17. März 2020 Redaktion Sozialismus: Die Volksrepublik muss nicht nur die wirtschaftlichen Folgen verkraften

Corona-Pandemie in China überwunden?

Die Zahl der neuen Corona-Infektionen blieb in China zu Beginn der Woche laut offiziellen Zahlen auf niedrigem Niveau. Jedoch steigt die Sorge vor Erkrankten, die aus dem Ausland einreisen. Wie die Pekinger Gesundheitskommission mitteilte, gab es landesweit 14 weitere Todesfälle und 16 neue Infektionen mit der Lungenkrankheit Covid-19.

Dabei handelte es sich in zwölf Fällen um Menschen, die nach ihrer Einreise nach China diagnostiziert und somit in der offiziellen Statistik als »importierte Fälle« geführt werden.

Im Lande ändert sich damit die politische Kommunikation. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Pandemie erwachen die Medien aus einer Schockstarre. Zu Beginn der Krise waren sie bemüht, die Landsleute patriotisch zu stimmen. Die Botschaft lautete, ganz China habe mit dem neuen Virus Sars-CoV-2 einen gemeinsamen Feind, der besiegt werden müsse. Bei der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua ist jetzt zu lesen, die Schlacht gehe weiter, aber der Sieg sei nahe. »Ein Sieg in Wuhan ist ein Sieg für Hubei. Ein Sieg in Hubei ist ein Sieg für China.«

Das chinesische Staatsfernsehen berichtete über einen Besuch von Staatschef Xi in der Krisenprovinz Wuhan. Es waren Aufnahmen zu sehen, wie er bei strahlendem Sonnenschein, eine Gesichtsmaske tragend, durch die Straßen der seit dem 23. Januar abgeriegelten Stadt ging. Er unterhielt sich mit Bürger*innen und aus den Fenstern winkte ihm die Bevölkerung zu. Xi besuchte auch das in nur wenigen Tagen errichtete Spital Huoshenshan, wo er sich über die Behandlung der Patient*innen, den Schutz des medizinischen Personals sowie über die wissenschaftlichen Fortschritte informierte.

Die chinesische Interpretation der Visite von Staatspräsident Xis in Wuhan lautet: Im Zuge der Epidemiekontrolle wurde eine neue Stufe erklommen. Und die »Global Times« – eine englischsprachigen Tageszeitung unter der Schirmherrschaft der Renmin Ribao, dem Organ der Kommunistischen Partei Chinas – geht gar zum Angriff über und wirft einigen westlichen Staaten wegen des sich dort weiter ausbreitenden Virus vor, noch immer in einer »Scheinwelt« zu leben. Im Fokus der Attacke stehen die Vereinigten Staaten, denen vorgehalten wird, sie hätten die Notlage Chinas ausgenutzt, während viele andere Länder helfend die Hand gereicht hätten.

Westliche Medien hatten nach dem Ausbruch von Covid-19 mit dem repressiven politischen System in China schnell den Schuldigen gefunden. Läge es jedoch allein am chinesischen Einparteienstaat mit Xi an der Spitze, hätte sich das Virus nicht auch in asiatischen und westlichen Demokratien rasant verbreiten dürfen.

Die Zahlen der Nationalen Gesundheitskommission stimmen hoffnungsvoll. Mehrere Tage in Folge hat es außerhalb Wuhans keine neuen Infektionen mehr gegeben. Die Covid-19-Epidemie wird in China offiziell für beendet erklärt, wenn nach Bekanntwerden der letzten Infektion 28 Tage lang, was zwei Inkubationszeiten entspricht, keine neuen Fälle mehr gemeldet werden.

Welche Fortschritte es in Wuhan in den vergangenen Wochen gegeben hat, zeigt auch der Umstand, dass am Dienstag das letzte von insgesamt 14 provisorisch eingerichteten Krankenhäusern – dazu zählten etwa Fußballstadien – geschlossen worden ist. Und der Parteichef in der Provinz Hubei, Ying Yong, sagte, es habe positive Entwicklungen gegeben. Er drängte zudem die Behörden, die Planungen mit den Unternehmen aufzunehmen, um zur Normalität zurückzukehren.

Chinas Propaganda rückt seit Tagen immer mehr Xi in den Mittelpunkt des Kampfs gegen Sars-CoV-2, als ob das Virus fast im Alleingang von der Partei und dessen Führung zur Strecke gebracht worden wäre. Manche Darstellungen der Kommunistischen Partei stoßen in Wuhan jedoch auf wenig Gegenliebe. Xi bewies dagegen bei seinem Besuch in Wuhan Fingerspitzengefühl. Er sagte, die Partei danke der Bevölkerung von Wuhan. Der sonst distanziert und kühl wirkende Xi zeigte damit eine Form von Empathie, die man von ihm nicht kennt.

Wuhan ist seit dem 23. Januar abgeriegelt. Die psychologischen Folgen dieser zumindest für China als richtig erwiesenen Maßnahme sind noch nicht abzusehen. Das wochenlange Zusammenleben auf engstem Raum, die Sorgen um Gesundheit und Nahrung sowie die Ängste um die berufliche Zukunft werden bei vielen Chines*innen Spuren hinterlassen.

Soweit hätte es jedoch nicht kommen müssen. Es wäre der Bevölkerung viel Entbehrung erspart geblieben, wenn die verschiedenen Führungsebenen rechtzeitig auf Warnsignale aus Wuhan gehört hätten. Kritische Beobachter*innen im Land verweisen auf die Erfahrungen von Ai Fen. Die Ärztin leitet die Notaufnahme im Wuhaner Zentralspital. Sie hatte bereits am 30. Dezember nach dem Studium von Röntgenaufnahmen Studienkolleg*innen von »Sars-ähnlichen« Erkrankungen berichtet. Sie wurde von ihrem Vorgesetzten jedoch zurechtgewiesen, keine weiteren Gerüchte zu streuen.

Warum wurden solche Warnungen viel zu spät ernst genommen? Seit 2007 gibt es landesweit als Reaktion auf die frühere Sars-Pandemie ein System, bei dem das medizinische Personal umgehend eigenartige Fälle von Lungenentzündung melden muss. Sollte eine Expertenkommission zu keinem Resultat kommen, müssen die Erkrankungen im Internet an ein landesweites System gemeldet werden. Wo und wann der Informationsfluss in Wuhan stockte, ist unklar.

Es gibt Anzeichen, dass die Verantwortlichen in Wuhan und Hubei für die Schlampereien verantwortlich waren, auch weil es dort in der ersten Januarhälfte wichtige politische Sitzungen gab. Allerdings erklären diese Ereignisse nicht allein, warum man trotz bestehender Regeln nicht bereits Ende Dezember oder spätestens Anfang Januar reagierte. Die Partei ist in der Pflicht, Lösungen für die offensichtlichen Schwächen zu finden.

Zugleich führen viele Chines*innen sich die aus der Ferne chaotisch anmutenden Maßnahmen in Amerika und in Europa vor Augen, dass jedes System seine Schwächen hat. Als entscheidend wird das Führungspersonal angesehen, das verantwortungsbewusste Maßnahmen beschließt, und eine Bevölkerung, die in so einer Krise sie diszipliniert umsetzt.

Denn als absehbar war, dass gehandelt werden musste, ergriffen die Verantwortlichen umgehend radikale Maßnahmen. Der an der New Yorker Icahn School of Medicine at Mount Sinai lehrende Virologe Florian Krammer hat es auf Twitter treffend formuliert: Es ärgere ihn, wenn er immer die Frage zu hören bekomme, warum er überhaupt den chinesischen Statistiken glaube. Man sollte sich in Erinnerung rufen, dass China dem Rest der Welt Zeit verschafft habe. »Wir haben sie jedoch nicht genutzt«, lautet sein Fazit.

Überhaupt hatten sich die asiatischen Staaten optimaler auf die Herausforderungen durch Pandemien eingestellt. Asien erlebte in den vergangenen zwei Jahrzehnten drei größere Epidemien: Sars im Jahr 2003, die Schweinegrippe (H1N1) in den Jahren 2009 und 2010 und Mers im Jahr 2015. Sars tauchte erstmals in China auf, löste besonders schwere Symptome aus und hatte eine hohe Sterblichkeitsrate. Weltweit steckten sich mehr als 8.000 Personen mit Sars an, der Großteil davon in Ostasien. Mehr als 700 Personen starben. Auch Hongkong, Taiwan und Singapur waren betroffen. Viele Länder Asiens modernisierten ihre Krisenreaktionspläne für solche Epidemien, investierten in die Forschung und tauschten sich gegenseitig aus.

Die vor wenigen Wochen im Westen noch zu hörenden Stimmen, für die Kommunistische Partei mit Xi an der Spitze werde wegen der Krise die Luft dünner, sind verstummt. Vielmehr hat die Zentralregierung in Peking für ihr entschiedenes Einschreiten in der Bevölkerung viel Zuspruch erhalten. Xi geht aus den vergangenen Wochen gestärkt hervor.

Eindrücklich ist auch die Reaktion der sonst Regeln oft und gerne ignorierenden Chines*innen auf Covid-19. Sie halten sich diszipliniert an die Vorgaben und haben in den vergangenen Wochen nur im Notfall ihre Wohnungen verlassen. Die Erfahrungen mit der 2002 in China ausgebrochenen Sars-Pandemie haben sich in das Gedächtnis der Bevölkerung tief eingebrannt. Offizielle Zahlen deuten darauf hin, dass die Maßnahmen erfolgreich waren und China die Schwierigkeiten in den Griff bekommen hat. Allerdings wird die Wiederaufnahme der Arbeit in den kommenden Wochen ein heikler Balanceakt werden.

Das Pekinger Statistikamt veröffentlichte am Montag eine Reihe wichtiger Konjunkturdaten, aus denen hervorgeht, dass der Kampf gegen das Coronavirus der chinesischen Wirtschaft einen schweren Schlag versetzt hat. So ging die Industrieproduktion im Januar und Februar im Vergleich zu den ersten beiden Monaten des Vorjahres um 13,5% zurück -– der stärkste bislang gemessene Einbruch. Mit einem Minus von 20,5% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sackte auch der Umsatz im Einzelhandel deutlich ab. Die Anlageinvestitionen brachen um 24,5% ein, wie das Statistikamt weiter berichtete. Der Ausbruch des Virus hatte Chinas Wirtschaft seit Ende Januar praktisch zum Stillstand gebracht. Wegen der strengen Eindämmungsmaßnahmen mussten Unternehmen über Wochen die Produktion ruhen lassen.

Die Coronavirus-Krise ist in erster Linie eine Herausforderung an die nationalen Gesundheitssysteme. Zugleich führen die Gegenmaßnahmen zu massiven Einbrüchen in den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess, das natürlich auch für die Volksrepublik, wo über die sonst üblichen Neujahrsfeiertage hinaus große Teile des Landes faktisch stillgelegt worden waren und der Transport weitgehend zum Erliegen kam.

Von den bis zu 300 Mio. Wanderarbeiter*innen waren bis Anfang März noch keine zwei Drittel wieder an ihre Arbeitsstätten zurückgekehrt. Dies und zum Teil widersprüchliche Regeln zur Wiederaufnahme der Produktion sorgen dafür, dass die Wirtschaft noch weit unter der Kapazität von vor den Neujahrsferien läuft. Schätzungen schwanken zwischen weniger als 60 und 70%. Bei kleineren Betrieben waren es gemäß chinesischen Behörden vergangene Woche erst 45%. Bis zur Rückkehr zum Normalbetrieb dürften noch Wochen vergehen.

Eine neue Umfrage der China Enterprise Confederation zeigt, dass mehr als 95% der 299 befragten chinesischen Großunternehmen im Land derzeit Umsatzeinbrüche verkraften müssen. Der vom chinesischen Wirtschaftsmagazin »Caixin« und vom britischen Informationsdienst IHS Markit berechnete Einkaufsmanagerindex fiel im Februar auf das Rekordtief von 27,5% (51,9% im Vormonat). Der Index misst die Zuversicht bei Einkaufsmanagern anhand von Indikatoren wie Neubestellungen oder Produktionszahlen. Ein Wert von mehr als 50% deutet auf eine Verbesserung der Wirtschaftslage hin, ein Wert darunter auf eine Verschlechterung.

Eine Studie der National University of Singapore (NUS) rechnet im schlimmsten Fall mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 6,3% für die Monate Januar bis März. Sowohl für China wie auch die Weltwirtschaft zentral ist die Frage, ob es bei einem kurzen, aber intensiven Einbruch bleiben wird, und wie schnell die Erholung einsetzen kann.

Die chinesische Regierung versucht, Optimismus zu verbreiten und die Produktionen im Land nach und nach hochzufahren, ohne jedoch eine neuerliche Ausbreitung des Virus zu riskieren. Unklar ist, wie weit die Behörden dabei zu gehen bereit sind.

Vergangene Woche wurden die Äußerungen von Staats- und Parteichef Xi Jinping von den Märkten so aufgenommen, als würde demnächst zur geld- und fiskalpolitischen Bazooka gegriffen. Schließlich sei das Ziel einer »Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand« gefährdet: die Verdoppelung des Pro-Kopf-Einkommens im Zeitraum von 2010 bis Ende 2020. Dafür benötigt China ein Wachstum von 5,6% im laufenden Jahr. Um dies zu erreichen, so errechnet die NUS in ihrem Szenario, benötige das Land in den kommenden drei Quartalen jeweils ein Wachstum von 9% – was ohne eine massive Ausweitung der Geld- und Fiskalpolitik unmöglich ist.

Doch dieses Szenario ist unwahrscheinlich, denn führende Kader betonen, dass es abgesehen von den gezielten Hilfspaketen und Geldspritzen keine großangelegten Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft wie etwa nach der Finanzkrise geben werde. Es dürfte über den März hinaus dauern, bis sich bei den Produktionslinien und im Konsumverhalten im Land wieder Normalität eingestellt hat.

Da die Führung der Volksrepublik in der vergangenen Woche erklärte, dass der Höhepunkt der Epidemie überschritten sei, rechnen Beobachter*innen damit, dass die Produktion nun langsam wieder anläuft und sich die Wirtschaftsdaten in den kommenden Wochen bessern könnten. Allerdings verweisen sie auch darauf, dass die Rückkehr zur Arbeit vielerorts langsamer vorangeht als erhofft.

Und abgesehen von der Bewältigung der Coronavirus-Krise hat China eine Reihe längerfristiger Strukturprobleme zu lösen. Dazu zählen neben Herausforderungen im Umweltschutz besonders auch die Anforderungen des Ausbaus der sozialen Dienstleistungen. Die Gefahr einer kurzfristigen Verlagerung von Wertschöpfungsketten in andere Regionen ist gering. Nach wie vor ist das Expansionstempo des chinesischen Binnenmarktes für viele westliche Unternehmen attraktiv und dank zunehmender Automatisierung verspricht China als Produktionsstandort weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.

Zurück