22. Februar 2017 Otto König / Richard Detje: Bangladesch-Regierung lässt Streiks niederknüppeln

»An den T-Shirts klebt Blut«

Es brodelt in Bangladesch. Die »Rana-Plaza«-Katastrophe, der Einsturz eines neunstöckigen Fabrik- und Bürohaus in Savar, einem Vorort der 14 Millionen-Metropole Dhaka, vor mehr als drei Jahren, bei dem 1.129 ArbeiterInnen in den Trümmern starben, stieß zwar das rechtlich verbindliche Übereinkommen »Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh« an.

Darin verpflichteten sich die Textilunternehmen, die Fabriken regelmäßig prüfen zu lassen und sicherer zu machen, doch darüber hinaus hat sich bei den Arbeits- und Sozialstandards wenig bewegt.[1] Insbesondere die nach wie vor geringen Löhne in der Textilindustrie, die auf dem »Geschäftsmodell Ausbeutung« basieren, führen zu immer heftigeren Konflikten.

Gegen Armutslöhne protestierten in den vergangenen Wochen erneut zehntausende TextilarbeiterInnen in Ashulia, einem weiteren Vorort von Dhaka. Der Streik begann am 12. Dezember in der »Windy Apparels«-Fabrik, zunächst aus Protest gegen die willkürliche Entlassung von 121 KollegInnen. Der Funke des Widerstands sprang rasch auf andere Betriebe über und mündete in einem von Demonstrationen begleiteten Arbeitskampf für die Erhöhung der Mindestlöhne.

Die streikenden NäherInnen forderten die Erhöhung des derzeitigen Mindestlohns von 5.300 Taka (rund 63 Euro) im Monat auf 15.000 Taka (rund 182 Euro). Die Fabrikbesitzer lehnten Verhandlungen ab. Der Präsident des Textilindustrieverbands BGMEA, Siddikur Rahman, erklärte, nach der Anhebung des Mindestlohns durch die Regierung im Jahr 2013 gebe es »kaum eine Chance« auf eine weitere Erhöhung. Laut Gesetz könnten Mindestlöhne nur alle fünf Jahre verändert werden. Stattdessen ordnete der Unternehmerverband nach der ersten Streikwoche die Schließung von 55 Betrieben in der Ashualia-Zone an und ließ flächendeckend aussperren.

Dass die Unzufriedenheit unter den TextilarbeiterInnen wächst, ist nicht überraschend: Im Gegensatz zu Textilstandorten wie Kambodscha oder Vietnam stagnieren die Einkommen in Bangladesch bei gleichzeitig steigenden Lebenshaltungskosten. Der aktuelle Mindestlohn reicht gerade mal zum Dahinvegetieren. Trotz Überstunden und Akkordarbeit sind die ArbeiterInnnen nicht in der Lage, die Kosten für Miete und Nahrung zu decken. Die Löhne in der Textilindustrie des südasiatischen Landes gehören zu den weltweit niedrigsten. Selbst in Myanmar, das sich erst in den vergangenen Jahren den Märkten geöffnet hat, ist der Mindestlohn mittlerweile höher.

In einer Studie der Weltbank, in der Textilbranchen in Südostasien und Südasien miteinander verglichen werden, heißt es: »Bangladesch hat vergleichsweise geringe Preise in praktisch jeder Textilproduktkategorie«. Anscheinend sollen mit der regierungsamtlich abgesegneten Billiglohn-Strategie der Unternehmer nicht nur der Profit gesteigert, sondern auch die »Defizite in Qualität, Arbeitsstandards und Zuverlässigkeit« ausglichen werden. Doch diese Strategie zu Lasten der Beschäftigten funktioniert nur bedingt.

Denn: Bangladesch verlor laut Weltbank in den vergangenen Jahren Marktanteile gegenüber der Konkurrenz aus Südostasien. Für die ökonomische Entwicklung des Landes ist das von enormer Bedeutung, immerhin macht der Export von Kleidung und Schuhen aus den ca. 7.000 Textilfabriken rund 80% des Exportvolumens des Landes aus. Bangladesch ist der größte Kleidungsproduzent auf der Welt nach China.

Für die Regierung ist diese Entwicklung Anlass, im Interesse der Fabrikbesitzer rücksichtslos gegen Streikende und Gewerkschaftsführer vorzugehen. Die Polizei feuerte mit Gummigeschossen auf die protestierenden ArbeiterInnen. Unter Berufung auf den »Special Powers 1974 Act« wurden 26 Streikführer festgenommen. Dieses »Notstandsgesetz« ermöglicht der Regierung Menschen festnehmen zu lassen und bis zu sechs Monate ohne Anklage zu inhaftieren. Viele Gewerkschafter, die ihre Verhaftung fürchten, halten sich versteckt. Zwischenzeitlich wurden gegen insgesamt 600 ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen Verfahren eröffnet. Viele Gewerkschaftsbüros sind verwüstet, ausgeplündert und funktionsunfähig gemacht worden.

Mit Stolz verkündeten staatliche Behörden, dass rund 90% der Streikenden die Arbeit wieder aufgenommen hätten. Gleichzeitig haben die Besitzer der Fabriken nach Angaben der Gewerkschaften rund 3.500 TextilarbeiterInnen entlassen. Viele der Betroffenen erfuhren von ihren Kündigungen erst durch die ausgehängten Listen an den Werkstoren. »Wenn ein Arbeiter von einem Fabrikbesitzer gekündigt oder suspendiert wird, bekommen die Betroffenen nur noch schwer einen Job«, sagte Gewerkschaftsführer Taslima Akther. Die »schwarzen Listen« mit Namen und Fotos werden an andere Unternehmen im Großraum Dhaka weitergegeben, damit die für ihre Rechte Kämpfenden keine Arbeit mehr in der Bekleidungsindustrie finden.

In der aktuellen Auseinandersetzung sind es nicht nur die kleinen Betriebe, in denen die ArbeiterInnen für ihre Proteste bestraft und an den Pranger gestellt werden. Nach Medienberichten gingen auch große Unternehmen wie die Sharmin Group oder die Ha’Meem Group, die beide mehrere zehntausend Arbeiter beschäftigen, mit Entlassungen und Anzeigen gegen Protestierende vor. Als Kunden führen diese auf ihrer Internetseite zahlreiche westliche Ketten auf, unter anderem H&M, Gap und Zara.

Auch Kik und Aldi Süd räumten auf Nachfrage ein, dass jeweils drei Fabriken, die sie beliefern, von Streiks betroffen waren. Lidl nennt keine Zahl, aber mindestens 18 der 188 Zulieferer in Bangladesch haben Fertigungsstätten in Ashulia. Auch wenn in den bundesdeutschen Konzernzentralen Verständnis für die Betroffenen zum Ausdruck gebracht wird, ist die Bereitschaft, höhere Löhne zu zahlen, in der Praxis nur auf massiven Druck hin vorhanden. So fordern Kik sowie Aldi und Lidl in ihren Verträgen mit den Zulieferern lediglich, dass der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird.[2]

Nun ist es ist nicht das erste Mal, dass die Regierung in Dhaka Streiks in Tarifkonflikten als Vorwand nutzt, um gegen missliebige GewerkschafterInnen vorzugehen. Auch bei den Arbeitskampfmaßnahmen im Jahr 2010 zur Erhöhung des Mindestlohns wurden GewerkschafterInnen verhaftet und waren während ihrer Haft physischer und psychischer Gewalt ausgeliefert. Für das IG Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Lemb steht fest: »Regierung und Unternehmen missbrauchen die Textilstreiks zur Niederschlagung der Arbeiterbewegung in Bangladesch«. Eine Verletzung elementarer Menschenrechte: »An den billigen T-Shirts aus Bangladesch klebt das Blut der NäherInnen« (IG Metall Website, 10.2.2017).

Für die IG Metall ist unstrittig: Die textilen Handelskonzerne sind mitverantwortlich für diese Zustände und müssen sich deshalb ihrer Verantwortung stellen. Entsprechend fordert die »Kampagne für Saubere Kleidung« (CCC) alle Unternehmen auf, die in diesen Fabriken einkaufen, sich für die Freilassung der Inhaftierten stark zu machen. Diese Forderung unterstützt IndustiALL mit einer Online-Petition, mit der weltweit die Freilassung der Verhafteten gefordert wird.

Darüber hinaus fordert der internationale Gewerkschaftsdachverband von der EU eine Untersuchung der Vorgänge und plädiert dafür, Bangladesch die Zollfreiheit bei Textilexporten in die EU abzuerkennen, solange die Rechte der Arbeiter mit Füßen getreten werden. Das würde die Wirtschaft des Landes, das vom Textilexport abhängig ist, empfindlich treffen. Der Haupthandelspartner des »Schmuddelkinds der globalen Textilindustrie« ist die Europäische Union.

[1] Vgl. Otto König/Richard Detje: »Ausbeutung als Geschäftsmodell«. Tödliche Arbeitsbedingungen, skandalöse Hungerlöhne, Menschenrechtsverletzungen – Profit auf Kosten der TextilarbeiterInnen in Bangladesch, Zeitschrift Sozialismus, Heft 1/ 2014.
[2] Vgl. Modebranche sorgt sich um ihr Image, Handelsblatt 11.1.2017.

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