30. Juni 2020 Joachim Bischoff/Norbert Weber

Bekämpfung der Corona-Pandemie und der Schuldenberg

Foto: Nils Thies (CC BY-NC-ND 2.0)

Corona hat die globale Ökonomie immer noch fest im Griff. Ab März wurde das öffentliche Leben in vielen Ländern nahezu vollständig heruntergefahren. Große Teile der Wirtschaft wurden durch politische Entscheidungen, aber auch durch Unterbrechungen der Wertschöpfungsketten und Quarantäne-Maßnahmen zu Zwangspausen gezwungen, Lohnarbeiter*innen in Kurzarbeit geschickt oder ganz entlassen.

Die Rettungsnetze, die durch die Notenbanken und Regierungen für die Privatwirtschaft und öffentlichen Institutionen aufgespannt wurden, haben bislang ihren Zweck erfüllt. Wie die Zukunft nach der Corona-Krise aussehen wird, weiß jedoch niemand. Noch ist offen, wann die Pandemie in den verschiedenen Ländern wenigstens unter Kontrolle ist und wie sich die wirtschaftlichen Rekonstruktionsprozesse gestalten werden.

Doch eines ist sicher: Der Kampf gegen die Pandemie wird einen massiven Anstieg der nationalen Schuldenberge hinterlassen. Im laufenden Jahr sind weltweit bereits 14 Bio. US-Dollar an Krediten aufgenommen und Anleihen aufgelegt worden, mehr als im gesamten Jahr 2019. Die Bank of America schätzt das Gesamtvolumen der staatlichen Hilfen auf 18 Bio. US-Dollar. Die weltweiten Schulden belaufen sich als Ergebnis vorrangegangener Rezessionen und Belebungsoperationen Ende 2019 auf 255 Bio. US-Dollar, was etwa dem Dreifachen der jährlichen globalen Wirtschaftsleistung entspricht.

In den nächsten fünf Jahren dürften die Schulden aller Staaten, Unternehmen und Privathaushalte zusammen auf 325 Bio. US-Dollar steigen, schätzt der internationale Bankenverband »Institute of International Finance« (IIF). Haupttreiber dieser Entwicklung sind die USA und China. Auf sie fällt schon heute fast die Hälfte der weltweiten Verbindlichkeiten, was auch in etwa ihrem ökonomischen Gewicht entspricht. Das zentrale Erbe der globalen Pandemie wird also ein massiver Anstieg des Schuldengebirges sein, denn die Konjunkturhilfen für Unternehmen und Konsument*innen sind in den meisten Fällen keine aus Rücklagen finanzierten Geschenke. Ganz im Gegenteil, ein Großteil der Unterstützung wird in Form von Krediten und Garantien gewährt.

Auch in Deutschland sehen wir diese Entwicklung: Im März wurde ein erstes Rettungspaket im Volumen von 1,3 Bio. Euro auf den Weg gebracht. Allein für den Bundeshalt wurde ein erster Nachtragshaushalt über 156 Mrd. Euro beschlossen, gleichzeitig wurde die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse vorübergehend ausgesetzt.



In den Sommermonaten wird ein weiteres Konjunktur- und Zukunftsprogramm in Höhe von 130 Milliarden Euro diese Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung ergänzen.
Die deutschen Staatsschulden sind im Jahr 2019 um 16 Mrd. Euro gesunken (abgegrenzt gemäß Maastricht-Vertrag). Zum Jahresende betrugen sie 2,053 Bio. Euro. Die Schuldenquote – der Schuldenstand im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) – fiel von 61,9% Ende 2018 auf 59,8%. Das BIP-Wachstum trug hierzu 1,6% bei. Die Schuldenquote nahm damit zum siebten Mal in Folge ab. Zudem unterschritt sie erstmals seit 2002 wieder den Referenzwert des Maastricht-Vertrages von 60%. Unstrittig ist mithin: Eine Aufwärtsbewegung der gesellschaftlichen Akkumulation bewirkt einen Rückgang der Arbeitslosigkeit, sorgt für eine Wiederauffüllung der Kassen der sozialen Sicherung (Rente, Arbeitslosigkeit etc.). Und die Steuereinnahmen sind eine Grundlage für die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen. Die Reduktion der Schuldenquote ergibt sich als politische Operation in Ansehung der Spannung zwischen den Folgen des Wirtschaftswachstums und finanz- sowie sozialpolitischer Repression.



Alle staatlichen Ebenen wiesen im Jahr 2019 weiterhin spürbare Überschüsse aus. Der Bund nutzte diese zum Schuldenabbau. Die Länder bauten mit ihren Überschüssen dagegen Finanzvermögen auf und die Verschuldung nahm hier zu. Auch die Gemeinden und die weitgehend schuldenfreien Sozialversicherungen verwendeten ihre Überschüsse vor allem, um Rücklagen weiter aufzustocken.

Im laufenden Jahr werden die Staatsschulden angesichts der Corona-Pandemie stark zunehmen. Wegen der Hilfspakete steigt Deutschlands Staatsverschuldung deutlich an. Das Finanzministerium rechnet damit, dass die Schuldenquote Ende des Jahres bei 75,25% liegen wird. Das geht aus dem Stabilitätsprogramm 2020 hervor. Im Juni hat die schwarz-rote Koalition ein weiteres Konjunkturpaket auf den politischen Weg gebracht, das den Konsum und die Wirtschaft wieder ankurbeln soll. Hierfür sind jedoch weitere öffentliche Gelder notwendig. Dieses Konjunkturpaket beinhaltet Maßnahmen wie die Senkung der Mehrwertsteuer sowie den Bonus an Familien mit Kindern. Bis zu 25 Mrd. Euro gehen an Überbrückungskredite für Klein- und Mittelständische Unternehmen, die besonders hart betroffen sind. Ein kleiner Teil wird zur Förderung von Zukunftsinvestitionen eingesetzt.

In den Finanzierungsrahmen eingerechnet sind auch gestundete Steuern für 2020 – die aber im nächsten Jahr bezahlt werden müssen. Das Kurzarbeitergeld, das aus der Arbeitslosenversicherung finanziert wird, bleibt in dieser Rechnung allerdings unberücksichtigt – ebenso wie mögliche Finanzierungsdefizite der Sozialversicherungsträger.

  1. Nachtragshaushalt im März über 156 Mrd. Euro bereits beschlossen.
  2. Nachtragshaushalt nun von Scholz vorgestellt über 62,5 Mrd. Euro.
  3. Ausgabevolumen im Jahr 2020 über 509,3 Mrd. Euro, darin sollen enthalten sein: 1. erwartete Steuerausfälle über 40 Mrd. Euro. 2. Konjunkturpaket des Bundes zur Überwindung der Pandemie-Kosten.

Da das Defizit in diesem Jahr deutlich höher liegen wird als es die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zulässt, muss der Bundestag eine Ausnahme genehmigen. Damit verbunden ist die Pflicht, einen Tilgungsplan vorzulegen. Die Schulden sollen ab 2023 innerhalb von 20 Jahren wieder abgebaut werden.

Die Sozialkassen in ihrer jetzigen Konstruktion leiden übrigens deutlich. Da die Unternehmen Teile ihrer Mitarbeiter*innen in Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit schicken, werden allein in diesem Jahr etwa 15 Mrd. Euro zusätzlich in die Sozialkassen eingezahlt werden müssen.

Laut Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) werden die Sozialkassen in diesem Jahr ein Minus von gut 43 Mrd. Euro ausweisen. Möglich dass es im kommenden Jahr etwas besser werden kann, unterm Strich wird vermutlich ein deutliches Defizit stehen. Das IW rechnet auch für 2021 mit einem Minus von etwa 28 Mrd. Euro.

Bei den Überlegungen, wer und wie die Last der Rückzahlungen zu tragen hat, macht es sich der Regierung recht einfach. Wirtschaftsminister Altmaier redet schon davon, dass »nun alle den Riemen enger schnallen müssen« und Jens Spahn fordert bereits öffentlich Rentenkürzungen. Damit ist der Weg schon mal vorgezeichnet, wer den Großteil aus Sicht der GroKo zu tragen hat: Die Rückkehr zur beschleunigten Akkumulation muss durch finanzielle Repression ergänzt werden, d.h. Verschärfung der Verteilungskonflikte.

Dabei kam der Großteil der Maßnahmen der Konjunkturpakete bei den Bürger*innen eher nicht an. Kapitalgesellschaften waren die Hauptprofiteure. BMW z.B. war der Klassiker dieser Gruppe: Das Jahr 2019 lief ausnehmend gut, die Dividende wurde nicht zur Überbrückung der Krise verwandt, sondern an die Aktionäre ausgeschüttet und vereinnahmt. Teile der Lohnsumme wurden im nachfolgenden Jahr den Sozialkassen und damit der Allgemeinheit angelastet durch Kurzarbeit.

Im Konjunkturpaket werden die Autokonzerne auch wieder durch die Mehrwertsteuersenkung (3%) unterstützt, was eine Verkaufsförderung von Verbrennern durch die Hintertür ist, sowie durch die explizite Förderung von Elektro- und Hybrid-Fahrzeugen. Hybrid-Fahrzeuge sind eben Verbrenner mit einem kleinen eingebauten »Alibi-Elektromotor«. Damit werden schwere und teure SUVs auch wieder aus Steuergeldern gefördert. Es wäre genau der richtige Zeitpunkt gewesen, eine nachhaltige und umweltgerechte Verkehrspolitik zu unterstützen wie Elektroräder, Elektroroller, Fahrräder usw. Aber da hat sich die Autolobby wohl doch durchgesetzt, die sich mit Händen und Füßen gegen derartige Förderungen an den Autoherstellern vorbei gewehrt hatte.

Durch die Konjunkturpakete zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie werden die Staatsschulden überall rasch wachsen. Der Modus der Schuldentilgung wird den Trend unserer Politik und die Qualität unserer öffentlichen Infrastruktur und Dienstleistungen für die kommenden Jahre bestimmen. Wenn wir dieses Problem nicht in den demokratischen Diskursen zum Thema machen, werden die Schulden infolge der Pandemiebekämpfung zum Nährboden für eine Rückkehr zur Austeritätspolitik sein.

Die kapitalistischen Gesellschaften, in denen Coronavirus-Schulden durch Vermögensteuer oder eine Vermögensabgabe getilgt werden, können einer Vertiefung der sozialen Spaltung entgehen. Dagegen nehmen Gesellschaften, die sich hauptsächlich auf das Mittel der finanziellen Repression einlassen, die also öffentliche und soziale Leistungen kürzen und über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer diese Kreditlasten verringern wollen, eine Verschärfung der sozialen Ungleichheit in Kauf.

Historisch gesehen waren Staatsschulden Vermögenswerte der Mittel- und Oberschicht, der berühmten Rentiers. Und die Steuern waren überwiegend indirekt ausgerichtet und belasteten daher die Bezieher*innen der niedrigeren Einkommen überproportional.

Noch heute besitzen die reichsten Haushalte einen überproportionalen Anteil an den Schuldverschreibungen der öffentlichen Verschuldung. Aber die Verbindlichkeiten der Regierungen sind heute breit verteilt. Sie sind Grundinvestitionen für Pensionskassen und Versicherer. Staatsschulden sind nicht nur eine Belastung. Es ist ein äußerst nützlicher finanzieller Vermögenswert, der im Austausch für Sicherheit bescheidene Zinssätze bietet. Dies ist umso nützlicher, als die Regierung für immer lebt und durch Steuern Einnahmen für immer generiert. Dies ermöglicht eine sehr langfristige Planung.

Die Steuerbemessungsgrundlage ist heute viel breiter als vor einem Jahrhundert. Aber wer Steuern zahlt – und wer nicht – bleibt eine der dringendsten Fragen des Augenblicks. Eine Welt, in der Coronavirus-Schulden durch eine Vermögensteuer oder ein globales Vorgehen gegen Körperschaftssteueroasen zurückgezahlt werden, würde sich sehr von einer Welt unterscheiden, in der die Leistungen gekürzt und die Mehrwertsteuer erhöht wird. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass der Schuldendienst auch künftig den Vorrang hat gegenüber Ausgaben für Bildung oder für Sozialausgaben (inklusive Altersrenten).

Es gibt also unterschiedliche Konzeptionen wie mit den gewachsenen Schulden umgegangen werden soll. Drei davon werden im Folgenden vorgestellt.

1. Raus aus den Schulden über beschleunigtes Wirtschaftswachstum?

Die verbreitete Hoffnung ist: Durch die politisch geknüpften Netzwerke würde sich rasch eine Rückkehr zur beschleunigten Kapitalakkumulation einstellen. Ein beträchtlicher Teil der Wachstumsgewinne könnte dann zur Schuldentilgung eingesetzt werden. Wer die weitere Zukunftsgestaltung wiederum den Marktkräften überlassen will und findet, dass ein weiterer Ausbau der sozialen und öffentlichen Dienstleitungen überflüssig sei, kann propagieren, dass man aus den Schulden über das Wirtschaftswachstum herauswachsen kann.

Diese Rückkehr zu einem beschleunigten Wirtschaftswachstum ist unrealistisch und illusionär. Es ist nicht erkennbar, welche Faktoren ein starkes Wachstum der Weltwirtschaft insgesamt, in Europa oder in Deutschland als langfristige Entwicklungstendenz auslösen könnten. Schon vor der Corona-Pandemie schwächelte die Akkumulation in allen kapitalistischen Hauptländern mit der Folge, dass die Forderungen nach expansiver Geld- und Fiskalpolitik dafür sorgten, dass die Akkumulation faktisch gefördert wurde.

Schuldentilgung blieb schon vor der Pandemie die Ausnahme. Und selbst in Deutschland ging diese Politik der »schwarzen Null« zulasten von Zukunftsinvestitionen und Sozialleistungen. Wir investierten nicht ausreichend in Infrastruktur, darunter auch in die Modernisierung des privatkapitalistischen Kapitalstocks. Vor allem aber ging die Schuldentilgung auch zulasten von Rentner*innen, Pflegedienstleistungen, armen Haushalten etc., aber auch auf Kosten von Zukunftsinvestitionen. Angesichts der Trends auf dem Weltmarkt und im nationalen Reproduktionsprozess wäre es schon ein Erfolg, wenn wir die Wirtschaftsleistung in Deutschland angesichts der Konflikte auf dem Weltmarkt auf dem gedämpften Niveau der letzten Jahre halten könnten.

Entscheidend wird sein, ob wir trotz erhöhtem Schuldenberg die Wachstumskräfte der Wirtschaft stärken könnten. Dazu gehört ein Umbau des Steuersystems, die Expansion der öffentlichen Bereiche und ein öffentlich getragenes Zukunftsprogramm, das dem Privatsektor Anreize zum Ausbau von Investitionen geben könnte. Alle diese Veränderungen müssen in eine Erneuerung der europäischen Wirtschaft eingebunden sein, verbunden mit weiter gehenden Strukturreformen in den südlichen Ländern der Euro-Zone. Dringend erforderlich sind Investitionen in Bildung, Innovation, Infrastruktur und Anlagen.

Die Politik versucht alles, um weiterhin die Illusion aufrechtzuerhalten, die Probleme ließen sich noch schmerzfrei durch Wirtschaftswachstum lösen. Es ist höchste Zeit, nicht an die nächste Wahl, sondern an die Zukunft unserer Gesellschaft zu denken.


2. Rückkehr zur neoliberalen Spar- und Austeritätspolitik

Sparen und zurückzahlen scheint ein naheliegendes Rezept, erweist sich in der Praxis jedoch als nicht machbar. Was für einen Privathaushalt, ein Unternehmen und auch ein einzelnes Land machbar ist, funktioniert nicht, wenn der Großteil der Weltwirtschaft das Gleiche versucht. Die Ära von Exportrekorden dürfte angesichts der größeren Konflikte auf dem Weltmarkt ein Auslaufmodell sein. Einige der bisherigen Gewinner der Globalisierung (wie Deutschland) könnten zu Verlierern werden – mit weitreichenden Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

In den westlichen Industriestaaten spüren dann nicht nur Industriearbeiter*innen und Handwerker, sondern auch Ärzt*innen, Büroangestellte, Anwält*innen oder das Servicepersonal den Druck auf Gehälter und Löhne. Da das Wachstum, inklusive Leistungsbilanzüberschüssen, vorbei ist, werden die Verteilungsauseinandersetzungen innerhalb der Nationen härter.

Entwertung der aufgelaufenen Schuldtitel durch Inflation wäre eine weitere Möglichkeit. Auch die Herstellung eines inflationären Klimas gehört neben der neoliberalen Umverteilungspolitik zum Begriff der »financial repression«, womit gemeint ist, dass das Zinsniveau nachhaltig unter die nominale Wachstumsrate der Wirtschaft gedrückt wird. Die Differenz zwischen Zins und Wachstum müsste aber erheblich sein, damit dieses Modell funktioniert. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Inflation außer Kontrolle gerät. Inflation ist zudem die sozial ungerechteste aller Steuern.

Staaten legen wegen der Corona-Pandemie Hilfsprogramme von noch nie dagewesenem Umfang auf und Zentralbanken finanzieren einen großen Teil davon mit neu geschaffenem Geld. Dennoch erwarten die meisten Finanzmarktakteur*innen und Ökonom*innen keine Inflation. Zum einen, weil es der Erfahrung nach der Finanzkrise entspricht, zum anderen, weil wir zunächst vor einem deflationären Schock stehen. Durch eine kontrollierte Inflation würde die Schuldenlast geringer, weil durch die Tendenz der Geldentwertung auch die Schuldtitel in ihrem Wert tangiert würden.

Auch die BIS (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) ist der Meinung, die Corona-Maßnahmen der Notenbanken dürften nicht zu einer verstärkten Monetisierung der Staatsschulden führen. Es drohe in diesem Fall ein Teufelskreis: Je länger die Notenbanken die Leitzinsen niedrig halten und je offensiver sie Schuldtitel aufkaufen, desto geringer werden die Anreize für Regierungen, ihre Finanzen wieder ins Lot zu bringen. Denn selbst wenn sie ihre Schulden abbauen würden, viel tiefer würden die Finanzierungskosten kaum fallen, weil die Notenbanken mit ihren großflächigen Anleihekäufen auch bei hochverschuldeten Regierungen für billiges Geld sorgen. Und wenn es keine Belohnung fürs Maßhalten gibt, lässt man es bleiben. Also werden noch mehr Schulden aufgetürmt, was wiederum den Druck auf die Notenbanken erhöht, die neuen Schuldpapiere zu absorbieren, da sonst ein Hochschnellen der langfristigen Zinsen und eine Destabilisierung des Finanzsystems drohen. Diese »De-facto-Monetisierung staatlicher Schulden« öffne die Tür für eine unkontrollierbare Defizitfinanzierung und für hohe Inflationsraten wie letztmals in den 1970er Jahren.

3.  Finanzierung durch Vermögensteuern oder einen Schuldenschnitt

Doch abgesehen von der Frage nach den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen zur Realisierung einer solchen Strukturreform, wie hoch müsste ein Schuldenschnitt eigentlich ausfallen? Eine Überlegung ist, sich an den Maastricht-Kriterien zu orientieren: Legt man ein durchschnittliches Zinsniveau von 5% zugrunde, entspricht dies bei einer Verschuldung des Staates von 60% einer Zinslast von 3% des BIP. Wächst die Wirtschaft mit 3%, kann der Staat sich jedes Jahr das Geld für die Zinszahlungen leihen, und Schulden und Wirtschaft wachsen gleich schnell.

Was für den Staat gilt, gilt gleichermaßen für Unternehmen und private Haushalte, sodass sich eine maximale Schuldenquote von 180% für die Volkswirtschaft ergibt. Es ist nicht erforderlich, dass sich die Schuldenlast gleichmäßig auf alle drei Sektoren verteilt, da sich ein höher verschuldeter Staat Mittel von einem geringer verschuldeten privaten Sektor besorgen kann. Legt man diesen Maßstab an, wird das gigantische Ausmaß der heutigen Probleme deutlich.

Lasten in dieser Größenordnung müssten geordnet auf die Gläubiger verteilt werden, z.B. durch eine entsprechende Besteuerung bestehender Finanzvermögenswerte. Je nach Land wäre ein Abschlag von 16% bis 40% erforderlich, um die Kosten einer geordneten Umschuldung abzudecken.

Sicher ist es klug, wenn sich die Politik in Deutschland zunächst auf die Wiederbelebung der wirtschaftlichen Kreisläufe konzentriert. Aber die Frage der wachsenden Schuldenlasten wird sich nicht langfristig verschieben lassen. Um Corona-Folgen abzufedern, fordert daher Bremens Regierungschef Andres Bovenschulte (SPD) zurecht einen »Lastenausgleich« in Form einer einmaligen, über viele Jahre gestreckten Vermögensabgabe der Reichen.

Ohne Eingriffe in die Verteilungsverhältnisse, d.h. ohne deutliche Steuererhöhung für Vermögensbesitzer und Besserverdienende, wird die wachsende Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben nicht geschlossen werden können. Wenn sich am Steuersystem nichts ändert, werden die Rettungsnetze letztlich von der Mehrheit der Beschäftigten bezahlt. Mit einer Vermögensteuer würden jene einen Teil der Kosten übernehmen, die über ein Millionenvermögen verfügen. Dass Vermögensteuern ein gutes Mittel zur Krisenbekämpfung sind, zeigen historische Beispiele. Auch die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet eine solche Steuer.

Wie in anderen Ländern hat Deutschland viel Geld in die Wirtschaft gepumpt, um die Folgen der Corona-Krise abzufedern. Das ist auch richtig so. Aufgrund der Ausgestaltung des Steuersystems wird aber die Wirtschaftshilfe fast ausschließlich über Steuern auf Arbeit und Konsum finanziert. 80% der Steuern werden von Menschen gezahlt, die jeden Tag arbeiten gehen und Steuern auf ihre Einkommen und Mehrwertsteuer auf ihre Einkäufe zahlen. Unternehmen tragen nur einen geringen Anteil der Steuerlast. Auf Vermögen und Erben gibt es in faktisch keine realistische Besteuerung.

Wenn vor allem Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen die Kosten der Krise tragen und Reiche sich kaum beteiligen müssen, besteht die Gefahr, dass der Konsum der Bevölkerung stark zurückgeht. Die Folge wäre, dass die Krise sich weiter verstärkt. Eine Solidarabgabe auf hohe Vermögen und Einkommen ist daher dringend notwendig.

Unmittelbar auf die Krise würde eine befristete Vermögensabgabe zur Krisenfinanzierung reagieren. Solch ein Modell haben die globalisierungskritische NGO Attac und Teile der politischen Linken ins Spiel gebracht: Anstatt einer jährlichen Steuer, fordert Attac eine einmalige Abgabe, um die Kosten der Krise zu finanzieren. Mithilfe eines solchen »Lastenausgleichs«, wie ihn Bartsch oder Bovenschulte (SPD) für heute vorschlagen, hat die Bundesrepublik Deutschland für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg eine Form des partiellen sozialen Ausgleichs durchgesetzt.

Der Bund finanzierte diesen Ausgleich, indem er eine Abgabe auf Vermögen erhob. Bei diesen Vermögen handelte es sich vor allem um nicht zerstörte Immobilien sowie um Hypotheken- und Kreditgewinne, erklärt der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel: »Die Abgabe war zwar mit 50% hoch, konnte jedoch über maximal 30 Jahre verteilt ohne ökonomisch schädliche Nebenwirkungen aufgebracht werden.«

Deshalb unterstützen wir diese Konzeption: Wir stehen aktuell vor der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Allerdings müsste die Vermögensabgabe nicht so hoch ausfallen wie 1952, es reiche diesmal, die Spitzenvermögen heranzuziehen, über die lediglich ca. 1% der Bevölkerung verfüge. Zudem plädiert Hickel für hohe Freigrenzen von etwa vier Millionen Euro.

Und Rudolf Hickel empfiehlt, die Vermögensabgabe zur Finanzierung eines »Solidar-Fonds-Corona« einzusetzen. Es gehe darum, alle aufgrund der Pandemie aufgelaufenen Kredite des Bundes, der Länder und der Kommunen in einem bundesweit gemanagten Sondervermögen zusammenzufassen. »Natürlich dürfen aus diesem Topf ausschließlich Folgeschäden der Pandemie beglichen werden« und vergleichbar »mit dem Lastenausgleichsgesetz von 1952 sollte der Corona-Solidarfonds auf mindestens 30 Jahre angelegt werden«.

Neben dem Lastenausgleich unter den Vermögenden wäre auch eine Vermögensteuer ein notwendiger Beitrag zur Tilgung des gewachsenen Schuldenbergs. »Wenn sich am gegenwärtigen Abgabensystem nichts ändert, dann werden wieder die Beschäftigten und vor allem die mit einem mittleren bis niedrigen Einkommen die Krise bezahlen. Wir haben keine Erbschafts-und Schenkungssteuer, wir haben keine Vermögensteuer. Wir haben de facto eine minimale Kapitalbesteuerung, aber eine sehr hohe Besteuerung von Arbeit. Diese Struktur müsste man ändern.« (Gabriele Michalitsch) Aber die Widerstände dagegen sind beträchtlich.

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