21. Januar 2021 Redaktion Sozialismus: Der neue Stil signalisiert mehr Vielfalt

Aufbruch und politischer Neubeginn in den USA

Lady Gaga und Joe Biden (Foto: dpa)

Die Amtseinführung[1] des neuen US-Präsidenten Joe Biden und der Vizepräsidentin Kamala Harris war wegen der Corona-Pandemie keine spektakuläre Feier mit viel Publikum. Gleichwohl wurde auch bei dieser Zeremonie deutlich, dass die neue Administration mit anderen Inhalten und neuem Stil gesellschaftlichen Rückhalt gewinnen will.

Mit der Schriftstellerin und Lyrikerin Amanda Gorman, die ihr Gedicht »The Hill We Climb« (»Der Hügel, den wir erklimmen«) vortrug, wurde der Grundton von Bidens Ansprache aufgenommen: Sie thematisiert ein geeintes Land, das sich »allen Kulturen, Farben, Charakteren« verpflichtet fühlt. Weiter heißt darin: »Richten wir die Blicke nicht auf das, was zwischen uns steht, sondern auf das, was vor uns steht.«

Die neue Administration organisierte eine Kulturshow, die von vielen amerikanischen Fernsehsendern live ausgestrahlt wurde. Lady Gaga sang die amerikanische Nationalhymne und Jennifer Lopez den Woody-Guthrie-Klassiker »This Land Is My Land« sowie das Stück »America The Beautiful«, integrierte darin auf Spanisch die Zeile »Eine Nation unter Gott, mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle« – Spanisch ist in den USA die zweithäufigst gesprochene Sprache und Lopez hat puertoricanische Wurzeln.

Auch bei den von verschiedenen Orten zugeschalteten musikalischen Beiträgen von Bruce Springsteen (der mit dem Klassiker »Land of Hope and Dreams« einheizte), Jon Bon Jovi, Demi Lovato und Katy Perry wurde der Grundgedanke der Vielfalt sichtbar. Biden betonte in einer kurzen Rede: »Dank Ihnen hat sich die Demokratie durchgesetzt.« Er versicherte den Zuschauern, dass er in Bezug auf die Zukunft Amerikas »noch nie so optimistisch« gewesen sei wie an diesem historischen Tag.

Der Gedanke der Verteidigung der Demokratie und des gemeinsamen Aufbruchs hatte die gesamte Antrittsrede des neuen Präsidenten bestimmt. In diesem Winter, der gleichzeitig Todesgefahr und bedeutende Chancen biete, gebe es »viel zu reparieren, viel wiederherzustellen, viel zu heilen, viel aufzubauen und viel zu gewinnen«. Das »Jahrhundertvirus«, die das Land in aller Stille heimsuche, habe unter Amerikaner*innen in einem Jahr über 400.000 Todesopfer gefordert, so viele wie der ganze Zweite Weltkrieg.

Biden betonte erneut seinen Willen zum Überwinden der tiefen Gräben in der amerikanischen Gesellschaft. Der »uncivil war« zwischen Rot und Blau, zwischen Stadt und Land, zwischen Konservativen und Fortschrittlichen müsse beendet werden und an seine Stelle die Einheit treten, mit der der Kampf gegen das wirkliche Übel gewonnen werden könne: Wut, Neid, Hass, Extremismus, Gesetzlosigkeit, Gewalt, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit: »Geschlossen können wir große Dinge schaffen!«

Zu den großen Herausforderungen, die auf Amerika zukommen, gehört nach Biden auch der Ruf nach Gerechtigkeit in den Rassenbeziehungen, der seit 400 Jahren ertönt und zuletzt immer lauter wurde. Der Traum vom gleichen Recht für alle könne nicht länger aufgeschoben werden. Die Erde rufe im Überlebenskampf verzweifelt und unüberhörbar um Hilfe, und wachsender Extremismus, Rassenwahn sowie hausgemachter Terrorismus müssten bekämpft und besiegt werden.

Biden beließ es nicht bei Reden, sondern hat unmittelbar nach Übernahme der Präsidentschaft damit begonnen, die gesellschaftliche Entwicklung mit Kursänderungen auf wichtigen Gebieten zu verändern. Bei den Dekreten und Anordnungen an die Adresse verschiedener Ämter seiner Regierung geht es um die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen, die Klimapolitik und die Zuwanderung.

Auch auf internationalem Terrain soll eine neue Dynamik sichtbar werden. Biden will u.a. die USA zurück ins Pariser Klimaabkommen bringen, hat die Baubewilligung für die umstrittene Ölpipeline Keystone XL widerrufen und wies seine Ämter an, mehr als 100 Erlasse aus der Ära Trump auf Annullierung zu überprüfen, mit denen etwa die Förderung und Verwendung von fossilen Brennstoffen, Schwerindustrie und Energiegewinnung von Regeln befreit, aber auch wesentliche Elemente von Umwelt- und Klimaschutz verwässert oder unterhöhlt wurden. Dazu gehören auch gelockerte Effizienzanforderungen für Verbrennungsmotoren.

Biden wird den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko einstellen und die Ausrufung des Notstands an der Grenze annullieren. Dieser hatte es Trump ermöglicht, Geld für sein Lieblingsprojekt abzuzweigen, obwohl der Kongress die Mittel dazu verweigerte. Wie viele Expert*innen betrachtet auch Biden den Mauerbau als Geldverschwendung, weil es andere, effizientere Mittel zur Grenzsicherung gebe. Die bereits neu gebauten oder verstärkten Teile von Trumps »Mauer« sollen allerdings stehen bleiben.

Das Schutzprogramm für junge »Papierlose« (»Dreamers«) aus der Ära Obama wird wieder vollständig in Kraft gesetzt, und wer die ursprünglichen Bedingungen erfüllt – als Kind in die USA gebracht, Schule oder Ausbildung absolviert, nicht strafbar geworden –, soll erneut temporäre Arbeitsbewilligungen erhalten und vor Ausweisung geschützt sein. Gleichzeitig will Biden eine umfassende Reform der Zuwanderung durch den Kongress erwirken, die u.a. eine definitive Aufenthaltsbewilligung für »Dreamers« und einen Pfad Richtung Staatsbürgerschaft für alle »Papierlose« in spätestens acht Jahren enthält. Das kling mutig und kühn, könnte aber auch tollkühn sein. Der Kongress hat sich in der Vergangenheit schon an viel weniger großzügigen Reformen der Zuwanderung die Zähne ausgebissen.

Die neue Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, erläuterte zudem, dass der neue Präsident eng mit dem Kongress zusammenarbeiten wolle. Zwar ständen nun sowohl das Repräsentantenhaus als auch der Senat unter der Kontrolle der Demokraten. Aber trotzdem wolle die neue Administration sich um breitere Kooperation bemühen. So sei das 1.900 Mrd. US-Dollar schwere Gesetzespaket zur Bekämpfung der Corona-Krise nicht in Stein gemeißelt.

Der neue Präsident würde es allerdings vorziehen, wenn Abgeordnete beider Parteien dem Hilfspaket zustimmen würden. Die Pressesprecherin ließ offen, ob Biden das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten befürworte. Sie sagte lediglich, der Präsident werde »das Timing« und »den Mechanismus« des anstehenden Prozesses dem Senat überlassen.

Abzuwarten bleibt, ob Biden und seine Regierung den Schwung, den sie bei Amtsantritt in den ersten zehn Tagen (nicht in hundert Tagen, wie sonst im politischen Geschäft immer proklamiert) vorlegen wollen, dann auch durchhalten werden. Und die Frage, ob außenpolitisch zum Beispiel im Verhältnis zur Volksrepublik China (Stichwort »Handelskrieg«) und zu Russland wirklich neue Akzente gesetzt werden, ist noch nicht beantwortet.

Anmerkung

[1] Eine ausführliche Analyse des Neubeginns und der großen Herausforderungen, vor den Biden und Harris stehen, wird in der gedruckten Februar-Ausgabe von Sozialismus.de erscheinen, die am 29. Januar an die Abonnent*innen verschickt wird..

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