8. September 2024 Joachim Bischoff: Hindernisse für eine neue dekarbonisierte und digitalisierte Betriebsweise

Dauerhafte Wachstumsschwäche oder: Übergang zur »säkularen Stagnation«

Wie am Ende des ersten Teils der Betrachtung über das aktuelle Schwächeln der deutschen Wirtschaft angesprochen, müssen für die Beurteilung der Wachstumsprognosen insgesamt die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, also die Globalökonomie, in den Blick genommen werden.

Denn das schwache Wachstum war auch durch die Stagnation der chinesischen Wirtschaft und das geringe Wachstum der fortgeschrittenen Volkswirtschaften bedingt. Und aufgrund der Handels- und Finanzmarktbeziehungen könnte vor allem eine unerwartete Abkühlung der US-Wirtschaft auf den Euro-Raum überspringen. Demgegenüber könnte eine stärker als erwartete Erholung der Nachfrage in China der Exportwirtschaft im Euro-Raum einen zusätzlichen Schub geben. Sollten die geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China weiterhin zu wechselseitigen Wirtschaftssanktionen oder höheren Zöllen führen, könnte dies die europäische Wirtschaft negativ beeinflussen.

Die Langfristprognosen der Wirtschaftsleistung sehen nicht optimistisch aus. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) geht davon aus, dass Deutschlands Wirtschaftswachstum bis 2027 auf 0,7% und damit auf die Hälfte des bisherigen langjährigen Durchschnitts abflauen werde. »Deutschland stehen magere Jahre bevor. Die Alterung der Gesellschaft drückt die Wachstumsaussichten empfindlich, weil künftig weniger Menschen arbeiten werden.

Hinzu kommen nun infolge des Krieges in der Ukraine knapper und teurer gewordene Energierohstoffe, die in vielen Produktionsprozessen eine wichtige Rolle spielen«, sagt der Vizepräsident des Instituts Stefan Kooths. Daher dürfte die bei normaler Auslastung der Produktionskapazitäten mögliche Zunahme der Wirtschaftsleistung Ende 2027 nur noch knapp 0,7% betragen. Vor der Corona Pandemie lag sie im langjährigen Schnitt bei 1,3%.

Auch die Weltbank ging in ihrer Prognose von einer deutlichen Abschwächung der Wachstumsrate für die Globalökonomie auf 1,7% für 2023 aus: »Ich bin zutiefst besorgt, dass die Verlangsamung andauern könnte«, sagte Weltbank-Chef David Malpass. In praktisch allen Regionen der Welt werde das Pro-Kopf-Einkommen langsamer wachsen als in den der Zeit vor der Corona-Pandemie, heißt es in dem Bericht »Global Economic Prospects«. Abgesehen von den Krisenjahren 2009 und 2020 wäre ein weltweites Wirtschaftswachstum von rund 1,7% Prozent der niedrigste Wert seit fast drei Jahrzehnten. Für die Industrienationen erwartet die Weltbank eine spürbare Abkühlung. So werden für die USA als auch für die Euro-Zone nur Wachstumsraten von jeweils 0,5% vorausgesagt.

Ein schwächeres Wachstum der Weltwirtschaft werde besonders die Entwicklungsländer hart treffen, so Malpass. »Es besteht eine verheerende Diskrepanz zwischen den Regionen, die umfangreiche neue Investitionen benötigen, um die wachsende Bevölkerung zu versorgen, und den tatsächlichen Investitionsströmen«, mahnte er. Schwellen- und Entwicklungsländer kämpfen bereits jetzt mit hohen Schuldenständen und schwachen Währungen.

Bei sinkenden Investitionen könnten auch die Folgen der Klimakrise schwieriger bewältigt werden, die Verringerung von Armut und Ungleichheit käme nicht voran. Es gilt die Mahnung von Adam Tooze über den möglichen Umschlag in der Polykrise zu beachten: Jeder unerwartete Schock kann bei diesem schwachen Wirtschaftswachstum zu einer globalen Rezession führen. In der Tat: »Die Weltwirtschaft steht auf Messers Schneide.«

Schon für die Ära der Prosperität galt: Die Wirtschaft und die Löhne wachsen kaum noch – kein Wunder, denn auch die Produktivität steigt nur noch langsam. Zugleich war die Inflation ist seit Jahren niedrig, und die Zinsen sehen die Nulllinie allzu oft von unten. Als plausible Erklärung gilt die Theorie der säkularen Stagnation.

Der Harvard-Ökonom und ehemalige amerikanische Finanzminister Larry Summers spricht seit Jahren von einem Übergang zur »säkularen Stagnation«: Die entwickelte Welt stecke in einer dauerhaften Wachstumsschwäche – auch weil die Bevölkerung altert (also beispielsweise weniger junge Leute Häuser bauen) und neue, digitale und dienstleistungsgetriebene Geschäftsmodelle weniger Kapital erfordern als die großen Industrieanlagen des vergangenen Jahrhunderts. Die säkulare Stagnation ist deshalb so gefährlich, weil sie langfristig zu einem Ungleichgewicht zwischen Investitionstätigkeit und Sparverhalten führt.

Eine der größten Herausforderungen für die westlichen, d.h. kapitalistischen Gesellschaften ist also auch ein struktureller Nachfragemangel aufgrund der Bevölkerungsalterung und der tendenziell schrumpfenden Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter. Dies führt zu einer Situation, die durch niedrige Inflation, schwaches Wirtschaftswachstum und Unterbeschäftigung gekennzeichnet ist. Dies war in Japan in den letzten Jahrzehnten der Fall und dürfte sich auch in naher Zukunft nicht ändern. Die Eurozone und, in geringerem Maße, die USA rutschen seit über einem Jahrzehnt in eine ähnliche Situation hinein. Durch die jüngste Polykrise verstärkt sich diese Tendenz.

Die Wirtschaftsleistung eines Landes hängt davon ab, wie viel Arbeit und Kapital zur Verfügung stehen und wie produktiv diese Faktoren eingesetzt werden. Man kann deswegen die Arbeitsproduktivität messen als Wirtschaftsleistung, die ein Land oder eine Region durchschnittlich pro geleistete Arbeitsstunde oder pro Vollzeiterwerbstätigen erwirtschaftet. Man kann die Kapitalintensität vergleichen, die mit einer geleisteten Arbeitsstunde im Durchschnitt einhergeht. Und man versucht zu bestimmen, wie groß der technologische Multiplikator ist, der die Produktivität des Arbeits- und Kapitaleinsatzes – die totale Faktorproduktivität (TFP) – misst. Je größer, umso produktiver.

Die USA waren schon in den goldenen 1920er-Jahren besonders erfolgreich darin, sich die Vorteile der industriellen Revolution zunutze zu machen und sie in einen landesweiten Produktivitätsschub umzuwandeln. Europa hingegen begann erst nach dem Zweiten Weltkrieg – stark gezeichnet von diesem – seine Aufholjagd. Den führenden heutigen Euro-Ländern gelang es dann aber Mitte der 1990er-Jahre, zu den USA aufzuschließen und ihre Produktivität gegenüber 1950 real zu versechsfachen.


Dekarbonisierung und Herausbildungen einer neuen Betriebsweise

Das Akkumulationsregime befindet sich im Übergang zu einer dekarbonisierten und digitalisierten Betriebsweise. Die Tendenz der Dekarbonisierung wurde allerdings durch die zögerlichen politischen Interventionen in Richtung regenerativer Energien abgebremst. Außerdem sehen wir seit längerem enttäuschende Produktivitätsfortschritte.

Eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft ist in der Lage, nachhaltiges Wirtschaftswachstum und damit wachsendes Einkommen und Wohlstand zu generieren. Deutschlands Produktivität und Wirtschaftsleistung sind in den vergangenen Jahren durch die Veränderungen der Regulationsweise des internationalen Handels deutlich beeinflusst worden. Dank seiner einer starken Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten ist es heute eine der offensten und wohlhabendsten Volkswirtschaften weltweit.

Die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hängt maßgeblich von der Fähigkeit ab, mithilfe von Innovationen, neuen Technologien und qualifizierten Arbeitskräften die Produktivität zu steigern und das Beschäftigungsniveau hochzuhalten. Dafür sind innovationsfördernde Rahmenbedingungen, wie etwa Investitionen in Infrastruktur, Bildung und eine international regulierte Handels- und Finanzmarktordnung von herausragender Bedeutung.

Und da sieht es für Deutschland nicht so gut aus, denn für die langfristige Steigerung des Wohlstandsniveaus ist die Steigerung der Produktivität essenziell. Produktivitätszuwächse werden maßgeblich von Investitionen in Innovationen und technologischen Fortschritt, in Bildung und die Schaffung von Humankapital sowie in den produktiven Kapitalstock beeinflusst. Im internationalen Vergleich ist die Arbeitsproduktivität in den USA nach wie vor am höchsten. Deutschland und andere europäische Volkswirtschaften konnten zwar aufschließen, gleichzeitig verlangsamte sich im betrachteten Zeitraum das Produktivitätswachstum aber in fast allen wichtigen Volkswirtschaften.

Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität spielt in der Herausbildung einer neuen Betriebsweise (Energiewende, Digitalisierung) die zentrale Rolle, obwohl in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion sehr stark auf die Geldpolitik sowie temporäre Marktverzerrungen, die von der Corona-Krise und dem Ukraine-Krieg ausgelöst wurden, fokussiert wird. Denn von der technologischen Verbesserung der Wertschöpfungsprozesse gehen kostensenkende Effekte aus. In einem wettbewerbsstarken Umfeld sind die Unternehmen gezwungen, derart errungene Kostenvorteile früher oder später durch Preissenkungen weiterzugeben, um sich wettbewerblich am Markt durchzusetzen.

Der Übergang in eine neue Betriebsweise des Kapitals ist zudem ohne den Umbau der internationalen Ordnung, d.h. einer Erneuerung der internationalen Handels- und Finanzmarktordnung nicht zu realisieren. Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, die ihr Epizentrum in den USA und damit im Block der kapitalistischen Hauptländer hatte, wurde mit wesentlicher Unterstützung der Volksrepublik China bewältigt. China setzte ein Programm zur Konjunkturstabilisierung in der Größenordnung von ca. 13% seines Bruttoinlandsprodukts in Kraft und übertraf die Hilfen in den westlichen Hauptländern bei weitem.

Diese Intervention bewirkte eine Stabilisierung der ökonomischen Strukturen auf dem Weltmarkt, vor allem mit Blick auf die Entwicklungs- und Schwellenländer. In der Folge wurde die chinesische Währung in den Kreis der Währungen aufgenommen, die den Wert der Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds (IWF) bestimmen. Seither hat das Gewicht des Yuan im Sonderziehungsrechte Währungskorb stetig zugenommen. Auch als Fakturierungswährung ist seither der Einfluss des Yuan gewachsen. Die chinesische Forderung nach einer multipolaren Handels- und Finanzordnung, die die Hybridstrukturen der aufgelösten Bretton-Wood-Ordnung überwinden kann, hat durchaus an Resonanz gewonnen.


Rückkehr zur Bewegungsdynamik der Kapitalakkumulation?

Der Zyklus eines Konjunkturverlaufs sieht so aus, dass es nach einer Phase der Überhitzung der Wirtschaft zu einer Abkühlung kommt. Es kommt zu Korrekturen in der Wertschöpfung und etlichen Konkursen. Es werden auch Arbeitsplätze vernichtet, so lange, bis alles sich wieder zurechtruckelt. Wenn sich ein Boden gebildet hat, kann es dann mit neuem Schwung auch wieder aufwärts gehen.

Momentan sind die meisten Staaten in Europa allerdings noch mit der Bewältigung der Energiekrise und den Folgen der hohen Preissteigerungsraten befasst. Obwohl der Übergang zu regenerativen Energien noch immer politisch betont wird, hat sich aktuell eine Verschiebung zu den fossilen Energien ergeben und damit Preissteigerungen für Öl ausgelöst.

Nach der Phase der Preisexplosion liegen die Energiepreise immer noch höher als vor dem Ukrainekrieg, also noch bevor der Green New Deal richtig begonnen hat. Die Gasversorgung in der EU muss aufgrund des erklärten Willens, sich aus der Abhängigkeit von Russland zu lösen, umgebaut werden. Ein Teil der Atomkraftwerke in Frankreich ist immer noch wegen Defekten ausgefallen und in Deutschland wurden Kohle- und Atomkraftwerke reaktiviert. Viele europäische Länder deckeln ihre Strom- oder Gaspreise, um ihre Bürger*innen bei den hohen Energiekosten zu entlasten. Auch die Bundesregierung hat mit ihren Entlastungspaketen und dem bis zu 200 Mrd. Euro schweren »Doppel-Wumms« Verbraucher*innen und Unternehmen vor den Folgen der Energiekrise abschirmt.

Auch wenn eine Rezession in der Berliner Republik vermieden werden sollte, dürfte die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung vieler Expert*innen auch 2024 noch stark von der Energiekrise geprägt werden und – wenn überhaupt – kaum wachsen. Deshalb sprechen die Konjunkturforscher des Kieler Institut für Weltwirtschaft davon, Konjunktur stehe zunächst ein weiterer Kriechgang bevor, der ggf. in der zweiten Jahreshälfte eine leichte Belebung folgen könnte. Zuversichtlich gab sich Wirtschaftsminister Robert Habeck: Man habe durch entschlossenes Handeln im vergangenen Jahr die Krise beherrschbar gemacht.

In vielen Euro-Ländern zeichnet sich eine Tendenz zur Stagnation oder einer Akkumulation mit geringen Zuwächsen ab. Deutschland hat es am schlimmsten getroffen, denn hier ging es mit der Wirtschaft so rasant bergab wie seit der globalen Finanzkrise nicht mehr. In den drei größten Volkswirtschaften – den USA, der Europäischen Union und China – wird das Wachstum zurückgehen.

Ein weiterer negativer Punkt ist das Ende der Globalisierung, vor allem durch die zunehmenden Konflikte mit China und den USA sowie den vielen neuen Handelsbeschränkungen weltweit. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Belastungsfaktoren für die Weltwirtschaft in nächster Zeit rückgängig gemacht und aufgehoben werden. Auch die zunehmende Klimaerwärmung wird zu einem immer drückenderen Problem der globalen Ökonomie und verlangt Gegenmaßnahmen, die kostspielig sind und zulasten von Wachstum und Produktivität gehen.

Wenn dann in einigen Ländern auch noch hausgemachte interne Faktoren hinzukommen wie eine Überschuldung der Staatshaushalte, Defizite in der Infrastruktur oder politische Versäumnisse wie etwa in der Bildungspolitik oder bei den Zukunftsaufgaben wie Dekarbonisierung und Digitalisierung, dann könnte aus einer drohenden Wirtschaftskrise eine reelle werden, die sich festsetzt und den Reproduktionsmodus gefährdet.


Unsichere Aussichten

Die Weltwirtschaft ist immer noch in einer Schwächephase, sie expandierte regional allerdings in unterschiedlichem Tempo: Dem schwachen Wachstum in den kapitalistischen Hauptländern stehen kräftigere Zuwächse in den BRICS-Ländern (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) und in zahlreichen weiteren Schwellenländern gegenüber. Die Konjunktur wird gebremst, auch weil die Notenbanken weltweit die Preissteigerungen bekämpfen, indem sie die Kredite verteuern

In den USA wird im November gewählt. Vieles spricht dafür, dass für den Wahlausgang die wirtschaftliche Lage eine wichtige Rolle spielt. Viele Ökonom*innen haben aufgrund der Flaute in wichtigen Absatzmärkten der USA und wachsende Spannungen im China-Geschäft mit einer Rezession gerechnet, denn die US-Notenbank hat die Zinsen im Kampf gegen die Inflation aggressiv angehoben. Doch die US-Wirtschaft hält sich bisher hartnäckig auf Wachstumskurs. Läuft es in der US-Wirtschaft weiterhin gut, entstehen neue Jobs und neue Zuversicht, dürfte dies eher dem Team der Demokraten mit Kamala Harris und Tim Walz helfen. Fallen die USA aber in eine Rezession, dürfte das eher dem Herausforderer Donald Trump nutzen.

Auch die Akkumulation in der Volksrepublik China bleibt deutlich unter dem Niveau der Vor-Coronazeit mit einem schwächeren und stockenderen Aufschwung. Insgesamt könnte Chinas Wirtschaft 2024 um 4,6% wachsen. Sie expandiert damit weiterhin deutlich schwächer als in früheren Jahren mit entsprechenden Auswirkungen auf die Globalökonomie.

Die Entwicklung der Weltwirtschaft ist also ungewöhnlich fragil. Die Turbulenzen im Bankensektor und geopolitische Spannungen haben die bestehenden Risiken verstärkt. Eine aus letzteren möglicherweise folgende Fragmentierung des Welthandels stellt ein Abwärtsrisiko für die Weltwirtschaft dar und würde auch für die EU und Deutschland erhebliche wirtschaftliche Belastungen einschließen. Die starke weltweite Straffung der Kreditpolitik seit dem 2022 erhöhte neben den Auswirkungen des Ukraine-Krieges zudem die Schuldenkonstellation für etliche Schwellenländer.

Dieser Zustand der unzureichenden Akkumulationsdynamik, was als »säkulare Stagnation« bezeichnet werden kann, entspricht einer Situation, in der die Ausgaben der Haushalte geringer sind als die Fähigkeit der Wirtschaft, Waren und Dienstleistungen zu produzieren. Die Wirtschaft leidet unter einer anhaltenden Nachfrageschwäche, obgleich große Bevölkerungsschichten mit einem unzureichenden oder eingeschränkten Reproduktionsniveau zurechtkommen müssen. Zugleich drücken massive Defizite in den gesellschaftlich-kommunalen Institutionen, die für Elemente des kollektiven Konsums ausgerichtet sind (Bildung, Gesundheit, Kultur und Mobilität).

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