17. Mai 2017 Björn Radke: Regierungsbildung in Schleswig-Holstein

CDU, FDP, Grüne: »Jamaika« ante portas

In die Verhandlung um die Regierungsbildung in Schleswig-Holstein kommt Bewegung. Während des Wahlkampfes in NRW spielten alle Beteiligten politisches Mikado. Nach der erneuten Niederlage von Rot-Grün überschlagen sich in Kiel die Sondierungsgespräche. Der Schlüssel liegt bei den Grünen und der FDP.

»Es war ein ausgesprochen angenehmes Gespräch mit den Freunden von den Grünen«, berichtet der FDP-Landesvorsitzende, Heiner Garg. Zuvor mahnte Umweltminister Robert Habeck (GRÜNE) die SPD an: »Sie muss zügig ein Angebot an FDP und Grüne machen, das ein Ampel-Bündnis ermöglicht.« Es liege jetzt »an der SPD, die Grundlagen zu schaffen, dass die FDP für Ampel-Gespräche bereit ist«, sagte Habeck. »Zu schaffen heißt nicht: in 14 Tagen.« Personalsachen seien aber letztlich Entscheidungen der Sozialdemokraten. Die SPD müsse »aus ihrer Schockstarre erwachen«. Die Landtagswahl sei jetzt eine Woche her. »Wir haben für die Ampel geschrieben, gekämpft, Interviews gegeben und von der SPD habe ich nichts gehört. So wird das nicht mehr lange funktionieren können«, so Habeck. Diese Aufforderung war eine taktische Finte, denn die FDP war nicht zu einer Kooperation mit der SPD bereit, die programmatischen Grundbedingungen sind zudem wenig ermutigend.

Der danach vollzogene überfällige Rücktritt Torsten Albigs ist daher keine machtpolitische Option für die Bildung einer Ampel-Koalition, denn FDP-Landtagsfraktionschef Wolfgang Kubicki stellte noch vor Albigs Erklärung klar, dass für die Liberalen jetzt nur noch ein »Jamaika«-Bündnis in Frage komme. »Die Bereitschaft der Freien Demokraten, in Gespräche über eine ›Ampel‹-Koalition einzutreten, ist erschöpft – definitiv.« »Wir haben kein Signal der Sozialdemokraten erhalten, dass sie ernsthaft daran interessiert sind, eine neue Politik in Schleswig-Holstein ins Werk zu setzen«, sagte Kubicki.  Nicht zu Unrecht weist Kubicki das Ansinnen auf eine weitere SPD geführte Koalition zurück: »Die SPD muss Gelegenheit haben, sich personell und inhaltlich zu erneuern.«

Die schleswig-holsteinische Sozialdemokratie zeigt sich nach der Wahlniederlage in einem fast schon erbarmungswürdigen Zustand. Während die FDP und GRÜNEN die Woche nach der Wahl genutzt haben, um sich auf eine mögliche Zusammenarbeit sowohl unter einer CDU, als auch unter einer SPD vorzubereiten, blieb die SPD handlungsunfähig. Mangels personeller und politischer Alternative wählte die Landtagsfraktion Ralf Stegner einstimmig zum Fraktionsvorsitzenden, obwohl dieser maßgeblich für den missratenen Wahlkampf als Parteivorsitzender verantwortlich war. Für diesen war nach der Wahlniederlage ein Wahlziel immerhin erreicht: DIE LINKE aus dem Landtag herauszuhalten. Es könne nur eine Partei der sozialen Gerechtigkeit geben. Auch nach dem Rücktritt Torsten Albigs und der eindeutigen Absage der FDP setzt SPD-Landeschef Ralf Stegner weiter auf eine »Ampel«-Koalition im Norden. Nicht nur die Ausgrenzung gegenüber der Linkspartei, sondern auch die Vorstellung gemeinsam mit der FDP und den GRÜNEN weiter so die Probleme und nicht abgetragenen Baustellen des Landes weiter verwalten zu können, zeigt die Konzeptions- und Orientierungslosigkeit der Sozialdemokraten.

Das zeigt sich auch im Zustand der Landesorganisation. Der SPD-Kreisverband Nordfriesland hat als erster im Land den Rücktritt von Stegner vom Parteivorsitz verlangt. »Herr Stegner muss die Konsequenzen aus dem schlechten Wahlergebnis ziehen und zurücktreten«, sagte der nordfriesische SPD-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete, Matthias Ilgen. Eine entsprechende Forderung habe sein Kreisvorstand am Sonnabendnachmittag einstimmig beschlossen. »Nach der dramatischen Niederlage ist beides notwendig, damit wir zu einem glaubhaften Neuanfang kommen können«, sagte Ilgen. Seine Meinung werde dabei von der großen Mehrheit der schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten geteilt: »Ich bin derjenige, der sagt, was alle denken«, verkündete Ilgen. Am Tag danach wollten die SPD-Kreisvorsitzenden in einer Telefonkonferenz mit Stegner über die laut Ilgen für die SPD dramatische Situation sprechen. Dagegen steht die aus dem Kreisverband Pinneberg geäußerte Position: »Wir müssen als SPD jetzt zusammenhalten und Geschlossenheit zeigen. Rücktrittsforderungen und Rücktritte sind das falsche Signal.« Zurückhaltend äußerten sich auch die Kreisvorsitzenden in Steinburg, Rendsburg-Eckernförde, Lübeck und Dithmarschen. Der Kreisverband könne die Forderung zwar nachvollziehen, schließt sich »ihr aber vorerst nicht an«.Der SPD-Kreisverband Kiel bekräftigte seine Position, dass die Spitzen von Partei und Landtagsfraktion besser getrennt wären. »Wir bleiben dabei: Partei- und Fraktionsvorsitz in einer Hand halten wir für falsch.« Das habe schon vor der Wahl so gegolten und das gelte auch danach. Stegner ist Landes- und Fraktionschef zugleich und zudem SPD-Bundesvize. Für den Lübecker SPD-Kreisvorsitzenden lag das schlechte Abschneiden der SPD eher an Fehlern im Wahlkampf.

Die von Stegner angestrebte »Ampel« stößt in den Kreisverbänden auf viel Zustimmung. »Im Kreistag Pinneberg funktioniert ein solches Bündnis gut, warum soll es nicht auch auf Landesebene klappen?« sagte Hölck. Auch Ilgen sieht politische Schnittmengen zwischen SPD und FDP. »Die Lübecker SPD unterstützt eine ›Ampel‹-Koalition.« Kein Widerspruch aus der Partei ist derzeit zu der bisher praktizierten Politik zu vernehmen. Anscheinend ist es für Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein nicht von Bedeutung nach einer Koalition links der Mitte auf eine Koalition der bürgerlichen Mitte zu setzen, unabhängig vom Realitätsgehalt dieser Option. Von neuen Konzeptionen für das Land ist nicht die Rede.

Ralf Stegner erwiderte dann in typischer Basta-Manier: Es sei »wenig zielführend, öffentlich auf das eigene Tor zu schießen, anstatt sich konstruktiv an den innerparteilichen Beratungen zu beteiligen«, sagte Stegner. »Während CDU, FDP und Grüne Jamaika sondieren und wir Ampelsondierung vorbereiten, gibt es wenige andere, die öffentlich aufs eigene Tor schießen.« Eine selbstkritische Aufarbeitung der politischen Orientierung sieht anders aus. Es bleibt bei der lähmenden Selbstzufriedenheit, für die der Fraktionsvorsitzende Ralf Stegner steht. Mit ihm an der Spitze der Partei wird es keine Neuausrichtung der Partei in absehbarer Zeit geben.

Die Spitzen von Grünen und FDP scheinen entschlossen, die Hürden für eine mögliche Koalition aus dem Weg zu räumen. »Wir haben verabredet, dass wir vor Himmelfahrt mit der Sondierung durch sein wollen«, sagte Finanzministerin Monika Heinold, die auch Spitzenkandidatin der Grünen bei der Landtagswahl war. Ziel sei es, Ende Juni einen Ministerpräsidenten oder eine Ministerpräsidentin zu wählen, sagte Heinold. »Wir haben uns insbesondere mit den Gemeinsamkeiten beschäftigt«, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende, Heiner Garg. »Wir werden einen engen Draht halten, um die Sache zum Erfolg zu bringen«, sagte Heinold.

Noch vor dem ersten Gespräch erklärt Finanzministerin Monika Heinold die neue »Flexibilität« hin zur FDP: »Ich bin dafür, dass Grüne und FDP den Schulterschluss wagen und definieren, wie eine gemeinsam von uns mitgestaltete Gesellschaft aussehen könnte. Und dann zu CDU und SPD gehen und prüfen, mit wem unsere Vorstellungen umsetzbar sind. (…) Viele bei uns neigen dazu, nur die eigene Position zu sehen und nicht auch die der anderen. Grüne und FDP haben jetzt die große Chance, gemeinsame Inhalte auszumachen und zu schauen, wer als großer Partner dazukommen könnte. (…) Ich erwarte, dass die FDP die Frage, welche Koalition es am Ende hier gibt, genauso wie wir von gemeinsamen Zielen abhängig macht und von nichts anderem. Ziel muss in jedem Fall ein gleichberechtigtes Miteinander und nicht ein Gegeneinander für die nächsten fünf Jahre sein. Und eine gemeinsame Idee für eine moderne, ökologisch und gerecht gestaltete Gesellschaft. (…) Wer vor der Wahl nichts ausschließt, hat nach der Wahl alle Möglichkeiten und nicht nur die, die scheinbar zwangsläufig sind.«

Einen anderen Akzent setzt Robert Habeck: »Und das letzte, was wir brauchen, ist eine Regierung, die sich als Bündnis der Besserverdienen versteht. Wir brauchen aber anderes: Politik muss sich um die zentralen Fragen der Zukunft kümmern. Und die treffen auch Schleswig-Holstein bis ins Mark.« Er setzt weiter auf die Energiewende, denn »ohne eine Umstellung der Wirtschaft auf Erneuerbare wird das mit Unternehmertum und Wohlstand dauerhaft nichts«. Er will ein zeitgemäßes Einwanderungsrecht. Und geht dann auf Kretschmann-Kurs: »Nicht die Zahl der Abschiebungen ist der Maßstab für Erfolg, sondern am Ende, wie viele Jungs und Mädchen aus Afghanistan; Syrien etc. hier in Sportvereinen spielen, wie viele in die Freiwillige Feuerwehr gehen, wie viele Arbeit finden und ihren Beitrag zu unserer gemeinsamen Gesellschaft leisten.« Da hat auch die FDP keine Einwände. Und der nette Herr Günther auch nicht.

Für Robert Habeck sind auch Gerechtigkeitsfragen wichtig. »Gerade angesichts von globalen Mechanismen, die die Tüchtigkeit des einzelnen immer mehr durch Kapitalentscheidungen großer Unternehmer überformen – auch hier in Schleswig-Holstein. Wir brauchen eine Reform unserer Sozialsysteme sowie eine offene und vielfältige Bildungslandschaft, gut ausgestattete Schulen und Kitas sind dafür die richtigen Antworten.«

Geradezu begeistert von der Möglichkeit einer »Jamaika«-Koalition äußert sich die konservative WELT: »Habeck, der knapp als Spitzenkandidat an Cem Özdemir gescheitert ist, will zeigen, wie es geht: grüne Umweltpolitik mit marktwirtschaftlichem Overdrive; soziale Empathie ohne Umverteilung. Mit dem integren und sachlichen CDU-Sieger Daniel Günther gäbe es dafür eine Chance, und mit Wolfgang Kubicki sowieso.«

Dies ist klar ausgesprochen die Aufforderung zu einer Zerreißprobe für die Grünen. Denn die Grünen würden sich damit einbinden lassen in eine politische Operation, die darauf hinausläuft das traditionelle bürgerliche Lager auch durch Einhegung der AfD zu stärken und mit Blick auf die Bundestagswahl wieder in die Vorhand zu bringen. Eine solche Erneuerung ist möglich, wenn Rot-Grün herabgestuft und die Linkspartei politisch erfolgreich marginalisiert werden kann. Weiter bedarf es einer deutlichen Wiedergewinnung von Stimmen aus dem Nicht-Wählerbereich und damit zugleich eine Eindämmung des rechten Populismus.

Eine schwarz-gelbe Landesregierung in NRW und eine »Jamaika«-Koalition in Schleswig Holstein können wichtige Zwischenschritte in dieser strategischen Orientierung sein. Sie bieten für die FDP die Chance, sich auf Bundesebene wieder als Partei der »marktwirtschaftlichen Erneuerung« zu etablieren, die das Image der »sozialen Kälte« abgestreift hat.

Schlüsselthemen einer solchen Operation sind u.a. innere Sicherheit und Bildung, die auch in den Landtagswahlkämpfen eine wichtige Rolle gespielt haben. Da gibt es zwar Differenzen zwischen CDU und FDP, die sich allerdings in Grenzen halten. So hat die FDP sicherheitspolitisch ihre liberalen Positionen schon zurückgedreht. So sollen sogenannte Gefährder mittels elektronischer Fußfesseln in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und gegebenenfalls abgeschoben werden, auch wenn nicht klar ist, wie diese Personengruppe rechtsstaatlich zu fassen ist. Für Flüchtlinge gelte, dass sie prinzipiell in ihre Heimat zurückkehren müssen. Sichere Herkunftsstaaten sind auch für die FDP eine Sache der Definition. Und wer bleiben darf, weil »wir« ihn brauchen, soll ein Einwanderungsgesetz regeln.

Für die Grünen ist die Einbindung in eine »Jamaika«-Koalition in Schleswig Holstein nur mit einer programmatischen Kehrtwende möglich. Dies betrifft vor allem die Bereiche einer humanen Flüchtlingspolitik, der Bildung und einer ökologischen Energie- Verkehrs und Landwirtschaftspolitik. Die unvermeidliche Folge wäre eine innerparteiliche Zerreißprobe über den zukünftigen Kurs der Partei, die die Grünen auf Bundesebene weiter zurückzuwerfen droht. Das außerordentliche gute Ergebnis der Grünen in Schleswig Holstein könnte so im Falle der Einbindung in eine schwarz-gelbe Koalition in eine Verstärkung des Abwärtstrends der Grünen auf Bundesebene umzuschlagen.

Aber bis es dazu kommt, sind doch noch Hürden zu überwinden. Können diese Hürden nicht überwunden werden, und statt »Jamaika« eine große Koalition zustande kommen, würde das den Abwärtsstrudel der SPD verstärken.

Um diese Gemengelage weiß auch Daniel Günther und will den Grünen Zeit lassen: »Sie kommen aus einer Regierung mit der SPD – da ist es immer ein weiter Weg in eine Koalition mit bisherigen Oppositionsparteien. Aber ich glaube, dass es gute Projekte gibt, die wir gemeinsam mit Grünen und FDP umsetzen können. Wenn ich mir das Thema Kitas angucke, kann man die Konzepte von CDU, FDP und Grünen fast übereinander legen. Bei den Finanzen gibt es eine deutlich größere Nähe von FDP und Grünen zur CDU als zur SPD. Klar, bei Themen wie Infrastruktur oder Bildung gibt es auch die ein oder andere Hürde zu überspringen – aber dafür verhandelt man ja.«

»Wir stehen am Anfang von extrem schwierigen Gesprächen«, sagt Habeck. Ob man in einer Koalition auch inhaltlich zusammenkommt, werde davon abhängen, ob es gelingt, eine gemeinsame »Idee« für Schleswig-Holstein zu entwickeln, hat Habeck erklärt. Kubicki wirbt deshalb dafür, über Jamaika »flexibler zu denken als bisher«. Warum, so fragt Kubicki, starteten FDP und Grüne also nicht einen gemeinsamen Diskurs über die Frage, wie sich das Land politisch und gesellschaftlich modernisieren lasse. Darin stecke für beide Parteien eine Chance.

»Empathie ohne Umverteilung« läuft auf eine ländlich-bürgerliche Handlungsoption raus, die sich einerseits gegen zu viele Flüchtlinge stellen wird, die nicht integrierbar sind, bei der Haushaltskonsolidierung wieder härtere Maßnahmen ergreifen wird und eine weitere Vertiefung der sozialen Spaltung in Kauf nimmt. Die Zukunftsaussichten für das Land werden mit dieser Konstellation auch nicht besser.

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