25. Juni 2014 Christina Ujma
Zum 30. Todestag von Enrico Berlinguer
Seit Enrico Berlinguer (1922-1984) 1972 Generalsekretär der PCI wurde, war er in weiten Teilen der italienischen Bevölkerung sehr beliebt, galt gar als Lichtgestalt. Diese enorme Popularität steigerte sich nach seinem plötzlichen Tod am 11. Juni 1984 noch einmal und bescherte dem PCI mit 34% das beste Ergebnis seiner Geschichte.
Berlinguer war selbst innerhalb der italienischen Linken, in der es damals nicht an beeindruckenden Persönlichkeiten mangelte, eine Ausnahmegestalt. Aus sardischem Adel und der Tradition des Risorgimento kommend, stand er lange für linken Esprit und linke Eleganz, Kampfbereitschaft und Kompromissfähigkeit, Bescheidenheit und Engagement für ein gerechtes, friedliches und freundliches Italien.
In den letzten Jahren war es still um ihn geworden, denn nach dem Ende von Italiens berühmtem eurokommunistischen PCI und dessen Nachfolgepartei DS war sein Erbe quasi verwaist. Trotz des Rechtschwenks durch Matteo Renzi hat ihn nun, anlässlich des 30. Todestages, die Demokratische Partei adoptiert.
PD-Gründungsvorsitzender Walter Veltroni hat den Dokumentarfilm »Quando c’era Berlinguer« gedreht, der in vielen italienischen Kinos gelaufen ist.* Mit Hilfe enger Weggefährten wie z.B. Staatspräsident Giorgio Napolitano wird einerseits der Integrität und dem Engagement Berlinguers gehuldigt, andererseits aber auch seine Politik des Historischen Kompromisses mit den Christdemokraten als Vorläufer der heutigen Politik der PD dargestellt.
Die vielen Bücher, Ausstellungen, Zeitungsartikel und Fernsehsendungen, die in den letzten Wochen die »Berlinguer-Story« verbreiteten, haben Renzis PD sicherlich dabei geholfen, ein fulminantes Ergebnis bei den Europawahlen einzufahren. Ob sie den politischen Stärken und Schwächen des legendären Generalsekretärs auch gerecht werden, kann bezweifelt werden.
Lediglich innerhalb von Sinistra Ecologia Libertà (SEL) und bei den unabhängigen Linken gibt es einige, die versuchen, die linke Botschaft Berlinguers in den Mittelpunkt zu stellen. Dies erinnert gleichzeitig an eine Zeit, als die linke Linke noch über Stärke und Strahlkraft verfügte, weshalb es auch einige Popsongs über Berlinguer gibt. Dazu sind jetzt noch Straßen und Plätze gekommen, die seinen Namen tragen, was in manchen Fällen viel Überzeugungsarbeit der örtlichen Linken kostete.
Schließlich war Berlinguer ein überzeugter Linker, der fest in der Tradition der Arbeiterbewegung verwurzelt war. Seine Politik beinhaltete die »eurokommunistische« Wende des PCI, die nicht nur darin bestand, dass er die Abkehr von Moskau offiziell machte, was – außer in außenpolitischen Verlautbarungen – auch vordem die Politik der Partei bestimmte. Er öffnete – in Verarbeitung der Lehren aus dem Scheitern der mit prekären 50% regierenden Unidad Popular in Chile im September 1973 – den PCI mit einem Bekenntnis zu Parlamentarischer Demokratie und Marktwirtschaft auch für Wählerschichten der gesellschaftlichen Mitte, was hoch umstritten war und zu heftigen innerparteilichen Kämpfen führte.
Vielleicht wird Berlinguers Andenken momentan auch deshalb so fröhlich vom Establishment gefeiert, weil es nicht mehr gefährlich werden kann, denn die Politik und die Partei, für die er stand, gehören nun endgültig einer anderen Epoche an. Klassenkampf, Arbeitermacht und internationale Solidarität, die wichtigsten Schlagworte von damals, erscheinen heute wie Nachrichten von einem anderen Planeten.
Obwohl Berlinguer ein vielseitiger Autor war, dessen publizierte Reden und Artikel in die Hunderte gehen, sind die meisten heute vor allem als Zeitdokument interessant. Anders als seinen Vorgänger Togliatti interessierte ihn die Weiterentwicklung und Modernisierung des marxistischen Theoriegebäudes weniger. Die Intellektuellen der Generation von 1968 wurden wie Rossana Rossanda aus dem PCI ausgeschlossen, das euro-marxistische Denken und den Versuch, mit Gramsci die Gegenwart zu interpretieren, damit ihnen überlassen.
Auch das neue Lebensgefühl, welches sich in der Folge der ’68er Bahn brach, ging weitgehend am PCI vorbei. Das Referendum, das 1974 gegen den Widerstand der katholischen Kirche und der christlichen Parteien die Scheidung in Italien einführen sollte, spaltete den PCI, der ein eher biedermeierliches Familienbild hegte.** Im Kontext der turbulenten 1970er Jahre könnte man den von Berlinguer angestrebten Historischen Kompromiss mit den Christdemokraten auch als Bündnis der alten Kräften gegen die neue Zeit interpretieren, wie dies z.B. Rossana Rossanda tat.
Von zeitloser Attraktivität bleibt für Linke aber nicht nur Berlinguers strahlende Persönlichkeit, sondern auch sein Bekenntnis zur Demokratie und seine Suche nach dem Dritten Weg zwischen bürokratisch autoritärem Staatssozialismus und der Unterordnung aller Lebensbereiche unter die Logik der Kapitalverwertung.
Christina Ujma, Berlin, schreibt in Sozialismus regelmäßig über Italien, zuletzt in Heft 7-8/2014: »Triumph und Spaltung. Italiens Linksparteien nach der Europawahl«
* Trailer: www.youtube.com/watch
** http://www.ilvelino.it/it/article/2014/04/30/referendum-divorzio-castellina-quando-il-pci-si-spacco/143c3128-48fc-4528-8412-bbae4f21071f/