3. Juli 2019 Joachim Bischoff/Bernhard Müller

Der Immo-Boom verschärft die soziale Ungleichheit

Foto: Rasande Tyskar/flickr.com (CC BY-NC 2.0)

Für Wohnungen und Häuser müssen Käufer*innen in Deutschland immer tiefer in die Tasche greifen. Wohnimmobilien verteuerten sich im ersten Quartal 2019 im Schnitt um 5% gemessen am Vorjahreszeitraum, so die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts.

Vor allem in den sieben größten Städten schossen die Preise nach oben: Dort kosteten Eigentumswohnungen binnen Jahresfrist 8,6% mehr und Ein- und Zweifamilienhäuser 6,9%. Zu den Metropolen zählen Berlin, München, Hamburg, Frankfurt, Köln, Stuttgart und Düsseldorf. Aber es gibt es nicht nur in Großstädten satte Aufschläge. Der Boom mache sich »sowohl in den Städten als auch in ländlichen Regionen« bemerkbar – bis in dünn bevölkerte Regionen, erklärte die Wiesbadener Behörde. Ob politische Eingriffe wie Mietendeckel oder Enteignungen die Wohnungsnot lösen können, bezweifeln viele Bürger*innen.

Fakt ist aber auch: Während gerade die ärmeren Menschen unter den höheren Mieten leiden, weil die Mieten in den entsprechenden Stadtvierteln gestiegen sind, landete der Großteil des Vermögenszuwachses bei den 10% der reichsten Deutschen. Deutschland weist unter den entwickelten kapitalistischen Ländern eine herausragende Vermögensungleichheit auf. Selbst die Bundesbank bestätigt in einem neuen Bericht diese Tendenz der Zunahme der Ungleichheit. Schlagendes Indiz: die Vermögensungleichheit. Wird die Lohnarbeit schlecht bezahlt, wachsen die Nettovermögen der Wohlhabenden.


Ungleichheitstreiber Immobilieneigentum

Dabei ist im letzten Jahrzehnt vor allem das Immobilieneigentum zum massiven Ungleichheitstreiber geworden. Deutschland galt lange als Land, in dem Häuser kaum teurer werden. Der Immobilienhype seit den 1990er Jahren spielte sich vor allem in den USA, Großbritannien oder Spanien ab. Doch im aktuellen Jahrzehnt verteuern sich deutsche Wohnungen und Häuser in einem rasanten Tempo. Nach einer aktuellen Studie von Till Baldenius, Sebastian Kohl und Moritz Schularick hat dies die Unterschiede zwischen Arm und Reich drastisch vergrößert.

Während mehr als die Hälfte der Vermögenszuwächse in die Taschen der zehn Prozent Reichsten wandern, leiden Millionen Bürger*innen der Berliner Republik unter höheren Mieten. »In seinen Schriften ›Zur Wohnungsfrage‹ diagnostizierte Friedrich Engels die ›Verschärfung, die die Wohnungsverhältnisse (…) durch den plötzlichen Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten erlitten haben; eine kolossale Steigerung der Mietspreise; (…) die Unmöglichkeit, überhaupt ein Unterkommen zu finden‹ (Engels 1872/3). Dies war zur Zeit des deutschen Gründerbooms. Knapp 150 Jahre später steht Deutschland vor einer neuen Wohnungsfrage.«

So sind in den vergangenen zehn Jahren die Hauspreise in den größten Städten Berlin, Hamburg und München um 90% gewachsen. Dieser Boom hat erhebliche Auswirkungen auf die Vermögensverteilung. Die Preissteigerungen seit 2011 haben deutsche Immobilienbesitzer um etwa drei Billionen Euro reicher gemacht. Diese Vermögenzuwächse entsprechen in etwa dem deutschen Bruttoinlandsprodukt eines Jahres und übersteigen die gesamte deutsche Staatverschuldung um gut eine Billion Euro. Mehr als die Hälfte der Kapitalgewinne (1,5 Bio. Euro) entfiel auf die reichsten 10% der Deutschen, aber auch Haushalte der oberen Mittelschicht (80stes Perzentil) haben stark profitiert. Ihr Vermögen ist durch den Boom um etwa 50% auf 380.000 Euro gestiegen.«

Diese hohen Gewinne der Top-10% erklären sich zum Teil dadurch, dass die ärmere Hälfte der Bevölkerung nur 3% des Hausbesitzes hat. Sie vereinnahmen etwa 60 Prozent des Hausbesitzes auf sich. In Ländern mit höheren Eigentumsquoten wie den USA profitiert die Mittelschicht stärker. Dennoch besitzt auch die deutsche Mittelschicht (Haushalte zwischen dem fünfzigsten und neunzigsten Perzentil der Verteilung) erhebliches Immobilienvermögen, wohingegen die unteren fünfzig Prozent – immerhin die Hälfte der Bevölkerung – kaum Wohneigentum haben. Haushalte in den unteren 50% der Vermögensverteilung haben daher so gut wie keine Kapitalgewinne erzielt. Die Kapitalgewinne dieser Gruppe machen weniger als 10% der Gewinne der reichsten 10% aus.



Der deutsche Immobilienboom hat somit die Reichen reicher gemacht. Die Vermögensgewinne sind zudem regional ungleich verteilt. Reiche Regionen haben überdurchschnittliche Preissteigerungen und damit auch die stärksten Zuwächse im Immobilienvermögen erfahren. Mehr als die Hälfte der gesamten Vermögensgewinne entfallen auf Bayern und Baden-Württemberg.

Untere und mittlere Einkommen als Verlierer

Den starken Vermögensgewinnen von Hauseigentümern stehen erheblich gestiegene Mietausgaben besonders für untere Einkommensgruppen gegenüber. Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) zeigen einen starken Anstieg der Ausgaben für Wohndienstleistungen gerade in den unteren Einkommensgruppen. So geben die ärmsten 20% der deutschen Haushalte mittlerweile knapp 40% ihres Einkommens für Wohnen aus. 1993 waren es nur gut 25%. Für keine andere Einkommensgruppe waren die Preissteigerungen so dramatisch.



Dieser dramatische Anstieg der Mieten hat zum einen mit dem wachsenden Zustrom in die Metropolregionen zu tun, zum anderen aber mit dem dramatischen Abbau im sozialen Wohnungsbau seit den 1980er Jahren. Der Anteil von Mieter*innen, die in Sozialwohnungen leben, ist von über 16% im Jahr 1980 auf gesamtdeutsche 4% im Jahr 2018 gesunken. Auf städtischer Ebene sind die durchschnittlich ca. 24% auf dem 1. Förderweg subventionierten Wohnungen im Bestand von 1987 auf heute im Schnitt unter 10% sozial gebundene Wohnungen gefallen. Der Rückgang ist dadurch zu erklären, dass alte Belegungsbindungen schneller ausgelaufen als neue Bauten hinzugekommen sind.



Die steigenden Mieten führen dazu, dass Haushalte mit mittleren Einkommen müssen ein Fünftel mehr für Wohnen ausgeben als vor zehn Jahren. Noch härter erwischt es die 20% mit dem niedrigsten Einkommen. »In den Städten sind die Mieten dort am stärksten gewachsen, wo Einkommensschwache leben (›Gentrifizierung‹)«, stellen die Forscher fest. »Sie sind die großen Verlierer des Booms« – und geben 40 Prozent ihres Einkommens für Wohnen aus. Die steigenden Mieten zeigten zudem, dass es – jenseits von spekulativen Übertreibungen am Käufermarkt – mittlerweile einen klaren Mangel an Wohnraum in Deutschland gibt. »Daran ist nicht das niedrige Zinsumfeld schuld, sondern die über viele Jahre zu niedrige Bautätigkeit.

Insbesondere die öffentliche Hand versäumt es seit einem Jahrzehnt, die günstigen Finanzierungsbedingungen an den Kapitalmärkten für höhere Investitionen im Wohnungsbau und der Infrastruktur auszunutzen.« Dass die öffentlichen Nettoinvestitionen in einer Zeit extrem niedriger oder sogar negativer Realzinsen weiterhin negativ seien, sei »kein Ausweis soliden Haushaltens, sondern ein potentiell teures wirtschaftspolitisches Versäumnis«.
Die Konsequenz: »Unsere Prognose des Wohnungsbedarfs bis 2030 lässt erwarten, dass das soziale Konfliktpotential der neuen Wohnungsfrage weiter zunehmen wird: Im Jahr 2030 werden knapp eine Million Wohnungen fehlen, davon allein 340.000 in den sieben größten Städten.«

Ungleichheit der Vermögen

Die wachsende Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen wird auch in Deutschland noch getoppt von der Ungleichheit in der Verteilung der Vermögen. Auf die wachsende Bedeutung von Immobilien für die Ungleichheit der Vermögen der privaten Haushalte weist auch die Bundesbank in ihrer aktuellen Vermögensstudie hin. So sind »die Vermögen vor allem in den Bereichen der Verteilung absolut und relativ zu den Werten für das Jahr 2014 stark angestiegen sind, in denen Eigentümerhaushalte besonders häufig zu finden sind, das heißt unter den 40% der vermögendsten Haushalte.«

Das gesamte geschätzte durchschnittliche Vermögen der privaten Haushalte in Deutschland lag nach der Untersuchung der Bundesbank bezogen auf den Zeitpunkt 2017 bei brutto 262.500 Euro. Abzüglich der Verschuldung – also netto – waren es 232.800 Euro. Das sind 8,5% mehr als drei Jahre zuvor. Der Mittelwert ist die Summe aller Vermögen geteilt durch die Anzahl aller Haushalte. In der Statistik wird dieser Wert häufig auch arithmetisches Mittel genannt.

Das ist aber nur der Durchschnitt, die Summe aller Vermögenswerte geteilt durch die Anzahl der Haushalte. Doch eine solche Zahl hat nur beschränkte Aussagekraft. Denn wenn von zwei Menschen einer ein Vermögen von 100.000 Euro besitzt und der andere gar nichts, dann verfügen beide im Durchschnitt über 50.000 Euro. Um das Vermögen eines mittleren Vermögenshaushalts realitätsnäher zu erfassen, greifen Statistiker auf den sogenannten Median zurück. Wenn alle Haushalte gemessen an ihren Vermögen aufgereiht werden, ist der Medianwert die mittlere Position: Für diese Position gibt es ebenso viele reichere wie ärmere Haushalte. Dieser Median liegt für Deutschland 2017 brutto bei 84.400 Euro. Werden die Schulden herausgerechnet, sind es netto noch 70.800 Euro. Er liegt sogar 17% höher als vor drei Jahren.

Für die Zunahme der sowohl des Mittelwerts wie auch des Medians der Nettovermögen in den letzten drei Jahren war, wie wir gesehen haben, vor allem der steile Anstieg der Immobilienpreise und der Aktienkurse verantwortlich. So schlagen sich etwa die steigenden Immobilienpreise in einem höheren Immobilienvermögen für Haushalte mit Eigentum am Hauptwohnsitz nieder, sowohl gemessen am Durchschnitt (+ 27.400 Euro) als auch am Median (+ 37.200 Euro). Folglich verwundert es nicht, dass die Vermögen vor allem in den Bereichen der Verteilung absolut und relativ zu den Werten für das Jahr 2014 stark angestiegen sind, in denen Eigentümerhaushalte besonders häufig zu finden sind, das heißt unter den 40% der vermögendsten Haushalte. Auch die Haushalte mit Aktien- und Fondbesitz konnte sich über einen schönen Vermögenszuwachs freuen. Im Durchschnitt stieg der Wert des Aktienbesitzes für die Haushalte mit direkter Aktienhaltung um etwa 5.000 Euro bzw. 13% an.

Dass der Median so deutlich unter den Durchschnittswerten liegt, macht deutlich, dass vergleichsweise wenige Haushalte über ein großes Vermögen verfügen, dass die Vermögen in Deutschland also sehr ungleich verteilt sind. Denn wenn bei der Berechnung des Mittelwertes alle Vermögen aufaddiert werden, werden höhere Summen stärker gewichtet. Der Median bzw. mittlere Wert hingegen sagt, dass die Hälfte der Haushalte weniger als 70.800 Euro hat. Das heißt, dass also selbst im besten Fall nur knapp ein Drittel der Haushalte den Mittelwert von 233.000 Euro erreicht. Interessant ist der Vergleich mit anderen Ländern. In Italien zum Beispiel lag der Mittelwert 2016 bei 206.000 Euro, der Median aber deutlich höher bei 126.000 Euro. Hier ist die Verteilung also ausgeglichener. In den USA dagegen hatten die Haushalte 2016 im Schnitt umgerechnet etwa 625.000 Euro, aber der Median lag im Verhältnis dazu recht niedrig bei 88.000 Euro.

Die Unterschiede zwischen den drei Ländern zeigt auch der Gini-Koeffizient. Er ist eine statistische Maßzahl für Ungleichheit. Sie liegt in Deutschland bei den Vermögen seit Jahren bei rund 75%, und weist damit die größte soziale Schieflage in Europa aus. In Europa lag der Gini-Index 2014 bei 46,5%. In Italien schwankt er etwa um 63%, in den USA ist er in den letzten Jahren auf 86% gestiegen. Die extreme Ungleichheit bei der Verteilung der Vermögen in Deutschland hat zum einen mit der wachsenden Ungleichheit bei den Primäreinkommen (drastisch sinkende Lohnquote) in den letzten 20 Jahren zu tun, zum anderen aber auch mit der die Vermögenden in diesem Land enorm begünstigenden Steuerpolitik (Abschaffung der Vermögenssteuer, Steuersenkungen für Unternehmen und Vermögensbesitzer).



Wie ungleich die Verteilung ist,
lässt sich auch am Anteil des Vermögens ablesen, das den oberen 10% der Nettovermögensverteilung gehört. Diese Gruppe besaß in Deutschland im Jahr 2017 etwa 55% des gesamten Nettovermögens. Nur für die USA, Italien und Österreich liegen derzeit Werte für einen vergleichbaren Zeitraum vor. In Italien erreichte dieser Anteil im Jahr 2016 etwa 44%, in den USA im Jahr 2016 77% und in Österreich im Jahr 2017 56%. Für den Euroraum insgesamt ergab sich im Jahr 2014 ein Wert von 51%.

Dass diese Ergebnisse das Ausmaß der Vermögenskonzentration in Deutschland noch unterzeichnen, darauf weist die Bundesbank selbst hin. » Für die Erhebungswelle 2017 scheint es insbesondere zu einer Untererfassung von Betriebsvermögen am oberen Rand der Verteilung gekommen zu sein. Zudem beteiligten sich im Vergleich zu den Erhebungswellen der Jahre 2010 und 2014 weniger Haushalte mit sehr hohen Vermögen an der Befragung. Beides kann ursächlich für den leichten Rückgang einiger Verteilungsmaße sein.«

Bei bevölkerungsrepräsentativen Stichproben wie denen der Europäischen Zentralbank (EZB) bzw. der Deutschen Bundesbank oder des SOEP wird also der Bereich der sehr hohen Vermögen tendenziell untererfasst, weil sich sehr einkommens- und vermögensstarke Personen typischerweise an diesen Haushaltsbefragungen nicht beteiligen. Die Erfassung des Anteils der hohen Einkommen an den gesamten Haushaltseinkommen trifft in Deutschland auf etliche Hürden.

Erstens werden die Daten der Steuerstatistik nur alle drei Jahre erhoben und erscheinen mit großer zeitlicher Verzögerung. So wurden die Daten für 2014 erst Ende 2017 zugänglich.

Zweitens fehlt durch die Außerkraftsetzung der Vermögenssteuer seit 1996 eine verlässliche objektive Grundlage zu Messung der Vermögensungleichheit. Die Einführung einer Vermögenssteuer mit einem beliebig niedrigen Steuersatz würde daher erhebliche Fortschritte hinsichtlich der Datenlage mit sich bringen.

Drittens ist in Deutschland der Anteil der Kapitaleinkommen am Volkseinkommen seit der Jahrtausendwende stark gestiegen. Spiegelbildlich ist die Lohnquote, also der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen, gefallen. Die kräftig gestiegenen Unternehmensgewinne wurden jedoch nicht in entsprechendem Maße an die privaten Haushalte weitergegeben, sondern in hohem Umfang einbehalten. Deswegen sind die Tophaushaltseinkommen (und ihr Anteil an den gesamten Haushaltseinkommen) weniger stark gestiegen, als es der Fall gewesen wäre, wenn die zunehmenden Gewinne nicht einbehalten, sondern – wie etwa in den USA – verstärkt an Topmanager und Aktionäre (die überwiegend zu den oberen Einkommensgruppen gehören) weitergegeben worden waren.

Viertens ergibt sich für die Jahre ab dem Jahr 2009 das Problem, dass mit Einführung der sogenannten Abgeltungssteuer Informationen über versteuerte Kapitalerträge nicht mehr personenbezogen erfasst werden wie vormals im Zuge der synthetischen Einkommensbesteuerung. Vielmehr wird die Abgeltungssteuer direkt von den Finanzinstituten anonym an die Finanzämter abgeführt, sodass keine direkten Informationen über die Verteilung der Kapitaleinkommen vorliegen. Diese sind aber wegen der hohen Vermögenskonzentration ungleicher verteilt als die Arbeitseinkommen und tragen damit erheblich zu den Topeinkommensanteilen bei.

Aus den genannten vier Gründen kann mehr als vermutet werden, »dass es in den vergangenen zehn Jahren (in Deutschland) zu einem Anstieg der Vermögensungleichheit gekommen ist, da nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen im Vergleich zu den Arbeitnehmerentgelten überdurchschnittlich gestiegen sind. Diese Einkunftsarten konzentrieren sich vor allem auf das oberste Dezil der Einkommensbezieher. Noch stärker sind die Vermögen auf die obersten Perzentile der Verteilung konzentriert.«

Eine Untersuchung der EZB sucht dem Rechnung zu tragen, in dem sie ihre Umfragedaten mit den Schätzungen der Milliardäre-Liste des Magazins »Forbes« kombiniert, um ein realistischeres Bild zu zeichnen. Das Ergebnis: Die bisher oft gehörte Zahl, dass die reichsten 1% der Amerikaner etwa ein Drittel des Vermögens in ihren Händen konzentrieren, ist etwas zu niedrig. Auch die Angaben für Deutschland, die nach einer EZB-Haushaltsumfrage dem obersten Prozent einen Anteil von 26% zusprechen, ist untertrieben.

Darauf wird auch im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hingewiesen: »Diese Vorgehensweise wurde vom DIW aufgegriffen, das als Datengrundlage das SOEP verwendet. Der Anteil des vermögendsten einen Prozents der Bevölkerung erhöhte sich diesen Schätzungen zufolge je nach Szenario auf zwischen 31 und 34 Prozent und könnte damit im Extremfall fast doppelt so hoch liegen wie sich aus den Daten des SOEP für das Jahr 2012 ergibt. Der Vermögensanteil der reichsten zehn Prozent der Bevölkerung erreichte demnach – je nach Szenario – zwischen 63 und 74 Prozent am gesamten Nettovermögen. In den SOEP-Daten ohne Hinzuschätzungen beläuft sich der Anteil wie bereits erwähnt auf 58 Prozent (…). Die Autoren betonen, dass diese Schätzungen mit hoher Unsicherheit behaftet ist.« (Armuts- und Reichtumsbericht 2017, S. 122f.)

Demnach gehören dem obersten Prozent der ganz reichen Haushalte in Deutschland zwischen 31% und 34% des Vermögens – immerhin 5-8 Prozentpunkte mehr als bislang angenommen. In den Vereinigten Staaten liegt der Anteil bei 35%. Den größten Sprung machen die Daten in Staaten wie den Niederlanden (12 bis 17% Vermögensanteil der Superreichen statt wie bislang geglaubt nur 7%) und Italien (20 bis 21 statt 15%).


Was zu tun wäre

Um die Ungleichheit der Einkommen und vor allem auch der Vermögen einzudämmen ist die Wiedereinführung der Vermögenssteuer unverzichtbar. Darüber hinaus geht es aber auch darum, die Vermögenszuwächse beim Immobilieneigentum deutlich zu beschränken, etwa durch eine Grundsteuer, die die Vermögenszuwächse abschöpft, aber auch um regulierende Eingriffe in den Wohnungsmarkt wie Mietendeckel oder Mietpreisbremse. Mit der stärkeren Beteiligung der Vermögensbesitzer an der Finanzierung des Gemeinwesens ließen sich auf die Vorschläge von Baldenius, Kohl und Schularick zur Lösung der neuen Wohnungsfrage nachhaltig finanzieren.

Ein Einstieg gegen die Verschärfung der Ungleichheit von Einkommen und Vermögen könnte die anstehende Reform der Grundsteuer sein. Die Grünen haben ihre Zustimmung zu dieser umstrittenen Reform unter Vorbehalt gestellt. Sie fordern, dass die Steuer, die beim Eigentümer einer Immobilie anfällt, künftig nicht mehr auf die Mieter*innen überwälzt werden darf. »Wir wollen die Umlagefähigkeit der Grundsteuer auf die Miete streichen«, sagte Stefan Schmidt, Finanzexperte der Grünen-Fraktion im Bundestag. Es könne nicht sein, dass nicht diejenigen, die vom Wertzuwachs der Immobilien profitierten, am Ende die Grundsteuer zahlten, sondern die Mieter*innen. Die Grünen stehen mit ihrer Forderung, die Umlagefähigkeit der Grundsteuer auf die Miete abzuschaffen, nicht allein. Auch die SPD und die Linke fordern dies. Da die Grundsteuer nach geltender Rechtslage auf die Miete umgelegt wird, werden die Mieter*innen trotz der Umverteilungseffekte des Immo-Booms zusätzlich belastet. Die Umlage auf die Mieter sei »sozial ungerecht«.

Gleichzeitig findet die Idee eines Mietenstopps immer stärkere Verbreitung: Der Berliner Senat hat bereits beschlossen, ein Gesetz einzubringen, nach dem die Mieten fünf Jahre nicht mehr steigen dürfen – und teilweise sogar gesenkt werden müssen (»Mietendeckel«). Bremen wird wahrscheinlich mit einem ähnlichen Gesetz folgen und in Bayern wird ein Volksentscheid für einen Mietendeckel vorbereitet.

Des Weiteren geht es darum, den Bau preiswerter Wohnungen massiv auszudehnen. »Die Situation am deutschen Wohnungsmarkt wird sich im nächsten Jahrzehnt weiter zuspitzen, wenn die Bautätigkeit nicht zügig und substanziell ausgeweitet wird. Deutschland muss deutlich mehr bauen, um die weiter wachsende Bedarfslücke zu schließen. Die Kosten von rund 16 Milliarden Euro oder 0,5% des BIP jährlich sind vergleichsweise gering, wenn man das soziale Konfliktpotenzial des Wohnungsmangels bedenkt. Zurzeit stellt der Kapitalmarkt zudem extrem günstige Finanzierungsbedingungen zur Verfügung. Diese nicht zu nutzen, wäre nicht nur ein ökonomischer Fehler, sondern könnte auch zu erheblichen politischen Kosten führen, wenn sich der Konflikt zwischen Mietern und Vermietern, aber auch Wohnungsinhabern und Wohnungssuchenden weiter zuspitzt.

Immobilienbooms führen zu Vermögensgewinnen von Haushalten der Mittel- und Oberschichten, was in der Politik nicht unbedingt zu großem Handlungsdruck führt. So hat der Wohnungspreisanstieg in anderen OECD Ländern seit den 1990ern Jahren bei einigen Politikern gar die Hoffnung eines neuen »asset-backed welfare« (Doling/Ronald 2010) geweckt, wonach die Hausvermögensgewinne den Sozialstaat entlasten können. … Unsere Schlussfolgerungen sind deutlich weniger euphorisch.

Einerseits sind die Vermögensgewinne sozial und regional sehr ungleich verteilt. Andererseits mussten vor allem einkommensschwache Haushalte in Städten in den letzten Jahren immer größere Einkommensanteile für Wohnen aufwenden. Wachsende Attraktivität der Städte und sogenannte ›Gentrifizierung‹ ehemals einfacher Wohngegenden haben gerade am unteren Ende der Einkommensverteilung zu überproportional steigenden Wohnausgaben geführt.

Ohne eine Entspannung der Angebotssituation würden den wachsenden Vermögensgewinnen der Immobilienbesitzer weiter steigende Wohnkosten gerade für einkommensschwache Haushalte in den Städten gegenüberstehen. Das soziale Konfliktpotenzial dieser Entwicklungen ist nicht zu übersehen und unsere Prognose deutet nicht auf eine Entspannung im nächsten Jahrzehnt hin. Im Gegenteil steht zu erwarten, dass sich insbesondere in den Städten die Knappheit und damit die Verteilungswirkungen noch verstärken werden. Deutschland braucht dringend einen neuen politischen Konsens, dass der Wohnungsbau zu den herausragenden wirtschafts- und sozialpolitischen Prioritäten des nächsten Jahrzehnts gehört.«


[1] Statistisches Bundesamt, Preissteigerung bei Eigentumswohnungen in sieben größten Metropolen mit +8,6% besonders stark, Pressemitteilung Nr. 241 vom 26. Juni 2019.
[2] Till Baldenius, Sebastian Kohl und Moritz Schularick, Die neue Wohnungsfrage. Gewinner und Verlierer des deutschen Immobilienbooms, Bonn Juni 2019
[3] Die Bundesbank befragt im Abstand von drei Jahren unter dem Titel »Private Haushalte und ihre Finanzen (PHF)« Haushalte in Deutschland zu ihrem Vermögen und ihren Schulden. Die erhobenen Daten fließen in geld- und finanzstabilitätspolitische Untersuchungen ein und bilden die Grundlage für Forschungsprojekte und Analysen innerhalb und außerhalb der Bundesbank. An der Befragung im Jahr 2017 beteiligten sich fast 5.000 Haushalte. Rund zwei Drittel nahmen bereits zum zweiten oder dritten Mal teil. Die Ergebnisse basieren also auf der Selbsteinschätzung der Befragten.
[4] Markus M. Grabka, Christian Westermeier, Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland, DIW Wochenbericht 9/2014.
[5] Philip Vermeulen, Estimating the top tail of the wealth distribution, Working Paper Series, No 1907/May 2016.
[6] Baldenius, Kohl und Schularick a.a.O.

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