7. Juli 2018 Joachim Bischoff: Eskalation zwischen USA und VR China

Der Handelskrieg könnte das Jahrhundert bestimmen

Die Eskalation des Handelskrieges der USA mit der Volksrepublik China kommentiert Steve Bannon, der ehemalige Chefstratege von US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus, gegenüber dem Wall Street Journal: »Es ist ein historischer Tag, China ist seit 20 Jahren in einem Handelskrieg mit uns und jetzt steht jemand auf und wehrt sich.«

Bannon ist davon überzeugt, dass China die USA ausnutzt und dass die Vereinigten Staaten kämpfen müssen, um die globale wirtschaftliche Vorherrschaft zu behalten. Für ihn »ist der Wirtschaftskrieg mit China alles. Und darauf müssen wir uns wahnsinnig konzentrieren. Wenn wir weiterhin zurückfallen, stehen wir in fünf Jahren, höchstens zehn Jahre, an einen Wendepunkt, von dem wir uns nie mehr erholen können.« Trump versuche, »das schlagende Herz des amerikanischen Kapitalismus zu beschützen – unsere Innovation«, so die Argumentation der ehemalige Chef der rechtspopulistischen Nachrichtenseite Breitbart.

Die Chinesen hätten von den USA entweder technologische Innovationen gestohlen oder amerikanische Unternehmen dazu gezwungen, sie zu übergeben. Dieses Spiel sei nun vorbei, Trump habe sein Vorgehen von langer Hand geplant und fokussiere sich auf den erzwungenen Technologietransfer. »Es ist offensichtlich, dass die Chinesen keine richtige Antwort darauf haben. Ich denke, sie haben ihm komplett in die Hände gespielt.« China habe zwar Zölle auf landwirtschaftliche Produkte erhoben, den Technologiesektor dabei aber völlig außen vorgelassen. Das zeige, dass die USA für China nichts weiter als ein »tributpflichtiger Staat« sei.

Trump kann sich in dieser Strategie auf einen Teil der US-Wirtschaft stützen. Anderer Teile, auch Großunternehmen, sind entsetzt über diese Konfrontation. Etliche Konzernchefs fürchten, dass Trumps stümperhaftes Vorgehen auf sie zurückschlägt und Wettbewerbern aus Europa und Japan hilft. US-Finanzminister Steven Mnuchin rät zu einem weniger aggressiven Vorgehen, er wurde jedoch von anderen Kabinettsmitgliedern und vom Präsidenten Trump überstimmt.

Bannon wiederum attackiert die Wall Street, die nicht viel von den Strafzöllen gegen China hält. »Zur Hölle mit der Wall Street«, sagte er zur Nachrichtenagentur Reuters, die Aktienhändler und Investoren würden stets nur kurzfristig denken. »Es ist höchste Zeit, dass sich ihnen jemand widersetzt, und Donald Trump ist der perfekte Typ.«

Es wäre ein grobes Missverständnis, den von den USA eröffneten Handelskrieg nur als Entscheidung eines kleinen Machtzentrums in der US-Oberschicht zu deuten. Es geht ein tiefer Riss durch das US-Establishment und die Frage, wie die Zukunft des amerikanischen Kapitalismus zu sichern ist.

Chinas Partei- und Staatsführung bedauert den Ausbruch des »größten Handelskrieg der Wirtschaftsgeschichte«, den Trump entfacht hat. Ministerpräsident Li Keqiang spricht sich in einem Beitrag in der FAZ vom 7. Juli für die Verteidigung und den Ausbau der multilateralen Welthandelsordnung im Sinne der WTO aus. Bislang standen im Handelskonflikt zwischen China und den USA die Waren (z.B. Aluminium, Solarpanels, Stahl, Waschmaschinen und Hirse) und das große Handelsbilanzdefizit im Fokus. Mit den neusten Handelsbarrieren wird jedoch deutlich: Es geht um die künftige Vormachtstellung in den Hightech-Sektoren.

Handelsbilanzdefizit USA-China

 

Krieg mit Strafzöllen

Nach Inkrafttreten der US-Strafzölle auf chinesische Warenimporte sah sich China zum »notwendigen Gegenschlag« gezwungen und kündigte als Retourkutsche Strafzölle in gleicher Höhe an. Die US-Administration lässt daraufhin weitere Zölle auf chinesische Importe mit einem Handelswert von bis zu 150 Mrd. US-Dollar prüfen. Wenn die USA nicht zurückstecken, werden durch die Eskalation des Handelskrieges die globale Konjunktur tangiert und die rezessiven Effekte neben den Strafzöllen auch den Großteil der anderen Länder betreffen.

Die US-Administration geht zu einem Großteil der Nationalstaaten in Konfrontation und will ohne Verbündete die VR China geostrategisch in die Schranken verweisen. Auch die EU, Kanada und andere Länder reagieren mit Klagen vor der Welthandelsorganisation WTO. Zugleich erheben sie in Übereinstimmung mit den WTO-Regeln Vergeltungszölle – die EU z.B. seit dem 22. Juni Strafzölle auf US-Produkte wie Whiskey, Erdnussbutter, Motorräder, Jeans und Tabakprodukte.

Unter militärischen Aspekte mag die Hegemonie der USA möglicherweise einleuchten, die materielle Basis der Ökonomie sieht weniger eindeutig aus: Während sie noch 1960 etwa über 40% der globalen Wirtschaftskraft disponierten, sind es heute nur noch rund 20%. Dies reicht nicht aus, um das Reich der Mitte vor sich hertreiben zu können.

Die bisherigen Konfliktzonen

Und die USA haben den Wirtschaftskrieg über das Terrain des Handels hinaus ausgeweitet: Es geht um massive Einschränkung chinesischer Investitionen in den Vereinigten Staaten.

 

Die Trump-Administration will neben den Strafzöllen die Hürden für eine Beteiligung von chinesischen Konzernen an US-Unternehmen in bestimmten Branchen erhöhen. Sie will mittels eines nationalen Wirtschaftsnotstands-Gesetzes aus dem Jahr 1977 die Kompetenzen des Ausschusses für ausländische Investitionen in den USA (CFIUS – Committee on Foreign Investment in the United States) stärken, was auf Investitionen aus China zielt. Das aus mehreren Behörden bestehende Komitee hat bereits in der Vergangenheit ausländische Übernahmen geblockt.


Der Fall ZTE

Seit 2012 sind Telekommunikationskonzerne wie ZTE im Visier der US-Politik. Anfangs hatte man Bedenken, dass der Einsatz von Produkten chinesischer Ausrüster in den USA zu Spionagezwecken missbraucht werden könnte. Dann befürchtete man, bei der Entwicklung des Mobilfunknetzes der nächsten Generation gegenüber China ins Hintertreffen zu geraten. Die Milliardenbuße des US-Handelsministeriums gegen ZTE von 2017 und das Verbot für US-Firmen von Mitte April, ZTE zu beliefern, galten aber als unpolitische bürokratische Entscheide im Zusammenhang mit der Verletzung von US-Sanktionen gegen Iran und Nordkorea.

Der Handy- und Netzwerkbauer ZTE hat einen Großteil seiner Aktivitäten eingestellt, nachdem das US-Handelsministerium amerikanischen Firmen wie Intel oder Qualcomm verboten hatte, für sieben Jahre Bauteile und Software an ZTE zu liefern. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, gegen Iran-Sanktionen verstoßen zu haben. Da ZTE für sein Geschäft u.a. auf Chips der amerikanischen Qualcomm angewiesen ist, kam das einem Todesurteil gleich.

Berichte über Produktionsstopps bei ZTE machten bald die Runde. Das faktische Todesurteil spülte den Fall auf die oberste politische Ebene und platzte in die Verhandlungen zwischen den USA und China über das Ungleichgewicht in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Präsident Xi bat seinen Amtskollegen Donald Trump um Nachsicht gegenüber ZTE, worauf Trump via Twitter umgehend und mehrfach Unterstützung für ZTE versprach. Einmal begründete Trump dies mit der Hoffnung, dass eine Lösung für ZTE einer umfassenden Einigung im Handelsstreit mit China zuträglich wäre, ein anderes Mal verwies er auf seine enge persönliche Beziehung zu Xi.

Der US-Präsident hat schließlich das Lieferverbot aufheben lassen, der US-Kongress hat diese Entscheidung blockiert – ein Symptom für die unterschiedlichen Interessenlagen in der wirtschaftlich-politischen Elite. Aktuell wird weiterhin über eine Aufhebung des Banns gerungen, denn aus dem Kongress gibt es starke Opposition.

ZTE hat seitdem über 11 Mrd. US-Dollar an Marktwert verloren, die Aktien sind insgesamt um 60% eingebrochen. Das Unternehmen bezieht bisher etwa ein Drittel seiner Komponenten über US-Zulieferer. Nach dem neuen Vergleich mit dem US-Handelsministerium muss ZTE eine Busse von einer Mrd. US-Dollar zahlen und weitere 400 Mio. US-Dollar auf ein Sperrkonto überweisen, nachdem der Konzern unter dem Vergleich von 2017 bereits Bußen von 892 Mio. US-Dollar bezahlt hat. ZTE hat sich zudem verpflichtet, ein Team von Compliance-Koordinatoren einzusetzen, die von den US-Behörden ausgewählt und diesen gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Dieses Team soll in Echtzeit darüber wachen, dass ZTE die amerikanischen Exportkontrollbestimmungen einhält. ZTE muss überdies seine gesamte Führungsmannschaft auswechseln.


Achilles-Ferse der chinesischen Unternehmen

Die Ausbreitung chinesischer Hightech-Firmen auf dem US- und Weltmarkt ist nicht einfach zu beurteilen: Trotz ihres Aufstiegs sind sie teilweise abhängig von Produkten aus den Konkurrenzstaaten. Rund ein Drittel aller wichtigen Komponenten in den Smartphones der Chinesen, die auf dem Heimmarkt kaum eine Rolle spielen, in den Vereinigten Staaten jedoch im Ranking auf Platz vier liegen, kommen aus Amerika.

Die zentrale Schlussfolgerung für die chinesische Seite lautet, dass man mit noch größerer Anstrengung die bestehenden Defizite bei bestimmten Zukunftstechnologien beseitigen will. Halbleiter spielen im neuen Informationszeitalter eine zentrale Rolle und sind in Desktop-Computern, in Tablet-Geräten oder Smartphones zu finden.

Prognosen besagen zudem, dass die Kluft zwischen dem Bedarf chinesischer Produzenten an Halbleitern und der Binnenproduktion immer größer wird. Mehr als die Hälfte der importierten Halbleiter stammt aus den Vereinigten Staaten. Der Weltmarktanteil von US-Produzenten wie Broadcom, Intel und Qualcomm beläuft sich auf rund 50%. Jener der chinesischen Hersteller beträgt nur 4%.

Mit der Eskalation des Handelsstreits geht nicht nur eine Ära des jahrelangen Abbaus von Zöllen zu Ende. Faktisch wird die liberale Weltwirtschaftsordnung der Nachkriegszeit unterminiert. Denn die USA brüskieren auch ihre wichtigsten bisherigen Verbündeten und Handelspartner. Das Risiko des Umschlags in eine weltweite Absturzspirale wird vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zu Recht herausgestellt:

  • die Gefahr einer negativen Spirale aus protektionistischen Maßnahmen und Gegenmaßnahmen, die die Unsicherheit erhöhten und Investitionen im In- wie Ausland bremsten;
  • zunehmende Anreize für andere Ländern, wie die USA die »nationale Sicherheit« als Begründung für neue Importbeschränkungen anzuführen;
  • die Gefahr von Unterbrüchen globaler und regionaler Wertschöpfungsketten, welche vielen Ländern und nicht zuletzt US-Konzernen Nachteile bringen würden;
  • höhere Volatilität an den Finanz- und Rohwarenmärkten, die nicht zuletzt Schwellen- und Entwicklungsländern schaden könnte.

In einem Handelskrieg, der durch die gegenseitige Verhängung von Strafzöllen hochgeschaukelt wird, gewinnt keine Seite. Seit Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde, wird deutlich, dass die Drohungen mit Strafzöllen zur Vergeltung des angeblich so unfairen Verhaltens Chinas oder auch Mexikos, eine populistische Mobilisierung von Teilen der Wählerschaft sind, aber wenig Überzeugungskraft für eine Zukunftskonzeption der US-Gesellschaft und geostrategischen Ordnung für das 21. Jahrhunderts haben.

In der der US-Administration spiegeln sich zwei gesellschaftliche Formationen: auf der einen Seite die »Wirtschaftsnationalisten« angeführt von den China-Kritikern Peter Navarro und US-Handelsminister Wilbur Ross, auf der anderen Seite die »Wall Street-Fraktion« repräsentiert durch den Ex-Goldman-Sachs-Banker Gary Cohn und dem pragmatischen Finanzminister Steven Mnuchin, ebenfalls ein ehemaliger Goldman-Sachs-Banker.

Die auf der Furcht vor den Folgen des »Decline of America« gegründeten Verteufelungen der VR China stellen nicht nur eine Gefahr für die Weltfriedensordnung dar. Wenn US-Politiker China zur neuen bedrohlichen Hegemonialmacht stilisieren, werden dadurch keine der drängenden nationalen Probleme der USA gelöst, auch wenn Trump als »deal maker« seinem heruntergewirtschafteten Land mit Abschottung gegenüber Migrant*innen und Handelsbilanzüberschüssen zu neuem Reichtum und Wohlstand verhelfen will.

Doch Strafzölle sind keine zielführenden Maßnahmen: Erstens tauschen Länder längst nicht mehr nur Waren aus, sondern immer mehr auch Dienstleistungen. Das Silicon Valley steht nicht zuletzt für den komparativen Wettbewerbsvorteil der USA im Entwickeln und Exportieren von hochwertigen Dienstleistungen. Zweitens hat im Rostgürtel der USA nicht das Handelsbilanzdefizit mit China Jobs vernichtet, sondern der unkontrollierte und nur marktgesteuerte Strukturwandel. Diese Arbeitsplätze werden nicht zurückkehren, wenn der amerikanische Präsident die chinesische Ökonomie mit staatlichen Hürden zu schädigen sucht.

Ein guter Deal wäre es, wenn die zahlreichen Hürden beim Marktzutritt für ausländische Firmen in China abgebaut und große Kraftanstrengung der Entwicklung von Wirtschaftspotenzialen im Rahmen der »neuen Seidenstraße« gemeinsam mit China unternommen würden.

Ein Großteil des Beschäftigungsverlusts in den USA ist weniger der Konkurrenz aus China, sondern dem technologischen Fortschritt geschuldet. Die Beschäftigungsverluste in »traditionellen« Industriesektoren können nicht durch populistische und unrealistische Rhetorik beseitigt werden. Die USA stehen vor der Herausforderungen: Wie können Arbeitskräfte, die einem unkontrollierten Strukturwandel ausgesetzt sind, für neue Aufgaben ertüchtigt werden, und wie kann sich die US-Gesellschaft eine moderne öffentliche Infrastruktur (Verkehrswege, Bildung, Gesundheit) zulegen, die Bedingung für eine umfassende Wertschöpfung durch die lebendige Arbeit im 21. Jahrhundert ist.

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