10. Februar 2018 Joachim Bischoff: Der Unmut in der CDU ist groß

Aufstand gegen Merkel?

Foto:dpa

Die Medien richten den Blick vor allem auf das Personal-Chaos in der SPD, nachdem Martin Schulz hingeworfen hat. Aber auch an der konservativen Basis der CDU gärt es. Der Unmut über den »Ausverkauf« durch die Kanzlerin ist groß. Der Missmut zieht sich durch weite Teile der konservativen Basis, die der Kanzlerin einen »Ausverkauf« der Werte und der wichtigsten Ämter vorwirft.

Die Funktionäre murren diesmal nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand. Mitunter ist sogar von »Revolutionsstimmung« die Rede.

Die rechtspopulistische AfD sieht »goldene Zeiten« für die Opposition heraufdämmern, aber »schlechte Zeiten« für Deutschland. Selbst die »Bild«-Zeitung, der treue Medienbegleiter von Angela Merkel durch die diversen politischen Wendemanöver (Wehrpflicht, Ausstieg aus der Atomtechnologie, Schwulen-Ehe), geht auf der Titelseite auf Distanz: »Kanzlerin um jeden Preis«, heißt es da. Und: »Merkel schenkt der SPD die Regierung.«

Bei den Wirtschaftsverbänden und dem rechten Flügel der Christdemokraten wird deutlich Missmut artikuliert. »Die Unzufriedenheit ist sehr groß an der Basis«, sagte der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak. »Das waren keine guten Tage, und es brodelt eigentlich an allen Stellen.« Die Autorität der Kanzlerin sei »nicht nur innerhalb der Partei erschüttert, sondern auch in ihrer Amtsführung als Regierungschefin«, erklärte der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael von Abercron. »Die Ressortverteilung war ein politischer Fehler«, so der Chef des Parlamentskreises Mittelstand, Christian von Stetten von der CDU.

Die Boulevard- Zeitung »Bild« wird zum Sprachrohr des »Aufstandes der Konservativen«. Der von Merkel weggemobbte CDU-Finanzexperte Friedrich Merz, der sich bislang aus dem politischen Alltagsgetümmel heraushielt, wird zum Kronzeugen: »Wenn die CDU diese Demütigung auch noch hinnimmt, hat sie sich selbst aufgegeben«, sagte er der »Bild«-Zeitung.

Ist dies mehr als der Sturm im Wasserglas? Die gedemütigte CDU wird es letztlich hinnehmen, gibt sich jedoch nicht auf und orientiert sich wie gewohnt an der herausragenden Figur Merkel. Die Zeit ist noch nicht reif für den Führungswechsel in der Union. Die Stimmungsmache der »Bild«-Zeitung sollte allerdings nicht unterschätzt werden: »Bislang finden nur Merz und einige andere den Mut auszusprechen, was viele in der CDU laut denken. Wenn nun noch die vielen CDU-Schweiglinge den Mund aufmachen – all jene, die sonst nur in Hinterzimmern offen sagen, was Merkel ihrer Meinung nach falsch macht – wird das Beben der Basis auch die Kanzlerin erreichen.«

Merkels Stellvertreter sind mittlerweile unterwegs und beruhigen. Thomas Strobl und Julia Klöckner, die erste Wahl für das Amt der Landwirtschaftsministerin, betonten die Bedeutung der Rückeroberung des Wirtschaftsministeriums – der Domäne Ludwig Erhards – für die CDU nach 50 Jahren. Für viele in der Partei ist dies jedoch nur ein schwacher Trost. Manche sind freilich auch bereits genervt vom internen Merkel-Bashing. »Wozu die Regierungs- und Parteichefin unnötig schwächen?«, fragen sie.

Angela Merkel wird in den kommenden Wochen viel Mühe aufwenden müssen, um ihre Partei von den Vorteilen der neuen alten Großen Koalition zu überzeugen. So manchen in der CDU wird erst jetzt voll bewusst, was die Regierungschefin gemeint hat, als sie vor der entscheidenden Verhandlungsphase geunkt hat, es würden »schmerzhafte Kompromisse« auf alle zukommen. Insbesondere Andrea Nahles, die designierte SPD-Chefin, hat dem Vernehmen nach verhandelt, »bis es quietscht« – wie sie vollmundig angekündigt hat.

Vor allem die Preisgabe des Finanzministeriums erregt Unmut in der CDU. Hochrangige Funktionäre wie Daniel Günther, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und einer der Galionsfiguren der jüngeren Generation, tadelt dies als gravierenden Fehler. Der Repräsentant der »Lohnabhängigen« in der Union, Karl-Josef Laumann, Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft und Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen, hält dagegen: Er unterstütze den Koalitionsvertrag entschieden.

Es ist die charakteristische Fehleinschätzung der neoliberalen Rechtskonservativen, die Sozialausschüsse der Union mit ihren gewerkschaftsnahen Forderungen in den Bereichen Sozial- und Arbeitsmarkt sowie der Stärkung des Tarifrechtes zu ignorieren. Natürlich sei es schade, dass die CDU das mächtige Finanzministerium abgetreten habe, unterstreicht Laumann. Doch man müsse bedenken, dass die SPD nach dem Scheitern der Jamaica-Koalition eine starke Verhandlungsposition gehabt habe. »Wer jetzt meint, wir hätten uns zu billig verkauft, der muss mit der FDP reden. Die hat gekniffen.« Die Kritik des Wirtschaftsflügels an der Kanzlerin hält Laumann generell für übertrieben. »Die motzen doch immer.«

Der Hinweis auf die gescheiterten Verhandlungen mit der FDP führt weiter: Die FDP wollte mehr Deregulierung, mehr Eigenvorsorge, weniger Staat und eine Fortführung der Austeritätspolitik auch auf europäischer Ebene.

Die Verwirrung auf der politischen Bühne in Berlin ist groß. Schon Antonio Gramsci warnte stets davor, auf die Pirouetten des politischen Karnevals hereinzufallen. Selbstverständlich hätte das fragile politische Kräfteverhältnis auch für eine Jamaika-Verschiebung in Richtung von weniger Staat, Entlastung der Unternehmen und der Reichen, sowie einer Fortführung des harten Austeritätskurses in der Euro-Zone gereicht. Die FDP wollte ihre neoliberalen Erfolge in Nordrhein-Westfahlen und Schleswig-Holstein toppen und hat sich gegenüber den Unionsparteien und den schläfrigen, orientierungslosen Grünen vergaloppiert.

Gewonnen hat eine Allianz von Sozialdemokraten und Sozialausschüssen, kombiniert mit der Einschätzung, dass eine Fortsetzung des aggressiven Europa-Kurses das Projekt einer politischen Alternative Europas in den Zeiten der Weltunordnung aufs Spiel setzen könnte. Der FAZ-Herausgeber Holger Stelzner bringt die Sache auf den Punkt: »Angeblich sei Merkel jetzt in ihrer Paradedisziplin durch eine ›Nacht des langen Schweigens‹ von der knochenharten SPD über den Tisch gezogen worden. So wollen es Berliner Beobachter erfahren haben. Was jedoch nicht gestreut wurde: Das Finanzministerium hatte Merkel dem SPD-Chef Schulz schon in den Sondierungsgesprächen zugesagt, obendrein das Außenministerium, Sigmar Gabriel sollte der Außenminister allerdings nicht mehr heißen.« (CDU: Wut – SPD: Streit, in: FAZ vom 10.2.2018)

Der Vize-Vorsitzende der SPD Olaf Scholz weist jede Vermutung, es könne eine Aufweichung der Politik der Schuldenbremse und der schwarzen Null geben, entschieden zurück. In der Tat wird dies durch seine Regierungspraxis in Hamburg belegt. Der als künftiger Finanzminister gehandelte SPD-Politiker beteuert, dass seine Partei in einer großen Koalition am ausgeglichenen Haushalt festhalten wird. »Die Sozialdemokraten stehen für solide Finanzen.« Der neuen Bundesregierung stünden in den kommenden vier Jahren insgesamt 1,4 Bio. Euro zur Verfügung. »Ansonsten sind wir auf zusätzliches Wachstum und daraus entspringende Steuermehreinnahmen angewiesen«, erklärte Scholz. »Bei allen zusätzlichen Wünschen müssen wir genau schauen, was wir uns leisten können und was nicht.«

Der führende Sozialdemokrat kündigte aber zugleich einen Kurswechsel in der europäischen Finanzpolitik an. »Wir wollen anderen europäischen Staaten nicht vorschreiben, wie sie sich zu entwickeln haben«, sagte Scholz. »Da sind in der Vergangenheit sicherlich Fehler gemacht worden.«

Das Finanzministerium ist unter der langjährigen Regie von Wolfgang Schäuble, immer mehr in die Rolle eines informellen Außenministeriums für Europa hineingewachsen. Dies hat mit der Schuldenkrise und der lange Zeit mehrheitsfähigen Austeritätspolitik zu tun, die die Euro-Zone z.T. an den Rand der Existenz brachte. Entsprechend ist das Finanzministerium zentral geworden, wenn es um Reformen der EU und der Euro-Zone geht. Schäuble hatte man während seiner Amtszeit sogar als »Schattenkanzler« bezeichnet. Der nun ausgehandelte Koalitionsvertrag beginnt mit dem Europa-Thema.

Das von der SPD und anderen Pro-Europäern geforderte »Ende des Spardiktats« ist nichts anderes als ein Tritt in die Tonne für das von Schäuble hochgehaltene Prinzip, dass es Hilfen nur gegen Auflagen oder Strukturreformen geben kann. Angela Merkels kühler Abschied von der ideologischen Ausrichtung Schäubles ist die neueste ihrer berühmt-berüchtigten Kehrtwenden. CDU-PolitikerInnen sind daher von der Besetzung des Finanzministeriums erschüttert und fordern vom nächsten Finanzminister, dass die Europapolitik von Wolfgang Schäuble fortgesetzt wird.

Leider sind die politischen Linien auch in der SPD durch die Personaldebatte überlagert. Dass die Linkspartei mit ihrer mehrheitlich anti-europäischen Grundausrichtung keine Hilfestellung leisten kann und will, versteht sich von selbst. In der SPD herrscht »blankes Chaos«, denn derzeit wisse niemand, wo es hingehen soll – und mit wem. Gegner als auch Befürworter der Großen Koalition hätten Angst, dass die SPD in den Umfragen weiter abstürzt. Die Gegner der Großen Koalition argumentieren, dass die SPD sich in der Opposition erneuern könnte, Befürworter fürchten, dass die SPD in der Opposition für Jahrzehnte in der Versenkung verschwindet.

Der Ausgang dieses politischen Karnevals wird in Südeuropa mit großem Interesse verfolgt. In Italien, wo in wenigen Wochen, Neuwahlen mit ungewissem Ausgang anstehen, titelt die Wirtschaftszeitung »Il Sole 24 Ore« mit Blick auf die große Koalition: »Weniger Austerität, mehr Europa«. Italiens Qualitätsblatt »Corriere della Sera« kommentiert, nun sei schwarz auf weiß geschrieben, dass Deutschland mehr Verpflichtungen gegenüber Europa eingehen werde: »Mehr Beiträge für den europäischen Haushalt, die Akzeptanz für das Prinzip der Fiskalunion mit einer makroökonomischen Stabilisierung sowie der Umwandlung des Europäischen Rettungsfonds (ESM) in eine Institution unter der Kontrolle der Europäischen Union.«

Die kleine Chance auf eine andere Europapolitik heißt nicht, dass sie praktisch wahr wird –und eingelöst werden müsste sie in den nächsten Wochen auch noch.

Zurück