17. September 2019 Otto König/Richard Detje: Die »Lunge der Welt« – Opfer der umweltfeindlichen Politik von Bolsonaro

Der »Amazonas- Terminator«

Foto: flickr.com/Edwin Bellota (CC BY-NC-ND 2.0)

Amazonien brennt: Seit Wochen kämpfen Feuerwehrleute und später auch Militäreinheiten in der Amazonasregion gegen Feuerbrünste. Nach Angaben des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (INPE) hat es in Brasilien seit Jahresbeginn über 85.000 Feuer gegeben.

Das ist mehr als doppelt so viel wie im Vergleichszeitraum 2018 (39.759). Etwa die Hälfte der Brände lodert in der Amazonasregion, ein Drittel in der Cerrado-Savanne im Südosten von Brasilien. Der brasilianische Regenwald ist mit 4,2 Millionen Quadratmeter der größte tropische Wald der Erde. Er gilt als die »Lunge der Welt«. Er ist von zentraler Bedeutung für das Weltklima, die CO2-Speicherung, die Sauerstoff-Produktion sowie die globale Artenvielfalt. Schätzungen des Weltklimarats zufolge sind rund zwölf Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen allein auf den Verlust an CO2-speichernden Wäldern zurückzuführen.



Die Amazonasregion ist jedoch nicht nur ein faszinierendes Ökosystem, sondern auch ein riesiges Ressourcenreservoir. Insofern sind die Brandrodungen auf Interessen zurückzuführen, die darauf abzielen, den größten Regenwald der Welt zu öffnen, um Platz für Bergbau und die exportorientierte Agrarindustrie zu schaffen sowie das Geschäftsfeld der Holzunternehmen zu erweitern. Die Katastrophe stehe im »direkten Zusammenhang mit der umweltfeindlichen Politik des brasilianischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro, die den Schutz des Waldes und die Menschenrechte als Hindernisse für das Wirtschaftswachstum Brasiliens« geißelt, kritisiert Christian Poirier von der NGO »Amazon Watch«. Schon im Wahlkampf um das Präsidentenamt hatte der ultrarechte Ex-Hauptmann Bolsonaro versprochen, die Reichtümer des Amazonas zu erschließen, ohne Rücksicht auf die Natur und die indigenen Schutzgebiete.

Brasilien hatte jahrzehntelang eine umweltpolitische Vorreiterrolle in Lateinamerika eingenommen. Unter der Regierung der Partido dos Trabalhadores (PT) des Ex-Präsidenten Luiz Ignacio Lula hatte sich der südamerikanische Staat verpflichtet, seine Emissionen bis 2020 im Vergleich zu 2005 um 37% zu reduzieren. Zwischen 2004 und 2014 konnte die PT-Regierung Erfolge verzeichnen, indem u.a. die Entwaldung im Amazonasgebiet um 82% heruntergefahren wurde. Damit stärkte Brasilien seine Position in der internationalen Klimadebatte, zuletzt in den Verhandlungen über das Pariser Klimaabkommen.

Sofort nach Bolsonaros Amtsantritt im Januar 2019 wurde mit der Demontage des institutionellen Umwelt- und Klimaschutzes begonnen. Schließlich ist die Erderwärmung durch den Klimawandel für Bolsonaros Außenminister Ernesto Araújo eine »marxistische Verschwörung«, die darauf abziele, die Souveränität Brasiliens und westlicher Volkswirtschaften zu schwächen und das Wachstum Chinas zu fördern. Entsprechend werden Umweltfragen den Interessen der Wirtschaft, vor allem des mächtigen Agrar- und Bergbausektors, untergeordnet.

So ist es nur folgerichtig, dass der Großgrundbesitzer Ricardo Salles als Umweltminister ins Kabinett berufen wurde. Der Vertreter der »Abholzerfraktion«, eine parteiübergreifende Kongressfraktion aus Großgrundbesitzern (vor allem Sojabaronen), Militärs und Evangelikalen, entmachtete als erstes mit einer »Verwaltungsreform« das Umweltministerium (MMA). Durch die Übertragung wichtiger Kompetenzen vom Umwelt- an das Agrarministerium[1] hat das Umweltressort beispielsweise ein zentrales Instrument zur Umsetzung des neuen Waldgesetztes (Novo Codigo Florestal), das Rodungen eindämmen soll, verloren. Parallel hat die Regierung in Brasilia Unternehmen ermutigt, Waldflächen zu roden und die Entwaldung mit der Annullierung von Umweltstrafen und der Schwächung von Garantien für geschützte Waldgebiete systematisch erleichtert. Von Januar bis August dieses Jahres sollen die Strafzahlungen für Umweltdelikte um 29% zurückgegangen sein. Gelder zur Dokumentation von Brandherden und für den Kampf gegen Waldbrände sind von Ricardo Salles gekürzt und teilweise ganz blockiert worden, so die Tageszeitung Folha de São Paulo.

Es sind die Agrarkonzerne, die den »Amazonas-Terminator« mit ins Amt gehoben haben und nun erwarten, dass er den weiteren Raubbau an der Natur legalisiert. So ordnete Bolsonaro an, das staatliche Institut für den Umweltschutz (Ibama) »mit einer Sichel niederzumähen«, worauf die Anzahl der Umweltbehörden im Amazonasgebiet zwischen Januar und April um 70% schrumpfte. Die Maßnahmen reichen von der Zerschlagung ganzer Behörden bis zur Entlassung kompetenter Wissenschaftler*innen. Jüngstes Beispiel ist der Rausschmiss des INPE-Direktors Ricardo Galvão, der im Juli eine Steigerung der Abholzungsgeschwindigkeit um mehr als 200% gegenüber dem Vorjahr feststellte.[2]

Darüber hinaus hat die Regierung von Präsident Bolsonaro Landstriche für nationale und transnationale Bergbau-, Energie- und Landwirtschaftsunternehmen freigegeben, in denen indigene Völker das verfassungsmäßige Recht haben zu leben. Auch sie sind bedroht.
Die Strategie der rechtsgerichteten Regierung begünstigt ein Klima, in dem sich die Brandstifter von der Politik nicht nur beschützt, sondern auch unterstützt fühlen. Laut Berichten der brasilianischen Medien wurden mehr als 70 Personen identifiziert, die sich über eine WhatsApp-Gruppe für den 10. August im Bundesstaat Pará zu einem »Tag des Feuers« verabredet hatten, um gleichzeitig an vielen Orten große Flächen in Brand zu setzen, um Platz für Weiden und Sojaanbau zu schaffen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile, warum dies nach der Ankündigung nicht unterbunden wurde, obwohl das Umweltministerium von der Verabredung gewusst, aber nichts unternommen haben soll, wie der in Brasilien lebende investigative Journalist Glenn Greenwald twitterte.

Fakt ist: Die Brände im Amazonas und anderen Teilen Brasiliens sind auf die sogenannten »queimadas«, das großflächige Abbrennen weiter Gebiete zurückzuführen, das regelmäßig zum Ende der Trockenzeit durchgeführt wird. Viele dieser Gebiete sind kein Privateigentum, sondern gehören dem brasilianischen Staat und werden illegal in Besitz genommen. »Eins der Hauptanliegen des Bolsonarismus ist es, öffentliches Land, das allen dient – weil es die Erhaltung natürlicher Biome und des Lebens der Ureinwohner garantiert und nebenbei das Klima reguliert – in Privatbesitz zu verwandeln, von dem nur wenige profitieren«, schreibt Eliane Brum im britischen Guardian.[3] Man steckt die Flächen in Brand und stellt später ein paar Rinder darauf, damit die Fläche als »landwirtschaftliche Nutzfläche« gilt. »Das geschieht mittels gefälschter Dokumente und – wenn nötig – auch mit Erpressung, Gewalt und Mord, meistens durch Großgrundbesitzer«, so Josep Pont Vidal, Professor an der Universidade Federal do Pará (UFPA) in Belém (IPG 27.8.2019).

Europäische Politiker*innen äußerten sich vor und nach dem G7-Gipfel Mitte August in Biarritz (Frankreich) besorgt über die Brandrodung der Amazonaswälder. Dabei wird das erst kürzlich vereinbarte EU-Mercosur-Freihandelsabkommen Brasiliens Agrarexporte weiter steigern. »Mehr Autos gegen mehr Kühe«, auf diese Formel brachte Greenpeace das Freihandelsabkommen, das die EU am Rande des G 20-Gipfel Ende Juni im japanischen Osaka mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten unterzeichnet hat. Es würde der EU durch den weitgehenden Wegfall von Zöllen in Südamerika einen Markt mit 260 Millionen Verbrauchern öffnen. Dafür dürfen die brasilianischen Großgrundbesitzer mehr billiges Fleisch nach Europa exportieren.

Brasilien ist schon heute mit 14,5 Milliarden Euro Jahresumsatz der größte Exporteur von Agrarprodukten in die Europäische Union. Die EU ist der drittwichtigste Absatzmarkt für brasilianisches Rindfleisch. Nach Angaben des Verbandes der brasilianischen Fleischexporteure (ABIEC) gingen im vergangenen Jahr rund 118.000 Tonnen Rindfleisch im Wert von 640 Millionen Euro in die EU. Nach Deutschland gingen zuletzt rund 5.700 Tonnen Rindfleisch. Noch viel wichtiger ist das Geschäft mit Soja. Mittlerweile ist Brasilien der zweitgrößte Produzent der grünen Bohne. Zuletzt wurden in dem südamerikanischen Land 117 Millionen Tonnen Sojabohnen geerntet.

Wegen der steigenden Nachfrage aus der EU sei mit der »Ausweitung der Anbauflächen« zu rechnen, heißt es in kritischen Anmerkungen dreier brasilianischer Wissenschaftler, die in Rio de Janeiro zu Nahrungsmittel- und Ernährungssouveränität forschen. Der EU-Beitrag könne »zum Voranschreiten der brasilianischen Ausfuhren von Sojabohnen und Rindfleisch« führen und damit »den Fortgang der Entwaldung« nicht zuletzt im Amazonasgebiet »verstärken«.[4] Für den Brasilien-Referent des katholischen Hilfswerks Adveniat, Klemens Paffhausen, steht deshalb fest: »Deutschland und die Europäische Union machen sich mit ihrer Unterschrift unter das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten an den verheerenden Waldbränden mitschuldig«. Dass Frankreich und Irland aktuell das Abkommen auf Eis legen oder kippen wollen, hat nur zumTeil mit den Bränden zu tun, sondern ebenso mit dem Schutz der heimischen Landwirtschaft.

Nach der weltweiten Empörung über die Brände im Amazonas-Regenwald haben sich Vertreter der Anrainerstaaten Brasilien, Bolivien, Peru, Kolumbien, Ecuador, Suriname und Guayana[5] Anfang September auf den »Pakt von Leticia« für Amazonien geeinigt. Mit dem Abkommen verständigten sich die Länder auf einen 16 Punkte umfassenden Aktionsplan zum Schutz des Regenwaldes. So sei »auf Basis der nationalen Politik und ihrer jeweiligen gesetzlichen Rahmen die koordinierte Aktion zur Sicherung des Waldes und der Artenvielfalt zu stärken, ebenso wie gegen die Abholzung und Zerstörung der Wälder zu kämpfen.«

Weiterhin schlägt der Pakt vor, »Initiativen der raschen Wiederinstandsetzung, Rehabilitation und Aufforstung der Gebiete, die durch die Waldbrände und illegalen Aktivitäten einschließlich des illegalen Abbaus von Bodenschätzen zerstört wurden, sowie der Wiedererlangung von Arten und die Funktionsfähigkeit des Ökosystems im Hinblick auf die Abschwächung dieser Auswirkungen zu konkretisieren.« Die Unterzeichner versprechen, die illegale Förderung von Bodenschätzen am Amazonas zu bekämpfen. Es wird sich jedoch erst noch zeigen müssen, ob dieses Dokument tatsächlich konkrete Aktionen zum Schutz des Amazonasregenwaldes auslösen wird, oder ob es sich nur um eine weitere wortreiche Deklaration zur Besänftigung von Kritiker*innen handelt.


[1] Chefin des Ressorts ist Tereza Cristina, die zuvor die Landwirtschaftsgruppe im Parlament geführt hatte. Die Agrarlobbyistin hat wenig Interesse am Umweltschutz und setzt wie ihr Chef Bolsonaro auf eine intensive wirtschaftliche Nutzung.
[2] Die brasilianische Weltraumagentur INPE überwacht seit 1988 die Abholzung im Amazonasgebiet. Seitdem wurde der Wald auf einer Fläche von 700.000 Quadratkilometern zerstört. Das entspricht etwa zweimal der Fläche von Deutschland. Forscher*innen gehen davon aus, dass nahezu 17% des Amazonaswaldes entwaldet sind. Im Juni 2019 wurde im Vergleich zum Vorjahr 88% mehr Fläche gerodet und abgebrannt, das zeigen Aufnahmen des Satelliten-Programms Deter. Allein zwischen dem 1. und 25. Juli dieses Jahres sollen 1.864 Quadratkilometer gerodet worden sein. Das entspräche einer Zunahme von 212% gegenüber dem Vorjahr.
[3] www.freitag.de/autoren/the-guardian/die-lunge-der-welt-brennt
[4] Silvio I. Porto, Rosângela P. Cintrão, Renato S. Maluf: Handelsabkommen zwischen EU und Mercosur: einige kritische Punkte zu Agrarfragen; portal amerika21.de v. 18.8.2019.
[5] Venezuela wurde von Kolumbiens Präsident Iván Duque nicht eingeladen.

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