1. Dezember 2008 Joachim Bischoff

Absturz in Deflation und Depression?

Auch die wirtschaftlichen und politischen Eliten sind mit den Folgen des Platzens einer gigantischen Schuldenblase konfrontiert. Die Krise ist von den Finanzmärkten auf die Konsumenten, die Unternehmen und einzelne Staaten übergesprungen.

Einbrechende Aktienmärkte, hohe Abschreibungen der Banken, rückläufige Nachfrage und beginnende Produktionsstilllegungen lösen eine massive Verunsicherung bei einem Großteil der BürgerInnen über die nähere und fernere Zukunft aus. Zu Recht rückt in den Vergleichen mit vorangegangenen Krisen im Kapitalismus die Depression des vergangenen Jahrhunderts in den Mittelpunkt.

Der Abschwung erfasst die ganze Welt. Im kommenden Jahr wird die Globalökonomie nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds eine Rezession durchlaufen. Deutschland ist zwar nur indirekt, d.h. durch den Ankauf von toxischen Wertpapieren (seien es notleidende Immobilien- oder Konsumentenkredite), in die Immobilienpreisblase einbezogen. Aber der Einbruch des Welthandels trifft Deutschland als Exportnation empfindlich. Die deutsche Ökonomie befindet sich im stärksten Abschwung der Geschichte der Bundesrepublik, bestätigt der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Bert Rürup.

Dies ist die Konstellation, die bei den politischen Klassen weltweit einen Prozess des Abrückens von der neoliberalen Ideologie bewirkt. Die Notenbanken haben – mit Ausnahme der Europäischen Zentralbank – die Zinssätze deutlich nach unten geschleust. Regierungen auf der ganzen Welt sind zur Aufstellung von Konjunkturprogrammen übergegangen.

Wie bei den Rettungsschirmen für die Banken sind überall schwindelerregende Größenordnungen vorgesehen. Die Volksrepublik China will mit knapp 500 Mrd. Euro den Übergang zu einer Binnenmarktentwicklung erzwingen. Die EU-Kommission schlägt Staatsausgaben von insgesamt 200 Mrd. Euro vor. Auch die Administration des künftigen Präsidenten Barack Obama bereitet sich auf ein Konjunkturprogramm in der Größenordnung von bis zu einer Billion US-Dollar vor. Das Konjunkturpaket der Bundesregierung beläuft sich allerdings auf beschiedene 23 Mrd. Euro. Hinzu kommen Kapital und Bürgschaften für Banken. Insgesamt stellen die Länder des Euro-Raums ein Bürgerschaftsvolumen von rund 2.000 Mrd. Euro für die Banken zur Verfügung. Das ist ein Fünftel der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Trotz dieser Hilfen läuft das Kreditgeschäft in den Zentren der kapitalistischen Weltwirtschaft weiterhin zäh. Die Flut schlechter Unternehmensnachrichten nimmt kein Ende. Bemerkenswert ist der ideologische Terrainwechsel weg vom Neoliberalismus auch bei der Mehrheit der CDU. Ausgerechnet Innenminister Wolfgang Schäuble macht sich zum Protagonisten eines Kurswechsels. Im "Handelblatt" erklärte er: "Die Union muss … als Volkspartei die Balance zwischen wirtschaftlicher Effizienz und sozialer Nachhaltigkeit halten, und das jeden Tag neu. Die CDU ist im Übrigen eine werteorientierte Partei, die immer ein hinreichendes Maß an Pragmatismus hatte. Jetzt müssen wir eine Krise bewältigen, die niemand so erwartet hatte. Zunächst ist es gut, dass die Kanzlerin nicht den Eindruck erweckt, alle Auswirkungen überblicken zu können – das kann derzeit niemand. Keiner konnte sich vorstellen, dass uns eine solche Wirtschaftskrise 2008 treffen würde… Natürlich sollten wir das Ziel einer Haushaltskonsolidierung nicht aufgeben. Aber kurzfristig müssen wir etwas anderes machen, nämlich den richtigen Politik-Mix finden. Dazu gehört neben der klassischen Angebotsorientierung nun eben auch eine starke Nachfragepolitik. Dem sollte sich die Union nicht mehr verschließen, wir müssen umdenken – ja sogar durchaus keynesianisch. Einen ähnlichen Lerneffekt gibt es doch auch beim Sachverständigenrat."

Der Bezug auf den jahrelang geschmähten Keynesianismus ist gewagt. Der Hintergrund der geplatzten Vermögensblase ist eine tiefe soziale Spaltung der Gesellschaften der entwickelten kapitalistischen Länder. Solange in der Finanz- und Wirtschaftspolitik überwiegend die Stützung der Finanzinstitute und das Abblocken von Wertverlusten bei toxischen Vermögenspapieren in Vordergrund stehen, werden die angestrebten Wirkungen ausbleiben.

Es besteht die Gefahr, dass bei steigender Arbeitslosigkeit – wie in Japan nach dem Platzen der Aktien- und Immobilienblase in den 1990er Jahren – die Geldlöhne zu sinken beginnen. Zur Vermögenspreisdeflation gesellt sich dann noch eine zerstörerische Deflation. Das Platzen der Wertillusionen macht den Blick frei für ein durch jahrelange Fehlallokation des Kapitals geprägtes Trümmerfeld: Im Zentrum stehen Überkapazitäten in zahlreichen Wirtschaftsbereichen, ergänzt durch überschuldete Unternehmen und Privathaushalte.

Die Normalisierung der Akkumulationsdynamik ist nur durch massive Entwertung und eine Reproportionierung der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung zu erreichen. Staatliche Interventionen verhindern den Übergang in eine jähe Abwärtsspirale wie in der großen Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, aber diese Form der Regulierung kann zur Stagnation führen. Noch ist offen, ob die Investitionen infolge der Entwertung massiv abstürzen. Eine massive Kapitalentwertung kann eine rasche Rückkehr zur Akkumulationsdynamik verhindern, was durch eine Ausweitung der öffentlichen Finanzmittel und die Verbilligung der Zinsen zwar abgebremst, aber nicht vollständig kompensiert werden könnte.

Eine deflationäre Tendenz ist ein nachhaltiger Rückgang im Preisniveau, verbunden mit einem Rückgang in der Wirtschaftsaktivität. Eine negative Teuerungsrate über einen kurzen Zeitraum oder ein Rückgang von Aktienkursen oder Vermögenswerten allein ist noch keine Deflation. Unter Deflation verstehen Ökonomen ein fortwährendes Sinken des allgemeinen Preisniveaus, das auf alle Einzelpreise durchschlägt. "Das Tückische eines kräftigen Deflationsprozesses ist die immanente Tendenz zur Selbstverstärkung. Fallende Preise heben den realen Gegenwert von Geld. Sie statten das bloße Halten von Geld de facto mit einer realen Verzinsung aus und machen damit Horten attraktiv. Es wird mehr gespart, also weniger konsumiert, und ganz entscheidend dabei ist, dass die privaten Ersparnisse zunehmend in die unproduktive, aber risikolose Erträge versprechende Geldhaltung wandern, statt für reale Investitionen zur Verfügung stehen. Das treibt die Deflation an." (Neumann)

Deflationäre Prozesse führen dazu, dass die reale Last der Schulden immer drückender wird. Die Schulden werden nicht mit entwertet. Es wird zurückhaltend investiert, weil die Gefahr besteht, dass das eingesetzte Kapital einen Substanzverlust erfährt, auf jeden Fall nicht die erwartete Verwertung über den gesellschaftlich üblichen Zinssatz zustande kommt. Die entscheidende Weichenstellung ist erreicht, wenn die Notenbanken eine Kreditpolitik nahe der Nullverzinsung ermöglichen, von dieser Absenkung der Zinssätze aber keine Investitions- und Wachstumsimpulse ausgehen. Insofern gilt der Erfahrungssatz, dass es schwer ist, aus einer deflationären Abwärtsspirale über Zins- und Geldpolitik herauszusteuern. Ist eine Volkswirtschaft einmal in einen Deflationssog geraten, wird es schwierig, ihm wieder zu entkommen. Das zeigen alle bisherigen Erfahrungen mit dem Zusammenbruch von Vermögensblasen.

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