5. April 2025 Joachim Bischoff: Trumps »Liberation Day«

Bloße Fiktion oder Provokation eines Handelskriegs?

Donald Trumps radikaler Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik hat heftige Irritationen ausgelöst. Doch diese »Disruption« wird von großen Teilen der Politik und Bevölkerung in den USA mitgetragen. Ausgangspunkt für den US-Präsidenten ist das Gefühl: »Amerika wurde seit Jahren ausgenutzt.« Daher hat er den 2. April 2025 zum »Befreiungstag« für Amerika ausgerufen. Es sei einer »der wichtigsten Tage in der amerikanischen Geschichte«.

Die von ihm verkündete Zollpolitik bedeute nichts anderes »als unsere ökonomische Unabhängigkeitserklärung«. Die Verantwortung für diesen Schritt gab der Republikaner »jenen Ländern, die uns geplündert … haben«. »Jahrzehntelang wurde unser Land geplündert, ausgebeutet, vergewaltigt und beraubt, von Nationen nah und fern, sowohl von Freund als auch von Feind.« Mit diesem vermeintlichen Faktum eröffnete Trump zu Beginn seiner Rede im Rosengarten des Weißen Hauses den Kreuzzug für Zollmauern. Sein Land habe keine Lust mehr, die Defizite und Verteidigung anderer zu bezahlen. Jetzt gelte endlich »America First«.

Es wurden Zölle auf breiter Front hochgezogen. »Dieser Tag wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem die amerikanische Industrie wiedergeboren wurde, als der Tag, an dem Amerika sein Schicksal zurückerobert hat, und als der Tag, an dem wir begonnen haben, Amerika wieder reich zu machen«, sagte Trump. Er zieht Zollmauern hoch – jetzt kommt es darauf an, wie der Rest der Welt reagiert und ob die gesellschaftliche Allianz zwischen Elite und Oligarchen einerseits und den breiten Schichten andererseits in den USA die kommenden Stürme übersteht.

Die USA vollziehen eine heftige merkantilistische Kehrtwende: weg von der Hyperglobalisierung mit Freihandel und Niedrigstzöllen – hin zu hohen Zollmauern. Dieser Epochenbruch wird die Amerikaner*innen teuer zu stehen kommen und die weltweiten Bewunderer der Handelsfreiheit – darunter auch die deutschen Exporteure – schmerzen. Mit dieser Zollattacke wird auch dem bundesdeutschen Exportmodell, das bereits wegen hoher Energiepreise mit einem chronischen Konjunkturniedergang kämpft, ein weiterer Rückschlag verpasst.

Die eigentliche Wiederbelebung der erschöpften Berliner Republik zielte auf größte Zurückhaltung und Verstärkung des Freihandels jenseits der US-Zollmauern. Aber schon die Chines*innen haben die geringe Schlagkraft dieser Gegenwehr erkannt: Als die US-Regierung im Februar und März die Zölle auf chinesische Einfuhren zweimal um jeweils 10% anhob, reagierte Peking noch relativ verhalten. Die Regierung erhob auf Lieferungen landwirtschaftlicher Produkte wie Mais, Weizen und Sojabohnen sowie auf Rohöl und Flüssiggas zusätzliche Zölle in Höhe von 15%. Außerdem beschränkte Peking die Lieferungen einzelner sogenannter kritischer Mineralien, die in der Rüstungsindustrie und im Technologiesektor verwendet werden. Jetzt lässt es Staats- und Parteichef Xi Jinping auf eine offene Konfrontation ankommen. Ein möglicher «großer Deal» zwischen der größten und der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, von dem zeitweise die Rede war, rückt nun genauso in weite Ferne wie ein Treffen zwischen Xi und Trump.


Trump greift zur Disruption

»Disruption«, also Störung und Unterbrechung, lautet das Schlagwort der rechten System-Changer: Alle gesellschaftlichen Verhältnisse werden zerlegt, und dies ausgerechnet im Namen des Rechtskonservativismus. Dabei verweist der Begriff »Disruption« ursprünglich auf technologische Neuerungen, die Märkte umwälzen. Ein Paradebeispiel ist das Smartphone: Es verdrängte Telefon, Fotoapparat und Filmkamera. Einen ähnlichen Effekt haben neue digitale Geschäftsmodelle, die ganze Branchen obsolet machen können. Der aktuelle Inbegriff einer Marktdisruption ist die künstliche Intelligenz.

Solche Innovationen tauchen rasch und kaum vorhersehbar auf. Sie stellen die Managements etablierter Firmen vor gewaltige Herausforderungen. Diese müssen blitzartig reagieren – oder im Idealfall selbst innovativ-disruptiv zurückschlagen. Ganz nach dem Motto des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg: »Bewege dich schnell, und zerbrich Dinge.«

Mittlerweile hat die Lust am Schock auch die amerikanische Politik erreicht. Neben dem libertären Milei in Argentinien sind Donald Trump und Elon Musk die prominentesten Abbruchunternehmer. Sie lassen in der Verwaltung, aber auch im Welthandel und in der Geopolitik keinen Stein auf dem anderen. Sie fachen eine »konservative Revolution« an, um mit dem Bestehenden zu brechen und in eine Zeit zurückzugehen, in der Amerika angeblich noch »gross« war.


Die permanente Revolution

Die Ursprünge der Disruptionsidee gehören zum modernen Kapitalismus. Bereits Marx und Engels schrieben 1848 im »Kommunistischen Manifest«, der moderne Kapitalismus sei charakterisiert durch die fortwährende Umwälzung der Produktion, die stete Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, so dass alles Ständische und Stehende verdampfe. Hundert Jahre später erneuerte der Wirtschaftswissenschafter Joseph Schumpeter diese Idee von der »Instabilität des Kapitalismus« und prägte den Begriff der »schöpferischen Zerstörung«.

Die heutigen Anhänger*innen der Disruptionstheorie aus dem Silicon Valley beziehen sich gerne auf die »schöpferische Zerstörung«, lassen jedoch aus, dass Schumpeter auch die mitunter gravierenden Folgen bedachte: Die permanenten Veränderungen würden die Menschen überfordern und die freie Marktwirtschaft bedrohen. Auch zeitgenössische Soziologen wie Richard Sennett (»Der flexible Mensch«) betonen die sozialen und psychologischen Malaisen in einer beständig modernisierten Gesellschaft. Die Verteidiger der Abrissbirne-Methoden unterstellen, als lebten wir immer noch in einer starren Welt, die es endlich zu zertrümmern gelte, während die »permanente Revolution« doch mindestens so alt ist wie die Neuzeit, auch wenn sie immer schneller fortschreitet.


Fixierung auf den Wandel, Epochenbruch der Weltwirtschaft

Revolutionäre Rezepte aus der Tech-Branche lassen sich so nicht ohne weiteres auf die Politik übertragen. In einer Demokratie können radikale Veränderungen nicht ohne Konsens und Akzeptanz durchgesetzt werden. Politische Strukturen mit ihren Institutionen, ihrer Verfassung und Gesetzen, parlamentarischen Abläufen, der Gewaltenteilung und internationaler Einbettung sind stabiler als wirtschaftliche Verhältnisse und Märkte. Disruption ist in der Politik oft verbunden mit Krisen, Revolutionen oder Kriegen, und dagegen schützt sie sich mit »checks and balances« – Mechanismen der Verlangsamung und der Absicherung gegen Umbrüche.

Trump ist davon überzeugt, dass Zölle Amerika wirtschaftlich stärker machen und dass sich so angebliche Ungerechtigkeiten gegenüber dem Land beseitigen lassen würden. Nach Inkrafttreten der ersten US-Strafzölle gegen den Großteil der bisherigen Handelspartner hat sich Trump überzeugt gezeigt, die USA würden aus dem Handelskrieg als Sieger hervorgehen. »Wir werden diese finanzielle Schlacht gewinnen«, sagte Trump »Wir wurden lange Zeit ausgenutzt und wir werden nicht länger ausgenutzt werden«, sagte Trump weiter zu den internationalen Handelsbeziehungen der USA.


»Zölle werden Amerika wieder reich machen«

Mit seiner Politik möchte der US-Präsident ein »goldenes Zeitalter« wieder herstellen. Trump sieht in hohen Zöllen das Allheilmittel, um die USA zu reindustrialisieren. Er träumt von einem Amerika, das wirtschaftlich weitgehend unabhängig wird – allen Stahl selber gießt, alle Möbel, Autos und Schiffe selber baut. Paradoxerweise verspricht er sich von seiner Zollpolitik gleichzeitig so hohe Einnahmen, dass er glaubt, damit nicht nur das Staatsdefizit, sondern auch die Einkommens- und Unternehmenssteuern deutlich senken zu können.

Die paranoide Vorstellung, dass die USA von listigen Handelspartnern abgezockt und ruiniert würden, prägt die Auffassung von Trump seit langem. Man darf sich von der absurden Theatralik seines Auftritts nicht täuschen lassen: Trump hat einen Plan für die Neuordnung der Welthandelsordnung, der während Jahrzehnten gereift ist und den die Classe politique und économique lange verspottete. Das änderte sich mit seiner Wahl zum Präsidenten der USA 2016 – sein Gespür für die Ressentiments der us-amerikanischen Lohnabhängigen verhalf ihm zum Erfolg. Es ist Trumps Leistung, dass sich in den USA sowohl die Republikaner wie die Demokraten von der Politik eines geregelten Freihandel größtenteils verabschiedet haben.

Doch dem Maximalisten Trump genügt das nicht. Er will mehr, er will die Handelsbilanzdefizite ausgleichen und eine Renaissance der amerikanischen Industrie erwirken. Das ist der Kerngedanke von »Make America great again«. Nationalkonservative Ökonom*innen unterstützen dieses Projekt. Da Konsument*innen sich von tiefen Preisen leiten ließen und nicht von der nationalen Sicherheit oder wirtschaftlicher Resilienz, müsse man sie von der Sucht nach billigen Importgütern befreien – mittels hoher Zölle. Der Standpunkt ist nicht esoterisch, allerdings blendet das die negativen Effekte eines Handelsstreits aus.

Das Problem von Trump ist nicht, dass er die wirtschaftlich Realität völlig ausblenden würde, sondern dass seine Obsession, die amerikanische Wirtschaft »befreien« zu müssen, so maßlos ist, dass er seinen politischen Instinkt verloren hat. Denn der Backlash seitens der Wähler*innen wird früher oder später kommen, wenn die Inflation wieder anzieht und die Ersparnisse für die Altersvorsorge an der Börse dezimiert werden.

Trump und seine Mitstreiter*innen haben im Vorfeld des »Liberation Day« begonnen, die Amerikaner*innen auf eine Rezession vorzubereiten. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Wähler*innen wenig Toleranz für Wirtschaftskrisen haben. Es mag sein, dass in der polarisierten amerikanischen Politik die Wähler*innen treuer geworden sind. Wahrscheinlicher ist, dass Trump sein politisches Kapital schwer überschätzt. Selbst wenn sein tollkühnes Experiment aufginge, die USA aus dem Handelskrieg als Sieger hervorgingen und es zu einer Renaissance der amerikanischen Industrie käme: Es wäre ein langfristiger Prozess. Die Mühlen der Politik mahlen schneller, als dass sich die Industrie wiedererwecken lässt.

Die meisten Amerikaner*innen haben kein Reservepolster, um auf das Elysium zu warten, das ihnen Trump verspricht. Auch die privaten Haushalte sind im Schnitt hoch verschuldet und leben von Lohnschein zu Lohnschein. Der große Volksverführer wird die Kosten für sein megalomanisches Experiment nicht bezahlen – das sind die anderen.


Freihandel und Bretton Woods-Währungsabkommen

Die USA waren in der Nachkriegszeit zu einer treibenden Kraft hinter dem Freihandelssystem, das in der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) gipfelte. Es führte zu einer globalen Arbeitsteilung, die einen großen Teil des wirtschaftlichen Aufschwungs in den USA und dem Rest der Welt erklärt. Laut der WTO erhoben die Vereinigten Staaten 2024 noch einen ungewichteten Zollsatz von im Durchschnitt 3,4%, die EU einen solchen von 5,1%. Dies soll aber ein Regime der Benachteiligung oder der Abzocke der USA gewesen sein.

Für Trump und seine Berater*innen steht hinter der Ausnutzung der Wertschöpfung in den USA durch unfaire Handelspraktiken eine tiefgreifende Gefährdung der nationalen Sicherheit. Diese werde durch das chronische Handelsdefizit der USA bedroht. Wie Trumps »Handelsarchitekt« und Vertrauter Peter Navarro im »Project 2025«, eine Vision für die zweite Amtszeit Trumps, schildert, fehle es den USA an industrieller Stärke, um ihre militärische Unabhängigkeit zu gewährleisten. Grund dafür sei das Defizit infolge »unfairer Handelspraktiken«, die USA würden ausgenutzt. Mit den Gegenzöllen würde Fairness hergestellt, zudem die Produktion wieder zurück auf US-Boden gebracht werde.

Der US-Administration geht es mit den Zoll-Mauern also um folgende ineinander verschränkte Aspekte:

  • Herstellung der vermeintlich beschädigten US-Souveränität. Mit den Gegenzöllen würde Fairness hergestellt und letztlich die Wertschöpfung wieder zurück auf US-Boden gebracht.
  • Trump will mit den Zöllen auch das US-Budget sanieren: 600 bis 700 Mrd. US-Dollar pro Jahr will der Staat zusätzlich einnehmen, schätzt Handelsminister Navarro. Expert*innen halten eher 100 bis 200 Mrd. US-Dollar für realistisch. Zum Vergleich: Die US-Ausgaben beliefen sich im vergangenen Jahr auf rund 6.700 Mrd. US-Dollar. Unbestritten: Die USA werden von einer riesigen Schuldenlast nieder gedrückt
  • Zölle sind für Trump überhaupt zum All-Heil-Mittel der Wahl geworden, um die nationalen Interessen durchzusetzen. China will er zum Tiktok-Verkauf bewegen, Kolumbien zur verstärkten Zusammenarbeit bei illegalem Drogenhandel, die EU wohl dazu, US-Plattformen möglichst frei agieren zu lassen.
  • Zusammengefasst: »Unsere Handelsbilanzdefizite zerstören Amerikas wirtschaftliche Zukunft«


Das riesige Handelsdefizit

Unbestritten ist: Die USA haben ein großes Handelsbilanzdefizit. Damit ist gemeint, dass die Amerikaner*innen mehr im Ausland einkaufen, als sie im Rest der Welt verkaufen. Das gilt vor allem für Waren – von Autos über Möbel und Rohöl bis zu Computerchips und iPhones. Hier häufen die USA ein beträchtliches Defizit an. Einen Überschuss erzielt das Land hingegen im Handel mit Dienstleistungen, etwa mit dem Verkauf von Softwarelizenzen, Hollywood-Filmen oder Netflix-Abos.

Der größte Teil des Handelsbilanzdefizits konzentriert sich auf einige wenige Länder und Regionen. Am ausgeprägtesten ist das Defizit gegenüber China (263 Mrd. US-Dollar im Jahr 2024). Danach folgen Mexiko (179 Mrd. US-Dollar) und die EU (161 Mrd. US-Dollar). Selbst gegenüber der Schweiz haben die USA ein kleines Minus (16 Mrd. US-Dollar). US-Finanzminister Scott Bessent bezeichnete die Staaten, die deutlich mehr in die USA exportieren, als sie von dort importieren, als »Dirty 15«, die »dreckigen 15«. Dazu gehört auch die EU. Unter den EU-Ländern haben wiederum Irland und Deutschland den größten Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA.

Europäische Autobauer werden von höheren US-Zöllen stark betroffen sein. Autos sind eines der wichtigsten Exportgüter im Handel mit den USA. Die EU verlangt für Autoeinfuhren einen Zoll von 9,7%, die USA hingegen nur 2,5%. Schon eine Erhöhung um sieben Prozentpunkte wäre für die Branche schmerzhaft. Mit dem angekündigten Zollsatz von 25% werden die Einfuhren aber noch deutlich teurer.

Insgesamt summierte sich das Handelsbilanzdefizit auf 918 Mrd. US-Dollar. Zahlen wie diese stellt Trump gerne als riesig dar. Allerdings ist auch die amerikanische Volkswirtschaft sehr groß. Im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) betrug das Handelsbilanzdefizit im Jahr 2024 rund 3,1%. Das ist ungefähr gleich viel wie während Trumps erster Amtszeit.

Die USA haben im Außenhandel ein großes Defizit


Unverständliche »Reziprozität
«

Nun also vollziehen die USA unter Trump eine radikale Kehrtwende zurück zum Merkantilismus und hin zu einer reinen Binnenorientierung. Autos werden mit 25% besteuert; gleich stark wie nicht zollbefreite Importe aus Mexiko und Kanada. Für Einfuhren aus 60 Ländern sollen ab dem 9. April zweistellige länderspezifische Zollsätze zusätzlich zu den bereits geltenden erhoben werden. Trump nennt diese irreführenderweise »freundlich reziprok«. Bereits ab dem 5. April gilt auf allen Importen ein zusätzlicher Zollsatz von mindestens 10%.

»Freundlich« sollen die Zollsätze sein, weil sie angeblich nur die Hälfte des von den betroffenen Ländern selber angewandten Schutzes ausmachen. Tatsächlich werden die hohen Zollsätze aber nur vom Handelsbilanzdefizit abgeleitet. Mit Zöllen der Gegenpartei oder nichttarifären Handelshemmnissen haben sie effektiv überhaupt nichts zu tun.

Ein solch absurder Protektionismus wird die USA nicht in ein neues goldenes Zeitalter führen, sondern ihre Konsument*innen und Produzent*innen teuer zu stehen kommen. Zwar spielt der Außenhandel in den USA wegen des großen Binnenmarkts eine viel kleinere Rolle als in Deutschland. Aber die Zölle werden den Inflationsdruck in den USA erhöhen und das Wachstum bremsen. Völlig unklar ist, woher all die Arbeitskräfte für die Reindustrialisierung, welche Trump offenbar vorschwebt, kommen sollen. Zudem wird die neue Industrie ohne Zollschutz international kaum wettbewerbsfähig sein und weniger produktiv bleiben als die heutige US-Wirtschaft.

Für Trump ist ein Handelsbilanzdefizit ein Zeichen von Schwäche. Der Republikaner steht damit in der merkantilistischen Tradition: Exporte sind gut, Importe sind schlecht. Doch diese Sicht ist – da sind sich die meisten Ökonom*innen einig – falsch. Genauso gut könnte man das Handelsbilanzdefizit als ein Zeichen von Stärke sehen. Es bedeutet nämlich, dass die Amerikaner*innen mehr im Ausland einkaufen können, als sie sich aufgrund der Früchte ihrer Arbeit eigentlich leisten könnten.

Das geht nur, wenn den Amerikaner*innen jemand das nötige Geld dafür gibt. Die Ungleichgewichte im Außenhandel liegen deshalb vor allem in den Kapitalströmen begründet. Damit ist gemeint, dass Ausländer*innen viel mehr Geld in die USA tragen – um dort Wertschriften zu kaufen oder Investitionen zu tätigen –, als dies umgekehrt passiert. Dieses Geld fließt über Umwege in den Kauf von Waren im Ausland.

Die Ströme im Warenverkehr und im Kapitalverkehr verhalten sich spiegelbildlich. Das zeigen historische Daten zu den USA. Die Handelsbilanzdefizite sind vor allem dann groß, wenn viel Kapital in die USA fließt.

Es gibt verschiedene Gründe, warum die USA so attraktiv für Kapital aus dem Ausland sind:

  • Erstens ist der US-Dollar die Leitwährung und wichtigste Reservewährung der Welt. Viele Investoren kommen deshalb gar nicht um den amerikanischen Kapitalmarkt herum – auch Notenbanken, die einen Teil ihrer Reserven in US-Dollar anlegen müssen.
  • Zweitens ist die amerikanische Bevölkerung vergleichsweise jung und stark wachsend, während es in Europa umgekehrt ist. Die Europäer sparen deshalb mehr fürs Alter. Auch China hat seit langem eine hohe Sparquote. Ein Teil dieser Gelder wird in den USA angelegt.
  • Drittens hat sich der amerikanische Staat in den letzten Jahrzehnten stark verschuldet. Die Staatsanleihen werden zu einem guten Teil von ausländischen Anlegern gekauft.

Ökonomen betonen, dass es vor allem einen Weg zur Verringerung des Handelsbilanzdefizits gebe: Die Amerikaner*innen müssten mehr sparen. Der Staat sollte seinen Haushalt ins Lot bringen. Auch die Haushalte müssten mehr zur Seite legen und könnten so weniger Güter im Ausland kaufen.

Bis jetzt gibt es erst einen Vorstoß, der in diese Richtung zielt. Trumps neuer Chefökonom Miran möchte die Attraktivität des US-Dollars als globale Leitwährung schwächen, indem er von ausländischen Gläubigernationen eine Gebühr auf ihren Dollar-Reserven verlangt. Doch ob dies umgesetzt werden kann, ist fraglich. Die Maßnahme würde auch bedeuten, dass es für den amerikanischen Staat teurer würde, sich zu verschulden.


»Jahrzehntelang hat China die USA abgezockt wie niemand zuvor«

Trump sieht China als Hauptfeind der USA. Dabei hat er einen Punkt. Tatsächlich hat die Integration Chinas in den Welthandel in den Vereinigten Staaten zur Zerstörung von Jobs geführt. Dies hat eine mittlerweile berühmte Studie belegt, an der auch der Zürcher Ökonom David Dorn beteiligt war. Vor allem in den traditionellen Industrieregionen Amerikas schrumpften Branchen, die in direkter Konkurrenz zu chinesischen Importprodukten standen. Der heutige Vizepräsident J.D. Vance hat diesen Niedergang in seinem Buch »Hillbilly Elegy« beschrieben. Vance gehört zu den Anführern einer neokonservativen Bewegung, die die industrielle Basis in den USA wieder aufbauen will (»Rebuilding America«).

Trump und seine Anhänger*innen verschweigen aber zwei Dinge. Erstens wären viele Industriejobs allein wegen des technologischen Strukturwandels verlorengegangen. Zweitens haben die amerikanischen Konsument*innen enorm vom Handel mit China profitiert, indem sie günstigere Güter kaufen konnten. Laut einer Studie wäre die Kaufkraft vor allem der ärmsten Haushalte in den USA deutlich geringer, wenn es keinen Globalisierungsschub gegeben hätte.


Der US-Dollar als doppeltes Dilemma[1]

Es gibt Hinweise, dass diese Wirtschaftspolitik einer Strategie folgt. Stephen Miran, einer der wichtigsten wirtschaftspolitischen Berater Trumps,[2] hat seine Pläne für eine neue globale Wirtschaftsordnung bereits im November 2024 dargelegt.[3] In seinem Essay »A User’s Guide to Restructuring the Global Trading System« entwirft Miran ein Konzept, das u.a. den Einsatz von Zöllen gegen die strukturelle Überbewertung des US-Dollars mit dem langfristigen Ziel einer Reindustrialisierung der USA empfiehlt. Mirans Ausführungen wurden bereits in Medien diskutiert.[4]

Im Zentrum der Analyse steht das so genannte Triffin-Dilemma. Durch die Rolle des US-Dollars als globaler Reservewährung profitieren die USA – indem sie es leichter haben, Länder zu sanktionieren oder ihre Staatsschulden günstiger finanzieren können. Die permanente Nachfrage nach US-Dollar zur Reservehaltung führt aber auch zu einer Überbewertung der Währung und damit zu anhaltenden Leistungsbilanzdefiziten der USA, da sie amerikanische Exporte verteuert und Importe verbilligt. In diesem Kontext ist auch die Idee einer strategischen Bitcoin-Reserve der US-Regierung zu sehen: Würden mehr Staaten Bitcoin statt US-Dollar als Reserve halten, könnte der US-Dollar-Wechselkurs nachgeben.

Für Miran ist diese nachhaltige Überbewertung die wesentliche Ursache für die Deindustrialisierung der USA, die insbesondere mit Blick auf China und sicherheitsrelevanter Lieferketten zu strategischer Verwundbarkeit führt. Doch auch der Verlust gut bezahlter Industriejobs im sogenannten Rust Belt der USA führte dazu, dass viele ehemalige Hochburgen der Demokraten in den letzten Jahren immer öfter republikanisch wählten.


Zölle für die industriepolitische Wende – was sind die Risiken des Handelskrieges?

Vor diesem Hintergrund schlägt Miran eine aggressive Zollpolitik vor. Seine Thesen lauten:

  • Wenn die betroffenen Exportnationen abwerten, führen Zölle kaum zu höherer Inflation. Als Präsident Trump 2018 Zölle auf chinesische Importe um 18% erhöhte, wertete der Renminbi um 14% gegen den Dollar ab und die betreffenden Importpreise stiegen daher nur um 4%. Bei nur etwa 10% der Konsumausgaben, die auf Importe entfallen, wäre der Inflationseffekt gering.
  • Zölle sollen langfristig die Rückverlagerung der industriellen Wertschöpfung in die USA fördern, insbesondere in Sektoren wie Mikroelektronik oder Pharmazie, um Versorgungsengpässe wie während der COVID-19-Pandemie zu vermeiden.
  • Der wirtschaftspolitische Hebel der Zollpolitik wird geopolitisch genutzt: Länder, die sicherheitspolitisch von der Militärmacht der USA profitieren, sollen künftig über Zölle die amerikanischen Verteidigungsausgaben mitfinanzieren.

Zölle auf die Einfuhr von ausländischen Waren zahlen zunächst die US-Importeure. Diese werden den Preisaufschlag entweder schlucken müssen, wenn es der Wettbewerb nicht anders zulässt; oder sie werden die Kosten an die Verbraucher (oder ihre Lieferanten) weiterreichen. Ökonomen erwarten daher einen Anstieg der Inflation in den USA, zudem haben sich die Wirtschaftsprognosen eingetrübt. Trump nimmt das willentlich in Kauf, versucht Haushalte und Wirtschaft auf schwierige Jahre einzuschwören. In Anbetracht der nationalen Sicherheit sind ihm höhere Verbraucherpreise eigenen Worten zufolge »völlig egal«.

Der sich abzeichnende Handelskrieg zieht jedoch auch Volkswirtschaften aus aller Welt hinunter. Je enger die betroffenen Länder mit der US-Wirtschaft verflochten sind, umso stärker die negativen Effekte. Das betrifft vor allem die engsten Handelspartner Mexiko und Kanada, aber auch Europa und Japan. Die Prognosen für China bleiben bislang vom Konflikt übrigens unberührt. Dort geht es eher um den Konkurrenzkampf, um die globale Vormachtstellung.

Bisher angedrohte Gegenmaßnahmen der EU fokussieren vor allem auf die Trump-Wählerschaft. Es geht um Feuerzeuge, Whiskey, Erdnussbutter, Motorräder. Die spezifische Auswahl soll bewirken, dass die Wählerbasis Trumps und das Vertrauen von Bevölkerung und Wirtschaft bröckeln. Zugleich schadet sich die EU selbst kaum, weil die betroffenen Waren im transatlantischen Handel eine untergeordnete Rolle spielen. Das Inkrafttreten hat Brüssel zuletzt aber aufgeschoben, sie sollen Mitte April in Kraft treten. Der Rundumschlag Trumps könnte nun die auf europäischer Seite verhandelnde EU-Kommission veranlassen, das Inkrafttreten zu beschleunigen. Zumal bisherige Angebote der EU-Kommission, mehr Flüssiggas (LNG) aus den USA zu kaufen, keine Entspannung brachten.

Schwere Treffer könnte die EU im Dienstleistungssektor landen. Dort haben die USA einen Handelsüberschuss von mehr als 100 Milliarden Euro. Maßnahmen in diesem Bereich müssten wohl auf die mächtigen US-Tech-Konzerne abzielen. Eine Möglichkeit wäre, eine EU-weite Digitalsteuer einzuführen. Bisher verfügen einige Länder bereits über solche Steuern. Auch der grenzübergreifende und freie Datenfluss ließe sich einschränken, geregelt ist dieser in einem Abkommen der EU mit den USA. Das allerdings wäre wohl eine weitere Eskalationsstufe, schließlich gingen die USA schon bei den geplanten Digitalsteuern einzelner europäischer Länder auf die Barrikaden. Nur die USA selbst dürften US-Firmen besteuern, sagt Trump. Demnächst treffen sich die EU-Handelsminister, um Gegenmaßnahmen festzulegen.

Anmerkungen

[1] Es gibt also noch einen anderen Grund, der hinter der Zollpolitik von Trump stecken könnte. Demnach könnten die Zölle auch eine Maßnahme sein, die dazu dienen soll, den Wert des US-Dollars zu senken und auf diese Weise den Import zu bremsen, sowie den Export amerikanischer Produkte anzukurbeln. Die Disruption soll sich auch auf das Weltwährungssystem erstrecken.
[2] Laut dem Wirtschaftsberater und Trump-Vertrauten Stephen Miran ist der hohe Dollar-Kurs nämlich der Grund für das Ungleichgewicht im Welthandel, unter dem vor allem die USA zu leiden hätten. In einem 41 Seiten langen Papier, das er im November noch als Mitarbeiter der Investment Firma Hudson Bay Capital veröffentlichte, erklärt er unter anderem, welche Zollsätze dafür am besten geeignet seien.
[3] Neben Miran gilt Howard Lutnick als das umstrittenste Mitglied der neuen US-Regierung. Donald Trumps Handelsminister ist vor allem für die neue Zollpolitik zuständig. Der 63-jährige Milliardär kommt aus der Finanzbranche, gilt als Trump-Vertrauter und soll sich nun um die Umsetzung der vom US-Präsidenten angekündigten Zölle kümmern.
[4] In der Financial Times oder der Frankfurter Rundschau, während die Ökonomen Brad DeLong und Paul Krugman die Überlegungen für nicht realitätstüchtig halten.

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