10. Januar 2024 Redaktion Sozialismus.de: Eine neue Partei mit bekannten Köpfen

Bündnis Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht hat ihre neue Partei offiziell gegründet. Insgesamt hat diese 44 Gründungsmitglieder. Die treibende Kraft der Abspaltung von der Linkspartei und die Namens- und Programmgeberin erklärt die Gründung auch »ein bisschen zum historischen Tag«. Denn sie und ihre Gefolgschaft haben nichts Geringeres vor, als die deutsche Parteienlandschaft gründlich auf den Kopf zu stellen.

Die groben prgrammatischen Umrisse: Begrenzung der Migration, Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und der Energiesanktionen gegen Russland, weitere Nutzung von billigem Gas und Öl, kein Aus für den Verbrennermotor, Abkehr von »vermeintlicher Klimapolitik«. Zugleich tritt Wagenknecht für höhere Mindest- und Tariflöhne und bessere Leistungen der Arbeitslosen- und Rentenversicherung ein, selbst wenn dies höhere Beiträge bedeutet. Der Staat soll mehr Geld in Bildung und Infrastruktur stecken und dafür die Schuldenbremse lockern sowie Vermögen und hohe Einkommen stärker besteuern.

Während der Corona-Pandemie zeigte sich die Partei-Protagonistin skeptisch gegen Beschränkungen und Impfungen. Und sie geißelt »Sprachkampf« und »Cancel Culture«: »Der moralisierende Linksliberalismus ist längst in einen neuen Autoritarismus gekippt, der totalitäre Züge trägt.«

Der Name der neuen Partei soll in beiden Teilen Programmatisches signalisieren: »Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW)«. Dieses Bündnis wurde im Oktober zunächst als Verein gegründet, um die Partei vorzubereiten. Wegen des Abgangs Wagenknechts und ihrer Unterstützer*innen verlor DIE LINKE den Fraktionsstatus im Bundestag. Die verbliebenen 28 Linken- und auch die BSW-Abgeordneten wollen im Bundestag jeweils als parlamentarische Gruppe weitermachen – die Anerkennung steht noch aus.

Die neue Partei BSW will erstmals bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am 9. Juni 2024 antreten. Spitzenkandidaten sollen der Finanzpolitiker Fabio De Masi und der frühere SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, werden. Wagenknecht ist bemüht, die Breite der neuen Partei zu betonen. Ehemalige Linken-Politiker*innen seien dabei, auch Unternehmer, Ärzt*innen, Professor*innen und sogar Theologen. Geführt wird die Partei, anders als zunächst angekündigt, von ihr selbst in einer Doppelspitze mit der früheren Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali. Der erste BSW-Bundesparteitag ist für den 27. Januar in Berlin geplant.

Bis zur Bundestagswahl 2025 solle mit den Mitgliedern und auch Expert*innen ein detailliertes Programm erarbeitet werden. Laut der Parteichefin selbst soll das BSW nur bis zur Bundestagswahl 2025 diesen Namen tragen. Wenn sie bis dahin konsolidiert sei und eine Bundestagsfraktion gegründet habe, »werden wir einen Namen finden, der unabhängig von meinem persönlichen Namen ist«. Wagenknecht begründet den aktuellen Parteinamen auch damit, dass sie mit dem Kürzel BSW auf den Wahlzetteln leichter zu finden sei. Perspektivisch soll die Partei unabhängig von ihr werden, denn irgendwann werde auch ihre politische Karriere enden.

Bei der Expansion wollen die Politprofis vorsichtig zu Werke gehen: Man nehme jetzt erst einmal 450 Menschen auf. Alle Menschen, »die unsere Programmatik teilen«, soll der Beitritt ermöglicht werden, »aber wir müssen halt gucken, dass es nicht die Falschen sind«. Das sei nach dem Parteiengesetz zulässig.

Die neue Partei sei gegründet worden, »damit die falsche Politik, die Unfähigkeit und Arroganz hier im Berliner Regierungsbezirk, die unser Land spaltet, unsere Zukunft verspielt und unsere Demokratie gefährdet, überwunden werden kann«. Gerade mit Blick auf die Lage in Ostdeutschland werde immer wieder vor einer Gefährdung der Demokratie gewarnt. Damit werde aber Ursache und Wirkung verwechselt. Denn viele Menschen fühlten sich von der Politik im Stich gelassen. »Denn Demokratie wird gefährdet von einer Politik, von der sich Menschen vor den Kopf gestoßen fühlen«, meint sie mit Blick auf vor allem den Haushalt der Ampel-Koalition und auf die Bauernproteste »hier vor der Tür heute« in Berlin.

Die falsche gegenwärtigen Politik beschreibt Wagenknecht so: »Wir erleben einen Bundeskanzler, der sprachlos wirkt, selbst wenn er lange Reden hält. Und wir erleben eine Opposition, die zu großen Teilen die Politik der Regierung mitträgt.« Und dann wundere man sich über Wut, Protest und Denkzettelwahl.

Zugleich würden viele Menschen mit den Labels »links oder rechts« nichts mehr anfangen können, konstatiert die Gründerin. »Anders als andere Parteien« wolle man ein Programm mit jenen entwickeln, die es »besser als hauptamtliche Politiker« wüssten. Von »der Politik vergessenen« Menschen helfen zu wollen – in dem Sinne trete man »das linke Erbe« natürlich an. Aber die BSW werde »diese Labels nicht für uns benutzen«. Die linke Tradition – soziale Gerechtigkeit oder Streben nach Frieden – wolle man beibehalten. Mit Blick auf die Ukraine sagt Wagenknecht, es sei »aberwitzig«, dass Waffenlieferungen inzwischen als »links« gelten würden. Selbstverständlich sollten politische Verfolgte ein Recht auf Schutz haben. Doch noch nicht einmal »ein Prozent« der Antragsteller*innen hätten ein Recht auf Asyl.


Ambitionierte Pläne mit bekannten Spitzenkandidaten für die Europawahl

Die Pläne für dieses Jahr sind ambitioniert. Zur Europawahl wolle man auf jeden Fall antreten, und auch für die drei Ost-Wahlen sei man zuversichtlich. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg müssen Landesverbände gegründet und auf Wahlversammlungen Listen aufgestellt werden. Wagenknecht zeigt sich optimistisch, dass das gelingt: »Die Menschen erwarten, dass wir antreten, und ich gehe davon aus, dass wir das schaffen. […] Wir werden Listen aufstellen mit lauter kompetenten Menschen.« Für die kommenden Wochen werden beim Personal »weitere Überraschungen« angekündigt.

Eine »Mammutaufgabe« nennt es Wagenknecht, in den nächsten Monaten die Strukturen der Partei aufzubauen und zugleich Wahlkämpfe zu bestreiten. Die Partei soll aber kontrolliert und deswegen langsam wachsen. Später könne man auch Mitglied werden, offenbar nach einer Zeit der Bewährung. Man wolle nicht in die Falle tappen, Leute aufzunehmen, die sich »nicht konstruktiv« einbrächten oder eine ganz andere politische Richtung verfolgten. Einen direkten Wechsel von Mitgliedern der AfD zum BSW werde es nicht geben, verspricht die Parteigründerin.

Neben Wagenknecht und Mohamed Ali saßen auf der Bühne der Pressekonferenz auch die beiden Männer, die als BSW-Spitzenkandidaten bei der Europawahl antreten sollen: der Allroundpolitiker Fabio De Masi und, überraschend Thomas Geisel, der frühere SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf.

De Masi war eine naheliegende Option. Er ist ein alter Weggefährte Wagenknechts, hatte damals schon Aufstehen mit ihr initiiert, hat schon eine Legislatur als Abgeordneter im EU-Parlament hinter sich und verzichtete 2021 auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag. Er habe eigentlich nicht schon wieder ein politisches Amt anstreben wollen, doch »die desaströse Politik« der Ampel und das Werben von Wagenknecht hätten ihn zu einer anderen Entscheidung bewegt. Das BSW stehe für »Politik mit Sachverstand, Vernunft und Augenmaß«, langfristig solle die neue Kraft zur »Volkspartei« werden. Man werde sich im Europaparlament nicht mit linken Parteien zusammentun. Das bedeute aber keine Präferenz für eine Zuordnung zur Rechten.

Schon am 30. Oktober 2023 hatte de Masi dazu auf dem SocialMedia-Kanal X kundgetan: »Wenn Wagenknecht angeblich so rechts ist, wie man selbst behauptet, dürfte ja auch gar keine Konkurrenz bestehen und alles ist in Butter. Warum dann die ganze Energie in den sozialen Medien nachzuweisen, dass SW vom linken Pfad angekommen sei? Mir erscheint es aber so, als bestünde da eine gewisse Obsession, von der man sich nicht trennen kann. Dann würde nämlich sichtbar, dass man selbst wirtschafts-, außen- und gesellschaftspolitisch nicht mehr so viel zu bieten hat, um breite Schichten der Bevölkerung, die von der aktuellen Politik genervt sind, anzusprechen. Und da, wo man noch sinnvolle Antworten gibt, hört keiner mehr zu, weil die eigene Marke beschädigt ist.«

Thomas Geisel war bis 2020 Oberbürgermeister in Düsseldorf und 40 Jahre lang SPD-Mitglied. Bei der Kommunalwahl 2020 hatte er sein Amt an den CDU-Kandidaten verloren. Als Motiv, sich dem BSW anzuschließen, benannt er, dass der soziale Zusammenhalt in Deutschland verloren gehe und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklaffe. Zudem entwickelten sich »Parallelgesellschaften, namentlich in migrantischen Milieus, die immer schwerer zu integrieren sind«. Er stellt das individuelle Grundrecht auf Asyl in Frage, ebenso das Verbot für Verbrennermotoren, spricht von »sozialen Wohltaten auf Pump« und trauert dem Agenda-2010-Prinzip des »Förderns und Forderns« nach: »Das sozialstaatliche Gleichgewicht zwischen Fördern und Fordern müsse wieder so kalibriert werden, dass kein Anreiz geschaffen wird, sich staatlich alimentieren zu lassen, obwohl man grundsätzlich in der Lage wäre, selbst zur gesellschaftlichen Wertschöpfung und damit zum eigenen Unterhalt beizutragen.«


Programmatische Positionierung bleibt vorerst vage

Die Partei richte sich inhaltlich vorerst nach den Positionen des Vereins aus, sagte Wagenknecht bei der Gründung. »Programmatisch haben wir Ihnen heute nicht so viel Überraschendes anzubieten«, lautete bereits der fünfte Satz ihres Eingangsstatements. Die genaue Positionierung bleibt damit vorerst sehr vage. Während der Pressekonferenz gibt es nicht mehr als die Skizzierung einiger der Positionen aus dem im Oktober zur Vereinsgründung veröffentlichten Papier.[1] Ziel sind »gut bezahlte, sichere Arbeitsplätze«, ein »gerechtes Steuersystem«, Investitionen in Bildung und Infrastruktur, höhere Leistungen der Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Die bisherige Klimapolitik mit Abkehr vom Verbrennungsmotor und völliger Umstellung auf erneuerbare Energien will das Bündnis nicht mittragen. Natürlich sei der Klimawandel eine ernste Herausforderung, so Wagenknecht, »wir sollten aber nur Schritte gehen, die auch wirklich für Deutschland sinnvoll sind«.

In der Migrationsfrage gibt es dagegen schon jetzt eine deutliche Positionierung. Das BSW spricht sich gegen »unkontrollierte« Migration aus. Zuwanderung sei nur solange eine Bereicherung, bis »der Zuzug auf eine Größenordnung begrenzt bleibt, die unser Land und seine Infrastruktur nicht überfordert«. Wann das der Fall ist, bleibt unklar. Wer in seiner Heimat politisch verfolgt werde, habe Anspruch auf Asyl. »Aber Migration ist nicht die Lösung für das Problem der Armut auf unserer Welt.« Stattdessen müssten die Perspektiven in den Heimatländern verbessert werden.

In der Außenpolitik ist das BSW gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und fordert sofortige Friedensverhandlungen. In dem fünfseitigen Papier heißt es: »Die Lösung von Konflikten mit militärischen Mitteln lehnen wir grundsätzlich ab.« Die neue Partei positioniert sich gegen die NATO, denn die Allianz schüre »Bedrohungsgefühle und Abwehrreaktionen und trägt so zu globaler Instabilität bei«. Zudem kritisierten De Masi und Wagenknecht bei der Pressekonferenz mehrfach die pro-israelische Haltung der Ampel-Regierung. In Bezug auf den Kontext Syrien deutete Wagenknecht an, man müsse die Sanktionen gegen Staatschef Bashar Al-Assad beenden.

Wagenknecht hatte bereits vor der Parteigründung gesagt, sie sehe ihre Partei auch als »seriöse Adresse« für Wähler*innen der AfD. Eine Zusammenarbeit mit der Rechtsaußenpartei hat sie jedoch ausgeschlossen. Sie strebt Regierungsbeteiligungen an und könnte sich unter Umständen Koalitionen mit der LINKEN oder der SPD vorstellen. Die Grünen bezeichnet sie hingegen als »gefährlichste Partei« im Bundestag.

Das aus den Umrissen von programmatischen Vorstellungen erkennbare Muster von Wirtschafts-, Klima- und Sozialpolitik wird den Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation in keiner Weise gerecht. Deshalb sieht auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, die neue Partei kritisch. Ihre Positionen seien »als Ganzes widersprüchlich und würden der Wirtschaft erheblichen Schaden zufügen«, sagte er dem Handelsblatt. Die Forderung etwa, den Klimaschutz und die ökologische Transformation nicht nur zu stoppen, sondern wieder rückgängig zu machen, »würde Deutschland viele Arbeitsplätze und großen Wohlstand kosten«. Zudem sei die Wirtschaftspolitik geprägt von Forderungen nach Protektionismus und einer Abschottung vom Rest der Welt. »Alles in allem würden die Vorschläge der Partei von Sahra Wagenknecht das Ende des Wirtschaftsmodells Deutschlands bedeuten.«

Die Linkspartei, aus deren Reihen heraus sich das BSW im Oktober gründete, sieht das Wagenknecht-Projekt nicht als große Bedrohung. Ko-Parteichef Martin Schirdewan erklärte: »Es handelt sich um keine neue linke Formation«. Er sehe deshalb »keine Konkurrenz« und fügte hinzu: »Ich bin da ganz entspannt.« Für ihn gehe es zuallererst darum, DIE LINKE zu stärken und erfolgreich durch die kommenden Wahlen zu führen. Für den stellvertretenden Parteivorsitzenden Ates Gürpinar macht das Ganze den Anschein eines »Tellers bunter Knete, geprägt von plumper Anti-Rhetorik«. BSW stehe sowohl bei der Sozial- als auch bei der Migrationspolitik Partei rechts.

Anmerkung

[1] Zur inhaltlichen Ausrichtung dieses Gründungsmanifests siehe Joachim Bischoff/Klaus Bullan/Bernhard Müller/Björn Radke/Gerd Siebecke: Alternative zur weichgespülten »Ja, aber...«-Linkspartei? Zum »Bündnis Sahra Wagenknecht«, Sozialismus.deAktuell 24. Oktober 2023.

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