18. September 2023 Björn Radke: Globaler Klimastreik
»Wir haben eine Durststrecke, aber wir halten durch!«
Waldbrände am Mittelmeer und in Kanada, Überschwemmungen in Griechenland, Slowenien und China. Der Sommer dieses Jahres ist geprägt durch zahlreiche Extremwetterereignisse. Zuletzt hat das Sturmtief »Daniel« in vielen Städten im Osten Libyens extreme Überflutungen verursacht.
Durch die Überschwemmungen wurden viele Straßen in Richtung der Stadt Darna beschädigt oder zerstört. Dieses Tiefdruckgebiet überzog zuerst Südosteuropa, Griechenland, Bulgarien und die Türkei, und dann hat es sich auf dem Mittelmeer noch mal richtig intensiviert.
Die schweren Mittelmeer-Unwetter lassen sich wahrscheinlich dem Klimawandel zuordnen. Dafür sprächen »diese extremen Niederschläge in ganz, ganz kurzer Zeit«, sagte der Kieler Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif. Er betonte, welch enorme Wucht die jüngsten Unwetter im Mittelmeerraum hatten: »In der letzten Woche haben wir Niederschläge gemessen, die hat es so in Europa noch nie gegeben. Das war zum Teil ein Vielfaches dessen, was wir bei uns während der Ahrtal-Flut hatten. Da kann man vielleicht ermessen, um welche Regenmassen es geht und welche Zerstörungskraft hinter diesen Regenmassen steckt.« Aus seiner Sicht bedeutet Klimawandel heute nicht einfach nur höhere Temperaturen, sondern bedeutet vor allem extremeres Wetter, mehr Schadenspotenzial und vor allen Dingen auch eine gigantische Herausforderung für die Menschen im Sinne der Gesundheit.
Vor diesem Hintergrund hatte »Friday for Future« (FFF) für den 15. September zum »globalen Klimastreik« aufgerufen. Anders als in den Jahren vorher, als nicht nur die Pandemie eine Massenversammlung unmöglich machte, sondern sich die Mobilisierung sich hauptsächlich auf Schüler*innen bezog, den Unterricht zu bestreiken, wurde in Deutschland für eine Zeit nach Schulschluss aufgerufen.
Luisa Neubauer, eine der Sprecher*innen für FFF, sieht die Orientierung der Bewegung im Wandel: »Wir müssen begreifen: Richtig guter Klimaschutz, der gerecht und verträglich ist, der Wirtschaftlichkeit und Arbeitsplätze schafft, ist nicht länger nur ein Öko-Projekt. Das ist ein Demokratieprojekt, wo wir es schaffen, dass Menschen zurückgewonnen werden, weil sie gute, transformative Politik erleben, die die Verhältnisse für alle verbessert. Und den Menschen Sicherheit gibt, weil wir uns gut schützen vor den Krisen. Sei es die Klimakrise, sei es die Inflation, sei es die Energiekrise.«
Auf 259 angemeldeten Demos waren ca. 250.000 Menschen, 24.000 davon allein in Berlin und über 15.000 in Hamburg auf den Straßen. Auch in anderen deutschen Metropolen wie Köln, München, Frankfurt, Stuttgart und Leipzig schlossen sich insgesamt Zehntausende den Demonstrationen an. Auf Plakaten waren Slogans zu lesen wie »Tempolimit sofort!« oder »Ihr müsst handeln!« In anderen europäischen Staaten gab es ebenfalls Proteste, etwa in Stockholm, Dublin oder Wien, wo nach Angaben der Veranstalter etwa 20.000 Menschen zusammenkamen. Die sehr hohen Teilnehmer*innenzahlen früherer Jahre wurden allerdings auch hier meist nicht erreicht.
Selbst am Nordpol wurde demonstriert: Etwa 40 Klimaforscher*innen in der Arktis, unterwegs mit dem Forschungsschiff »Polarstern«, stellten sich hinter ein Banner mit der Aufschrift »We deliver the facts. It's time to act« (»Wir liefern die Fakten. Es ist Zeit, zu handeln«). In Hamburg hatten sich die Teilnehmer*innen unter dem Motto: »#EndFossilFuels« versammelt.
Hier hatten sich bekannte Künstler*innen an den Demonstrationen und Kundgebungen beteiligt. So erklärte der Sänger Herbert Grönemeyer im Interview mit dem NDR zu den Protesten von FFF: »Ich glaube, das ist ein Training für die Demokratie. In den Zeiten, in denen Populisten immer stärker werden, müssen wir alle trainieren, was Widerstand heißt. Jetzt kommt eine neue Generation, die das macht.« Man habe beim Klimaschutz die letzten 15 Jahre verschlafen. »Wir haben uns alle sehr wohl gefühlt und das war dramatisch«, so Grönemeyer.
In Berlin verweist Luisa Neubauer darauf, dass FFF in fünf Jahren zu einer Gesellschaftsbewegung geworden ist. Dann spricht sie davon, dass die Bundesregierung sich nicht an die eigenen Klimaziele hält. »Dass es uns immer noch braucht, ist ein Skandal.« Sie spricht von einem historischen Zeitfenster und appelliert dafür, nicht aufzugeben. Sie spielt auch auf die Letzte Generation an, die in den nächsten Wochen Berlin blockieren wird: »Wir müssen uns nicht einig werden, welche Protestform die beste ist, nur darüber, dass es Protest braucht.«
Die immer noch beachtlichen, aber im Vergleich zu den Vorjahren niedrigeren Teilnehmer*innenzahlen sieht Meret Busch, eine der 500 Klimaaktivist*innen, die am Sommerkongress von Fridays for Future in Lüneburg teilgenommen haben, nüchtern. »Unsere größten Demos waren in Vor-Corona-Zeiten. Bei den letzten Großdemos sind weniger Menschen gekommen. Durch die Pandemie hat sich der Fokus der Leute verändert. Wir haben gerade in unserer Gesellschaft viele Themen, die die Menschen bewegen, da ist es schwieriger, für Klimaschutz zu mobilisieren. […] Ich glaube, dass wir dafür vor allem diverser werden müssen, damit sich mehr Menschen mit unserer Bewegung identifizieren können. In der Öffentlichkeit spiegeln wir ein sehr homogenes Bild wider und viele fühlen sich davon nicht abgeholt. Das merkt man und daran müssen wir in der nächsten Zeit arbeiten.«
Nach den jüngsten Umfragen des ARD-DeutschlandTrend haben die Aktionen von »Fridays for Future« auf die Mehrheit der Deutschen geringen oder gar keinen Einfluss. Für drei Viertel der Deutschen (75%) haben die Demonstrationen und die schwedische FFF-Initiatorin Greta Thunberg wenig (35%) oder sogar gar keinen Einfluss (40%) auf ihre persönliche Einstellung zu Klima- und Umweltfragen. Nur jeder Vierte (23%) fühlt sich von der Protestbewegung stark (19 Prozent) oder sehr stark (vier Prozent) beeinflusst.
Insbesondere Anhänger*innen der AfD sind kaum beeindruckt von Fridays for Future – nur 10% gaben an, dass die Bewegung Einfluss auf ihre persönliche Einstellung in Umweltfragen habe. Bei der FDP waren es 18% und bei den Unionsparteien 22%. Auch für die Einstellungen der SPD-Anhänger*innen spielt die Bewegung keine gewichtige Rolle, für 28% hat FFF Einfluss auf ihr Klimabewusstsein. Den größten Eindruck haben die Demonstrationen bei den Anhänger*innen der Grünen hinterlassen (45%). Im Osten Deutschlands ist der empfundene Einfluss auf die eigene Haltung geringer (16%) als in Westdeutschland (25%).
Luisa Neubauer bietet eine Erklärung für diese Entwicklung an: »Tatsächlich bleibt die Anti-Klima-Ideologie, die von rechten Parteien und Klimaleugnern, von fossilen Lobbys bekanntgemacht wird, auch dort hängen, wo Menschen eins zu eins mit der Klimakrise konfrontiert sind. Menschen finden dann andere Gründe, warum sich das Wetter verändert hat. Wenn man ihnen jahrzehntelang eingebläut hat, die Klimakrise sei ausgedacht, es gibt sie nur weit weg oder in der Zukunft oder es werde schon nicht so schlimm – dann stellen wir fest, dass die Katastrophe auch in der eigenen Haustür gar nicht durchkommt.«
Auch wenn nach diesen Umfragen FFF keinen großen Einfluss auf das Klimabewusstsein der Bevölkerung hat, geht aus einer Umfrage zum Umweltbewusstsein in Deutschland des grün geführten Umweltministeriums und des Bundesumweltamtes hervor: Für mehr als die Hälfte der Befragten sind Umwelt- und Klimaschutz sehr wichtig. Einen ökologischen Wirtschaftsumbau, also eine Transformation, halten sogar 91% der Menschen für notwendig.
Doch die Erhebung offenbart auch ein damit einhergehendes Problem: So machen sich 74% der Befragten Sorgen, dass sich aufgrund der Transformation die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert. Es werden gesellschaftliche Konflikte befürchtet und negative Folgen für die soziale Gerechtigkeit. Abstiegsängste und Befürchtungen zum Wohlstand werden deutlich: 41% aller Befragten erwarten negative Konsequenzen für den Wohlstand. 39% aller Befragten und rund die Hälfte der Befragten mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen haben Angst vor einem sozialen Abstieg aufgrund des klimafreundlichen Umbaus.
Tobias Grimm von Munich Re, einem Rückversicherer, sieht über die letzten Jahre eine Häufung der Schäden und höhere Schadenzahlen. Weltweit seien im Jahr 2022 Schäden durch Naturkatastrophen in Höhe von 270 Mrd. US-Dollar verzeichnet worden. In den letzten sechs Jahren wurde weltweit dreimal die Grenze von 100 Mrd. US-Dollar im Hinblick auf versicherte Schäden überschritten. Laut der International Energy Agency bräuchte es alleine bis 2030 jährlich 1,6 Bio. US-Dollar an reinen Investitionen in erneuerbare Energien, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Momentan liegen die Investitionen bei einem Drittel dessen.
In diesem Spannungsfeld muss die Berliner Ampel-Koalition Entscheidungen treffen, die trotz aller Hindernisse nicht vom Pfad der Dekarbonisierung abweichen dürfen. Dazu bedarf es aber einer verbesserten Kommunikation und Aufklärung, denn der Widerstand gegen diesen Weg schlägt sich nicht nur in dem starken Aufwind der AFD nieder. Der Meteorologe Özden Terli weist zu Recht auf den Fakt hin: »Die planetaren Grenzen sind klar. Sie basieren auf physikalischen Gesetzen und wir müssen uns anpassen. Hätten wir das vor 30 Jahren gemacht, würde die Situation jetzt nicht so krass aussehen, die nötigen Einschnitte wären nicht so groß.«
Die Kritik der Klimaschutzbewegung FFF ist völlig berechtigt. Von Beginn an sah sich die Ampel-Koalition mit einem riesigen Aufgabenberg konfrontiert. Insbesondere muss sie die von den Merkel-Regierungen vernachlässigten Aufgaben der Infrastrukturinvestitionen in den Bereichen Digitalisierung, Klima und Verkehr bewältigen. Eine der Folgen ist nun auch die noch nicht ausreichende Reduzierung der CO2-Treibhausgase. Darum unternimmt die Regierung nun den Versuch, die CCS-Technologie, bei der das Treibhausgas CO2 in tiefe Erdschichten gepresst wird, um es aus der Atmosphäre zu verbannen, zu reaktivieren.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plant eine »Carbon-Management-Strategie«, also ein Konzept zum Umgang mit dem Treibhausgas CO2, speziell für jene Bereiche, in denen es nicht möglich ist, den Treibhausgas-Ausstoß komplett auf null zu senken. Das ist z.B. bei der Zementproduktion der Fall. An Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) würden neue Standort-Untersuchungen jedenfalls nicht scheitern. »Ich war lange klar gegen CCS«, so Goldschmidt. Aber da Deutschland beim CO2-Ausstoß »zu spät auf die Bremse getreten« sei, müsse man sich »jetzt auch mit solch unappetitlichen Technologien auseinandersetzen«. Realpolitische Klimapolitik eben.