24. September 2019 Redaktion Sozialismus

Das Klimapaket der GroKo: Im Ansatz verfehlt

Foto: © Jörg Farys / Fridays for Future (CC BY 2.0)

Am 20. September sind Millionen Menschen dem Aufruf zu einer weltweiten Klimaschutz-Demonstration gefolgt. In Deutschland haben sich rund 1,4 Mio. Menschen an der Aktion von »Friday for Future« beteiligt.

Diese massenhafte Mobilisierung ist maßgeblich auf die seit dem heißen Sommer 2018 nicht mehr zu verdrängende Klimaveränderung zurückzuführen, die durch Greta Thunberg ausgelöst und verstärkt wurde. Die Bedeutung der schwedischen Aktivistin wurde erneut deutlich bei ihrer Rede beim UN-Klimagipfel. Greta Thunberg warf den Staats- und Regierungschefs mangelnde Handlungsbereitschaft vor: »Wie konntet Ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit Euren leeren Worten? ... Wir werden Euch das nicht durchgehen lassen. ... Die Welt wacht auf und es wird Veränderungen geben, ob Ihr es wollt oder nicht.« Bundeskanzlerin Merkel reagiert darauf und sagte in ihrer Rede: »Wir alle haben den Weckruf der Jugend gehört.«

Keine Frage: Ohne den Druck der FFF-Bewegung hätte es die Verständigung der regierenden Parteien auf ein Klimapaket nicht gegeben. Der kommissarische SPD-Chef, Thorsten Schäfer-Gümbel, hat das Paket für den Klimaschutz als bislang größte Bewährungsprobe für die schwarz-rote Koalition bezeichnet. Die SPD hat daher das Klimaschutzgesetz zu einem entscheidenden Prüfstein für eine Fortsetzung der großen Koalition gemacht. Dieses Paket ist – gemessen an den Erwartungen der Bewegung »Friday für Future«, den GRÜNEN, den Umweltverbänden und Klimaforscher*innen – enttäuschend ausgefallen. Zentraler Kritikpunkt: Es sei mit dem Klimapaket »nicht möglich«, die bis 2030 anvisierte Minderung des CO2-Ausstoßes um 55% im Vergleich zu 1990 zu erreichen. Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, anerkennt die Reaktion auf den Weckruf, sieht aber das Klimapapier als ein »Dokument der Mutlosigkeit«.[1]

Das Klimaschutzpaket der Regierung enthält im Wesentlichen folgende Punkte:

  • Es hat ein Gesamtvolumen von 54 Mrd. Euro bis 2023.
  • Benzin, Diesel, Erdgas, Heizöl und Kohle sollen durch einen Preis für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) teurer werden. Die Tonne CO2 wird ab 2021 mit zehn Euro berechnet, der Preis steigt bis 2025 auf 35 Euro.
  • Klimafreundliches Verhalten wird auf der anderen Seite etwa mit Zuschüssen zum Kauf von E-Autos oder modernen Heizungen belohnt.
  • Ab 2026 soll der Einbau von Ölheizungen komplett verboten werden, wo umweltfreundlichere Heizungsanlagen möglich sind.
  • Zudem wird die Bahn umfangreich etwa über die Senkung der Mehrwertsteuer auf Fernbahn-Tickets gefördert. Der öffentliche Nahverkehr wird ausgebaut.
  • Pendler*innen werden steuerlich entlastet durch eine höhere Pauschale ab dem 21. Entfernungskilometer.
  • Die Flugticket-Steuer soll ab dem nächsten Jahr steigen, die Höhe ist noch offen.
  • Die Kosten dieser Maßnahmen werden neben den höheren Einnahmen durch Umschichtungen im Bundeshaushalt und durch Rückstellungen und künftige Einnahmen aus dem Klimafonds finanziert. Es soll keine Ausweitung von öffentlichen Krediten geben. Eine auch unter der Schuldenbremse mögliche Ausweitung von Schulden ist nicht vorgesehen. Unter dem Strich soll die »schwarze Null« der öffentlichen Finanzen gehalten werden.

»Wir stehen zur Schwarzen Null«, sagte Bundeskanzlerin Merkel. Finanzminister Olaf Scholz ergänzte, bis einschließlich 2023 habe das Klimapaket der Regierung ein Volumen von mehr als 54 Mrd. Euro. Eine Ausweitung der Staatseinnahmen – so die Regierungsparteien – sei unverzichtbar, um eine Reduktion der Treibhausgase auch bei den privaten Haushalten zu erreichen. Es gebe an vielen Stellen infolge der CO2-Bepreisung Preisaufschläge – so bei der KfZ-Steuer, der LKW-Maut, der Luftverkehrsabgabe. Schlüssel zum Erfolg sei die vereinbarte jährliche Kontrolle der Treibhausgasbudgets für die einzelnen Sektoren wie Verkehr, Gebäude oder Landwirtschaft. Der neue CO2-Preis, der Erdgas, Heizöl, Kohle, Diesel und Benzin verteuern wird, ist anfänglich mit 10 Euro pro Tonne sehr gering. Verbraucher*innen müssen also pro Tonne CO2, die sie verursachen, einen fixen Betrag zahlen.

Es ist anzuerkennen, dass sich die Regierungsparteien überhaupt auf einen derartigen Mechanismus geeinigt haben. Dieses Instrument – der Kern des Klimapakets – wird nur äußerst zaghaft genutzt. Entsprechende Zertifikate sollen ab 2021 ausgegeben werden. Bis 2025 soll der CO2 Preis auf 35 Euro steigen – was noch immer nicht sehr viel höher ist als der aktuelle europäische CO2-Preis für den Energie- und Industriesektor. Ab 2026 sollen die Zertifikate dann in Auktionen versteigert werden – in einem Korridor zwischen einem Mindestpreis von 35 Euro und einem Höchstpreis von 60 Euro. Die Regierung behält sich vor, zu prüfen, ob dieser Preiskorridor dann noch angemessen ist.

Merkel betonte, die Veränderungen für die Bürger*innen gingen nicht mit einem Verzicht auf Wohlstand einher. »Es gibt diejenigen, die aktiv sind und demonstrieren und uns Druck machen. Aber es gibt auch die Zweifler.« Aufgabe jeder Regierung sei es, »alle Menschen mitzunehmen«. Dieser Aufgabe stelle sich Deutschland. Sie wolle die Menschen nicht überfordern. Deswegen habe die große Koalition einen recht niedrigen CO2-Einstiegspreis gewählt. »Alle Menschen mitnehmen«, hätte allerdings auch bedeutet, die Haushalte mit niedrigen Einkommen besonders zu berücksichtigen, und ihnen einen Ausgleich für die durch die CO2-Bepreisung anfallenden Mehrbelastungen anzubieten. Außerdem, so Merkels weiter, sollten die Förderprogramme zunächst einmal ihre Wirkung entfalten. Merkel sicherte zu, die von der Bundesregierung vorgelegten Klimaschutzmaßnahmen regelmäßig zu überprüfen. Mit Recht seien aus der Tatsache, dass die Regierung ihre Klimaziele einer Reduzierung der CO2-Emissionen um 40% bis 2020 mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erreichen werde, Konsequenzen eingefordert worden.

Sie könne die Zweifel jener Kritiker*innen nachvollziehen, die nicht glaubten, dass die Regierung ihr Ziel einer Reduzierung von klimaschädlichen Gasen um 55% bis 2030 erreiche. Aus diesem Grund werde das Klimakabinett seine Arbeit nicht beenden, sondern jährlich unterstützt durch einen Expertenrat das Erreichen der Ziele überprüfen. Anschließend werde sehr zeitnah entschieden, wie nachgesteuert und was besser gemacht werden müsse. Merkel nannte diesen Mechanismus eine Art Garantie dafür, »Schritt für Schritt die Ziele dann zu erreichen«. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) räumte bisherige Verfehlungen ein. »Wir haben in der Vergangenheit für den Klimaschutz nicht genug erreicht, und der Ausstoß von CO2 sinkt nicht schnell genug.« Auch er räumte ein: »Fridays for Future hat uns alle aufgerüttelt und in Erinnerung gerufen, dass wir Schritte jetzt gehen müssen, die wir in den vergangenen Jahren nicht gegangen sind.«

Mit dieser Mischung aus selbstkritischen Tönen und einem Maßnahmenbündel, welches in Kernfragen nur ungenügende Antwort gibt, können die Kritiker*innen nicht beruhigt werden. Die Regierungsparteien haben zurecht den CO2-Preis zu einem zentralen Steuerungselement im Klimaschutz gemacht. Niedriger Einstiegspreis und zu geringe Steigerungsraten in einem Preiskorridor bedeutet: Deutschland richtet sich auf viele ungenutzte Jahre für die Klimaziele 2030 ein. Je länger wir aber zögern, desto teurer wird es – bei den Emissionsreduktionen, und auch bei den Klimaschäden.

Es bleibt der Eindruck dass der »Weckruf« nur unzureichend umgesetzt worden ist, und dass die Große Koalition mit ihren Maßnahmen auf Zeit spielt und den notwendigen sozial-ökologischen Systemwechsel hinausschiebt. Die Folge davon könnte sein, dass in wenigen Jahren ein umso radikaleres Umsteuern notwendig werden wird. Das dies dann nicht mehr in den Händen der Großen Koalition liegen wird, kann als sicher gelten.

Immerhin sollen die Klimaziele für Energie, Verkehr, Wärme und weitere Bereiche gesetzlich festgeschrieben werden, und zwar auch in Form jährlicher CO2-Budgets. Neue Befugnisse soll auch das Klimakabinett haben, das jetzt dauerhaft eingerichtet wird: Es soll überprüfen, inwiefern die Ministerien ihre Ziele erfüllen und notfalls handeln. Allerdings bleibt ziemlich unklar, was das Klimakabinett darf und was nicht. In dem Papier ist die Rede davon, dass das Klimakabinett »Anpassungen vornehmen darf«, wenn die Klimaziele verfehlt werden könnten.

Gemessen an der Ausgangslage allerdings sind die neuen Strukturen schon ein Fortschritt. Gerade einmal ein Jahr ist es her, dass die erste Riege der Koalition, zum Beispiel Ex-SPD-Chefin Andrea Nahles, Finanzminister Olaf Scholz und CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier den Klimaschutz ignorierten oder gar aktiv blockierten. In der Union galt als völlig ausgeschlossen, privaten CO2-Emissionen einen Preis zu geben. Ob diese kleinen Trippelschritte aber das verlorene Vertrauen zurückholen, bleibt zweifelhaft, solange nicht klare erkennbare Schritte eingeleitet werden, die als Zukunftssicherung überzeugen können.

[1] Vgl. dazu auch: Redaktion Sozialismus, Nachhaltigkeitsrevolution und der Green New Deal, in Sozialismus Heft 10/2019 (im Erscheinen).

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