29. April 2024 Peter Stahn: 100 Tage Schwarz-Rot in Hessen

Außer Versprechen nichts gewesen

Kabinett mit Parteivorsitzenden

Nach einem Jahrzehnt schwarz-grüner Koalition trat am 19. Januar 2024 die erste von der CDU geführte Regierung mit der SPD in Hessen an. Am Kabinettstisch sitzen neben dem Ministerpräsidenten Boris Rhein acht Unionsminister*innen mit drei Politiker*innen des sozialdemokratischen Juniorpartners zusammen, der zuvor 25 Jahre lang nicht mehr regiert hatte.

Besonders populär ist die neue Koalition in Hessen auch nach 100 Tagen an der Macht nicht. Den Koalitionswechsel von Schwarz-Grün auf Schwarz-Rot bewerten lediglich 43% der Befragten in Hessen im April 2024 positiv. Eine Mehrheit für diese Entscheidung gibt es auch nach 100 Tagen nicht (HR-Hessentrend vom 26.4.2024).

Dennoch steigert die Union – seit 1999 in diesem Bundesland an der Macht – in Hessen ihr aktuelles Umfrageergebnis seit der Landtagswahl im vergangenen Oktober auf 37% in der Sonntagsfrage, was mehr als doppelt so hoch ist wie das der drei nächstfolgenden Parteien. SPD und Grüne stagnieren jeweils bei 15%.

Bis zum Beginn der Ampel-Regierung im Bund und dem Streit um das Heizungsgesetz lagen die Grünen in den Umfragen in Hessen nicht weit hinter der CDU auf Platz 2. Die FDP erreicht knapp 5%. Das Bündnis Sahra Wagenknecht liegt mit 3% unter dem Anteil, der für den Landtag reichen würde, während Die Linke selbst noch darunter liegt und unter die sonstigen Parteien eingeordnet wurde (siehe die vorstehende Abbildung).

Die zentralen Herausforderungen für die Landespolitik haben sich kaum verändert. Laut dem erwähnten HR-Hessentrend sind Zuwanderung und Asylpolitik (30%) sowie die Bildungspolitik (an Schulen und Hochschulen 26%) die Anliegen, die die Menschen in Hessen aktuell am meisten bewegen.

Bei der Erfüllung der Versprechen der schwarz-roten Landesregierung im sogenannten 100 Tage-Sofortprogramm »11+1 für Hessen« (bei 11 Minister*innen und ein Ministerpräsident) stehen hingegen allein die (populistischen) Themen der CDU im Vordergrund: Kurzfristlösungen wie das Gender-Verbot an Schulen und Behörden (unter den 50% der Befürworter sind nach einer Befragung durch infratest dimap vor allem Anhänger* innen von AfD – 71%, CDU – 68% und FDP – 55%) sowie die Erhöhung der Sicherheit im Bahnhofsviertel der Stadt Frankfurt mit inzwischen rund 20.000 Personenkontrollen und Polizei-Razzien. Diese Maßnahmen zielen auf das Klientel der CDU.

Allen anderen Themen des Sofortprogramms – wie Hessengeld für Häuslebauer, zusätzliche Deutschstunde in der Grundschule, kostenlose Meisterausbildung, Bürokratiebefreiung im Ehrenamt – mangelt es entweder an der Finanzierung oder ließen sich nicht in 100 Tagen realisieren. Ob diese Vorhaben von der Landesregierung überhaupt weiter verfolgt werden, wird sich noch erweisen müssen.

Programmpunkte, die die SPD sofort anpacken könnte, wurden bislang ebenfalls nicht konkretisiert: Initiativen für mehr Wohnungsbau, Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen und nicht zuletzt die Umsetzung der Empfehlungen des Hanau-Untersuchungsausschusses zum rassistischen Anschlag von Hanau.

SPD-Nachwuchspolitiker*innen um Juso-Landeschef Lukas Schneider, die dem Bündnis mit der CDU ohnehin kritisch gegenüberstehen, halten fest, dass die CDU mit Populismus wie dem Genderverbot die Koalition dominiere, die SPD hingegen ihre »grundlegenden Werte von Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität« nicht genug verteidige. Die Jusos nennen hier nicht zuletzt die beschlossene Abschiebeoffensive, die wegen der Widerstände in der SPD ihrer Ansicht nach zu einer Belastung der Koalition werden könnte (siehe Hessenschau vom 26.4.2024).

Die SPD ist in der Koalition kaum erkennbar und spart die brennenden Themen in Hessen wie Maßnahmen gegen steigende Mieten in den Städten und wachsende Armut aus. So ist die Armut im Bundesland – auch unter den Erwerbstätigen und Schein-Selbständigen – nach einem Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes nach wie vor ein großes Problem und die Lage armer Menschen in Hessen sehr angespannt (siehe Frankfurter Rundschau vom 27.3.2024).

Auch wenn die Armutsquote gegenüber 2021 im Jahr 2022 leicht zurückgegangen sei, liegen hier mehr Menschen unter der Armutsgrenze als im Bundesdurchschnitt, obwohl Hessen ein eher wohlhabendes Bundesland ist. Der Paritätische appelliert an die schwarz-rote Landesregierung, die frühkindliche Bildung deutlich zu stärken. Zu einer wirksamen Armutsbekämpfung gehörten außerdem die Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro und eine Kindergrundsicherung, die vor Armut schütze.

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