4. Juni 2024 Joachim Bischoff: Trotz guter Wirtschaftsdaten sind die Umfragewerte niedrig

Anstieg der Lebenshaltungskosten schmälert Bidens Chancen

Ex-US-Präsident Donald Trump muss sich derzeit in gleich mehreren Prozessen juristisch verantworten. Zuletzt wurde er in New York im Schweigegeld-Prozess in allen 43 Anklagepunkten von den Geschworenen schuldig gesprochen. Sie befanden, dass der 77-Jährige mit einer Zahlung in Höhe von 130.000 US-Dollar an die frühere Pornodarstellerin Stormy Daniels vor der Wahl 2016 die Fälschung von Geschäftsdokumenten vertuscht habe.

Das Strafmaß soll am 11. Juli verkündet werden. Doch egal wie das Strafmaß ausfällt: Trumps Anwälte kündigten bereits Berufung an – so schnell wie möglich nach der Verkündung. Dabei wollen sie unter anderem mit der Befangenheit des Richters argumentieren. Auf die Frage, ob er finde, dass sein Mandant einen fairen Prozess bekommen habe, antwortete ein Anwalt gegenüber dem Fernsehsender CNN: »Nein, ich denke nicht.«

Trump selbst sprach nach der Urteilsverkündung von einer »Schande« und einem »manipulierten Prozess«. Seine Unterstützer veröffentlichten einen Spendenaufruf mit dem Titel »Ich bin ein politischer Gefangener!«. Auch viele Republikaner reagierten empört: Der treue Trump-Anhänger und Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, sprach von einem »beschämenden Tag in der Geschichte Amerikas«. Senator Marco Rubio zürnte im Kurznachrichtendienst X: »Das Urteil in New York ist eine absolute Farce, die unser Rechtssystem zum Gespött macht.«

Das Weiße Haus teilte mit, es respektiere den Rechtsstaat. Das Wahlkampfteam des aktuellen US-Präsident Joe Biden erklärte, das Urteil der Geschworenen zeige, dass niemand über dem Gesetz stehe. Auf seinem privaten Account schrieb Biden: »Es gibt nur einen Weg, Donald Trump aus dem Oval Office herauszuhalten: An den Wahlurnen.«

Noch ist Trump nicht offiziell republikanischer Präsidentschaftskandidat. Die Ernennung soll auf einem Parteitag erfolgen, nur wenige Tage nach der geplanten Verkündung des Strafmaßes. Auch als verurteilter Straftäter könnte Trump erneut zum Präsidenten gewählt werden, denn er erfüllt alle Voraussetzungen dazu.

Trotz seiner Wahlniederlage 2020 und der Anstiftung eines Umsturzversuchs hat Trump gute Chancen, wieder ins Weiße Haus einzuziehen. Weder das noch nicht rechtskräftige Urteil noch die eingeleiteten weiteren Gerichtsprozesse belasten seine Kandidatur wirklich.


Die Chancen beider Kandidaten

In den USA ist es üblich, dass aus dem Amt geschiedene Präsidenten sich aus der Politik zurückziehen. Im Fall von Donald Trumps ist das anders: Er hat seine Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 2020 bis heute nicht eingestanden. Sein Feldzug gegen den Wahlausgang gipfelte in der beispiellosen Attacke auf das Capitol. Sonderermittler Jack Smith wurde vom Justizministerium damit beauftragt, die Vorgänge im Vorfeld zu untersuchen. Er erhob am 1. August 2023 Anklage.

Bei der Wahl im November 2020 erhielt der ehemalige Immobilienmogul 74 Mio. Stimmen – so viele wie kein Republikaner vor ihm. In den vergangenen Jahren hat er es geschafft, der Partei neue Wählergruppen zu erschließen, und er elektrisiert ihre Basis nach wie vor.

Am 5. November dieses Jahres wählen die Amerikaner*innen ihren Präsidenten für die nächsten vier Jahre neu. Zudem bestimmen sie die Zusammensetzung des Repräsentantenhauses und eines Drittels des Senats ebenfalls neu. Der Amtsinhaber Joe Biden tritt für die Demokraten an, Ex-Präsident Trump für die Republikaner. Noch müssen die Kandidaturen auf den nationalen Parteikonventen beschlossen werden, doch das ist Formsache.

Einen klaren Favoriten gibt es momentan noch nicht. Vor vier Jahren siegte Biden mit klarer, aber nicht überwältigender Mehrheit. Dieses Jahr könnte es knapper werden, wenn man sich nach den jüngsten nationalen Umfragen richtet.

Bidens Popularitätswerte sind schlechter als jene seiner Vorgänger zum gleichen Zeitpunkt in deren Präsidentschaft. Das liegt auch an seinem Alter, mit 81 Jahren halten ihn selbst die eigenen Wähler*innen für schlicht zu alt und zu unsicher im Agieren in der politischen Öffentlichkeit, um das Präsidentenamt weitere vier Jahre effektiv ausüben zu können.

Bidens erneute Kandidatur leidet neben dem Alter in den Meinungsumfragen zusätzlich an zwei weiteren Problemen:

  • Die außen- und globalpolitischen Konfliktlagen schließen Belastungen für diverse Wählerschichten ein: Sowohl die deutliche finanzielle und materielle Unterstützung der USA im Ukraine-Krieg als auch das Agieren der Biden-Administration im Nahost-Krieg mit der Unterstützung der Netanjahu-Regierung wird von Teilen der demokratischen Partei und entsprechend engagierten Wähler*innengruppen nicht geteilt.
  • Aber auch die Inflation löst bei einem Teil der Bevölkerung Unmut und Entfremdung aus, sie ist ein Problem, das Biden im Wahlkampf mehr schadet, als der Schuldspruch vom Donnerstag auf Trumps Wahlaussichten. »It’s the economy, stupid«, hieß es schon in den 1990er-Jahren unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton.

Ganz einfach zu verstehen ist der Unmut über die wirtschaftliche Entwicklung nicht. Denn die konjunkturelle Entwicklung läuft sehr gut und weist ein bemerkenswertes Tempo auf, die Arbeitslosigkeit ist auf einem historisch niedrigen Niveau. Davon profitierten vor allem Arbeitnehmer*innen ohne höhere Bildung, Latinos oder Schwarze. Deren Reallöhne sind seit 2017 – und besonders deutlich seit dem Amtsantritt von Biden – um insgesamt 35% gestiegen. Und auch die Inflation fiel wieder auf rund 3,5% pro Jahr.

Gleichwohl sind die Amerikaner*innen in der Mehrheit nicht zufrieden über den Gang der Wirtschaft und lasten dies dem US-Präsidenten an. Mit Biden im Weißen Haus kämen sie nicht mehr gegen steigende Lebenshaltungskosten an.

Dessen Umfragewerte sind entsprechend gedrückt. Vor allem Bevölkerungsgruppen mit niedrigeren Einkommen leiden unter den steigenden Lebenshaltungskosten. Besonders in für die Wahlen entscheidenden Gliedstaaten wie Arizona, Georgia oder Pennsylvania liegt Trump bis zu zehn Punkte vor Biden, der sich noch vor vier Jahren in diesen Regionen durchsetzen konnte.

Laut einer Umfrage der »Financial Times« sind etwa 60% der Bevölkerung überzeugt, Biden könnte als Präsident der Vereinigten Staaten durchaus etwas gegen die Inflation unternehmen – sofern er und die demokratische Partei den politischen Willen mobilisieren würden. Aber dabei stünde ihm auch die amerikanische Zentralbank Fed im Weg. Denn angesichts hartnäckiger Preissteigerungen zögert die amerikanische Notenbank seit Monaten mit Zinssenkungen. Diese würden umgehend etwa für eine Linderung der auf über 20% gestiegenen Raten für Kreditkarten sorgen.

Weil die Inflation in den USA im laufenden Jahr stets höher als erwartet ausfiel, bleibt die Fed bei einem Leitzins von weiterhin zwischen 5,25 und 5,5%. Seit neun Monaten hält sie den wichtigsten Zinssatz der Welt schon auf diesem hohen Niveau, das zuletzt kurz nach der Jahrtausendwende erreicht worden war.


Gute US-Konjunktur und Leistungsprinzip kommen unten nicht (mehr) an

Neben der hartnäckig hohen Inflation spielt auch die gute Konjunktur eine Rolle beim Entscheid, die Zinsen vorerst nicht zu senken. Die Fed verfolgt mit ihrer Geldpolitik nebst der Preisstabilität auch das Ziel einer hohen Beschäftigung. Und die amerikanische Wirtschaft hält sich sehr gut. Noch immer entstehen zahlreiche neue Jobs, und von der einst befürchteten Rezession spricht niemand mehr. Der Internationale Währungsfonds (IWF) bezeichnete die US-Wirtschaft sogar als überhitzt und verwies dabei auf das robuste Wachstum sowohl der Produktivität als auch der Beschäftigung.

Tatsächlich sinkt die Arbeitslosigkeit und im März dieses Jahres wurden außerhalb der Landwirtschaft erneut mehr als 300.000 neue Stellen geschaffen. Eine boomende Wirtschaft, ein starkes Beschäftigungswachstum, steigende Löhne und eine expansive Finanzpolitik mit dem Ziel der umfassenden Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur sind in einem Wahljahr eigentlich Ausweise einer gut begründeten Wirtschaftspolitik. Doch dieser Ansatz verträgt sich schlecht mit der Erwartung, die Inflation zu dämpfen. Und die rechtspopulistische Rhetorik hat dadurch einen günstigen Nährboden.

Fakt ist, dass die Republikaner vom Wahlvolk offensichtlich generell als kompetenter eingestuft werden, die Wirtschaft zu führen, als die Demokraten. Laut einer aktuellen Studie sind knapp zwei Drittel der Beschäftigten nicht in der Lage, kurzfristig auch nur 500 US-Dollar für einen Notfall aufzubringen, was schwierig ist, sie davon zu überzeugen, dass die US- Wirtschaft wirklich besser läuft. Solange diese Menschen es nicht im Alltag spüren, werden sie es Biden und den Demokraten nicht glauben.

Das Versprechen der liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung erfüllt sich in den USA für die Mehrheit der Bevölkerung immer weniger. Aus dem »Land der unbegrenzten Möglichkeiten«, in dem Fleiß und Hirn auch Armen oder Immigrant*innen zum Erfolg genügten, ist eine zunehmend starre, durch große Einkommens- und Vermögensunterschiede charakterisierte Gesellschaft mit geringeren Aufstiegschancen geworden. Leistung allein zählt nicht mehr. Stattdessen zählen die Beziehungen und die reichen Väter und Mütter, die die exorbitant hohen Schul- oder Studienkosten zahlen können oder den Job vermitteln. Damit ist die Basis der liberalen Gesellschaft brüchig geworden.

Das Leistungsprinzip war eine Art ungeschriebener Gesellschaftsvertrag. Ein beträchtlicher Teil der Amerikaner*innen geht davon aus, in den USA seien die einstigen Werte schon so weit aus dem Ruder gelaufen, dass es eine starke Führungspersönlichkeit braucht, die bereit sei, Regeln zu brechen, um wieder Ordnung zu schaffen. Trump soll und könne wieder Ordnung schaffen im Chaos der Demokratie. Daher wird die Verurteilung wegen einer Straftat auch als Auseinandersetzung gegen den »Deep State« verarbeitet. Und wenn er von »America First« schwärmt und damit droht, die NATO, die Ukraine, Taiwan und Europa militärisch im Stich zu lassen, nimmt er damit den Wunsch der Amerikaner*innen auf, die Rolle Amerikas als Weltpolizist endlich aufzugeben.

Noch ist die Auseinandersetzung nicht entschieden – außer von der Klugheit der Administration Bidens hängt der Ausgang entscheidend davon ab, ob die demokratische Kampagne auch die unteren sozialen Schichten erreicht. Obwohl Trump ständig auf Zuwanderer*innen aus Lateinamerika eindrischt, fühlen sich viele Coloured People zu ihm hingezogen. Weniger Staat und Steuern, mehr Kirche und Familie, das überzeugt offenkundig auch sie.

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