6. August 2024 Redaktion Sozialismus.de: Hintergründe für den »schwarzen Montag«

Börsengewitter als Indikator für eine aufziehende Rezession?

Der Boom am Aktienmarkt in den zwei Jahren nach der Corona-Pandemie ist in eine Korrektur umgeschlagen. Mindestens in Japan ist die Konstellation eines »Bärenmarktes« erreicht, von dem man ab einem Kursverlust von 20%, ausgehend vom letzten Höchststand, spricht. Mit dem Ende der Hausse geht ein Stimmungsumschwung von Euphorie zu Angst einher.

Ganz so überraschend, wie es das breitere Publikum an den Finanzmärkten erlebt hat, kam die Kurskorrektur allerdings nicht: Der Starinvestor und gewöhnlich gut über die Marktlage informierte Warren Buffett trennte sich von gut der Hälfte seiner Apple-Anteile. Sein Konglomerat, Berkshire Hathaway, reduzierte die Position im zweiten Quartal um knapp 50% auf 84,2 Milliarden Dollar. Der Schritt allerdings überraschte viele andere Anleger und stand am Anfang des Börsenumschlags.

Der iPhone-Hersteller Apple ist schon seit vielen Jahren die mit Abstand größte Position in Berkshires viel beachtetem Portfolio. Buffett hatte in den vergangenen Quartalen zwar bereits damit begonnen, die Position leicht zu reduzieren. So einen großen Abbau der Apple-Aktien wie jetzt hatten Analysten indes nicht vorhergesehen.

Der starke Anstieg der Technologiewerte in den vergangenen Quartalen wurde insbesondere von KI-Titeln wie jenen des Chipherstellers Nvidia getrieben. Die Titel dieser Firma waren seit Anfang 2023 zeitweise um rund 700% gestiegen. Die Börsenrally hatte auch Tech-Schwergewichte wie Alphabet, Google, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia und zum Teil auch den Elektor-Automobilhersteller Tesla erfasst sowie den Gesamtmarkt mit in die Höhe getrieben. Die Kurskorrektur reflektiert Schwierigkeiten bei den Geschäften der Tech-Giganten.

Aber das Börsenbeben mit dem »schwarzen Montag« in Japan hat verschiedene Gründe. Aus der Sicht vieler Marktteilnehmer ist in den vergangenen Tagen eine Rezession in den USA wahrscheinlicher geworden. Dabei spielten vor allem die enttäuschenden Arbeitsmarktdaten vom vergangenen Freitag eine wichtige Rolle. Die Arbeitslosenrate stieg von 4,1 auf 4,3%. Das ist zwar immer noch niedrig, liegt aber deutlich über dem Tiefstwert von 3,4%, der im Mai 2023 erreicht worden war.

Zugleich hatte die Zahl der neu geschaffenen Stellen außerhalb der Landwirtschaft die Erwartungen deutlich verfehlt. Entscheidend waren vor allem die Befürchtungen, die US-Wirtschaft könnte in eine Abwärts-Spirale fallen. Hinter dieser Unruhe der Akteure des Finanzkapitals über die US-Konjunktur verbirgt sich die tiefere Ursache, dass sich Anleger nun weniger über eine zu hohe und zähe Inflation sorgen, die die Notenbanken von Zinsreduktionen abhält, als die Furcht vor einem Wirtschaftsabschwung.

Kurz zuvor hatte US-Notenbankchef Jerome Powell den Leitzins der USA bei hohen 5,3% belassen. Die Gratwanderung zwischen hohen Inflationsraten und Einengung der operativen Geschäfte war zugunsten der Bekämpfung der Inflation ausgeschlagen. Die Zinswende wird nun im September erwartet. Doch bis dann könnte sich die Lage der Unternehmen weiter verschlechtern, so die Befürchtung. Und der weitere Gang der Konjunktur in den USA ist angesichts des politischen Wettlaufs um den nächsten Präsidenten bzw. Präsidentin eine heikle Angelegenheit.

Ein weiterer Grund liegt in Japan: Dort erhöhte die Notenbank überraschend die Zinsen, was die Landeswährung Yen in die Höhe trieb. Das trifft einerseits die japanischen Unternehmen und damit die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Und andererseits hatten sich viele internationale Investoren getäuscht, die auf einen schwachen Yen spekulierten. Sie mussten panisch Yen kaufen und trieben so den Kurs der Währung weiter in die Höhe.

Jüngst hatte die Bank of Japan die Obergrenze ihres geldpolitischen Zielbandes von 0,1 auf 0,25% erhöht. Zugleich rechnen die Anleger aufgrund der sich abschwächenden Konjunktur in den USA und der enttäuschenden Arbeitsmarktdaten mit schnelleren Zinssenkungen durch die amerikanische Notenbank Fed.

Dadurch dürfte sich die Zinsdifferenz zwischen Japan und den USA in den kommenden Quartalen erheblich reduzieren. Entsprechend ist der Yen gegenüber dem Dollar bereits deutlich erstarkt. Mitte Juli kostete ein Dollar noch 162 Yen, jetzt sind es nur noch 144 Yen. Der Höhenflug des Yen sorgt für tendenziell sinkende Gewinne der stark international tätigen japanischen Konzerne, was ihre Aktienkurse belastet.

Der starke Yen macht zugleich Carry-Trades, eine Handelsstrategie, bei der zu niedrigen Zinsen aufgenommenes Kapital nach Umtausch in eine andere Währung in höherverzinsliche Anlagen auf einem anderen Markt investiert wird, unattraktiver oder führt bei ihren Investoren sogar zu Verlusten, weshalb sie diese auflösen. Dazu müssen jedoch auch die Vermögenswerte verkauft werden, in die das Geld investiert wurde.

Finanzmarktakteure suchen in dieser Situation nach sicheren Anlagen: Die Renditen auf amerikanischen Staatsanleihen sanken markant, vor allem in den kürzeren Laufzeiten. Das bedeutet, dass ihr Wert entsprechend steigt, und führt dazu, dass sich die Zinsstrukturkurve normalisiert. Dass der Erdölpreis trotz den politischen Unruhen im Nahen Osten weiter sinkt, ist ein zusätzliches Indiz dafür, dass Investoren mit einer sich abschwächenden Konjunktur vor allem in den USA rechnen.

Nach dem Einbruch an den weltweiten Aktienmärkten hat sich die Situation wieder beruhigt. In Japan holte der Nikkei einen großen Teil der historischen Verluste vom Vortag wieder auf. Auch die Situation an den europäischen Börsen stabilisierte sich. Die Anleger bleiben jedoch vorsichtig, bis zurückhaltend, denn die schlechten Konjunkturdaten aus den USA lösen sich mit der Beruhigung an den Finanzmärkten nicht auf. Es muss also auch weiterhin mit einer volatilen Entwicklung gerechnet werden.

Der amerikanische Vorlaufindikator für die Industrie war auf Rezessionsniveau gefallen. Einkaufsmanager von kleinen und mittleren Unternehmen sowie Großkonzernen wurden nach ihrer Einschätzung für die kommenden drei Wochen befragt. Die Mehrheit der Befragten erwartet eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage. Die Umfragen gelten als verlässlicher Indikator der konjunkturellen Entwicklung. Gleichwohl läuft die US-Konjunktur noch relativ stabil und hat Chancen auf eine sanfte Landung und einen neuen Konjunkturzyklus nach den Präsidentschaftswahlen.

Der neuste Arbeitsmarktbericht allerdings verstärkte die Sorgen um die Robustheit der amerikanischen Wirtschaft, weil die Zahlen deutlich schlechter waren als erwartet. Der Anlagechef der Frankfurter-Bankgesellschaft-Gruppe, Thomas Heller, trifft die nervöse Stimmung: »Die Befürchtung ist, dass es zu einer Rezession kommt und nicht zu einer weichen Landung nach dem geldpolitischen Straffungszyklus.« Es handelte sich zwar erst um einen Monat mit schlechten Arbeitsmarktdaten, aber es bleibe – auch mit Blick auf den zugespitzten Wahlkampf – die Angst vor einer Rezession.

Insbesondere die Skepsis gegenüber den Techno-Werten ist hoch. Die enormen Investitionen der Konzerne in die KI-Technologie, ursprünglich mit hohen Erwartungen versehen, werden zunehmend als Belastung betrachtet. Es zeichnet sich ab, dass es deutlich länger dauern wird, bis mit KI profitable Geschäftsmodelle aufgebaut werden können.

Die Tech-Aktien verlieren an Wert, deshalb die Ernüchterung an den Finanzmärkten. Die Aktien des Chipherstellers Intel fielen seit Donnerstag um mehr als ein Fünftel, nachdem das Unternehmen ein umfassendes Sparprogramm angekündigt hatte. Auch die Aktien des Chipentwicklers Nvidia, der als der große Star unter den KI-Investoren galt, sind seit Juni um einen Fünftel eingebrochen. Einer der Gründe, so diverse Mutmaßungen, besteht darin, das Nvidia den Start neuer KI-Chips wohl wegen Designmängel verschieben muss.

Auch die Geopolitik spielt in der Abwärtsspirale der Finanzmärkte eine Rolle, besonders seit Israel Anfang August in Libanon und Iran führende Männer der Hisbollah und der Hamas getötet hat. Seither wird in der Region ein Gegenschlag Irans oder der Hisbollah befürchtet. Die Gefahr einer Eskalation in der Region ließ etwa die Ölpreise steigen und verstärkte die Unsicherheit der Anleger.

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