Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-210-3

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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
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Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
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Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

3. März 2023 Joachim Bischoff/Bernhard Müller/Gerd Siebecke: Ein »langwieriger Nichtfriede« in der Ukraine?

»Zeitenwende« – die Scholz-Bilanz nach einem Jahr

Foto: dpa

Ein Jahr nach seiner Rede zur »Zeitenwende« durch den russischen Angriffskrieg hat Bundeskanzler Olaf Scholz eine Stärkung der deutschen Rüstungsindustrie angekündigt.

Bereits drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im letzten Februar hatte er im Bundestag neben der massiven Unterstützung des angegriffenen Landes eine Neuausrichtung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in Aussicht gestellt. Unter anderem versprach er zudem 100 Mrd. Euro zusätzlich für die Aufrüstung der Bundeswehr.

Ein Jahr später bilanziert er: »Wir brauchen eine laufende Produktion von wichtigen Waffen, Gerät und Munition.« Mit »langfristigen Verträgen und Anzahlungen« wolle die Regierung dafür sorgen, dass die Unternehmen ihre Kapazitäten erweiterten. Auf diese Weise solle in Deutschland eine industrielle Basis geschaffen werden, die einen Beitrag zur Sicherung von Frieden und Freiheit in Europa leiste. Faktisch heißt dies: Auch in Deutschland wird die Wirtschaft deutlich stärker auf Rüstung und den Ukraine-Krieg ausgerichtet.

Es bleibt wie bisher in Absetzung zu der christdemokratischen Opposition bei der Scholz-Doktrin: Erstens unterstützt Deutschland die Ukraine in ihrem Recht auf Verteidigung mit beträchtlichem Engagement. Zweitens erfolgt diese Militärhilfe im Verbund und in Abstimmung mit den Alliierten in Europa und vor allem den USA. Und drittens werde Deutschland dieses Engagement danach ausrichten, dass weder die Republik noch die NATO in einen Krieg hineingezogen werden.

Ein »Schlafwandeln« in einen dritten Weltkrieg werde es mit Scholz und der SPD nicht geben. Der Kanzler wendet sich an die Bevölkerung: »Ihnen versichere ich, die von mir geführte Regierung macht sich Entscheidungen über Waffenlieferungen niemals leicht.« Trotzdem sei die Unterstützung der Ukraine wichtig für eine spätere Beendigung des Krieges.

Diese Doktrin der Kriegsunterstützung der Ukraine ist mehrheitsfähig, wie Umfragen in der Bevölkerung zeigen. Sie ist auch mehrheitsfähig innerhalb der SPD und der Ampel, wo sich hin und wieder ein breiteres Meinungsspektrum artikuliert.

Der Krieg geht in sein zweites Jahr. Waffenlieferungen aus den USA und Europa haben der Ukraine bisher das Überleben gesichert. Der Westen wolle, wie Scholz versichert, dem Land auch weiterhin militärisch und finanziell beistehen, solange es notwendig sei. Da Russlands Präsident Putin nicht zu Friedensverhandlungen bereit sei, werde Deutschland mit den westlichen Verbündeten die Ukraine weiter mit Waffen unterstützen. »Friedensliebe heißt nicht Unterwerfung unter einen größeren Nachbarn, [daher] bauen wir unsere Unterstützung noch aus«. Offiziell lautet die Zielsetzung daher: Der Ukraine das Überleben sichern, und nicht etwa das russische System strukturell so schwächen, dass es längerfristig zu keinem Angriff fähig ist.

Der Ukraine stellte der Kanzler Sicherheitsgarantien der Verbündeten für die Zeit nach dem Krieg in Aussicht. Die Bundesregierung werde der Ukraine »helfen«, dass es zu einem Frieden kommt. »Deshalb sprechen wir mit Kiew und weiteren Partnern auch über künftige Sicherheitszusagen für die Ukraine.« Solche Sicherheitszusagen würden aber zwingend voraussetzen, dass sich die Ukraine in diesem Krieg erfolgreich verteidigt.

Deutschland und Großbritannien sind nach den USA die zweitwichtigsten Unterstützer der Ukraine. Allerdings sieht die Unterstützung aus Perspektive der Bevölkerungen, die in allen genannten Ländern tief in Verteilungsauseinandersetzungen wegen der anhaltenden kriegsbedingten Kaufkraftverluste verstrickt sind, weit differenzierter aus.

Selbst bei dem herausragenden Engagement der USA wird in der Regel übersehen, dass auch Biden innenpolitisch wegen des Ukrainekriegs unter Druck steht. Der Anteil der Amerikaner*innen, die die Militärhilfen unterstützen, ist laut Umfragen innerhalb eines Jahres auf rund 50% gefallen. Während die Falken bei den Republikanern die vermeintliche Zögerlichkeit des Präsidenten anprangern und die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine fordern, lehnt der immer mächtigere Trump-Flügel der Republikaner die Hilfen für das Land komplett ab, und Trump selber warnt vor einem »dritten Weltkrieg«.

Schreibt man diese Mehrheitskonstellationen in den politischen Machtverhältnissen und Bevölkerungsstimmungen fort, dann läuft der Krieg im besten Falle auf ein Szenario zu, in dem es einen »langwierigen Nichtfrieden« gibt – mit der Möglichkeit von Verhandlungen. Die Vorstellung der ukrainischen Politik, es könne kurzfristig gelingen, alle oder die meisten Teile der besetzten Gebiete zu befreien und zu diesem Zeitpunkt könnten Verhandlungen erwogen werden, wird daher als irreal angesehen, denn das unterstellt, dass auch Russland zu diesem Zeitpunkt zu Verhandlungen bereit wäre.

Russland wird aber in kurzer Frist nicht zu Verhandlungen bereit sein oder gar dazu gezwungen werden können. Unbestritten wirft der Krieg Russland gesellschaftlich und wirtschaftlich um Jahrzehnte zurück. Die »in politischer Apathie« trainierte Bevölkerung und eine sorgfältig gemusterte politische Klasse nimmt diese Entwicklung hin. Ein Rückzug aus den besetzten und annektierten Gebieten ist für das System Putin inakzeptabel.

Es sehe sich auf absehbare Zeit weder im Inneren noch im Äußeren unter Druck, den Krieg zu beenden. Die wirtschaftlichen, finanziellen, personellen und materiellen Ressourcen für dessen Fortführung reichten noch mehrere Jahre. Ein Zusammenbruch der russischen Ökonomie mit hoher Arbeitslosigkeit und Versorgungsengpässen sei nicht absehbar.

Daher läuft das realistische Szenario auf einen langfristigen Nichtfrieden hinaus. Der Westen muss dafür der Ukraine weiterhin eine Menge militärische und finanzielle Unterstützung bereitstellen – zumindest so lange, wie Putin an der Macht bleibt. Ein Regimewechsel von oben und ein Festhalten an der unbedingten Konfrontation mit dem Westen erscheint bei alledem wesentlich wahrscheinlicher als ein Systemwandel von unten.

Auch international wird die augenblickliche Patt-Situation vermutlich anhalten: So hat zwar in den bisherigen zwei Generalversammlungen der Vereinten Nationen ein Großteil der Mitglieder den Krieg in der Ukraine verurteilt und Russland zum Ende seiner Aggression aufgefordert. Zugleich aber haben sich mit China, Indien und weiteren Staaten die Länder der Stimme enthalten, die eine Mehrheit der Weltbevölkerung repräsentieren.

Schon jetzt wandte sich Bundeskanzler Scholz eindringlich an China. Es sei gut, dass die Volksrepublik sich gegen den Einsatz von Atomwaffen ausgesprochen habe. Aber das reiche nicht. »Liefern Sie keine Waffen an den Aggressor Russland«, Peking müsse vielmehr seinen Einfluss auf Moskau nutzen, »um auf den Rückzug russischer Truppen zu drängen«.

Russland bekommt deutlich mehr Hilfe als nur durch seine direkten Unterstützer Weißrussland, Nordkorea und Iran. Dass sich die aktuelle Situation der Kräfteverhältnisses international durch Appelle verschieben lässt, ist wenig realistisch. Auch bei den gegenwärtig verhängten zehn Sanktionspaketen lassen sich deutliche Umgehungspraktiken nachweisen. Unter den Ländern, die den Krieg verurteilten, gibt es Staaten, die Russland als einen gelegentlich nützlichen und nicht allzu bedrohlichen Partner sehen. Es handele sich um Staaten, notiert die Neue Zürcher Zeitung, die »der westlichen Demarchen überdrüssig« seien und »die wirtschaftlichen Folgen des weit entfernten Krieges zwischen Europäern vom Hals haben« wollten.

Bei dem Szenario eines längerfristigen Nichtfriedens ist unterstellt, dass es bei einer anhaltenden Besetzung von Teilen (aktuell ca. 20%) des ukrainischen Territoriums durch russisches Militär bleibt. Obwohl der Getreideexport immer wieder von Rückschlägen erfasst wird, hat diese vereinbarte Praxis Monate gehalten und könnte durch ein Agreement wie bei den Gefangenaustauschen verlängert werden.

In diesem Fall bleibt die massive Zerstörung der Infra- und Wirtschaftsstruktur der Ukraine, der enormen Absturz in der wirtschaftlichen Leistung und die Alimentierung des ukrainischen Militär-, Zivil- und Sozialstaates durch den Westen und internationale Organisationen.

Wir erleben einen hypermilitarisierten Staat ohne wirtschaftlichen Wiederaufbau und mit einer tief verwurzelten Unsicherheit, weil Russland eben nicht zurückgedrängt werden kann oder verschwinden wird. Hier wird die jetzt schon immer wieder aufgeworfene europäische Frage gestellt werden, im Grunde geht es um die volle EU-Mitgliedschaft, vielleicht sogar um die NATO-Mitgliedschaft.

Die Frage, wie lange ein solcher »Nichtfrieden« halten kann, wird wesentlich dadurch entschieden, wie lange die beschädigten politischen Willensbildungsprozesse in der Ukraine aufrechterhalten werden können, und wie unter diesen Bedingungen eine Stabilisierung der Rechtsstaatlichkeit sowie eine Absicherung gegen Korruption und Machmissbrauch gewährleistet werden kann.

Im Westen wird sich in diesem Zeitraum immer wieder die Frage nach der Billigung oder Tolerierung der finanziellen und wirtschaftlichen Belastungen für die Unterstützungsleistungen der Ukraine durch die Mehrheit der Bevölkerung stellen. In jedem Fall hätte das Ziel der Unterstützung der Ukraine bis zu gerechten Friedensverhandlungen einen nicht gerade geringen Preis.

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