20. Juli 2022 Björn Radke: Der Petersberger Dialog blieb hinter den Erwartungen zurück

Dem Klima läuft die Zeit davon

Foto: Bundesregierung

Die Nachrichten zum Thema Klima und Klimawandel begleiten uns täglich. Während Teile Australiens in den Regenmassen untergehen, vertrocknet die Erde in europäischen Gebieten. Das ewige Eis in den Alpen schmilzt wie ein Eiswürfel im Sommer, und in Norditalien herrscht eine schlimme Wasserknappheit. Die russischen Manöver um die Energiekrise bringen die Pläne für den nächsten Winter ins Wanken.

Die Regierenden hasten der wirklichen Entwicklung hinterher. Das wurde auch beim Petersberger Klimadialog (PCD) vom 18.-19. Juli in Berlin sichtbar, der zur Vorbereitung auf die im November 2022 geplante UN-Klimakonferenz (COP27) im ägyptischen Scharm El-Scheich stattfand. Es ist die 13. Auflage des informellen Austausches auf Minister*innenebene, an dem Regierungsvertreter aus etwa 40 Staaten teilnahmen. Neben den größten CO2-Emittenten wie den USA, China und Indien saßen auch stark betroffene Inselstaaten wie die Marshall-Inseln mit am Verhandlungstisch.

Neben Emissionsminderung und Anpassung steht auch eine langjährige Forderung vieler von der Klimakrise besonders betroffener Staaten auf der Agenda: finanzielle Unterstützung bei der Bewältigung von Schäden und Verlusten infolge des Klimawandels. UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor einem Nachlassen der Ambitionen beim Klimaschutz: »Die Treibhausgaskonzentrationen, der Anstieg des Meeresspiegels und die Erwärmung der Ozeane haben neue Rekorde erreicht. Die Hälfte der Menschheit befindet sich in der Gefahrenzone von Überschwemmungen, Dürreperioden, extremen Stürmen und Waldbränden. Und doch machen wir weiter mit unserer Gier nach fossilen Brennstoffen.«

Es beunruhige ihn, dass »wir es angesichts dieser globalen Krise nicht schaffen, als multilaterale Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Die Nationen spielen weiterhin das Spiel der Schuldzuweisungen, anstatt Verantwortung für unsere gemeinsame Zukunft zu übernehmen. Wir müssen auf der COP27 zeigen, dass eine Revolution der erneuerbaren Energien im Gange ist.«

Der Präsident des im vergangenen Jahr im schottischen Glasgow abgehaltenen UN-Weltklimagipfels COP26, Alok Sharma, hat eine ernüchternde Bilanz des Kampfes gegen die Klimakrise gezogen. Der bisherige Fortschritt sei sehr langsam und entspreche nicht den in Glasgow getroffenen Vereinbarungen: »Und ich muss das sagen, und das sage ich mit absoluter Sicherheit: Viele der Versprechungen, die wir gemacht haben, oder die, auf die wir uns verständigt haben, sind einfach nur Worte, Papier.« Es gebe Nachweise dafür, dass die Zeit davonlaufe, warnte Sharma und verwies darauf, wie Teile Europas derzeit von großer Hitze betroffen sind. »Und diese Erfahrung teilen natürlich auch viele Millionen andere Menschen überall auf der Welt. Und deswegen haben wir wirklich nur eine Option: Wandel ist notwendig.«

Wie dringend notwendig praktisches Handeln gegen die Folgen des Klimawandels ist, haben nicht nur die letzten Wochen mit den drastischen Hitzewellen und nachfolgender Dürre in ganz Europa gezeigt. Dennoch waren konkrete Beschlüsse bei dem Treffen nicht geplant. Es sollen aber Ideen entwickelt werden, wie Menschen vor allem in armen Ländern vor den Folgen der globalen Klimakrise geschützt werden können.


Beim UN-Klimagipfel COP26 in Glasgow hatten sich die Staaten im vergangenen November dazu bekannt, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen und dazu ihre nationalen Klimaziele bis spätestens zum Jahresende nachschärfen zu wollen (siehe hierzu auch meine damalige Bewertung). Allein in Deutschland hat der vom Menschen gemachte Klimawandel seit 2000 durchschnittlich Schäden in Höhe von 6,6 Mrd. Euro pro Jahr verursacht, wie eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz beauftragte Studie ergab. Insgesamt waren es Kosten von mindestens rund 145 Mrd. Euro.

Hierbei handelt es sich den Angaben zufolge nur um einen Teil der aufgetretenen Schäden. Die tatsächliche Schadenshöhe liege noch über der genannten Summe. Denn manche Schäden wie etwa der Verlust an Biodiversität ließen sich nicht in Geld umrechnen. Bei anderen gehe dies zwar theoretisch, aber es gebe dafür derzeit keine geeigneten Datengrundlagen oder Methoden.

Ein Großteil der Schäden sei durch Extremwetterereignisse entstanden, für die der Einfluss des voranschreitenden Klimawandels klar belegt sei. Eine Prognos-Studie beziffert die Schäden durch die Dürre- und Hitzesommer 2018 und 2019 auf 34,9 Mrd. Euro und durch das Extremhochwasser im Juli 2021 auf 40,5 Mrd. Euro. Zusammen mit den Schäden durch vereinzelte weitere Hagel- und Sturmereignisse von rund 5,2 Mrd. Euro ergebe sich ein Gesamtschadensausmaß durch Extremwetterereignisse von mehr als 80 Mrd. Euro.

In dieser dramatischen Lage sollte der Klima-Club, eine Vereinigung der willigen Staaten, eine Schritt nach vorne einleiten. Die G7 wollen den Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für einen Klimaclub umsetzen. »Wir werden mit Partnern daran arbeiten, im Einklang mit internationalen Regeln bis Ende 2022 einen offenen und kooperativen internationalen Klimaclub ins Leben zu rufen«, heißt es in einer G7-Erklärung.


Klimaclub beim Klima-Schutz vorn?

Der deutsche Bundeskanzler hat beim Petersberger Klimadialog betont, wie wichtig es sei, beim Klimaschutz voranzukommen: »Die jüngste Hitzewelle in Indien und Pakistan, die Fluten Anfang des Jahres in Brasilien oder im vergangenen Jahr im Ahrtal, sie sprechen eine eindeutige Sprache.« Schätzungen zufolge würden in gut 30 Jahren zwei Milliarden Menschen mehr die Erde bevölkern. Vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika rechnen Expert*innen mit einem deutlichen Zuwachs. Deutschland verfolgt laut Scholz das Ziel, innerhalb der nächsten gut zwei Jahrzehnte bis 2045 klimaneutral zu werden. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit rasant gestiegenen Energiepreise würden ihn sogar bestärken, auf erneuerbare Energien zu setzen. »Wir müssen raus aus Kohle, Öl und Gas, jetzt erst recht.«

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock griff zu drastischen Bildern: »Wir stehen vor einem globalen Umbruch, der nur mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert vergleichbar ist. Wobei die Dampfmaschine des 21. Jahrhunderts heute Solar-, Wind- und Wasserstoffanlagen sind und Kohle, Gas und Öl der alte Webstuhl. Die alte fossile Welt ist unaufhaltsam im Untergang begriffen, die neue Welt ist eine der erneuerbaren Energien. Jeder kann sich jetzt entscheiden, ob er bei dieser Welle des Fortschritts mitmacht oder ob er von ihr überrollt wird.« Deutschland wolle als reiches Industrieland auf dem Weg zur Klimaneutralität vorangehen.

Die deutsche Außenministerin und ihr ägyptischer Amtskollege Samih Schukri mahnten ein sofortiges Umsteuern an, um die Klimakrise noch in den Griff zu bekommen. »Einen weiteren Aufschub und Kompromisse können wir uns als Welt insgesamt einfach nicht leisten«, warnte Baerbock. »Wir können die Klimakrise nicht aufschieben. Und deswegen können wir den Kampf gegen die Klimakrise auch nicht aufschieben.« Schukri betonte: »Wir müssen jetzt aktiv werden. Wir müssen jetzt handeln. Wir müssen überall Fortschritte erzielen und sicherstellen, dass keiner zurückgelassen wird.« Er verlangte erneut Hilfen für die vom Klimawandel besonders betroffenen Staaten.

Die Klimakrise sei nicht einfach eine normale Krise, sagte Baerbock weiter. »Sie legt sich vielmehr als große, übergeordnete Krise über alle anderen Krisen und wirkt so wie ein Brandbeschleuniger.« In jüngster Zeit seien Sicherheit und Vertrauen weiter verloren gegangen, erst durch die Pandemie, dann durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Dieser rüttele an den Grundfesten der internationalen Ordnung und treibe die Energie- und weltweite Hungerkrise weiter voran. »In dieser Situation ist es eine große Gefahr, dass alte Konflikte jetzt wieder aufbrechen, auch bei den Klimaverhandlungen.« Deutschland werde zwar angesichts der Energiekrise für einen kurzen Zeitraum mehr Kohle nutzen beziehungsweise mehr Kohlekraftwerke in Reserve halten. Sie habe aber bei der zweitägigen Konferenz deutlich gemacht: »Wir stehen felsenfest zum Ziel der Klimaneutralität bis 2045.«

Nichtregierungsorganisationen zeigten sich schon vor dem Abschluss des Petersberger Klimadialogs enttäuscht. »Wir hatten mehr Initiative erhofft«, sagte der Greenpeace-Klimaexperte Bastian Neuwirth dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auch der Klimaökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut schätzt das Risiko hoch ein, dass das politische Ziel für mehr Klimaschutz gerade jetzt den Energieinteressen der einzelnen Staaten zum Opfer fallen könnte.

»Fridays for Future« forderte Bundeskanzler Scholz auf, sich deutlicher als bisher für den Klimaschutz zu engagieren. Er stehe in der Verantwortung, »die Messlatte mit stark verschärften Klimazielen für Deutschland hoch anzusetzen und den Weg unter anderem dafür zu ebnen, dass dem globalen Süden zugehört wird und diese Länder und Menschen somit starke finanzielle Unterstützung für die Klimafolgeanpassung bekommen«.

Auch die Umweltschutzorganisation BUND hatte sich mehr von dem Treffen versprochen. »Der Petersberger Klimadialog bleibt hinter den Erwartungen zurück, jetzt schon Meilensteine für die Klimaverhandlungen im November zu setzen«, bewertete der Vorsitzende Olaf Bandt das Treffen. Die deutsche Regierung hätte mit konkreten finanziellen Zusagen demonstrieren können, dass sie es mit dem Kampf gegen die Klimakrise ernst meine – auch um der Verantwortung gegenüber den besonders betroffenen Ländern des Globalen Südens gerecht zu werden.

Die Bundesregierung stellte ein Konzept für einen Schutzschirm gegen Risiken und Schäden in Entwicklungsländern vor. Der Vorschlag zielt auf Regelungen für Frühwarn-Systeme in besonders anfälligen Ländern, Vorsorgepläne und schnelle Finanzierungssysteme im Falle von Schadensereignissen. Die Welthungerhilfe begrüßte das Konzept – es müsse aber den »verwundbarsten Ländern« zugutekommen, sagte deren Klimareferent Michael Kühn. Für bereits entstandene und nicht mehr vermeidbare Schäden müsse es eine finanzielle Ausgleichsregelung geben.

Der international renommierte Klimafolgenforscher Mojib Latif hält das 1,5-Grad-Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung für nicht mehr erreichbar. Der Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel sagte im Vorfeld des Petersberger Klimadialogs: »Das muss man klar sagen. Mit dem heutigen Ausstoß an Treibhausgasen werden wir diese Marke schon in knapp zehn Jahren reißen. Selbst zwei Grad sind eine gigantische Herausforderung. Vermutlich werden wir nicht einmal die schaffen. Nimmt man das, was die Politik weltweit derzeit macht, sind wir eher auf dem Kurs drei Grad. Aktuell sind wir schon bei gut einem Grad Erwärmung angekommen. Und schauen Sie sich die Auswirkungen an, die das schon hat. Drei Grad wären eine Katastrophe.«

Latif relativiert und unterstreicht die Bedeutung solcher Dialoge und Konferenzen zugleich: »Den Wert solcher Konferenzen darf man nicht überschätzen. Im Herbst haben wir inzwischen die 27. Weltklimakonferenz. Und was ist das Resultat all dieser Treffen? Der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen ist explodiert. Zumindest einen Sinn haben sie dennoch: Sie lenken die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Klimaschutz. Und sie bieten die Chance, dabei eine ›Allianz der Willigen‹ zu schmieden, von Ländern, die bei dem Thema weltweit vorangehen und Tempo machen wollen. Bundeskanzler Olaf Scholz nennt das einen Klima-Club.«

Annalena Baerbock bezeichnet die Klimakrise mittlerweile als das größte Sicherheitsproblem für alle Menschen auf dieser Erde: »Wir haben nicht 10, 20, 30 Jahre, nein, uns bleiben noch acht Jahre, um die weltweiten Emissionen nahezu um die Hälfte zu senken. Die Industrieländer tragen eine ganz besondere Verantwortung. Denn wir sind führend im Emissionsausstoß. Das bedeutet, endlich das Ziel von 1.000 Milliarden Dollar für die Klimafinanzierung zu verwirklichen. Und es bedeutet, die gemeinsame Finanzierung für Anpassungsmaßnahmen im Vergleich zu 2019 zu verdoppeln.«

Starke Worte ohne Gewähr, denn bereits vor einem Jahr hatte Deutschland zugesagt, die Mittel für die Klimafinanzierung in ärmeren Ländern bis 2025 auf sechs Mrd. Euro jährlich aufzustocken. Der klimapolitische Referent bei Oxfam, Jan Kowalzig, ist deshalb zu Recht skeptisch: »Die Realität im Moment ist, dass die Bundesregierung keinerlei Wachstum gegenüber dem aktuellen Niveau plant. Das heißt ein schrittweises Zubewegen auf diese Sechs-Milliarden-Zusage findet derzeit nicht statt. Das muss sich jetzt natürlich ändern, spätestens mit dem nächsten Haushalt 2023, sonst verliert Deutschland seine Glaubwürdigkeit komplett.«

Aktuell sind für die Klimafinanzierung auch im kommenden Jahr nur gut 4,2 Mrd. Euro im Bundeshaushalt vorgesehen – die Zusage für mehr Geld hat die Bundesregierung allerdings beim G7-Gipfel bekräftigt. Ursprünglich wollten die Industriestaaten bereits bis 2020 jährlich 100 Mrd. US-Dollar für die Finanzierung von Klimaprojekten in ärmeren Ländern des globalen Südens geben. Das Ziel haben sie verfehlt: Erwartet werden insgesamt nur 80 Mrd. US-Dollar – noch liegen die endgültigen Zahlen nicht vor. Nun sollen die 100 Mrd. US-Dollar jährlich bis 2023 kommen. Auch daran werden die Nehmerländer des globalen Südens beim Petersberger Klimadialog sicherlich erinnern.

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