Claus-Jürgen Göpfert
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Verantwortungsvolle Finanzpolitik für die sozial-ökologische Zeitenwende | Eine Flugschrift
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Heiner Karuscheit
Der deutsche Rassenstaat
Volksgemeinschaft & Siedlungskrieg:
NS-Deutschland 1933–1945
160 Seiten | € 14.80
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9. Juni 2025 Bernhard Sander: Frankreichs Linke nach dem Parteitag der Sozialisten

Zum Verrat verdammt?

Olivier Faure (PS)

Schon jetzt stehen alle Manöver auf der Linken unter dem Licht, das die Präsidentschaftswahl in Frankreich 2027 wirft, bei der der Untergang Jupiters (Emmanuel Macrons Spitzname zu Beginn seiner Amtszeit 2017) besiegelt wird, da dieser nicht noch einmal antreten darf.

Es wird von den Parteien der Neuen Volksfront (NFP) abhängen, ob es der Nationalen Sammlung (RN) von Jordan Bardella und Marine Le Pen gelingt, diese Schlüsselposition zu erobern. Mehrfach konnte dieser Durchbruch verhindert werden, obwohl jedesmal die Frage des Castings die Inhalte überlagerte. »Die Katastrophe von 2027 beginnt jetzt«, befürchtet Catherine Tricot von der Zeitschrift regards dennoch. Die Sozialdemokraten vom PS würden kein drittes Mal zugunsten von Jean-Luc Mélenchon zurückstecken, was die parlamentarischen Bündnisse NUPES und NFP ermöglicht habe, aber allenfalls zur Oppositionsarbeit tauge.

Das Elend der französischen Linken ist seit Jahrzehnten davon geprägt, dass man immer wieder über taktische Winkelzüge und Parteiegoismen in Streit gerät. Damit bleibt sie einerseits analytisch hinter Macrons Einordnung der Zeitläufte und Handlungserfordernisse einer erneuerten kapitalistischen Dynamik zurück, kann also auf die Mitte keinen bestimmenden Druck ausüben, und sie hat andererseits dem ideologischen Konstrukt der rechten nationalen Identitätspolitik kein geschlossenes Weltbild entgegenzusetzen.

Macron mit seiner angebotsseitigen Politik hat bewusst die Absprachen bei Gründung der Republik nach der deutschen Okkupation ausgehebelt, die sozialen Bürgerrechte ausgehöhlt und massiv die Abgaben auf Unternehmenssteuern und Sozialversicherungsbeiträge sowie auf Finanzeinkommen, die an die Reichsten ausgeschüttet werden, gesenkt. Das hat sich aber nicht wie angekündigt positiv auf Investitionen, Reindustrialisierung oder Arbeitnehmereinkommen ausgewirkt.

Die wirtschaftliche Lage[1] ist von Stagnation und klaffenden Haushaltslöchern geprägt, die immer weniger Möglichkeit zu klassischer sozialdemokratischer Um-Verteilung von Zugewinnen zugunsten der eigenen Klientel bieten. Premierminister François Bayrou und Wirtschaftsminister Éric Lombard blasen seit Wochen zu einem Generalangriff und hatten Mitte April eine »große Konferenz« über die öffentlichen Finanzen organisiert. Das Ziel: die Sparmaßnahmen des Haushalts 2025 für den Haushalt 2026 zu verdoppeln und mindestens 40 Milliarden an »Einsparungen« bei den öffentlichen Ausgaben zu erzielen. Das sind mindestens 14 Milliarden für die Staatsausgaben, acht Milliarden für die Ausgaben der lokalen Gebietskörperschaften und 18 Milliarden für die Ausgaben der Sozialversicherung.

Eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben um 42 Milliarden entspricht 1,4 Prozentpunkten des BIP, d.h. einem Rückgang des Volumens der öffentlichen Ausgaben um 2,5% (ohne Rüstungsausgaben und Schuldzinsen). Im laufenden Haushalt wurden gegenüber dem Vorjahr bereits fünf Milliarden an Ausgaben eingefroren. Die Prognosen der Regierung gehen von einem Wachstum aus, das durch den aktuellen Haushalt und Trumps Handelskrieg nur weiter gebremst wird. Es besteht in der Tat ein großes Risiko einer Rezession, das völlig ignoriert wird.

Schon der Haushalt des letzten Jahres war innerhalb der parlamentarischen Linken der NFP umstritten. Teile der PS, beispielsweise der frühere Staatspräsident Lionel Jospin, hatten gefordert, nicht für das von La France insoumise (LFI) eingebrachte Misstrauensvotum zu stimmen. Der LFI-Koordinator Manuel Bompard sagte: »Ich bin mit dem, was Lionel Jospin sagt, radikal nicht einverstanden. Es ist genau das, was der Linken so sehr geschadet hat, nämlich wenn man mit einem Programm Wahlkampf macht, also Wähler bewegt und dann [...] schließlich einige Monate später sein Programm verleugnet.« Er fügte hinzu: »Niemand kann ernsthaft glauben, dass der von François Bayrou vorgelegte Haushalt irgendeine Verbindung zu dem Programm hat, das wir in die Parlamentswahlen eingebracht haben.«

Bompard bestätigte, dass eine Weigerung der Sozialisten für ihn einem »Wechsel des Wahlbündnisses« gleichkäme. Wenn die Sozialisten »nicht für den Misstrauensantrag stimmen, dann haben sie einen Bündniswechsel vollzogen, d.h. sie werden die Regierung von François Bayrou ohne Beteiligung unterstützen. Von diesem Zeitpunkt an werden sie die Verpflichtungen, die sie vor den Wählern eingegangen sind, verleugnet haben«, betonte er. Das Odium des Verrats liegt in der Luft. Der Haushalt 2025 wurde schließlich im Februar durch die Enthaltung des RN durch die Gremien gebracht.

Doch war beim jüngsten Parteitag der ehemals starken PS vor allem wieder nur von Interesse, wie die Clans der Partei (früher mal politische Strömungen) mit ausgeklügelten Hinterzimmerstrategien das Führungspersonal, insonderheit den Parteivorsitz, bestimmen würden.

Olivier Faure, der bisherige Vorsitzende, ist mit äußerst knappen 50,9% der abgegebenen Stimmen auch der neue Vorsitzende der verbliebenen 40.000 Sozialdemokraten und Sozialisten; die Partei bleibt gespalten. Im ersten Wahlgang, an dem sich etwa 20.000 Mitglieder durch Abstimmung über drei Leitanträge beteiligt hatten, sammelte er nur rd. 42% der Stimmen ein. Im Parteivorstand hat er keine Mehrheit: Olivier Faure ist in der relativen Minderheit im Nationalrat, sein Ergebnis entspricht 86 Sitzen. Der von seinem Widersacher, dem Bürgermeister von Rouen Nicolas Mayer-Rossignol, vertretene Flügel erreichte 40%, was 83 Sitzen entspricht.

Faure hatte es in seiner bisherigen Amtszeit nach der Implosion der Partei geschafft, die Zahl der Mandate im EU-Parlament von drei auf zehn zu steigern und die Zahl der Sitze in der Nationalversammlung von 31 auf 66, was im Wesentlichen auf die republikanische Disziplin auch von Teilen der bürgerlichen Mitte zur Abwehr von Le Pens Nationaler Sammlung zurückzuführen ist.

Vordergründig verläuft die innerparteiliche Kampflinie schon seit dem Amtsantritt von Faure entlang der Frage, wie man zum linken Bündnis und vor allem zu seiner stärksten Komponente, dem »Unbeugsamen Frankreich« (LFI) unter der geistigen Führung des ehemaligen sozialdemokratischen Minister Jean-Luc Mélenchon steht.

Weil Mélenchon und LFI sich weigern, Hamas als terroristische Bewegung zu bezeichnen und ihre Massaker eindeutig zu verurteilen, entschied der PS-Nationalrat (Parteivorstand) direkt nach dem 7. Oktober 2023 mit 54% der Stimmen, die Beteiligung an Aktivitäten der von LFI dominierten Neuen Volksfront bis auf Weiteres »auszusetzen«. Dasselbe tun praktisch auch die Kommunisten und die Grünen, ohne dass sie es offiziell erklärt haben.

In zweiter Linie geht es darum, dass der unterlegene PS-Flügel um Mayer-Rossignol die Partei sozialdemokratisieren möchte, d.h. weniger systemische Oppositionsarbeit betreiben und die Modernisierung der französischen Wirtschaft und Sozialordnung nicht allein der Macronie überlassen, also nur bedingt hinter dessen Reformen zurückgehen möchte. Dieser rechte pragmatische Flügel, den große Teile der abgehalfterten Ministerialgarde aus dem Kabinett Hollande unterstützen, hat den Blick von den administrativen Alltagserfordernissen der von ihnen geleiteten Stadtverwaltungen in Montpellier, Saint-Ouen, Rouen usw. nie auf die Ebene globaler Erfordernisse heben können und bleibt damit wenig attraktiv für die Gesamtlinke.

Hier strebt man eine »identitäre« sozialdemokratische Kandidatur und ein Bündnis mit »La Place Publique« von Raphael Glucksmann an, das schon den Erfolg bei der EU-Wahl ermöglichte. Die Partei gibt ihre augenblickliche Mitgliederstärke mit 10.000 an und ist ebenfalls ein Fragment der alten PS.

Der linke Flügel Faures sucht das Bündnis vor allem den Kommunisten und den Grünen, aber auch mit linken Strömungen, die aus der alten PS oder aus dem LFI hervorgegangen sind. Die LFI-Renegaten sind entweder bei den Grünen untergekrochen oder zimmern wie Francois Ruffin in den sozialen Medien nicht ohne Erfolg an einer unabhängigen Präsidentschaftskandidatur.

Drittens ist das Verhältnis zu Macron bzw. seinen amtierenden Ministerpräsidenten umstritten. Faure verfolgt hier seit den von Macron losgetretenen Parlamentswahlen 2024 eine strikte Ablehnungspolitik und unterstützte die Kandidatin der NFP im Kampf um die Nominierung als Ministerpräsidentin, er weicht diese aber gleichzeitig inhaltlich auf. »Wir gehen in die Irre. Der Linie Mélenchons zu folgen, ist ein Fehler, eine Negativspirale. Seinen Wunsch, vorgezogene Präsidentschaftswahlen zu provozieren, werden wir nicht überleben«, opponierte schon 2024 die Bürgermeisterin von Vaulx-en-Velin (Rhône) und François Hollande nahestehende Hélène Geoffroy auf der Sommeruniversität der PS.

An der Lage im Parlament hat sich nichts geändert, die Versuchung für die rechte Sozialdemokratie in den Reihen der PS bleibt: »166 Sitze hat die Koalition des Präsidenten, 193 die Neue Volksfront. Es würde genügen, wenn morgen 14 sozialistische Abgeordnete zustimmen würden, sich der Koalition Ensemble anzuschließen, um die relative Mehrheit von links nach rechts zu verschieben. Und das ist der Grund, warum Emmanuel Macron bereit ist, zu sagen, dass ihr alles haben könnt«, analysiert Olivier Faure schon im vergangenen Sommer. Und er richtete sich an seine innerparteilichen Gegner: »Wenn Sie ohne die Neue Volksfront mit der Rechten regieren wollen, werden sie die Rechte sein.« Sein Ansatz, LFI zu schwächen, aber das linke Bündnis fortzusetzen, wurde durch den Parteikongress abgemildert. Faure und die anderen linken Grüppchen und Parteien stehen vor der Frage, wie sie unter diesen Umständen zu einem gemeinsamen Kandidaten finden.

Das tagespolitische Klein-Klein bietet schon genügend Zündstoff für Streit innerhalb der NFP. Die Regierung konnte sich deshalb im Streit um die Zulassung von bienentötenden Pflanzenschutzmitteln und der Wiederaufnahme eines umstrittenen Autobahnprojekts durchsetzen. Die Suche nach Differenzierung hindert die gesamte Linke seit vielen Monaten, ein mächtiges Treffen zu organisieren, um die Palästinenser zu unterstützen.

In der Rentenreform ist die PS zu Verhandlungen mit der Regierung bereit. Die Sozialpartner mit Ausnahme des Gewerkschaftsbundes Force Ouvrière sind mit dem Willen in die Verhandlungen gegangen, die Reform von 2023 und ihre Hauptmaßnahme, die schrittweise Heraufsetzung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre, aufzuheben. François Bayrou forderte die Gewerkschaften und Arbeitgeber auf, »das finanzielle Gleichgewicht unseres Rentensystems in naher Zukunft wiederherzustellen«, und fügte hinzu, dass er »dieses Ziel auf das Jahr 2030 festlegen möchte«.

Umstritten zwischen den Gewerkschaftsbünden aber auch den linken Parteien ist, ob ein Kompromiss mit der Regierung angestrebt werden soll, der den bisherigen Renteneintritt für Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und in gesundheitlich belastenden Berufen sichert. Die Vorgabe der Regierung für die Gespräche, in fünf Jahren wieder ein Gleichgewicht herzustellen, zwingt die Sozialpartner, auf der Grundlage des letzten vom Rechnungshof vorgelegten Berichts mehr als 6 Milliarden Euro an zusätzlichen Einsparungen zu finden.

Das Schlimmste, was passieren könnte: In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl liegen zwei linke Kandidaten, ein Sozialdemokrat und die Unbeugsamen, bei etwa 10%–15% gleichauf, worauf die Umfragen seit geraumer Zeit hinweisen. Das bedeutet, dass sich keine/r von beiden qualifizieren kann und ein Macronist gegen RN die zweite Runde bestreitet. Olivier Faure, der erste Sekretär der PS, aber auch Marine Tondelier von den Grünen, der LFI-Abtrünnige François Ruffin oder LFI-Clémentine Autain (Mit-Herausgeberin von regards) favorisieren eine Option auf Vorwahlen.

Für den Bürgermeister von Rouen gibt es keine Notwendigkeit für eine Vorwahl, denn die Sozialisten sind die Besten, werden bald wieder die Linke dominieren – nach ihren 1,7% im Jahr 2022 – und sie haben sogar einen Kandidaten dafür in der Person von Raphaël Glucksmann, der es ihnen ermöglichte, ihre Farben bei den letzten Europawahlen (13,8%) wieder aufzurichten.

Auf der anderen Seite hält auch LFI, die stärkste Kraft der Neuen Volksfront, an einer identitätsbasierten Logik fest und bietet den NFP-Partnern großzügig an, sie sollten jemanden aus den Reihen von LFI für die Präsidentschaftswahl unterstützen. Im Jahr 2026 wird dies zweifellos zu einer Vervielfachung der konkurrierenden Listen bei den Kommunalwahlen führen, was die Ausgangslage für die Präsidentschaftskandidatur keinesfalls vereinfachen wird.

Anmerkung

[1] Die folgenden Ausführungen basieren im wesentlich auf den Ausführungen von Bernard Marx in regards.fr vom 16. April 2025, »Austérité budgétaire XXL: le pouvoir de dire non (suite…)«.

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