5. Mai 2014 Otto König / Richard Detje: Manche Medien schütten Öl ins Feuer der Ukraine-Krise

Comeback der Kalten Krieger verhindern!

Zwischen weiteren Sanktionen gegen Russland, wie sie Kanzlerin Angela Merkel fordert, und dem Aufbau einer militärischen Drohkulisse scheint es keine größere Kluft (mehr) zu geben. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen fordert, der Westen müsse klarmachen, dass »die NATO nicht nur auf dem Papier besteht«.

Und der NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen warnt, die russische Führung könne »nicht den geringsten Zweifel daran haben, dass wir einen Angriff auf ein Mitgliedsland«, als Beispiel nannte er Estland, »als Angriff auf uns alle betrachten.« (F.A.S, 4.5.2014) Das klingt bereits nach Kriegs-Rhetorik. Die Nachricht aus dem Stockholmer SIPRI-Institut, demzufolge im vergangenen Jahr die Rüstungsausgaben gesunken sind, soll sich nicht wiederholen. Rasmussen: »Fahrt eure Verteidigungsausgaben nicht immer weiter zurück, dreht den Trend um und investiert Schritt für Schritt mehr Geld in die Verteidigung.«

Also keine Entschuldungspolitik bei Rüstungsprogrammen mehr. Der Fiskalpakt soll ausschließlich in den Feldern der Sozialpolitik, der öffentlichen Beschäftigung und des Ausverkaufs öffentlicher Unternehmen umgesetzt werden. Das wäre doch mal Stoff für Reportagen: Warum hat man für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa nur einen Bruchteil der Mittel, die nun für Aufrüstung und Militärpräsenz locker gemacht werden sollen?

Doch die Mainstream-Medien hinterfragen nicht, sondern verstärken die politischen Botschaften. Dirk Kurbjuweit beschwört im SPIEGEL eindringlich die »Eigenschaften des Mars, also Waffen, kriegerische Fähigkeiten und manchmal die Entschlossenheit, all das einzusetzen« (Nr. 17, 2014). Für Volker Zastrow, Leiter des FAS-Politik-Ressorts, steht fest: »Die guten Jahre sind vorbei, der Westen muss aufrüsten.« Ihm assistiert selbst Klaus-Helge Donath in der taz, »alle EU-Staaten sollten gemeinsam beschließen, den Verteidigungshaushalt um mindestens ein Drittel anzuheben, parallel zum Aufstocken konventioneller Streitkräfte und technologischer Innovationen« (29.4.2014).

100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs und 75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird wieder gezündelt – wenngleich »nur« in einigen Leitmedien. Wenn selbst der keineswegs als »Putinfreund« verdächtige ehemalige ARD-Korrespondent in der Sowjetunion bzw. in Russland, Fritz Pleitgen, eine einseitige und die russische Interessenlage ausblendende Wahrnehmung konstatiert (im Interview mit dem Deutschlandfunk am 4.5.2014), dann müsste eigentlich erklärt werden, warum hartnäckig ausgeblendet wird, dass nach dem Ende des Kalten Krieges die USA und andere westliche Länder geopolitisch alles getan haben, um ihre Einflusssphären auszudehnen, und »zwar keineswegs nur friedlich, etwa über die Erweiterung der EU, sondern auch mit einer globalen Ausweitung ihres Stützpunktsystems, der Entwicklung von Generationen hochmoderner Waffen und einer Reihe von völkerrechtswidrigen Kriegen, von Kosovo über den Irak bis Libyen«.[1]

Mittlerweile steht das westliche Militärbündnis mit seinen Raketenabwehrsystemen fast an den russischen Grenzen. Dabei wurde Michail Gorbatschow anlässlich der deutschen Vereinigung mündlich zugesagt, die NATO würde sich nicht über das Gebiet der ehemaligen DDR hinaus nach Osten ausdehnen. Für dieses Agieren des Westens »seit dem Ende der Sowjetunion« verwendete der Kunsttheoretiker Bazon Brock kürzlich in einem Interview mit der F.A.S. den Begriff »Siegerinfantilismus«.

In dessen Nachhut erfolgt die Reanimierung des Schwarz-Weiß-Denkens. »Wie hältst Du es mit Putin?« gilt als Lackmus-Test. Wer aus der Reihe tanzt, wird als »Russland-Versteher« abgetan oder – wie es das Magazin »Cicero« gegenüber der LINKEN in bester Adenauer-Propaganda tut – als »fünfte Kolonne Moskaus« an den Pranger gestellt. Selbst Alt-Kanzler Helmut Schmidt wird nicht ausgenommen. Als der bereits erwähnte Fritz Pleitgen in der Talk-Show bei Anne Will den Überfall der USA auf Grenada zur Sprache brachte, hielt man ihm aggressiv entgegen, die Interventionen der NATO-Staaten seien schließlich »etwas völlig anderes«.

In dieser Haltung kommt die Auffassung zum Ausdruck, dass all das, was der Westen macht, per se legitim ist, und das, was Russland macht, per se illegitim ist. Da sieht man denn auch mal über Julia Timoschenkos Äußerung hinweg, sie sei »bereit, eine Maschinenpistole in die Hand zu nehmen und diesem Drecksack (Putin) in die Stirn zu schießen«.[2] Die langjährige ARD-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz kritisierte im NDR-Medienmagazin ZAPP die »einseitige Berichterstattung über Russland und die Ukraine«. Die Medien würden die Bevölkerung zunehmend mangelhaft oder gar falsch informieren, unerwünschte Fakten unterschlagen oder als »russische Propaganda« disqualifizieren und »manichäische Weltbilder« generieren.

Sie hat Recht: Die Vertreter der etablierten Medien, die eigentlich der Plicht zur wahrheitsgemäßen und objektiven Berichterstattung verbunden sein müssten, werfen kritische Distanz über Bord. Ein Faktor ist sicherlich, dass ein Teil der aktuell in den »Leitmedien« tonangebenden Journalisten direkt in entsprechende Institutionen und Strukturen eingebunden sind.[3]

Dass dennoch die einseitige Darstellung und Interpretation der Fakten nicht unwidersprochen bleibt, gehört glücklicherweise ebenfalls zur Medienrealität: So gibt es Journalisten, die – wenn auch nicht in den allerersten »Leitmedien« – etwa die kritischen Stimmen von Fritz Pleitgen und Sabine Krone-Schmalz zu Wort kommen lassen. Auch die durchaus zur Aufklärung beitragenden Pointierungen in der ZDF-Satiresendung »Die Anstalt« sind in dieser Hinsicht ein ermutigendes Zeichen.

Und schließlich spielen die Medien eine immer wichtigere Rolle, die im Internet, in linken Publikationen und Blogs kritische Berichte und Hintergrundinformationen verbreiten – und dabei auch die finanzielle Förderung der »Maidan-Bewegung«, an der nicht nur demokratisch-oppositionelle Kräfte, sondern maßgeblich auch reaktionäre Nationalisten und Faschisten der Swoboda-Partei sowie ausländische Geheimdienste beteiligt waren, nicht aussparen. Sie haben zudem die abgehörten Telefongespräche der EU-Beauftragten des US-Außenministers John Kerry, Victoria Nuland (»Fuck the EU«)  mit dem US-Botschafter in Kiew, Geoffrey Pyatt, sowie des estnischen Außenministers Urmas Paets mit der EU-Außenministerin Catherine Ashton, über die wahre Identität der Scharfschützen des Maidan-Platzes zugänglich gemacht.

Trotz Einseitigkeit der Berichterstattung, die durch die benannten anderen Akzentsetzungen und Informationen teilweise unterlaufen werden kann, lehnt die Mehrheit der Deutschen laut einer Umfrage des TNS-Forschungsinstituts einen harten Kurs gegen Russland ab. 55% zeigen Verständnis für Putins Reaktion auf das Eindringen in die russische Einflusszone. Bei einer Forsa-Umfrage Ende April lehnten sogar 73% Wirtschaftssanktionen ab.

Die mediale Reaktion darauf ist häufig Publikumsbeschimpfung: Despektierlich wird »die typische German Angst« denunziert und sich darüber beklagt, dass Redaktionen von Zuschriften überflutet werden, »die sich über unsere Russland-Berichterstattung« beschweren (ZEIT-Journalist Bernd Ulrich). Oder es wird psychologisiert, »die antiamerikanisch gesinnten Deutschen (treten) hypermoralisch auf, was nicht minder pubertär« sei (Sebastian Fischer, Spiegel online, 18.4.2014).

Glücklicherweise melden sich immer häufiger auch Stimmen zu Wort, die die LeserInnen und ZuschauerInnen informieren und nicht mit Plattitüden abspeisen wollen. »Sie wollen für die russische Einmischung von den Amerikanern keine Beweise vorgelegt bekommen, von denen niemand sagen kann, woher sie stammen, von unabhängigen Dokumentaren vor Ort oder aus dem Photoshop der CIA.« (Jakob Augstein).

Tatsache ist: Die weitaus überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung will keinen Krieg. Nicht nur die Älteren haben die barbarischen Ereignisse des Zweiten Weltkriegs noch nicht vergessen. Dies gilt auch für die ukrainisch-russische Bevölkerung. »Wir wollen eure Panzer nicht. Wir wollen hier nicht die Panzer der NATO. Wir wollen nicht die Panzer Europas.«, sagte die im Ruhestand lebende Bauingenieurin Margarita Fjodorowna dem FAZ-Journalisten Konrad Schuller und fügte hinzu: »Es ist wegen meines Vaters. Er ist gefallen. Dreiundvierzig. Vor Charkow, im Krieg gegen die Faschisten.« (F.A.S., 20.4.2014)

Das Dümmste, was jetzt getan werden kann, ist, das eskalierende Gewaltniveau in der Ukraine zusätzlich anzuheizen. Entspannungspolitik täte Not. Und Mut zur selbstkritischen politischen Korrektur: »Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.« (Brecht)

[1] August Pradetto: Die Krim, die bösen Russen und der empörte Westen, Blätter für deutsche und internationale Politik 5/2014.
[2] Spiegel online 25.3.2014.
[3] Ihr Eingebundensein in die Zirkel der Eliten schlage sich, so Uwe Krüger in dem Buch »Meinungsmacht. Der Einfluss der Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse« (Köln 2013) in ihren journalistischen Werken nieder: »Am auffälligsten war der Befund, dass vier leitende Journalisten der ›Süddeutschen Zeitung‹ (Kornelius), der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ (Frankenberger), der ›Welt‹ (Stürmer) und der ›Zeit‹ (Joffe) stark in US- und NATO-affine Strukturen eingebunden sind.« Die Liste der mit den Mächtigen verwobenen JournalistInnen ließe sich ohne Probleme erweitern. So war beispielsweise ZDF-Heutejournal-Moderator Claus Kleber 15 Jahre lang ARD-Korrespondent in Washington und bis vor einigen Jahren Kuratoriumsmitglied des Aspen Instituts Deutschland (US-Organisation) sowie bis 2013 regelmäßiger Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz (Nachdenkseiten, 21.3.2014).

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