6. Mai 2025 Reaktion Sozialismus.de: Merz fällt im ersten Wahlgang durch
Blamage beim Regierungswechsel
CDU-Chef Friedrich Merz ist bei der Kanzlerwahl im Bundestag im ersten Wahlgang durchgefallen – ein Novum in der bundesdeutschen Politik. Er erhielt in geheimer Abstimmung 310 von 621 abgegebenen Stimmen und damit 6 weniger als die nötige »Kanzlermehrheit« von 316. CDU/CSU und SPD haben allerdings zusammen 328 Sitze im Parlament. Es fehlten also insgesamt 18 Stimmen aus den zukünftigen Koalitionsfraktionen.
In einem zweiten Wahlgang, der noch am gleichen Tag stattfand, nachdem auch die Grünen und die Linkspartei dem Verfahren zugestimmt hatten, wählten dann 325 Abgeordnete Merz zum neuen Bundeskanzler. Der gescheiterte erste Wahlgang war vor allem ein gescheitertes Vertrauensvotum für ihn, der einer »energischen Koalition« von CDU, CSU und SPD vorstehen wollte. Es war aber auch ein Misstrauensvotum für die personelle Neuformation der Regierungsfraktionen.
Für die Unionsparteien hatte zunächst CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann signalisiert, dass er nicht in die Regierung eintreten wollte. »Als Generalsekretär kann ich besser den Politikwechsel forcieren. Das werde ich tun.« Zuvor war spekuliert worden, Linnemann könne neuer Bundeswirtschaftsminister werden, in manchen Berichten hieß es sogar, er sei dafür quasi gesetzt.
Auch Jens Spahn, in der letzten Großen Koalition Bundesgesundheitsminister mit teilweise fragwürdigem Agieren in der Corona-Pandemie, wurde zeitweise erneut für höhere Regierungsaufgaben gehandelt: Nun wird er Fraktionsvorsitzender der Unionsparteien. Ob er »stets loyal« zur Kanzlerschaft Merz wirken oder irgendwann auf eigene Rechnung arbeiten werde, zählt zu den spannendsten Fragen der neuen Legislatur.
Spahn hat als Fraktionschef nun jedenfalls eine Machtbasis größer als je zuvor. Er kann über die Karrierewege von rund 200 Unionsabgeordneten mitbestimmen, Loyalität belohnen, Kritik bestrafen, Netzwerke ausbauen. Es ist die ideale Position, um Merz eines Tages zu beerben. Zudem gab es in der bürgerlichen Fraktion weitere Baustellen über die personelle Aufgabenverteilung.
Auch in der SPD-Fraktion hat die kaltschnäuzige Art des Machtwechsels, durchgesetzt vom Parteivorsitzenden Lars Klingbeil, Spuren hinterlassen. Der langjährige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wird in der neuen Regierung kein Führungsamt mehr ausüben, vornehm ließ er vernehmen, des es » in Ordnung [ist], dass wir nicht die gesamte Regierung mit niedersächsischen Männern aus der SPD besetzen können«.
Aber dass er auch für die SPD-Fraktionsführung nicht die Unterstützung des Machtzentrums um Klingbeil erhielt, stieß ihm unangenehm auf: »In den letzten Tagen bin ich von verschiedenen Seiten aus der Partei und der Fraktion ermutigt worden, als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion anzutreten«, erklärte Heil öffentlich. »Ich habe mich aber entschieden, nicht zu kandidieren. Ein solches Amt kann in dieser Regierungskoalition und in diesen Zeiten nur erfolgreich ausgeübt werden, wenn man dafür die ausdrückliche Unterstützung der Parteispitze hat.«
Auch Saskia Esken wurde von ihrem Ko-Vorsitzenden Klingbeil ausgebremst, wird der neuen Bundesregierung nicht angehören, obwohl sie offensichtlich gerne Entwicklungshilfeministerin geworden wäre. Auch den Parteivorsitz dürfte Esken mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Parteitag der SPD Ende Juni verlieren. Klingbeil hielt sich am Montag bei der Frage der künftigen SPD-Führung bedeckt.
Matthias Miersch galt lange als jemand, der für Vieles infrage kommen würde. Aber erst als Kevin Kühnert einen Rückzug aus der Politik ankündigte, wurde er im Oktober kommissarischer Generalsekretär der SPD – und damit einer der Mitverantwortlichen für das historisch schlechte Bundestagswahlergebnis. Es hat ihm ebenso wenig geschadet wie Lars Klingbeil.
Mit seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag hat der 56-Jährige nun einen zentralen Job in der schwarz-roten Koalition, muss die Mehrheiten für seinen Chef Klingbeil zusammenhalten, als dessen Vertrauter er gilt. »In enger Abstimmung mit der Partei- und Fraktionsführung haben wir gemeinsam ein zukunftsweisendes Personalpaket für die Fraktionsführung aufgestellt«, erklärten die Sprecher*innen der SPD-Abgeordnetengruppen Dirk Wiese (Seeheimer Kreis), Wiebke Esdar (Parlamentarische Linke) sowie Armand Zorn (Netzwerk Berlin). Der bisherige Fraktionsvize Wiese soll neuer Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion werden.
Die Verantwortung für das politische Desaster beim ersten Wahlgang der Bundeskanzlerwahl liegt in den Widersprüchen der Parteispitzen. Dass Abgeordnete von Union und SPD nicht für Merz stimmten, wurde laut der Nachrichtenagentur Reuters in Koalitionskreisen damit erklärt, dass es offenbar eine Reihe Unzufriedene gebe. Dazu könnten Politiker gehören, die bei der Regierungsbildung nicht mit Posten bedacht wurden. In der SPD hatte es zudem grundsätzliche Vorbehalte gegen Merz gegeben. In der Union wiederum hatte die nach der Wahl veränderte Finanzpolitik mit der Aufweichung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und ein milliardenschweres Sondervermögen für Infrastruktur teilweise für Kritik gesorgt.
Aus Kreisen der Unionsfraktion hieß es, die Union hätte hinter Merz gestanden, fehlende Stimmen könnten nur von der SPD kommen. Aus der SPD-Fraktion hieß es hingegen laut ARD-Hauptstadtstudio, man habe nicht den geringsten Hinweis, dass die SPD nicht vollständig gestimmt hat. 85% beim Mitgliedervotum seien ein Auftrag an die Fraktion und sie erfülle diesen.
Die gescheiterte erste Wahlgang hat den neuen Bundeskanzler beschädigt. Im Wahlkampf versprach Merz den Deutschen spürbare Veränderungen ab dem ersten Tag seiner Kanzlerschaft. Stattdessen musste er nun noch vor seinem Amtsantritt darauf warten, dass zunächst eine »staatspolitische Krise« rasch gelöst wurde. Nicht nur innenpolitisch dürfte die gescheiterte Wahl ein Malus bleiben, auch international steht Merz angezählt da.