25. Mai 2020 Otto König/Richard Detje: Arbeitgeber rufen nach Kaufprämien und verweigern Mitsprache

Corona-Krise: die demokratische Frage

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Die Corona-Pandemie und der Einbruch der Wirtschaft lassen nicht nur Mittelständler, sondern auch große Konzerne nach Staatshilfen rufen – ob Kurzarbeitergeld, Kredite der Staatsbank KfW, Soforthilfen oder Mittel aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Prominente Nutznießer des letzteren sind u.a. der Sportartikelhersteller Adidas, Ceconomy (Mutter der Elektronikketten Media Markt und Saturn), der Autoverleiher Sixt, der Ruhrgebietskonzern Thyssenkrupp, das Touristikunternehmen TUI.

Bei der Lufthansa steigt der Staat mit einem neun Milliarden Euro Hilfspaket ein und beteiligt sich mit 20% am Unternehmen. Öffentlich wird darum gerungen, ob auch Unternehmen, die exzessiv Steuervermeidungsmodelle in Anspruch genommen haben, indem sie einen Teil ihrer Profite in Steueroasen parken, Hilfen in Anspruch nehmen können. Eine Auswertung der Geschäftsberichte von Dax-Unternehmen zeigt, dass Unternehmen fast 4.000 Beteiligungen oder Tochterunternehmen weltweit in Ländern haben, in denen aggressiv Steuern »gespart« werden können. Rund ein Drittel davon in Europa, unter anderem in den Niederlanden, Luxemburg, der Schweiz und den britischen Kanalinseln. Mehr als die Hälfte aller Firmenbeteiligungen liegen im US-amerikanischen Delaware – ein Mekka für Steuervermeider.[1]

In der Kritik stehen auch Großaktionäre, die öffentliche Unterstützung fordern, ihre Gewinne jedoch an kapitalkräftige Eigentümer ausschütten. » Die Porsches und die Piechs etwa, die Medienberichten zufolge bei Volkswagen fast eine halbe Milliarde Euro Dividende einstreichen. Oder der Quandt/Klatten-Clan, der bei BMW mutmaßlich 770 Millionen Euro kassiert. Über einige Millionen Euro können sich auch die Schaefflers dank der Dividende ihres Konzerns und der Continental-Beteiligung freuen.«[2]

Die Automobilindustrie steht dabei – die die Aufzählung zeigt – vorne an. Dabei verfügt – anders als in der Finanzkrise vor gut einem Jahrzehnt – Volkswagen über Liquiditätspolster in Höhe von 25 Milliarden, Daimler von 18 Milliarden und BMW von zwölf Milliarden Euro. Das hält VW-Boss Herbert Diess, Daimler-Chef Ola Källenius und BMW-Vorstandschef Oliver Zipse mit Verweis auf den Shutdown ihrer Fertigungsstätten nicht davon ab, gemeinsam »für staatliche Zuschüsse für den Kauf von PKWs« zu trommeln.

Doch nicht überall, wo Covid-19 draufsteht, ist auch der Virus drin. Bereits seit zwei Jahren verzeichnet die deutsche Automobilindustrie Produktionsrückgänge: seit dem Höhepunkt der Fertigung und Kapazitätsauslastung in 2017 um rund 20% bereits vor dem Ausbruch der Pandemie. Tatsächlich trifft der Corona-Virus gerade in dieser Branche auf »Vorerkrankungen«.  chronischer Vertrauensschwund bei den Käufer*innen aufgrund der betrügerischen Tricksereien bei den Diesel-Abgaswerten, Herausforderungen im Zuge der Transformation von der Verbrennertechnik zur E-Mobilität und eine Absatzkrise, die in den Hauptabnehmerländern China und USA schon vor dem Shutdown eingesetzt hatte.

Aktuell treibt alle Hersteller die Sorge um, auf ihrer wieder hochfahrenden Produktion in größeren Teilen sitzen zu bleiben. Allein das Geschäft in China erreicht nahezu wieder das Vorkrisenniveau: Im April lag das Volumen mit 1,5 Millionen Neufahrzeugen nur noch zwei Prozent unter dem des Vorjahreszeitraums – sehr zur Freude des Volkswagen-Konzerns, der 40% seiner Fahrzeuge auf dem chinesischen Markt verkauft (die Marke VW sogar jedes 2. Auto). In Europa ist das Geschäft im Produktions-Shutdown und der Schließung der Autohäuser nahezu vollständig eingebrochen (siehe Abbildung). Im westeuropäischen Durchschnitt (inkl. Großbritannien) gingen die Neuzulassungen um 78% zurück.

Dass sich die Kaufbereitschaft in Grenzen hält, ist nicht zuletzt dem Tatbestand geschuldet, dass viele der rund zehn Millionen Menschen, die sich in Kurzarbeit befinden, um ihre Jobs bangen und geplante Anschaffungen verschieben. Die Angst vor Arbeitslosigkeit wird gerade auch durch die riesigen Sparprogramme befördert, die bei VW, BMW und Daimler verkündet wurden. Bei Daimler sollen bis 2022 rund 1,4 Milliarden Euro an Personalkosten eingespart und 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Das bei BMW bis 2022 laufende Effizienzprogramm, das zwölf Milliarden Euro freisetzen soll, wird nochmals verschärft, u.a. bei den Beschäftigten.

Eine »Kaufprämie« oder »Innovationsprämie«, so die Idee der Automobilisten, soll die Nachfrage beleben. Nach den Ausführungen der Konzernchefs beim »Autogipfel« im Kanzleramt sollen neben Elektroautos auch neueste Benziner und Diesel mit Kaufzuschüssen gefördert werden: für neue Benziner und Dieselautos ab Schadstoffklasse 6d-Temp mit 3.000 Euro; für Plug-in-Hybride, Elektro- und Wasserstoffautos mit 4.000 Euro. »Wir sehen in einer Innovationsprämie eine doppelte Chance: Sie kann als Konjunkturmaßnahme die Wirtschaft ankurbeln und gleichzeitig den Umstieg der Kunden auf klimaschonende Technologien beschleunigen«, gibt sich BMW-Chef Oliver Zipse »umweltfreundlich«.

Geradezu gemeinwohlverpflichtet geriert sich die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, schließlich könne »eine Neustartprämie« maßgeblich dazu beitragen, dass die Sozialkassen nicht weiter belastet werden. Im besten Fall koste sie den Staat auch nichts: Über steigende Steuereinnahmen und eingespartes Kurzarbeitergeld finanziere sich der staatliche Eingriff womöglich selbst, sagt sie mit Verweis auf die Abwrackprämie in der Finanzkrise 2009. Tatsächlich schoss damals die Zahl der Neuzulassungen in die Höhe. Negativ fiel jedoch die ökologische Bilanz der Umrüstung auf PS-starke SUVs aus sowie die Tatsache, dass die Prämie sich als Strohfeuer erwies. Schon 2010 gingen die Absatzzahlen wieder deutlich zurück.

Im Hinblick auf die zu erwartenden Beschäftigungsbilanzen spielt die Automobilindustrie mit getürkten Karten. Auch hier klebt sie das Corona-Etikett auf eine Entwicklung, hinter der ökologische und digitale Transformation steht. So hat das Center Automotive Research in Duisburg errechnet, dass bis zu 233.000 der heute noch 834.000 Arbeitsplätze bei deutschen Autoherstellern und ihren Zulieferern abgebaut werden könnten – wenn in zehn Jahren rund zwei Drittel der Produktion auf reine E-Fahrzeuge entfällt. Bosch-Chef Volkmar Denner: »Wenn wir bei einem Dieseleinspritzsystem zehn Mitarbeiter beschäftigen, sind es bei einem Benzinsystem drei und bei einem Elektrofahrzeug nur noch einer.«[3] Der Köder Beschäftigungssicherung wird ausgeworfen, obgleich die Planungen weiteren Beschäftigungsabbaus weit fortgeschritten sind.

Was tun? Keine Stützungspolitik kann nicht die Antwort auf den Lobbyismus der Automobilkonzerne sein.  

Die IG Metall fordert zur Wiederankurbelung der Wirtschaft ein »Konjunkturprogramm zur Beschäftigungssicherung«, bei dem »Innovationen und Klimagerechtigkeit in allen Branchen« mitgedacht werden sollen. Bezogen auf die Automobilindustrie fordert der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hoffmann von der Politik ein Signal, »dass es im Rahmen eines solchen Konjunkturprogrammes auch Maßnahmen zur Stützung der Schlüsselbranche Fahrzeugbau geben wird«, allerdings nicht im Sinne »die Nachfrage fördern, sondern zwingend einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten«.

Für den baden-württembergischen IG Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger verbieten es die »Erkenntnisse über den Klimawandel«, eine Kaufprämie ohne Berücksichtigung der CO2-Reduktion vorzunehmen. Ein Kaufanreiz müsse sich entlang der Stoßrichtung »je höher die CO2-Einsparung, desto höher die Förderprämie« ausrichten, sagte Zitzelsberger (CICERO, 5.5.2020).  

Der Vorstoß der IG Metall wird von namhaften Ökonomen unterstützt, u.a. von Sebastian Dullien, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). »Ohne weitere staatliche Impulse besteht die Gefahr, dass Wirtschaft und Gesellschaft dauerhaften Schaden erleiden werden«, schreiben die Wissenschaftler in ihrem Aufruf: »Ein nachhaltiges Investitionsprogramm als tragende Säule einer gesamtwirtschaftlichen Stabilisierungspolitik«.[4] Nicht nur die Automobilindustrie, die Wirtschaft insgesamt brauche einen starken staatlichen Impuls, um aus der tiefen Rezession zu kommen und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu gelangen.

Das Impulsprogramm sollte vornehmlich Investitionen umfassen, und diese Investitionen sollten auf die Bewältigung der Dekarbonisierung, des demographischen Wandels und der digitalen Transformation abzielen. Gefordert werden Investitionen in drei Bereichen: Erstens sollen private und öffentliche Investitionen mit einer starken Klimakomponente angekurbelt werden, beispielsweise durch eine »Abwrackprämie für Ölheizungen«, eine Förderung energetischer Gebäudesanierungen sowie einen Ausbau des schienengebundenen öffentlichen Nahverkehrs. Zweitens sollen die Bildungsinvestitionen ausgebaut werden. In der Krise sei einmal mehr deutlich geworden, wie sehr familiäre Unterschiede dem gesellschaftlichen Ziel gleicher Chancen für alle entgegenstehen. Plädiert wird etwa für mehr Ganztagsbetreuung. Zuletzt wird vorgeschlagen, das Kurzarbeitergeld in Kombination mit beruflicher Weiterbildung und Umschulung zu erweitern – zu einem Transformations-Kurzarbeitergeld.

Bezogen auf letzteres ließe sich von Schweden lernen. Die staatliche Behörde »Tillväxverket«, Amt für Wirtschaft und regionales Wachstum, stellte im Zusammenhang mit Kurzarbeit klar: Aktiengesellschaften, die Dividenden an ihre Aktionäre zahlen, erhalten kein Kurzarbeitergeld. Möglicherweise bereits zu Unrecht gezahlte Leistungen werden zurückgefordert. Der Kugellagerkonzern SKF sah plötzlich keinen Bedarf mehr für Kurzarbeit in einigen seiner schwedischen Fabriken, die gestellten Anträge auf Leistungen nach dem Kurzarbeitsgesetz wurden zurückgezogen (taz, 8.5.2020).

Der Streit über diese Frage, wer am Ende die Rechnung für all die Corona-bedingten Maßnahmen, Hilfsprogramme und Verluste übernehmen soll, ist längst im Gange. Für die Arbeitgeber steht fest, dass die abhängig Beschäftigten für die Umsatz-, Produktivitäts- und Gewinnverluste in der Corona-Krise zahlen sollen: mit niedrigen Lohnabschlüssen, mit Eingriffen in bestehende Tarifverträge und Aushebelung des Arbeitszeitgesetzes. Und ein Umsteuern in der Verteilungspolitik ist seitens der GroKo nicht vorgesehen: keine Neueinführung der Vermögenssteuer, keine Erhöhung der Erbschaftssteuer, etc.

Das Gegenprogramm könnte lauten: an Großkonzerne keine öffentlichen Mittel ohne öffentliches Eigentum und erweiterte Beteiligungsrechte in den Betrieben und Unternehmensvorständen. Die Bewältigung der Krise mit der Demokratisierung der Unternehmen zu verknüpfen, fordern mehr als 3.000 Wissenschaftler*innen in einem unter anderem von Thomas Piketty und Nancy Frazer unterzeichneten Manifest: »Arbeit – demokratisieren, dekommodifizieren, nachhaltig gestalten«.[5] Ihr Ausgangspunkt: Nicht Banken sondern die arbeitenden Menschen haben sich in der Pandemie als »systemrelevant« erwiesen.

Die Krise zeigt: Die gesellschaftliche Reichtumsproduktion allein durch das Nadelöhr der Profitabilität zu organisieren, führt zu massiven, mitunter tödlichen Fehlentwicklungen. Deshalb gilt auch: »Fragen wie die Wahl des – oder auch der! – CEO, die Festlegung wichtiger Strategien und die Gewinnverteilung sind zu wichtig, um sie den Aktionär*innen allein zu überlassen.« Die Forderungen: Erstens Job-Garantie – entsprechend Art. 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. »Eine Arbeitsplatzgarantie würde nicht nur jeder Bürgerin und jedem Bürger Zugang zu einer Arbeit bieten, die ein Leben in Würde ermöglicht, sie würde auch unsere kollektive Fähigkeit entscheidend stärken, die vielen drängenden sozialen und ökologischen Herausforderungen zu bewältigen, vor denen wir gegenwärtig stehen.« Zweitens: »Wenn unsere Regierungen in der gegenwärtigen Krise eingreifen, um Unternehmen zu retten, dann müssen auch Unternehmen in die Pflicht genommen werden, die allgemeinen Grundbedingungen der Demokratie zu erfüllen.«

Deshalb: Arbeitnehmervertretungen sollen neben Aufsichtsräten Organe qualifizierter, gleichberechtigter Mitbestimmung sein. Zur Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise benötigen wir einen »durchgreifenden sozial-ökologischen Reformismus«, der die »Weichen in Richtung Sozialschutz und ökologische Wirtschaftsdemokratie« stellt (Hans-Jürgen Urban). Jetzt zukunftsorientiert zu handeln heißt, Wiederaufbau im Sinne eines partizipativen Neuaufbaus zu betreiben — das ist heute die eigentliche demokratische Frage.

Anmerkungen

[1] ARD-Magazin Monitor, 30.4.2020. Eine Auswertung der Geschäftsberichte von Dax-Unternehmen durch die Linksfraktion im Bundestag zeigt auf, dass die Unternehmen fast 4.000 Beteiligungen oder Tochterunternehmen weltweit in Ländern haben, in denen sich aggressiv Steuern sparen lässt. Rund ein Drittel davon in Europa, zum Beispiel in den Niederlanden, Luxemburg oder der Schweiz. Mehr als die Hälfte aller Firmenbeteiligungen liegen im US-amerikanischen Delaware – ein Mekka für Steuervermeider (ARD-Magazin Monitor, 30.4.2020).
[2] Süddeutsche Zeitung, 19.5.2020.
[3] Siehe Otto König/Richard Detje: Sparprogramme statt Zukunftskonzepte, in Sozialismus.de, Heft 12/2019, S. 54-57.
[4] Autor*innen des Aufrufs: Sebastian Dullien (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung), Michael Hüther (Institut der deutschen Wirtschaft), Prof. Dr. Tom Krebs (Universität Mannheim), Barbara Praetorius (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Co-Vorsitzende der »Kohle-Kommission«) und Katharina Spieß (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung).
[5] https://www.zeit.de/kultur/2020-05/wirtschaften-nach-der-pandemie-demokratie-dekommodifizierung-nachhaltigkeit-manifest/komplettansicht (18.5.2020)

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