17. März 2025 Andreas Fisahn: Beschlüsse ohne öffentliche Debatten und das BVerfG

Aufrüstung durch Grundgesetzänderung

Manchmal zweifelt man am eigenen Verstand oder am Verstand der anderen. Was kaum verständlich ist, sind die Grundgesetz-Änderungen, auf die sich CDU/SPD/Grüne in aller Eile geeinigt haben.

Zunächst zum Verfahren: Am Freitag, den 14.3.2025, einigten sich CDU/SPD und Grüne. Am Sonntag darauf wurde im Haushaltsausschuss die Änderung der Grundgesetzartikel abschließend formuliert; am Dienstag, den 18.3.2025, soll der Bundestag die Änderung des GG beschließen. Nun handelt es sich nicht um eine Verordnung über die Eiergröße, die man möglicherweise in zwei Tagen beschließen kann, sondern um eine Änderung der Verfassung.

Die sollte nicht nur von den Abgeordneten des Bundestages, sondern in einer demokratischen Republik vielleicht auch von der Öffentlichkeit beraten werden. Eine Klage gegen die zu kurze Beratungszeit zum Gebäudeenergiegesetz seitens eines Abgeordneten hatte 2023 Erfolg und der Regierung wurde aufgegeben, dass dem Abgeordneten der Entwurf des Gesetzes mindestens 14 Tage vorher zugehen müsste.[1]

Der Gesetzentwurf von CDU und SPD lag seit dem Nachmittag des 10. März 2025 vor, derjenige der mit den Grünen verhandelt wurde, eben erst am 16.3.2025 – kurz: zu spät, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). In der Ablehnung des Antrages der Partei Die Linke und der AfD, dass der alte Bundestag nicht über die Grundgesetzänderung abstimmen dürfe, werden die Daten genannt.[2]

Entschieden hat das BVerfG in dem Urteil, dass der alte Bundestag noch seine Rechte wahrnehmen kann, solange der neue Bundestag nicht einberufen wurde. Denn die Bundestagspräsidentin habe nur eine Pflicht zur Einberufung des neuen Bundestages vor Ablauf des 30. Tages nach der Wahl (Art. 39 Abs. 2 GG), wenn der neue Bundestag den Willen zum Zusammentritt gebildet und sich dafür auf einen Termin verständigt hat. »Daran fehlt es hier.«

Nun ist das Argument kaum noch als schwach zu bezeichnen. Der Art. 39 GG ist in den 1970er-Jahren geändert worden, weil man feststellte, dass es nach der alten Regelung Zeiten ohne beschlussfähigen Bundestag geben konnte, also beispielsweise zwischen der Auflösung und der Neuwahl. Das wollte man verhindern. Nun hat aber die Neuwahl stattgefunden und der neue Bundestag könnte einberufen werden, ist durch die Wahl legitimiert, während der alte durch die Auflösung eher delegitimiert ist. Das hat das BVerfG aber wohl nicht beeindruckt. Der schlechte Stil eines Trump hält auch in der Bundesrepublik Einzug, man sucht sich die gerade notwendigen Mehrheiten nach Gutdünken aus. Schließlich hätte die CDU/CSU ja auch vor der Auflösung des Bundestages einer Änderung der Schuldenobergrenze zustimmen können.

Diskutiert wurde schon während der Ampel-Regierung eine Änderung der Kreditobergrenzen im Grundgesetz, die euphemistisch Schuldenbremse genannt wird. Beschlossen wurde mit den Stimmen der Konservativen ein Sondervermögen, will heißen eine Sonderschuld in Höhe von 100 Mrd. Euro, die fürs Militär ausgegeben werden (Art 87a II GG). Ansonsten verweigerten FDP und CDU/CSU eine Änderung der entsprechenden Grundgesetzartikel. Diskutiert wurde, insbesondere nachdem das BVerfG die Kreditobergrenzen ausgesprochen extensiv ausgelegt und den Spielraum für Maßnahmen im Klimaschutz und zur Sanierung der Infrastruktur damit eingeschränkt hatte, ob die strikten Kreditobergrenzen[3] nicht zugunsten der »Goldenen Regel« aufgegeben werden sollten.

Gerechtfertigt wurden Kreditobergrenzen – auch vom BVerfG – mit dem Argument, dass Schulden zulasten späterer Generationen gingen, welche die Schulden abbezahlen müssten. Das Argument erwies sich als fataler Irrtum, denn anstelle von Schulden wird künftigen Generationen eine marode Infrastruktur, notorisch verspätete Bahnen, marode Brücken, baufällige Schulen und unterfinanzierte Universitäten überlassen, die insgesamt die Wirtschaftsleistung der Republik beeinträchtigen müssen. Vorgeschlagen wurde deshalb z.B. auch von den »Vorsitzenden des politischen Beirats des Wirtschaftsforums der SPD«[4] die »Goldene Regel« (wieder) einzuführen.

Im Positionspapier des Beirates heißt es: »Auf dieser Grundlage bevorzugen wir die Goldene Regel, die öffentliche Nettoinvestitionen (beispielsweise in Infrastruktur und Bildung) von der Schuldenbremse ausnimmt, aber konsumtive Ausgaben weiterhin auf die Summe der laufenden Steuereinnahmen begrenzt. Diese Regel bietet den besten Ausgleich zwischen langfristigen Investitionen und nachhaltigen Schulden, da Investitionsausgaben in Infrastruktur, Bildung, Forschung und nachhaltige Technologien nicht nur der aktuellen Generation zugutekommen. Es ist an dieser Stelle essenziell zu betonen, dass Investitionen nicht nur Beton und Maschinen betreffen, sondern vor allem auch für die Entwicklung von Wissenskapital relevant sind.«[5] Die Konservativen haben das rigoros abgelehnt.

Nun soll die Schuldenbremse für Militärausgaben grundsätzlich aufgehoben werden, nur 1 % des BIP müssen für Militärausgaben im »normalen« Haushalt veranschlagt werden. Alles was darüber hinausgeht kann durch Schulden finanziert werden. Und die Rede ist von notwendigen Militärausgaben in Höhe von 2% (NATO-Ziel) über 3,5 % (Habecks Vorschlag) bis 5% (Forderung Trumps) des BIP, je nachdem wie kriegerisch die Protagonisten gerade drauf sind.

Zudem »kann« – so die Formulierung im Entwurf von CDU/SPD – ein Sondervermögen von 500 Milliarden eingerichtet werden, um die Infrastruktur zu sanieren. »Kann« heißt juristisch, was es auch in der Umgangssprache heißt: Es kann, muss aber nicht. Die entsprechenden Investitionen sollen innerhalb von zwölf Jahren getätigt werden. Das heißt, das umgerechnet jedes Jahr 43 Mrd. zusätzlich für Infrastruktur ausgegeben werden dürfen, wobei offen ist, ob das tatsächlich zusätzlich geschieht.

Um das in ein Verhältnis zu setzen: Das BIP hatte 2024 eine Höhe von 4305,3 Mrd. Euro,[6] der Verteidigungshaushalt hatte 2024 eine Höhe von 51 Mrd.[7] und soll – nach dem bisherigen Regierungsentwurf[8] – 2025 eine Höhe von 53 Mrd. haben, was ungefähr 10% des Bundeshaushaltes und etwas mehr als 1% des BIP ausmacht, Damit ist der Verteidigungshaushalt nach Arbeit und Soziales der zweitgrößte Posten. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Für Infrastruktur dürfen jedes Jahr 43Mrd. ausgegeben werden, für Militär sollen jedes Jahr mindestens 86 Mrd. ausgegeben werden, davon zusätzlich 50 Mrd. oder – nimmt man Habecks Vorschlag – jährlich 100 Mrd. zusätzlich, d.h. in zwölf Jahren würden nach dieser Rechnung mindestens 600 Mrd. an Schulden aufgenommen, aber eine Obergrenze gibt es nicht, es können auch 1,2 Billionen sein.

Kurz: Die – hoffentlich zusätzlichen – Ausgaben für Infrastruktur bleiben unterhalb der gegenwärtigen Militärausgaben und weit unterhalb dessen, was zukünftig zusätzlich für das Militär ausgegeben werden soll. Außerdem bleiben die Verschuldungsmöglichkeiten für Rüstung auch nach den zwölf Jahren bestehen, für die Infrastruktur ist danach oder nach 500 Mrd. Schluss. Niemand weiß, was dann ist, aber vielleicht gibt es ja noch mal Mehrheiten links von AfD und CDU im deutschen Bundestag, die dann wieder vor dem Problem stehen wie die Ampel.

Das ist ein jämmerliches Bild für die Sozialdemokratie, die für die Infrastruktur, die Goldene Regel und gegen die Schuldenbremse gekämpft hat. Und jeder weiß, dass 500 Mrd. zusätzlich nicht ausreichen, um die marode Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Allein die Bahn rechnet bis 2034 mit einem Investitionsbedarf in Höhe von 290 Milliarden Euro.

Von den 500 Mrd. aus dem Topf werden aber noch 200 Mrd. abgezogen. Die Grünen müssen der Grundgesetzänderung zustimmen, damit eine 2/3 Mehrheit zustande kommt. Sie haben sich zunächst geziert, wollen nun aber doch zustimmen, wenn – nicht etwa die Ausgaben für Militär begrenzt werden – das Infrastruktursondervermögen auch für Klimaschutz verwendet wird. Genauer: Unter die Rüstungsausgaben sollen auch Ausgaben in Cybersicherheit, Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie Nachrichtendienste und für die Unterstützung für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten fallen. Man darf gespannt sein, wann Geld für die Unterstützung Syriens gegen die Angriffe der Türkei zur Verfügung gestellt werden.

Das Sondervermögen wird begrifflich geändert und zu einem für Infrastruktur und Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045. Die Infrastrukturschulden sollen so eine Zielbestimmung erhalten, was gleich Befürchtungen auf der einen und Hoffnungen auf der anderen Seite aufkommen lässt, dass nur zumindest auch klimaschützende Ausgaben aus dem Topf bezahlt werden können. Die Sonderbestimmung zum Klimatransformationsfond allerdings lässt eine solche Interpretation kaum zu. Kurz: Bei den Infrastrukturmaßnahmen bleibt der Klimaschutz eine recht unbestimmte und damit unverbindliche Zielbestimmung.

Es sollen 100 Milliarden aus dem Sondervermögen für den Klimaschutz bereitgestellt, d.h. in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) eingespeist werden. Das sind – verteilt auf zwölf Jahre – jährlich ca. 8 Mrd.. Auch das ist ein jämmerliches Ergebnis für die Grünen, wenn deren Hauptinteresse inzwischen nicht die Aufrüstung geworden ist. Hätte jemand zu deren Gründerzeit Anfang der 1980er-Jahre prophezeit, dass die Partei 40 Jahre später vehement für Aufrüstung und Kriegsunterstützung eintritt, er wäre wohl eingewiesen worden.

Auch die Länder sollen 100 Mrd. aus dem Sondervermögens erhalten – und für die soll die gleiche Kreditobergrenze wie für den Bund gelten, also 035% des BIP, was noch auf die Länder verteilt werden muss. Bleiben also nur 300 Mrd. für die Infrastruktur des Bundes, welche allein die Bahn braucht.

Für das Militär kann unbegrenzt Geld ausgegeben werden, und zwar für unbegrenzte Zeit. Nun ist das Militär nicht gerade klimafreundlich: Ein Leopard-2-Panzer schluckt im Schnitt etwas mehr als vier Liter Diesel nicht auf 100 sondern auf einen Kilometer – entsprechend hoch ist der CO2-Ausstoß. Von den ökologischen Verheerungen, die ein Kampfeinsatz der Waffen verursacht, ganz zu schweigen. Kurz: Die Grundgesetzänderungen sind in sich widersprüchlich.

Nun lässt sich trefflich darüber streiten, wie groß die Kriegsgefahr für Deutschland, die EU oder die NATO durch Putin oder auch Trump ist. Klar ist aber: An die US-amerikanischen Rüstungsausgaben wird die EU auch in Jahren nicht herankommen, was es schwierig machen dürfte, einen Angriff der USA auf Grönland oder Kanada abzuwehren. Die USA gaben 2023 allein 916 Mrd. Dollar für Militär aus, in der EU waren es im gleichen Jahr 279 Mrd.; Russland gab etwas mehr als ein Drittel der EU und ca. ein Zehntel der USA aus, nämlich 109 Mrd. Dollar.[9] Nun sind das offizielle Angaben, Schattenhaushalte sind nicht berücksichtigt. Wichtiger ist aber, dass die Kaufkraft sehr unterschiedlich ist, so dass man nicht einfach die Rubel in Dollar umrechnen kann, was beim Euro geht. Aber es gibt Umrechnungen in Kaufkraftparitäten für das Jahr 2019, deren Ergebnis sieht wie folgt aus: [10]

Rechnet man die Kaufkraft ein, gaben die USA 734 Dollar für Rüstung aus, Russland deutlich mehr als nach offiziellem Wechselkurs, nämlich 165,8 Mrd. Dollar, nach offiziellem Wechselkurs waren es 2019 »nur« 65 Mrd. Dollar. Rechnen wir großzügig, lagen die Rüstungsausgaben Russlands nach Kaufkraftparität dreimal so hoch wie nach dem Umrechnungskurs. Übertragen auf die Ausgaben der EU und Russland im Jahr 2023, kommt man so zu einer Parität, die es kaum rechtfertigt, die Rüstungsausgaben der EU deutlich zu erhöhen. Zu den von den Mitgliedstaaten geforderten Erhöhungen kommt hinzu, dass Ursula von der Leyen 800 Mrd. Euro zusätzlich für die Aufrüstung der EU »mobilisieren« will, wie es so schön heißt, wenn man auch private Gelder auftreiben will. Die Bedrohungsszenarien geben das nicht her, insbesondere wenn man einrechnet, dass Putin schon in der kleinen Ukraine auf die Hose bekommen hat.

Wichtiger: Im imperialen Gerangel können weder Deutschland noch die EU wirklich mitspielen; auf das will sich die CDU/ SPD Koalition aber offenbar einlassen. Das ist ein gefährlicher Irrweg, der die EU auch da schwächen dürfte, wo sie gegenwärtig noch stark ist, in der Wirtschaft.

Andreas Fisahn ist Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Bielefeld. Im VSA: Verlag gab er zueletz den AttacBasisText »Demokratie in Gefahr? 75 Jahre Grundgesetz«. heraus.

Anmerkungen

[1] BVerfG v. 5.7.2023 – 2 BvE 4/23.
[2] BVerfG v. 13.3.2025 – 2 BvE 3/25.
[3] Die geltenden Kreditobergrenzen (Art 109, 115 GG) erlauben dem Bund eine Kreditaufnahme in Höhe von 0,35% des BIP, die Länder sollen vollständig ohne Schulden auskommen. Davon gibt es Ausnahmen, die vom BVerfG aber eng ausgelegt wurden.
[4] Das Wirtschaftsforum beschreibt sich selbst folgendermaßen: »Das Wirtschaftsforum der SPD ist ein unabhängiger unternehmerischer Berufsverband und hat als eigenständig eingetragener Verein keine finanziellen, personellen oder strukturellen Verbindungen zu einer politischen Partei. […] Der Verband wurde auf Initiative des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der TUI AG, Dr. Michael Frenzel und einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern im Februar 2015 gegründet. Er hat sich die Förderung und Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert zur Aufgabe gesetzt und begreift nachhaltigen und innovativen ökonomischen Erfolg als Ergebnis des Zusammenwirkens von wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt.«
[5] www.spd-wirtschaftsforum.de/wp-content/uploads/2024/04/Politischer-Beirat_Goldene-Regel_202404.pdf. Progressive Ökonomen fordern das schon länger, siehe Rudolf Hickel: Schuldenbremse oder »goldene Regel«? Verantwortungsvolle Finanzpolitik für die sozial-ökologische Zeitenwende (VSA: Verlag Hamburg 2024).
[6] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1251/umfrage/entwicklung-des-bruttoinlandsprodukts-seit-dem-jahr-1991/.
[7] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/449433/umfrage/bundeshaushalt-ausgaben-nach-ressorts/.
[8] https://www.bundeshaushalt.de/DE/Bundeshaushalt-digital/bundeshaushalt-digital.html.
[9] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157935/umfrage/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben/.
[10] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5141-die-internationale-vergleichbarkeit-von-militaerausgaben-und-der-big-mac-index.

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