14. Februar 2021 Redaktion Sozialismus: Die Konjunkturprognose der EU-Kommission
Auch 2021 nur gedämpftes Wachstum
Die Europäische Union (EU) hat im Jahr 2020 einen deutlichen Rückgang der wirtschaftlichen Leistung zu verzeichnen, auch wenn die europäische Wirtschaft nicht so stark eingebrochen ist wie ursprünglich befürchtet.
Zudem ist der Ausblick auf die kommenden Monate noch deutlich von dem Pandemie-Geschehen geprägt. Die EU-Kommission rechnet für 2020 mit einem Rückgang des Bruttoinlandproduktes (BIP) in den Euro-Ländern von durchschnittlich 6,8%, für die EU insgesamt sollen es -6,3% sein. Für das laufende Jahr 2021 und das nächste Jahr wird dagegen ein Wachstum von 3,8% (Euro-Zone) und 3,7% bzw. 3,9% (EU insgesamt) vorausgesagt.
Zu den Gründen für den tiefen Absturz und die schleppende Erholung verweist die Kommission auf den Lockdown in den meisten Ländern. Insbesondere den Tourismussektor hat es hart betroffen, in Griechenland, Irland und Spanien ging er um 70% zurück, in vielen anderen Staaten waren es minus 50% oder gar 60%. Als weiterer negativer Faktor wird der Rückgang des Konsums der privaten Haushalte genannt.
EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni unterstreicht anlässlich der Interpretation der Winterprognose die Hoffnung, dass sich die Einführung des Impfstoffs trotz seines enttäuschenden Starts in den kommenden Wochen beschleunigen wird, so dass die Eindämmungsmaßnahmen im zweiten Quartal 2021 schrittweise gelockert und gegen Ende des Jahres marginal werden. Außerdem würde die Aufwärtsbewegung der Weltwirtschaft (prognostizierte 5,2% im Jahr 2021 und 3,8% im Jahr 2022 ohne EU) ebenfalls die Erholung der EU-Wirtschaften unterstützen.
Die EU-Kommission unterstellt also, dass sich der aktuelle Gegenwind infolge der anhaltenden Lockdowns nach erfolgten Lockerungen ab dem zweiten Quartal in deutlichen Rückenwind verwandelt. Dieser würde sogar noch stärker ausfallen als im vergangenen Herbst unterstellt. Das stärkere konjunkturelle Momentum in zweiten Halbjahr 2021 sowie im Jahr 2022 spiegelt sich nicht nur in der Aufwärtsrevision der BIP-Prognose für 2022 von 3,0% auf 3,8%, sondern auch in einem schnelleren Erreichen des Vor-Corona-BIP Niveaus wider.
Auch wenn die wirtschaftliche Leistung in der Währungsunion im laufenden ersten Quartal 2021 nochmals schrumpfen wird, erwartet die Kommission gleichwohl, dass die Wirtschaft bereits 2022 auf das Niveau von vor der Krise zurückkehrt. Angesichts der Lockdowns und der Impfprobleme hatte die EU-Kommission die Wachstumsprognosen für das Jahr 2021 wieder gesenkt und darauf verwiesen, dass sich die konjunkturelle Erholung verzögere. Im Frühjahr jedoch würde sie anspringen, um dann im Sommer Schwung aufnehmen.
Für die gesamte EU geht Brüssel nunmehr davon aus, dass die Wirtschaft das Vorkrisenniveau 2022 wieder erreichen wird: Dieses Jahr soll es in der 27 Staaten umfassenden Union beim BIP um 3,7% nach oben gehen, gefolgt von einem Plus von 3,9% im Jahr 2022.
Unter den 27 Ländern zeigen sich einmal mehr große Differenzen in den Wachstumsraten. Laut Gentiloni liegt das an der Struktur der jeweiligen Volkswirtschaften, vor allem der unterschiedlichen Bedeutung etwa des Tourismus. Am härtesten traf es 2020 in der EU nicht Italien, wo das BIP um 8,8% schrumpfte, sondern Spanien (–11%). Das Land erholte sich zwar im Herbst, doch banden neue Restriktionen die Wirtschaft im Winter wieder zurück. Madrid erhofft sich viel von dem Konjunkturpaket, das die Regierung mit den EU-Geldern finanzieren will. Darüber hinaus wird auch in Spanien erwartet, dass die Konsument*innen aufgeschobene Käufe und Unternehmungen bald nachholen und damit die Wirtschaft beleben.
Die erwartete Schubwirkung für die Wirtschaft durch den 750 Mrd. Euro schweren Corona-Aufbaufonds bleibt in dieser Bewertung ausgeklammert. In sogenannten Aufbau- und Resilienzplänen müssen die Länder den Einsatz der Gelder nach Vorgaben der EU festlegen. Die Mittel sollen vor allem in den Klimaschutz und eine stärkere Digitalisierung fließen. Nur bereits umgesetzte oder glaubhaft angekündigte Maßnahmen aus dem Programm ließ die Kommission in ihre Wachstumsprognose einfließen.
Größter Nutznießer des Fonds ist Italien, eines der am stärksten von der Pandemie betroffenen Länder. Gentiloni sagte, der Einsatzplan der Regierung in Rom sei bereits »weit gediehen«. Auch mit Spanien sei man bei der Kooperation auf dem richtigen Weg. Die Kommission sagt dem südeuropäischen Land nach dem historischen Konjunktureinbruch im vergangenen Jahr von 11% für 2021 nun ein Wachstum von 5,6% voraus, gefolgt von 5,3% im Jahr 2022. Auch Italien soll demnach wieder in die Wachstumsspur zurückfinden: Nach einem Minus von 8,8% im Jahr 2020 prognostiziert die Kommission für 2021 ein Plus von 3,4%.
Mit Blick auf die Entwicklung der deutschen Wirtschaft ist Brüssel mit einer Prognose eines BIP-Wachstums von 3,2% für 2021 etwas optimistischer als die Bundesregierung, die 3,0% vorhersagt. 2022 soll die deutsche Wirtschaft dann laut EU-Kommission um 3,1% zulegen.
Die außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen gestalten sich weiterhin schwierig. Dank der kontinuierlichen Schaffung von Arbeitsplätzen, eines robusten Lohnwachstums und eines unterstützenden Policy-Mix könnte die europäische Wirtschaft jedoch auf einem gemäßigten Wachstumspfad bleiben. Der private Konsum und private Investitionen, insbesondere im Bausektor, werden das Wirtschaftswachstum weiter ankurbeln, während davon auszugehen ist, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten außerdem verstärkt öffentliche Vorhaben verwirklichen und insbesondere in Verkehr und digitale Infrastruktur investieren.
Mit einer sich abzeichnenden Stabilisierung des verarbeitenden Gewerbes und der mutmaßlichen Überwindung des Rückgangs der globalen Handelsströme dürfte dies der europäischen Wirtschaft zu weiterer Expansion verhelfen. Gleichzeitig erscheinen diese Faktoren jedoch nicht ausreichend, um das Wachstum signifikant voranzutreiben. Bemerkenswert ist freilich, dass die EU-Kommission dem niedrigen Entwicklungsniveau vor der Jahrhundertkrise keine Aufmerksamkeit schenkt und faktisch ein leicht höheres Niveau erwartet.
Ob das Corona-Hilfspaket, die ihm von der Politik zugeschriebenen Aufgaben erfüllen kann, erscheint sehr fraglich. Zunächst sollen sich die nationalen Ökonomien zügig erholen. Mit der beschleunigten Heranführung an den europäischen Entwicklungstrend sollen die Unterschiede zwischen den nationalen Volkswirtschaften abgeschmolzen werden. Und schließlich will man mit den 750 Mrd. Euro auch noch die ökologische Transformation befördern.
Angesichts dieser vielfältigen Anforderungen dürfte es wenig überraschen, wenn der Optimismus der europäischen Spitzenpolitiker*innen bald wieder durch die alltäglichen Zukunftssorgen abgelöst werden wird. Es gibt keinerlei wirtschaftspolitische Überlegungen, wie der Nachholeffekt bei Produktion und Konsum in eine sozial-ökologische Aufwärtsbewegung verlängert werden könnte.