3. Oktober 2021 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Der Arbeitsmarkt in Deutschland zu Herbstbeginn

Aufwind für die Beschäftigung

Die Bekämpfung der Corona-Pandemie hatte deutliche Rückwirkungen auf den Umfang der beschäftigten Lohnarbeit. Mit Beginn des Herbstes zeigt sich ein deutlicher Fortschritt bei der Impfquote und damit nimmt in Verbindung mit der Belebung der Wirtschaftskonjunktur auch die Beschäftigung zu.

Das zeigt sich sowohl bei der Kurzarbeit als auch im Rückgang der Arbeitslosigkeit. Der weltwirtschaftliche Aufschwung wird die Exporte aus Deutschland weiter beflügeln, sobald die Hemmkraft der Lieferengpässe im Laufe des kommenden Jahres abklingt. Die günstigen Absatzperspektiven werden auch die bisher schleppende Investitionstätigkeit anregen. Zudem könnte der private Konsum mit dem Auslaufen der Pandemie sowie der verbesserten Einkommenssituation und einem Rückgang der Sparquote eine beachtliche Dynamik entfalten.

Die Wirtschaftsleistung in Deutschland zeigt vor dem Hintergrund des Aufschwunges in der Globalökonomie deutliche Erholungstendenzen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im zweiten Quartal preis-, saison- und kalenderbereinigt um 1,6% gegenüber dem ersten Quartal. Im dritten Quartal wird sich die Erholung fortsetzen. Eine Reihe von Branchen profitiert von Nach- und Aufholeffekten. Allerdings bremsen weiterhin Materialengpässe. Risiken bestehen außerdem trotz der Impffortschritte aufgrund von möglichen coronabedingten Einschränkungen im Winter.

Wie sich die Jobchancen weiterentwickeln, hängt stark mit der Konjunktur zusammen. Derzeit schrumpft die Produktion in der deutschen Industrie, weil wichtige Teile wie Chips für die Automobilproduktion fehlen. Nach der Corona-Krise springt die Wirtschaft überall auf der Welt an, Konsument:innen kaufen mehr. Sehr viele Unternehmen wollen mehr herstellen, was die Lieferanten von Vorprodukten überfordert. »Die Engpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten bremsen das Wachstum der deutschen Wirtschaft bis weit ins nächste Jahr«, schätzt Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Er erwartet dieses Jahr nur noch 2,6% Wirtschaftswachstum.

Die logische Folge: Die gute Arbeitsmarktentwicklung setzt sich fort. Im Zuge der Herbstbelebung sind Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung kräftig gesunken, auch saisonbereinigt waren deutliche Rückgänge zu verzeichnen. Der erhöhende Einfluss der Corona-Krise wird kleiner, ist aber weiterhin sichtbar.

So hat sich die Arbeitslosigkeit von August auf September um 114.000 oder 4% auf 2.465.000 Betroffene verringert. Die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit), die Veränderungen in der Arbeitsmarktpolitik und kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt, ist im September saisonbereinigt um 54.000 zurückgegangen. Nach den weitergehenden Öffnungsschritten seit Juni sind Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung damit saisonbereinigt noch einmal deutlich gesunken. Dabei gab es – im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 – weiterhin weniger Zugänge von Arbeitslosen aus Beschäftigung, aber auch mehr Beschäftigungsaufnahmen.

Im Vergleich zum Vorjahr war die Zahl der Arbeitslosen im September um 382.000 oder 13% niedriger. Die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) ist gegenüber dem Vorjahr um 393.000 oder 11% auf 3.233.000 gesunken, nach 358.000 oder -10% im August. Die Rückgänge gegenüber dem Vorjahr hängen damit zusammen, dass der September des Vorjahres von der Corona-Krise stärker betroffen war.

Die Auswirkungen der Corona-Krise können daher nicht mehr an den Vorjahrsveränderungen abgelesen werden. Nach einer Schätzung der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist aufgrund der Corona-Krise das Niveau der Arbeitslosigkeit im September 2021 um 232.000 und das der Unterbeschäftigung um 95.000 erhöht. Damit liegen die Gesamt-Corona-Effekte im September deutlich unter ihren Höchstwerten. In der Spitze betrug der Gesamt-Corona-Effekt für die Arbeitslosigkeit im Juni 2020 insgesamt 638.000 und für die Unterbeschäftigung im August 2020 rund 504.000.


Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung legt zu

Die Zahl der Erwerbstätigen hat nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im August saisonbereinigt um 66.000 zugenommen. Der Zuwachs der Erwerbstätigkeit gegenüber dem Vorjahr dürfte allein auf der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung beruhen. Nach der Hochrechnung der Statistik der BA hat diese im Juli gegenüber dem Vorjahr um 481.000 oder 1,4% auf 33,71 Mio. zugenommen. Der Anstieg resultiert aus dem Beschäftigungsaufbau nach dem Einbruch im ersten Lockdown.

In saisonbereinigter Betrachtung liegt sie mittlerweile wieder über dem Vorkrisenniveau (gegenüber Februar 2020: +98.000 oder 0,3%). Trotz dieses Zuwachses dürfte die Corona-Krise das Niveau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aber schätzungsweise um 495.000 verringert haben, wenn unterstellt wird, dass sich der positive Wachstumstrend der Zeit vor Corona fortgesetzt hätte.

Im Vorjahresvergleich werden in den Wirtschaftszweigen überwiegend Anstiege ausgewiesen. Die absolut größten Zuwächse im Juli registrierten die Leiharbeit (Arbeitnehmerüberlassung +80.000 oder +12,6%) und das Gesundheitswesen (+75.000 oder +2,9%). In zwei Branchen gab es gegenüber dem Vorjahr besonders ausgeprägte Rückgänge: in der Metall- und Elektroindustrie (-52.000 oder -1,2%) und im Gastgewerbe (-36.00 oder -3,5%).

Dabei dürfte der Rückgang im Gastgewerbe allein mit der Corona-Krise zusammenhängen, während in der Metall- und Elektroindustrie sich die schon vorher rückläufige Entwicklung fortgesetzt hat. Das Niveau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung dürfte sich aufgrund der Corona-Krise im Gastgewerbe schätzungsweise um 169.000 und in der Metall- und Elektroindustrie um 89.000 verringert haben. Dabei wird unterstellt, dass sich die Trends der Zeit vor Corona fortgesetzt haben.


Prekäre Beschäftigte unter Druck

Die sonstigen Formen der Erwerbstätigkeit haben sich saisonbereinigt unterschiedlich entwickelt. Anders als bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sind hier auch im Vergleich zum Vorjahr noch erhebliche Rückgänge festzustellen. So ist die Zahl der Selbständigen (einschließlich mithelfender Familienangehöriger) nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im zweiten Quartal 2021 saisonbereinigt um 21.000 gesunken. Gegenüber dem Vorjahr hat die Selbständigkeit um 125.000 oder 3,1% auf 3,93 Mio. abgenommen, nach 139.000 oder -3,4% im ersten Quartal 2021.

Die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnt Beschäftigten hat sich im Juli saisonbereinigt um 33.000 erhöht, nach +52.000 im Juni. Im Vergleich zum Vorjahr nahm die ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigung im Juli um 122.000 oder 2,8% auf 4,18 Mio. ab, nach -119.000 oder ebenfalls -2,8% im Juni. Anders als die sozialversicherungspflichtige liegt die ausschließlich geringfügige Beschäftigung weiter deutlich unter dem Vorkrisenniveau (saisonbereinigt gegenüber dem Februar 2020: -395.000 oder -9%). Berücksichtigt man, dass die ausschließlich geringfügige Beschäftigung schon vor der Corona-Krise rückläufig war, kann man 258.000 des Rückgangs der Corona-Krise zuschreiben.

Die Zahl der geringfügig entlohnt Beschäftigten im Nebenjob hat sich im Juli saisonbereinigt um 24.000 erhöht, nach +51.000 im Juni. Im Vorjahresvergleich ist ebenfalls eine Zunahme zu verzeichnen. So waren im Juli 3,02 Mio. oder 9,0% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zusätzlich im Nebenjob geringfügig entlohnt beschäftigt, 185.000 oder 6,5% mehr als vor einem Jahr.


Kurzarbeit nimmt deutlich ab

Daten zur tatsächlichen Inanspruchnahme der Kurzarbeit stehen bis Juli 2021 zur Verfügung. In diesem Monat wurde für 927.000 Arbeitnehmer:innen konjunkturelles Kurzarbeitergeld gezahlt, nach 1,54 Mio. im Juni und 2,35 Mio. im Mai. Die Inanspruchnahme nimmt damit seit März deutlich ab, nachdem sie zuvor infolge der verschärften Eindämmungsmaßnahmen gestiegen war. Im April 2020, dem Monat mit der höchsten Kurzarbeiterzahl in der Corona-Krise, wurden knapp sechs Mio. Kurzarbeiter:innen registriert.

Der durchschnittliche Arbeitsausfall belief sich im Juli 2021 auf 43%. Damit hat der Einsatz von Kurzarbeit in diesem Monat rechnerisch Arbeitsplätze für 397.000 Beschäftigte gesichert und deren vorübergehende Arbeitslosigkeit verhindert. Im Juni betrug der Arbeitsausfall 42%, im Oktober 2020 (dem Monat vor der Verschärfung der Eindämmungsmaßnahmen) waren es 37% und im April 2020 51%.


Langzeitarbeitslose auf der Verliererseite

Von den 2.465.000 Arbeitslosen im September wurden 864.000 oder 35% im Rechtskreis SGB III von einer Agentur für Arbeit und 1.601.000 oder 65% im Rechtskreis SGB II von einem Jobcenter betreut. In den Rechtskreis des SGB III fallen jene, die aufgrund ihrer Beitragszahlungen grundsätzlich Ansprüche auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung haben. In den Rechtskreis des SGB II (Hartz IV) fallen demgegenüber Arbeitslose, die keine Versicherungsansprüche haben und hilfebedürftig sind.

Die Corona-Krise hatte sich zunächst stärker im Rechtskreis SGB III ausgewirkt. Dabei hat auch eine Rolle gespielt, dass die Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld zeitweise um drei Monate Übergänge in die Grundsicherung verhindert bzw. verzögert hat. Mit der Verfestigung der Arbeitslosigkeit verschob sich der Corona-Effekt in den Rechtskreis SGB II, weil es infolge des längeren Verbleibs in der Arbeitslosigkeit zu vermehrten Übertritten vom Rechtskreis SGB III in den Rechtskreis SGB II gekommen war.

Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Arbeitslosigkeit im Rechtskreis SGB II im September um 8.000 oder 0,5% verringert. Die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) ist im Vorjahresvergleich um 10.000 oder 0,5% gesunken. Ein Grund für die im Vergleich zum Rechtskreis SGB III ungünstigere Entwicklung war, dass vor allem im ersten Halbjahr deutlich mehr Arbeitslose als im Vor-Corona-Zeitraum nach Ausschöpfen ihres Arbeitslosengeld-Anspruchs in den Rechtskreis SGB II gewechselt sind. Die coronabedingte Erhöhung von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung wird für den Rechtskreis SGB II bis September in der Summe auf 327.000 bzw. 224.000 geschätzt.

Die Corona-Krise hat zu einer Verfestigung der Arbeitslosigkeit geführt. Von August auf September hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen, also der Personen, die länger als 12 Monate arbeitslos waren, allerdings leicht verringert, und zwar um 17.000 oder 2% auf 1,03 Mio. Im gleichen Monat des Vorjahres, im September 2020, ist die Langzeitarbeitslosigkeit um 16.000 oder 2% gestiegen, in den drei Jahren vor Einsetzen der Corona-Krise ist sie im September durchschnittlich um 15.000 oder 2% gesunken.

Die Verfestigung zeigt sich im Abstand zum Vorjahr, der sich im September auf +151.000 oder +17% belief. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen hat sich gegenüber dem Vorjahr von 30,9% auf 41,8% erhöht. Die coronabedingt höhere Langzeitarbeitslosigkeit nach April 2020 erklärte sich zum einen mit mehr Übertritten in Langzeitarbeitslosigkeit, weil Beschäftigungsaufnahmen und Förderungen vor deren Eintritt deutlich weniger geworden sind als im Vergleichszeitraum April 2018 bis September 2019. Zum anderen beendeten seit April 2020 merklich weniger Langzeitarbeitslose ihre Arbeitslosigkeit, etwa durch eine Beschäftigungsaufnahme oder eine Fördermaßnahme. Am aktuellen Rand gibt es jedoch Anzeichen der Besserung, da die Abgangschancen in den ersten Arbeitsmarkt steigen.


Anforderungen an eine neue Bundesregierung

Vor dem Hintergrund der positiven Arbeitsmarktentwicklung verweist Bundesarbeitsminister Hubertus Heil darauf, »dass es richtig war die Sonderregeln zum Kurzarbeitergeld bis Ende des Jahres zu verlängern. Denn trotz sinkender Zahlen befinden sich nach wie vor viele Menschen in Kurzarbeit. Im Juli waren knapp eine Millionen Menschen in Kurzarbeit. Das zeigt: Kurzarbeit bleibt zentral im Übergang hin zu einem sich normalisierenden Arbeitsmarkt, bei dem einige Branchen noch immer unter Materialengpässen leiden. Die Tendenz für den beginnenden Herbst ist jedoch vielversprechend.«

Ein besonderes Augenmerk sollte die Beschäftigungspolitik nach seiner Auffassung auf die Verringerung von Langzeitarbeitslosigkeit in diesem Land richten. »Im September 2021 waren 1,03 Millionen Menschen 12 Monate oder länger arbeitslos. Das ist im Vergleich zum September 2019 ein Plus von 317.000 Menschen, die Auswirkungen der Pandemie zeigen sich deutlich.«

Weitere Schwerpunkte müssten die von Grünen und SPD versprochene Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro sowie die Zurückdrängung der verschiedenen Formen prekärer Beschäftigung und eine Stärkung der Gewerkschaften durch z.B. eine Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen sein. Darüber hinaus geht es um die soziale Gestaltung des anstehenden ökonomisch-sozialen Wandels, wie sie z.B. der DGB fordert.

Das DGB-Bundesvorstandsmitglied Anja Piel sagte anlässlich der Bekanntgabe der aktuellen Arbeitsmarktzahlen: »Bis 2035 werden sieben Millionen Beschäftigte angesichts der Transformation zu einer digitalen und klimafreundlichen Wirtschaft neue Perspektiven brauchen. Nur wenn dieser Strukturwandel in klugen arbeitsmarktpolitischen Leitplanken stattfindet, können Beschäftigung und Fachkräfte gleichermaßen gesichert werden. Strukturschwache Regionen gehören nach oben auf die Prioritätenliste: Beschäftigte wie Arbeitslose brauchen gute Weiterbildungsberatung und Arbeitsförderung. … Künftige Regierungsparteien sind gut beraten, die Krisenlasten nicht auf die Bundesagentur für Arbeit abzuwälzen und keinesfalls den Rotstift bei Arbeitsförderung und Bildung anzusetzen. Eine handlungsfähige Arbeitsmarktpolitik, bei der die Bundesagentur die sozialpartnerschaftlichen Anstrengungen flankiert, ist die Voraussetzung, um Menschen fit für die Transformation zu machen und so dauerhaft Beschäftigung zu sichern.«

Ob und wie eine solche Politik in einer Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP umsetzbar ist, bleibt vor allem angesichts der ideologischen Ausrichtung der Freidemokraten abzuwarten. Die FDP gilt nicht als Freund intensiver staatlicher Förderung. Die Bundesagentur für Arbeit hält dagegen die Förderung im sozialen Arbeitsmarkt für nötig, damit Menschen im anstehenden Strukturwandel der Wirtschaft nicht abgehängt werden.

Die spannende Frage ist, welche Wege die neue Bundesregierung bei der Beschäftigungspolitik einschlägt. Im Wahlkampf haben die Parteien Unterschiedliches vorgeschlagen. So fordern SPD und Grüne eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro die Stunde. Union und FDP wollen diese Fragen dagegen wie bisher komplett der Regierungskommission überlassen.

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