4. Mai 2024 Redaktion Sozialismus.de: Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament

Asylpolitik wichtigstes Thema

Vom 6. bis zum 9. Juni ist Europawahl, in Deutschland wird am 9. Juni gewählt. Rund 350 Millionen Bürger*innen in den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) sind zur Stimmabgabe bei der zehnten Direktwahl des Europäischen Parlaments aufgerufen, in Deutschland rd. 65 Millionen. Fast alle großen Parteien haben EU-weite Kandidat*innen aufgestellt. Es werden insgesamt 720 Abgeordnete gewählt, Deutschland schickt 96 Parlamentarier*innen.

Ursula von der Leyen (CDU) will auch nach Wahl für die nächsten fünf Jahre an der Spitze der mächtigen EU-Kommission bleiben. In ihrer Parteienfamilie kassierte die 65-Jährige jedoch bei ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin einen Denkzettel: Obwohl sie ohne Konkurrenz antrat, erhielt sie nur rund 80% der Stimmen der Europäischen Volkspartei (EVP). Die Kritik entzündet sich vor allem an von der Leyens Klimaschutzpaket »Green Deal«, bei dem sie unter dem Druck ihrer Partei Abstriche gemacht hat.

Maßgeblich ist allerdings, dass sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf ein zweites Mandat für sie einigen und das Europaparlament ebenfalls zustimmt. Hier schloss von der Leyen in einer Debatte eine Zusammenarbeit mit Parteien rechts der EVP nicht völlig aus.

Der Hintergrund für diese »Offenheit«: Aktuelle Umfragen belegen, dass die beiden rechtspopulistischen bis rechtsextremen Fraktionen im Parlament voraussichtlich deutlich dazugewinnen werden, die Parteien der sogenannten politischen Mitte hingegen zumindest teilweise deutlich verlieren.

Neben der konservativen EVP gibt es auf der rechten Seite zwei weitere Fraktionen. Zur »Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer« (ECR Group) gehören u.a. die Fratelli d'Italia, die rechte Partei der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, sowie die nationalkonservative polnische Partei PiS. Zur »Fraktion Identität und Demokratie« (ID) zählt unter anderem die AfD sowie Marine Le Pens Rassemblement National (RN). Eine Zusammenarbeit mit der AfD schloss von der Leyen aus.

 

Welche Resonanz hat das EU-Parlament?

Aus der aktuellen Umfrage des Eurobarometers geht hervor, dass sich die Einschätzung des Staatenbundes in den letzten Jahren positiv entwickelt hat.

47% der Befragten haben ein positives Bild von der EU. 2019 waren es noch 42%. Auch das Interesse an der bevorstehenden Wahl hat in den 27 Mitgliedsstaaten hat leicht zugenommen. 70% der Deutschen sind an der Europawahl interessiert. Auch in den übrigen EU-Ländern interessieren sich mehr Menschen für die Europawahl: Im Schnitt gaben dies 60% der Befragten an.

Dieser positive Trend zur EU überrascht. In den letzten Monaten überwogen Berichte in den EU-Mitgliedsstaaten, die eher eine Zunahme eines eurokritischen Tenors nahelegten. Umfrageinstitute sagen zudem einen deutlichen Rechtsruck bei der EU-Wahl voraus. Die Politik der Europäische Union vertrete in zu geringem Maße die Interessen der EU-Bürger*innen. Rund die Hälfte identifizieren sich nicht oder kaum noch mit der EU wie Umfragen zeigen.

Schuldenkrise, Flüchtlingskrise, Brexit und Nationalpopulisten im Aufwind – das waren die Schlagzeilen der vergangenen Jahre zur Europapolitik, die ein düsteres Stimmungsbild zeichneten. Zudem wirkt das »Bürokratiemonster« EU für viele Bürger*innen unzugänglich, undurchsichtig, undemokratisch, überreguliert und bürokratisch, was sich auch in der geringen Wahlbeteiligung bei bisherigen Europawahlen widerspiegelt.

Trotz einer erwarteten Rechtsverschiebung wird wie in der Vergangenheit mit einer stabilen Machtverteilung gerechnet. Der Vormarsch nationalistischer Parteien würde das Zentrum des nächsten Europäischen Parlaments zwar leicht nach rechts verschieben, aber das grundlegende Gleichgewicht nicht verändern. Nur eine große Koalition, bestehend aus Abgeordneten der bürgerlich-konservativen »Fraktion der Europäischen Volkspartei«, der »Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament« (S&D) und der Fraktion »Renew Europe Group«, die liberale und zentristische Parteien vereint, würde eine Mehrheit der Sitze gewinnen.

Mit der Politik, die in Europa gemacht wird, sind aktuell zwei Drittel der Wahlberechtigten in Deutschland (65%) weniger bzw. gar nicht zufrieden. Drei von zehn (31%) sind damit sehr zufrieden bzw. zufrieden. Mehrheitliche Zufriedenheit gibt es unter Anhänger*innen der Grünen (61%). Unter SPD-Anhänger*innen sind etwa ebenso viele zufrieden (50%) wie unzufrieden (49%). Ein mehrheitlich negatives Urteil für die Politik der EU gibt es neben AfD- (92%) und BSW-Anhänger*innen (88%) auch unter Anhänger*innen von CDU/CSU (62%).

Die Bürger*innen sehen die Flucht-, Asyl- und Integrationspolitik als das wichtigste Problem, um das sich die Europäischen Union besonders dringend kümmern muss. 41% nennen diesen Komplex bei offener Abfrage als eines der zwei wichtigsten Probleme. Auf den weiteren Plätzen folgen hier internationale Konflikte und Bedrohungen, etwa im Verhältnis zu Russland und China (34%), Umwelt- und Klimaschutz (21%) sowie Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit (20%).

Eine konkrete Maßnahme, mit der die EU-Flüchtlingszahlen begrenzen will, sind Abkommen mit Drittstaaten. Das Prinzip ist: Die EU stellt den Ländern finanzielle Hilfen in Aussicht, wenn diese im Gegenzug Flüchtlinge von der Weiterreise in die EU abhalten. Nach der Türkei, Ägypten, Tunesien und Mauretanien schloss die EU vor kurzem ein weiteres Flüchtlingsabkommen, verbunden mit Zusagen zu wirtschaftlicher Unterstützung, mit dem Libanon ab.

Die Hälfte der Wahlberechtigten in Deutschland unterstützt laut ARD-Deutschlandtrend diese Flüchtlingsabkommen der Europäischen Union. 51% halten diese Abkommen für richtig. Knapp vier von zehn (38%) halten sie hingegen für falsch. Flüchtlingsorganisationen üben immer wieder Kritik an den Abkommen und der Menschenrechtslage in den Drittländern.

Nach jahrelangen Verhandlungen hat das EU-Parlament in Brüssel am 10. April 2024 dem Gesetzespaket zur EU-Asylreform zugestimmt. Es sieht eine deutliche Verschärfung der Asylbestimmungen vor, darunter einheitliche Verfahren an den Außengrenzen sowie eine Neuregelung bei der Verteilung von Flüchtlingen.

Zahlreiche Politiker*innen begrüßten den Beschluss als großen Schritt nach vorn. So sagte der Vorsitzende der EV, Manfred Weber (CSU), der 10. April sei ein wichtiger Tag für die Einheit Europas. Wenige Monate vor der Europawahl zeigte sich Kommissionspräsidentin von der Leyen erleichtert: »Wir haben geliefert, was die Europäer wollten.«

Martin Schirdewan (Die Linke), zusammen mit Manon Aubry (France Insoumise) Vorsitzender der Linksfraktion »The Left« im Europäischen Parlament, kritisiert die Reform hingegen als unmenschlich: »Mit diesem Migrationspakt entziehen die europäischen Mitgliedsstaaten schutzbedürftigen Menschen ihre Rechte.« Auch die EU-Grünen stimmten gegen große Teile des Pakets. Menschenrechtsorganisationen protestierten während der Abstimmung in Brüssel und sprechen von einer »Abschaffung« des europäischen Asylrechts.

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