30. September 2021 Otto König/Richard Detje: Kanonenbootpolitik im südchinesischem Meer

Aufmarsch im Indo-Pazifik – Eindämmungsstrategie gegen China

Foto: Sina Schuldt/dpa

Die Fregatte »Bayern« nahm Anfang August von Wilhelmshaven aus Kurs Richtung Indo-Pazifik.(1) Während das Kriegsschiff in See stach, operieren maritime Streitkräfte anderer westlicher Mächte bereits im militärpolitischen Hochspannungszentrum des Südchinesischen Meeres und im Pazifik. Zwar verzichtet Deutschland auf die direkte Teilnahme an Manövern oder Durchfahrten durch von China beanspruchte Gebiete, doch die Fahrt der grössten deutschen maritimen Gewichtsklasse nach Fernost ist eine Provokation an China, eine Beistandsbekundung für Verbündete in der Region und eine Solidaritätsadresse an die USA.

Das Verteidigungsministerium verhehlt die machtpolitische Komponente der Kanonenboot-Tour erst gar nicht. »Unsere regelbasierte Ordnung (2) wird auch zu Wasser verteidigt – und die deutsche Marine steht im Dienst des Friedens, der Freiheit und des Rechts«, schwadronierte Oberbefehlshaberin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK). Nachdem die Verteidigung der Sicherheit Deutschlands am Hindukusch desaströs gescheitert ist, wird sie nun im Südchinesischen Meer fortgesetzt. Der indopazifische Ozean sei »die strategisch wichtigste Region der Erde«, dort müsse Chinas Machtstreben eingedämmt werden. »Im Indopazifik entscheidet sich die Ausgestaltung der internationalen Ordnung der Zukunft. Wir wollen diese mitgestalten und Verantwortung übernehmen für den Erhalt der regelbasierten internationalen Ordnung«, sprang Heiko Maas (SPD) seiner Kabinettskollegin auf der Internetseite des AA bei.

Dass sich die Bundesregierung per Kanonenbootpolitik in die überaus gefährlichen Konflikte im Südchinesischen Meer einmischt, gehört zur sicherheitspolitischen Neuordnung, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck mit den Worten eingeleitet wurde: Deutschland müsse bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch »früher, entschiedener und substanzieller« einzubringen. In ihrer zweiten Grundsatzrede als Oberbefehlshaberin der Bundeswehr am 17. November 2020 stellte AKK auf das erste Strategiepapier der Bundesregierung für den indopazifischen Raum bezugnehmend fest: »Ich freue mich, dass die Bundesregierung umfassende Leitlinien zum Indo-Pazifik beschlossen hat, die auch die Sicherheits- und Verteidigungspolitik umfasst. Die strategische Bedeutung der Region wird damit voll anerkannt. (…) Wir werden Flagge zeigen für unsere Werte, Interessen und Partner.«

Die Bundesregierung hatte zwei Monate zuvor »Leitlinien zum Indopazifik« veröffentlicht, in denen sie ihre »Rolle als Gestaltungsmacht« bei der weltweiten Sicherstellung von »Frieden und Sicherheit«, »offenen Seewegen und Märkten« und »freiem Handel« postulierte. Es wurde angekündigt: »Die Bundesregierung wird sich gemeinsam mit Frankreich für die Erarbeitung einer europäischen Strategie zum Umgang mit dem Indo-Pazifik einsetzen.« Ohne Deutschlands neu erwachtes Interesse wäre es wohl kaum möglich gewesen, die gesamte Europäische Union hinter dieser Strategie zu versammeln.

Der als Indo-Pazifik bezeichnete Raum ist seit gut einem Jahrzehnt in den sicherheitspolitischen Fokus gerückt. Das dortige Meer ist voller kleiner, unbewohnter Atolle, deren staatliche Zugehörigkeit unter den Anrainern seit Jahrzehnten hochumstritten ist – eine der vielen Hinterlassenschaften des Kolonialismus. Die Lage im Operationsgebiet der »Bayern« ist hochsensibel, denn neben China erheben Länder wie Brunei, Malaysia, die Philippinen, Taiwan und Vietnam Gebietsansprüche. China baut künstliche Inseln, die als Militärstützpunkte dienen. Dieses Vorgehen hatte AKK schon im Mai vergangenen Jahres mit dem Vorgehen Russlands in der Ost-Ukraine verglichen: »Einige Ereignisse im Indopazifik sollten wir genauso bewerten«, zitierte sie das Handelsblatt.

Zugleich ist die Indopazifik-Region die weltweit dynamischste Wachstumsregion. Über die dortigen Seewege wird – nach Volumen gerechnet – rund ein Drittel des Welthandels abgewickelt. Spätestens seit der Finanzkrise 2008, aus der die USA geschwächt und China gestärkt hervorgegangen sind, reagierte Washington auf Beijings geopolitisches Selbstbewusstsein zunehmend konfrontativ. Die Region wurde Schauplatz des von den USA und nun auch von der EU ausgerufenen »Systemkonflikts«, in dem es um Macht und Einflusssphären geht.

Mit großem Pathos reklamiert der »Westen« für sich das Recht, für die »Freiheit« der Schifffahrtsrouten zu garantieren. Seit längerem ist die mächtige Pazifik-Flotte der USA dort im Einsatz und liefert sich Revierkämpfe mit der chinesischen Marine. Britische, französische und niederländische Kriegsschiffe verstärken die militärische Präsenz in diesem Seegebiet. Doch warum sollte die Freiheit der Schifffahrt durch China bedroht sein? Als mächtige Handelsnation ist sie an offenen Seewegen interessiert. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Im Konfliktfall können die westlichen Streitkräfte Chinas überlebenswichtige Handelsrouten blockieren. China stuft deshalb das US-amerikanische Konzept des »Freien und Offenen Indo-Pazifik« als aggressiven Versuch der Einkreisung ein.

Bereits im November 2011 hatte die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton »America’s Pacific Century« ausgerufen, ein Jahr später folgte die von Barak Obama eingeleitete militärische Schwerpunktverlagerung Richtung Asien: Die bis dato hälftig im Pazifik und im Atlantik stationierte US-Marine wurde zu einem größeren Teil nach Ostasien verlegt. Unter Präsident Donald Trump lautete im Dezember 2017 die Nationale Sicherheitsstrategie: »China zielt darauf ab, die USA aus der indopazifischen Region zu drängen, die Reichweite seines staatsbasierten Wirtschaftsmodells zu vergrößern und die Region nach seinen Vorstellungen neu zu ordnen. (…) Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die militärische Überlegenheit der USA weiterbesteht.« Ein Kurswechsel ist auch unter seinem Nachfolger Joe Biden nicht zu erwarten. »Die Welt ändert sich«, konstatierte Biden anlässlich des Abzugs vom Hindukusch; man habe es nicht nur »mit Herausforderungen an mehreren Fronten mit Russland« zu tun, man stecke darüber hinaus »in einem ernsten Wettbewerb mit China«. Washington werde in Zukunft auf Militäreinsätze zwecks »Nation Building« verzichten, um sich stattdessen auf die »neuen Herausforderungen« durch Moskau und Beijing zu konzentrieren.

Statt dem mit deeskalierenden Maßnahmen entgegenzuwirken, haben sich sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Union dazu entschieden – ungeachtet vorhandener Interessensunterschiede –, in den Auseinandersetzungen im Indo-Pazifik der USA militärisch zur Seite zu stehen. So dringt die EU-Kommission in ihrer jüngst beschlossenen »Indo-Pazifik-Strategie« auf »eine umfassendere militärische Präsenz … im Indischen und im Pazifischen Ozean«. Die EU müsse nicht nur ihre ökonomischen Beziehungen in der Region ausbauen, sondern auch häufiger Hafenbesuche sowie gemeinsame Übungen mit Anrainerstaaten durchführen, heißt es in dem Brüsseler Papier. Wie wenig jedoch die von Biden fortgesetzte »America first«-Politik Rücksicht auf die europäischen Partner nimmt, belegt der aktuell vereinbarte AUKUS-Pakt (Australien, United Kingdom, United States).(3)

Für die Bundesregierung markiert die Ausweitung des militärischen Engagements allerdings eine Gratwanderung: Sie steht im Widerspruch zu den Bemühungen, die Geschäfte mit dem Wirtschaftspartner China auszubauen. China war im Jahr 2020 zum fünften Mal in Folge wichtigster Wirtschaftspartner Deutschlands. Handelsvolumen: 212,1 Milliarden Euro, 3% mehr als im Jahr zuvor. Für Deutschland könnten sich die Beziehungen im asiatischen Raum verkomplizieren und zu unkalkulierbaren Verstrickungen in Konflikte führen.

Die Mission der Bundeswehr-Fregatte »Bayern« endet im Februar 2022 – dann wird eine neue Bundesregierung im Amt sein und ein neu gewählter Bundestag über militärische Auslandseinsätze zu entscheiden haben. Hoffentlich klüger, als es in der Vergangenheit der Fall war.

Anmerkungen:
1)Fast auf den Tag genau, vor 121 Jahren, wurde das »deutsche Ostasiatische Expeditionskorps« am 27. Juli 1900 von Bremerhaven verabschiedet. Das Ziel: China. Der Auftrag: Niederschlagung des Aufstands der patriotischen chinesischen Boxer-Freiheitsbewegung, die auch die an Chinas Ostküste gelegene deutsche Kolonie erfasst hatte. Der Deutsche Kaiser Wilhelm II verabschiedete die Seeleute mit seiner berüchtigten »Hunnenrede«: »Kommt Ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!«
2) Die Sprachregelung »regelbasierte Weltordnung« dient zur Tarnung des imperialen Konzepts, wonach die USA als »Weltpolizist« willkürlich die Regeln bestimmen und diese mit völkerrechtswidrigen Angriffskriegen wie in Afghanistan, Irak, Libyen durchzusetzen versuchen.
3) Mit dem AUKUS-Pakt, der monatelang hinter dem Rücken von Frankreich und der EU ausgehandelt wurde, soll die australische Marine nuklear angetriebene U-Boote von Großbritannien und den USA für Operationen gegen China erhalten. Das führte zu heftigen innerwestlichen Spannungen: Australien muss, um die Atom-U-Boote beschaffen zu können, einen 2016 mit Frankreich geschlossenen Vertrag zur Beschaffung von zwölf dieselgetriebenen U-Booten brechen. Damit verliert Paris ein Rüstungsgeschäft im Wert von 56 Milliarden Euro an die britisch-US-amerikanische Konkurrenz.

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