um deren Obstruktionspolitik ins Rampenlicht zu rücken. Er betont, dass den Republikanischen Abgeordneten die Schuld gegeben werden sollte, wenn es zu einem Shutdown kommt. »Damit wir uns verstehen. Wenn die Regierung schließt, bedeutet das, dass Angehörige des US-Militärs weiterhin arbeiten müssen, aber keinen Lohn erhalten […] Die Finanzierung der Regierung ist eine der grundlegendsten Aufgaben des Kongresses. Es ist an der Zeit, dass die Republikaner damit beginnen, die Aufgabe zu erfüllen, für die Amerika sie gewählt hat.« Da das Weiße Haus jedoch das Schlimmste befürchtet, hat es eine Reihe von Plänen veröffentlicht, wie Regierungsbehörden vorgehen sollten, wenn es zu einem Shutdown kommt und die Mittel ausgehen.
Die Zuspitzung macht deutlich, dass sich die USA im Vorwahlkampf befinden. Joe Biden attackiert nicht nur die undemokratische Einstellung der rechten Republikaner, er sucht sich als gewerkschaftsfreundlichster Präsident der Geschichte zu profilieren. Kürzlich hat der Präsident den streikenden Automobilarbeitern in Michigan einen Solidaritätsbesuch abgestattet. Sein Auftritt in einem General-Motors-Verteilzentrum in Belleville in der Nähe von Detroit ist außergewöhnlich: Es ist das erste Mal, dass ein amtierender Präsident in den USA einen Streikposten besucht. »Ihr habt viel mehr verdient, als was ihr kriegt«, sagte Biden den Arbeitern über ein Megafon.
Der Chef der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW), Shawn Fain, stand bei der Ansprache hinter Biden. »Tatsache ist, dass ihr von der UAW die Autoindustrie 2008 und davor gerettet habt«, sagte Biden weiter. »Ihr habt große Opfer erbracht, habt vieles aufgegeben, als die Firmen in Schwierigkeiten waren. Aber nun geht es ihnen unglaublich gut. Und wisst ihr was? Euch sollte es nun ebenfalls unglaublich gut gehen.«
In der Tat hat die Automobilbranche, nachdem sie im Gefolge der Finanzkrise massive Einbrüche erlitten hatte, in den letzten Jahren große Gewinne eingefahren. Nun fordern die Beschäftigten mit ihrem Streik einen Anteil am Kuchen – unter anderem Lohnerhöhungen von 36%, eine jährliche Anpassung der Saläre an die Lebenshaltungskosten, kürzere Wochenarbeitszeiten, Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung und Verbesserungen bei der Altersversorgung und der Gesundheitsfürsorge.
Biden sagt von sich, er sei der gewerkschaftsfreundlichste Präsident, den die USA je gehabt hätten. Die jeweiligen Besuche von Biden und Trump bei den Streikenden markieren bereits einen frühen Anfang des Wahlkampfs. Kurz nach Bidens Besuch in Belleville kommentierte Trump seinerseits vor Automobilarbeiter*innen in Detroit: »Mit Biden spielt es keine Rolle, was für einen Stundenlohn die Arbeiter kriegen, denn in drei Jahren wird es gar keine Jobs in der Autoindustrie mehr geben, weil sie nach China und in andere Länder abwandern wird.«
Nachdem die UAW 2020 Biden unterstützt hatte, gab der Gewerkschaftsführer Fain bis jetzt noch keine offizielle Empfehlung ab. Allerdings schoss er scharf gegen Trump: »Mit jeder Faser kämpfen wir gegen die Milliardärsklasse und eine Wirtschaft, die Leute wie Donald Trump auf Kosten der Arbeiter reicher macht. […] Wir müssen aufhören, Reiche zu wählen, die keine Ahnung haben, wie es ist, von Lohnzahlung zu Lohnzahlung zu leben und kämpfen zu müssen, um irgendwie durchzukommen, und dann von solchen Milliardären zu erwarten, dass sie die Probleme der Arbeiterklasse lösen.«