2. April 2020 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: BA rechnet mit Einbruch auf dem Arbeitsmarkt

Ansturm auf Kurzarbeit

Die Corona-Krise hat Deutschland Europa und die Welt voll im Griff. Da kein Gegenmittel oder Impfstoff zur Verfügung steht zur Bekämpfung des Virus, bleibt die Organisation des gesellschaftlichen »Lockdown« das einzig relevante Gegenmittel gegen die Ausbreitung des Virus.

Logischerweise hat das auch nachhaltige Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung. So hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) in einem Sondergutachten eingeräumt,[1] dass die deutsche Wirtschaft im Jahr 2020 deutlich schrumpfen wird. Er geht von drei möglichen Szenarien aus. »In allen drei Szenarien beendet die Ausbreitung des Corona-Virus die sich abzeichnende konjunkturelle Erholung abrupt, sodass eine Rezession im ersten Halbjahr 2020 in Deutschland nicht zu vermeiden sein wird.« Als derzeit wahrscheinlichste Entwicklung sehen die Ökonomen eine Normalisierung der wirtschaftlichen Lage über den Sommer, so dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) unter dem Strich in diesem Jahr um 2,8% schrumpft. Zum Vergleich: 2009 war die größte europäische Volkswirtschaft infolge der globalen Finanzkrise um 5,7% eingebrochen.

Bei großflächigen Produktionsstilllegungen oder länger andauernden gesundheitspolitischen Maßnahmen könnte der »Lockdown« zu einem stärkeren Rückgang führen, so dass für 2020 mit einem BIP-Wachstum von –5,4% gerechnet werden müsse. Das Münchener Ifo-Institut kommt in seinen Berechnungen zu noch drastischeren Ergebnissen. Je nach Szenario werde die Wirtschaft um 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte schrumpfen, mehr als eine halbe Bio. Euro Ausfall der Wertschöpfung bedeuten und mehr als eine Mio. Jobs kosten.

Die Wirkungen auf den Arbeitsmarkt fängt der neueste Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit (BA) noch gar nicht ein, denn die Angaben für die aktuellen Zahlen reichen bis zum Stichtag 12. März 2020. Im März waren danach 60.000 Menschen weniger arbeitslos als im Februar. Die Arbeitslosenzahl ist damit auf 2,33 Mio. gesunken. Gegenüber dem Vorjahresmonat ist die Zahl der Arbeitslosen um 34.000 gestiegen. Mit 5,1% liegt die Arbeitslosenquote 0,2 Prozentpunkte unter der des Vormonats.

Allerdings sind in dem Bericht schon deutliche konjunkturelle Bremsspuren sichtbar. So ist die Zahl der Empfänger*innen von Arbeitslosengeld III bereits seit Monaten gestiegen und auch die Zahl der Kurzarbeiter*innen hat seit Mitte 2019 deutlich zugenommen. Und nicht zuletzt hat die Nachfrage nach neuen Arbeitskräften im Vorjahresvergleich deutlich nachgegeben. Im März waren 691.000 Arbeitsstellen bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet, 106.000 weniger als vor einem Jahr. Saisonbereinigt ist der Bestand gemeldeter Arbeitsstellen um 10.000 gesunken.

Die mit der Corona-Krise eingetretene drastische Wende am deutschen Arbeitsmarkt zeigt sich vor allem darin, dass es einen Ansturm seitens der Betriebe auf Kurzarbeit wegen des Corona-Virus gibt. Mit der Anzeige von Kurzarbeit starten die Betriebe das formale Verfahren, damit Beschäftigte Kurzarbeitergeld erhalten.

Kurzarbeit soll verhindern, dass Arbeitnehmer*innen sofort die Entlassung droht, wenn ihr Betrieb wirtschaftlich in Schwierigkeiten gerät. Hierbei wird die Arbeitszeit vorübergehend verkürzt. Dadurch entgeht den Beschäftigten Einkommen, das ihnen von der Arbeitsagentur teilweise ersetzt wird. Sie erhalten bis zu 60% des entgangenen Nettolohns, wenn sie Kinder haben, bis zu 67%.

Als Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Öffentlichkeit über den Zustand des Arbeitsmarktes informierte, war allerdings von Erschütterung keine Spur. Die Bewältigung der Corona-Krise beschrieb er zwar als »historische Aufgabe«. Doch man habe Anlass zu »realistischer Zuversicht«, denn schließlich hätte Deutschland einen der stärksten Sozialstaaten auf der Welt und finanzielle Rücklagen: »Wer, wenn nicht die Bundesrepublik Deutschland, kann das eigentlich hinkriegen?«

Wie stark der Lockdown den Arbeitsmarkt treffen wird, lässt sich anhand der neuen Zahlen zur Kurzarbeit erahnen, die Heil zusammen mit Detlef Scheele, dem Vorstandschef der BA, präsentierte. Seit Ausbruch der Corona-Krise seien bislang 470.000 Anzeigen von Betrieben eingegangen. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es in normalen Monaten gerade einmal 1.300.


Quelle: Bundesagentur für Arbeit

Eine solche abrupte Wende wie jetzt habe es noch nie gegeben, sagte Scheele. Die Anzeigen kommen aus nahezu allen Branchen, verstärkt auch aus Gastgewerbe und Handel. Dem Statistischen Bundesamt zufolge sind im Unternehmensregister in Deutschland insgesamt knapp 3,5 Mio. Unternehmen verzeichnet. Demnach haben etwa 13,5% der Unternehmen, also mehr als jedes achte, Kurzarbeit angekündigt.

Eine seriöse Schätzung ist allerdings erst möglich, wenn die Betriebe abgerechnet haben und klar ist, wie viele Beschäftigte pro Betrieb tatsächlich kurzarbeiten, wie groß der Arbeitszeitausfall und wie lang die Kurzarbeitszeitperiode ist. Eine erste grobe Schätzung will die BA in vier Wochen geben.

Die Bundesregierung rechnet mit über zwei Mio. Beschäftigten, die in diesem Jahr auf Kurzarbeitergeld angewiesen sein werden. Der CDU-Arbeitsmarktexperte Peter Weiß etwa hält sogar eine Verdreifachung des Spitzenwerts von 2009 für möglich, wie er der Nachrichtenagentur Reuters sagte – also über vier Mio. Kurzarbeiter*innen.

Die Regeln zur Kurzarbeit sind im Rahmen der Krise deutlich gelockert worden. Anspruch besteht nun, wenn mindestens 10% der Beschäftigten vom Arbeitsausfall betroffen sind. Auch Leiharbeitnehmer*innen können Kurzarbeitergeld erhalten. Dem Arbeitgeber werden 100% der Sozialversicherungsbeiträge für die ausgefallenen Stunden erstattet.

Heil und Scheele lassen keinen Zweifel daran, dass für die enormen Aufwendungen genügend Mittel zur Verfügung stehen werden. »Das Geld ist kein limitierender Faktor, um den Rechtsanspruch auf Kurzarbeit zu finanzieren«, sagte Scheele. Ein finanzielles Limit gebe es nicht. Er verwies auf die Rücklage der BA, die derzeit 26 Mrd. Euro beträgt. Die BA habe bereits jetzt überplanmäßig rund zehn Mrd. Euro bei ihrem Verwaltungsrat und dem Bundesarbeitsministerium beantragt. Man sei auch über das Jahr hinaus zahlungsfähig. Wenn die Rücklage aufgebraucht werde, wende man sich an die Bundesregierung. Heil sagte, es gebe keinen Grund, über höhere Beiträge in der Arbeitslosenversicherung zu diskutieren.

Während in Deutschland die Beschäftigten lediglich 60% bzw. 67% des entgangenen Nettoentgelts erhalten, wird nach einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in vielen anderen europäischen Ländern ein deutlich höheres Kurzarbeitergeld von 80 bis zu 100% bezahlt. In der Regel gehen großzügigere Leistungen der Studie zufolge allerdings mit einer kürzeren Bezugsdauer einher. Außerdem müssen die Tarifbedingungen berücksichtig werden, denn es ist absehbar, dass das Kurzarbeitergeld während der Corona-Krise häufig von Beschäftigten aus dem Dienstleistungssektor mit geringem Einkommen in Anspruch genommen werde. Ohne eine Aufstockung müssten viele von ihnen voraussichtlich zusätzlich Hartz IV-Leistungen beantragen.

Auch bei der Grundsicherung, die nun auch verstärkt von Selbstständigen mit Auftragseinbrüchen in Anspruch genommen werden wird, verteilt der Chef der Bundesanstalt für Arbeit Scheele Beruhigungspillen: »Man kann sich auf die Grundsicherung verlassen.« Es werde nun nicht als Erstes danach gefragt, was die Betroffenen auf dem Konto haben. Zuvor hatte der Gesetzgeber bereits festgelegt, die Vermögensprüfung für sechs Monate auszusetzen. Man sei zuversichtlich, einmal Gewährtes nicht mehr zurückzunehmen.

Mit Blick auf die Arbeitslosigkeit räumte Minister Heil ein, dass nicht jeder Arbeitsplatz gerettet werden könne, man aber um jeden kämpfen werde. BA-Chef Scheele erwartet trotz Kurzarbeit für April bis zu 200.000 Arbeitslose mehr, die Arbeitslosenzahl von gut 2,3 Mio. mit Stichtag 12. März, bildet die Corona-Krise noch nicht ab.

Die Erzählungen von Hubertus Heil und Detlef Scheele von der guten Vorsorge im Fall von Kurzarbeit und Grundsicherung sind allerdings nur die halbe Wahrheit. Der Arbeitslosenverband Mecklenburg-Vorpommern fordert zu Recht angesichts der Auswirkungen des Corona-Virus auf die Wirtschaft eine Verlängerung der Bezugszeit von Arbeitslosengeld. »Bei allen Bemühungen des Bundes und des Landes wird es durch die Corona-Krise zu einem Wegfall von Arbeitsplätzen und zu einem deutlichen Anstieg der Zahl arbeitsloser Frauen und Männern kommen«, sagte dessen Vorsitzender Jörn Böhm. Selbst bei einem raschen Wiederanspringen der Wirtschaft werde das Beschäftigungsniveau vor der Krise nicht so bald wieder erreicht werden.

»Neben denen, die sofort in die Grundsicherung fallen, trifft es kurz- und mittelfristig auch die Arbeitslosengeldbezieher hart«, so Böhm. »Bei einigen, die auf die Frühjahrsbelebung am Arbeitsmarkt gehofft hatten, endet die Bezugsdauer in diesen Tagen und Wochen.« Derzeit können Arbeitnehmer unter 50 Jahren maximal zwölf Monate Arbeitslosengeld beziehen – danach fallen sie in Hartz IV. Mit zunehmendem Alter steigt die Bezugsdauer bis auf 24 Monate.

Außerdem forderte Böhm eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes, insbesondere für Familien. Unterstützung benötigten zudem Träger von sozialen Hilfeprojekten, wie Kleiderkammern, Möbelbörsen und Suppenküchen. Ihnen brächen die Einnahmen weg, doch die Fixkosten für Strom, Miete und Fahrzeuge sowie für nicht geförderte Beschäftigte fielen weiter an. Den Beschäftigungsgesellschaften gehe es ähnlich: Maßnahmen fielen wegen Corona weg – in der Folge fließe kein Geld vom Jobcenter.

Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke macht sich für eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds seitens der Arbeitgeber auf 90% stark, immerhin bekämen diese bei Kurzarbeit 100% ihres Anteils an den Sozialbeiträgen erstattet. Sollte die Aufstockung über Tarifverträge nicht gelingen, sei die Politik gefordert, sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann.

Das bei der BA angesiedelte Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) war bei seiner Vorausschau für 2020 bei einem moderaten Krisenverlauf von 2,36 Mio. Arbeitslosen ausgegangen, das wären rund 90.000 mehr als 2019. Diese Annahme dürfte selbst bei einem relativ milden Einbruch der Wirtschaftsleistung nicht zu halten sein. Wir müssen uns wohl auf einen deutlich stärkeren Anstieg der Arbeitslosenzahlen einstellen. Und je nach Umfang und Länge der Kurzarbeit könnten auch die 26 Mrd. Euro Reserven der Bundesagentur für Arbeit schnell verbraucht sein.

Anmerkung

[1] Vgl. dazu auch Joachim Bischoff/Bernhard Müller, Der Optimismus der Wirtschaftsweisen, Sozialismus.deAktuell vom 30. März 2020 sowie Redaktion Sozialismus, Wirtschaftliche Schäden und Kosten der Pandemie, Sozialismus.deAktuell vom 24. März 2020.

Zurück