21. Juni 2022 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Nach dem AfD-Parteitag

Der »besonders gärige Haufen« rückt weiter nach Rechtsaußen

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Der Ehrenvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, hat die Partei im Rückblick auf den chaotischen Parteitag im sächsischen Riesa aufgerufen, ihre internen Auseinandersetzungen zu beenden. »Es gilt, endlich die Themen, die die Menschen bewegen, wieder in den Mittelpunkt unserer Arbeit zu stellen. Und nicht den Streit«, sagte der 81-Jährige der Rheinischen Post.

Für ihn sei klar, dass die Zusammenarbeit im Bundesvorstand deutlich besser werden müsse. Die AfD solle jetzt die Themen Wirtschaft, Inflation, die Friedenspolitik »und die desolate Organisation Europas« in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen. Gauland hatte selbst an einem Antrag mitgestrickt, in dem die »desolate Organisation Europas« aufgespitzt worden war. Zu den weiteren Unterstützern gehörte auch der Thüringer Landeschef Björn Höcke. Dieser Antrag war Anlass eines heftigen Streits, der letztlich zum Abbruch des Parteitages führte.

Gauland selbst und sein Agieren sind Teil des politischen Grundsatzproblems der AfD. Schon in den Anfangsjahren hatte er die enorme Heterogenität und Ausbruchstendenzen der Formation verniedlicht: »Dass die Partei möglicherweise inhomogen sein wird, ja, das ist bei jungen Parteien so. Wir alle kennen uns nicht, und die AfD ist nun mal ein besonders gäriger Haufen, wie ich das immer nenne, also stark von Graswurzelbewegungen bestimmt und nicht von oben zu führen. Insofern wird das sicherlich eine schwierige Aufgabe. Aber ich werde alles dafür tun, dass der Laden zusammenhält, dass aber auch demokratische Diskussionen wirklich bis zur Grenze möglich sind.«

Fakt ist: In Riesa wurde diese Grenze erreicht. Nach einem erbitterten Streit um eine Europaresolution hat die AfD ihren Bundesparteitag vorzeitig beendet. Für den Abbruch stimmten knapp 56% der Delegierten, gut 44% waren dagegen. Der wiedergewählte Co-Parteichef Tino Chrupalla sprach von einem »sehr kontroversen Tag«. Er hoffe dennoch, dass die AfD nach der Neuwahl ihrer Spitze ein »Aufbruchssignal« nach außen tragen könne.

Der Parteitag sei nicht abgebrochen, sondern »ordnungsgemäß durch Votum der Delegierten beendet worden«, sagte er. Es sei »klar, dass nach drei Tagen die Nerven ein bisschen blank liegen«. Daraus könne aber »kein Skandal« gemacht werden. Zudem hob er hervor, dass er von einigen Landeschefs unterstützt wurde. Daher sei der Tag »absolut optimal« für ihn verlaufen, sagte der AfD-Chef auf die Frage, ob unmittelbar nach seiner Wiederwahl seine Autorität bereits beschädigt sei.


»Einvernehmliche Auflösung der EU« gefordert

Der Streit hatte sich an der EU-kritischen Resolution unter dem Titel »Europa neu denken« entzündet. Besonders scharf wurde vor allem von Delegierten aus dem Westen kritisiert, dass der Antrag eine Annäherung an Russland fordert, ohne den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu erwähnen. In der Vorlage war nur von einem »Ukraine-Konflikt« die Rede. AfD-Rechtsaußen Höcke warb für die Resolution, sie enthalte eine »mutige Vision für ein freies, selbstbewusstes Europa«. Die andere gewählte Co-Chefin Alice Weidel sagte, die Resolution gehe insgesamt in die richtige Richtung, sie sei sprachlich aber »nicht sonderlich gelungen«. Der Text enthalte »sehr unspezifische Sätze, die sehr wulstig klingen«.

Andere Delegierte setzten sich vehement für eine Verabschiedung ein. Der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt sagte, der Antrag enthalte »genau die Begriffe und die Orientierungen, die wir als Botschaft nach außen schicken müssen. Der Gegensatz zwischen Globalisten und Nationalstaaten – das ist der Weltkampf, in dem wir stehen, und das wird hier klar und deutlich benannt.« Der Resolutionsentwurf spricht sich unter anderem für eine »einvernehmliche Auflösung der EU« aus, die als »fehlgeleitetes und dysfunktionales politisches Gebilde« bezeichnet wird.

Im Laufe der zweistündigen, hitzig geführten Debatte konnte sich die Parteiführung erst nach mehreren vergeblichen Anläufen mit ihrem Vorschlag durchsetzen, die Vorlage zur weiteren Beratung in den Bundesvorstand zu verweisen. Chrupalla sprach von einer »verfahrenen Situation«. Auf der Bühne des Parteitags bekam er demonstrativ Rückendeckung von den Landesvorsitzenden, Weidel und dem Ehrenvorsitzenden Gauland: Sie stellten sich hinter Chrupalla, als er erneut für Überweisung an den Bundesvorstand warb.


Streit auch um sogenannte Unvereinbarkeitsliste

Einen weiteren Erfolg konnte Höcke zuvor bei einem Antrag feiern, in dem gefordert wurde, die »Gewerkschaft Zentrum« von der sogenannten Unvereinbarkeitsliste, auf der die AfD Organisationen und Vereine aufführt, deren Mitgliedern ein Zutritt zur Partei verwehrt wird, zu streichen. Dabei ging es vor allem um bestimmte Mitglieder des Vereins in Baden-Württemberg.

Der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel warb dafür, den Verein von der Liste zu nehmen. Das »Zentrum« sei die einzige Arbeitnehmervertretung im Gesundheits- und Automobilsektor, die auch mit der AfD rede. Vorstandsmitglied Roman Reusch hielt dagegen und sagte, eine Streichung würde dem Verfassungsschutz in die Hände spielen: »Man kann es seinem Gegner auch sehr, sehr einfach machen.« Die Verantwortlichen in dem Verein müssten erst »toxische Personen« aus seinem Vorstand entfernen. Höcke plädierte dagegen dafür, den Verein von der Liste zu nehmen. Die Mehrheit der Delegierten folgte schließlich mit 60% seinem Votum.

Beim Parteitag der AfD hat sich insgesamt gezeigt, dass die extreme Rechte in der Partei den Ton angibt. Im Bundesvorstand ist kein Repräsentant mehr, der dem Kurs des Rechtsextremisten Höcke widerspricht.


Bundesvorstand rückt weiter nach rechts

So wurde Tino Chrupalla als Parteivorsitzender für die kommenden zwei Jahre bestätigt. Er setzte sich mit 287 von 538 abgegebenen Delegiertenstimmen – 53,45% – gegen Norbert Kleinwächter durch, der ebenso wie Chrupalla der AfD-Fraktion im Bundestag angehört Angesichts der kurzfristigen Gegenkandidatur des eloquenten Bundestagsabgeordneten markieren die von Chrupalla erreichten wenig mehr als 50% der abgegebenen Stimmen allerdings ein Wirkungstreffer.

Die Nachfolge des im Januar aus der Partei ausgetretenen EU-Abgeordneten Jörg Meuthen tritt Alice Weidel an, die bereits gemeinsam mit Chrupalla die Bundestagsfraktion leitet. Weidel wurde zur zweiten Bundessprecherin mit 360 Stimmen oder 67,29% gewählt. Ihr Gegenkandidat, der EU-Parlamentarier Nicolaus Fest, konnte lediglich 20,75% erringen.

Letztlich wurden acht Mitglieder des von Chrupalla präsentierten »Teams Zukunft« vom Parteitag in den 14-köpfigen Vorstand berufen. Dieses Tableau enthielt neben Weidel und dem mit einem starken Ergebnis von 72,35% zum ersten stellvertretenden Bundessprecher gewählten Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner auch den Vorsitzenden der Jungen Alternative, Carlo Clemens, und den kulturpolitischen Sprecher der Fraktion, Marc Jongen. Sie wurden ebenso gewählt wie der ehemalige Berliner Staatsanwalt Roman Reusch oder der Bundestagsabgeordnete Peter Boehringer. Dieser siegte mit 55,4% gegen die überraschend angetretene Erika Steinbach, die Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.

Zusätzlich zu den »Flügelianern«, die ohnehin auf Chrupallas Zettel standen wie der sachsen-anhaltinische Landesvorsitzende Martin Reichardt, wurden weitere in den Vorstand gewählt. Dazu zählen Maximilian Krah, stellvertretender Landeschef in Sachsen, und Christina Baum, Bundestagsabgeordnete in Baden-Württemberg. Krah wünschte sich in Riesa »viele deutsche Kinder«. Baum bezeichnet die AfD als den »parlamentarischen Arm« rechtsextremer Coronaleugner

Der neue Bundesvorstand ist insgesamt homogener besetzt als der alte, die östlichen Landesverbände und die sogenannten Sozialpatrioten haben sich weitgehend gegen die westlichen Landesverbände und die Nationalliberalen durchgesetzt – teils, weil diese die Konfrontation scheuten und gar nicht erst antraten, teils, weil sie scheiterten. Chrupallas Deutung, das neue Präsidium bilde einen »Strom aus unterschiedlichen Strömungen«, ist eine bloße Beschönigung dieser deutlichen Rechtsverschiebung.


Was von der AfD in Zukunft zu erwarten ist

Die zukünftige Richtung der AfD wird in einem weiteren Antrag deutlich, der nicht mehr zur Beratung kam: In einem u.a. von Höcke, Chrupalla und Gauland unterstützten Antrag wird die Einsetzung einer Kommission zur Vorbereitung einer »Parteistrukturreform« gefordert. Die darin enthaltenen Vorschläge engen Gestaltungsspielraum der Parteispitze ein. In dem Text heißt es unter anderem: »Für den Fall, dass der Bundesvorstand oder Mitglieder des Bundesvorstandes die Umsetzung von Konvents- oder Parteitagsbeschlüssen verweigern, sollten die Prüfung und der Einsatz von Sanktionsmaßnahmen möglich sein.«

Nicht verhandelt wurde auch eine Ukraine-Resolution. Gemäß dieser soll Deutschland die Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet stoppen, die »Nord-Stream-II-Blockade« auflösen und eine Dialogoffensive starten.

Björn Höcke spielte die Musik, nach der der Kongress tanzte. Der geplante Aufbruch wurde verhagelt. Und ob die politische Ausrichtung und deren mediale Inszenierung einen Impuls geben, die anhaltende Absetzbewegung der Mitglieder zu stoppen, kann auch bezweifelt werden. Die Partei sei »immer noch ein gäriger Haufen«, konstatierte Gauland im Vorfeld des Parteitages: »Wir werden sehen, wie der Parteitag läuft, aber ich glaube, da hat sich gar nichts geändert.« Die AfD müsse auch nicht »erwachsen« oder regierungsfähiger werden. Sie sei »eine sehr von der Basis bestimmte Partei« und bekäme »von der Basis immer neue Impulse, die dann ausführlicher verarbeitet werden müssen. Von daher wird das ein Dauerzustand sein.«

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